Protokoll der Sitzung vom 25.03.2004

haben ungeprüft eine Äußerung übernommen, von der nicht klar ist, wer sie geprägt hat, und die offensichtlich falsch ist. Sie haben hier gesagt, pro Jahr gebe es 350 Vorführungen aus den Justizvollzugsanstalten Butzbach und Rockenberg. Das ist schlicht falsch. Es existiert die Behauptung, diese Zahl habe ein Richter am Amtsgericht Butzbach ermittelt; er habe sich irgendwann einmal hingesetzt und Strichlisten gemacht.

Wenn dies stimmen sollte, dann bestätigt das den Grundsatz „Judex non calculat“. Er hat sich nämlich kräftig verrechnet. Ich habe in der letzten Woche Gespräche mit Herrn Winchenbach, dem Leiter der Justizvollzugsanstalt in Rockenberg, und mit Herrn Saar, dem Leiter der JVA Butzbach, geführt. Die Butzbacher sprechen von 75 bis 80 Vorführungen pro Jahr, und die Rockenberger sagen, es sind unter 10 Vorführungen pro Jahr. Die Zahl von 350 Vorführungen ist also objektiv falsch.

(Zuruf des Abg. Dr. Andreas Jürgens (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Nein,Herr Kollege Jürgens,wenn man Argumente übernimmt und mit Verve vorträgt, wie Sie es hier getan haben, dann müssen sie auch stimmen. Genau das, was ich dem Herrn Minister und seiner Bürokratie vorwerfe, dass sie nämlich etwas gemacht haben, was nicht stimmig ist, werfe ich auch Ihnen vor und sage: Wer Kritik übt, der sollte seine Argumente vorher überprüfen.

(Beifall bei der FDP)

Das ist jedenfalls nicht der Stil, wie wir als FDP-Fraktion in diesem Hause arbeiten.

Langer Rede kurzer Sinn: Dem Antrag der GRÜNEN können und wollen wir nicht zustimmen, weil wir für eine Zusammenlegung der Amtsgerichte sind.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir sagen doch gar nicht, dass wir dagegen sind!)

Auf der anderen Seite ist ein Moratorium vollkommen sinnlos, weil die Prüfungen nachgeholt worden sind, die man klugerweise vorher hätte machen sollen.Aus diesem Grunde werden wir Ihrem Antrag nicht zustimmen, Kollege Al-Wazir. Ich schätze, Sie wollen ihn zuerst im Rechtsausschuss beraten lassen. Dort kann man vielleicht die Empfehlung aussprechen, den Antrag für erledigt zu erklären.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ein letzter Punkt. Als der Kollege Wintermeyer hier ans Pult trat, dachte ich, er sagt uns noch ein bisschen mehr zu dem Amtsgericht Hofheim. In der Diskussion der letzten Monate haben wir doch immer wieder gehört, dass es der besondere Wunsch eines einzelnen Abgeordneten mit einem großen Umfeld im Main-Taunus-Kreis war, ein eigenes Amtsgericht nach Hofheim zu holen und dort das Amtsgericht Hochheim und das Amtsgericht Frankfurt, Abteilung Höchst, zusammenzuschließen. Ich hätte mich gefreut,wenn Sie zur allgemeinen Erheiterung das noch vorgetragen hätten. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Dank, Herr Hahn. – Für die SPD-Fraktion hat sich Frau Hofmann zu Wort gemeldet. Frau Hofmann, Ihnen stehen noch zwei Minuten Redezeit zur Verfügung.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Wintermeyer, es ist geradezu zynisch, dass Sie sich hier hinstellen und den Justizminister dafür feiern wollen, dass er jetzt einsichtig geworden ist und erkannt hat, dass das Amtsgericht Hochheim mit Frankfurt keine sachlichen inhaltlichen Bezüge hat und daher jetzt endlich entschieden worden ist, es nach Wiesbaden zu verlagern. Nein, es zeigt sich doch gerade beim Amtsgericht Hochheim, dass hier absoluter Murks gemacht worden ist, dass nicht vorher nachgedacht wurde, sondern erst jetzt nachgedacht wird. Sie wissen aus Ihren Besuchen vor Ort, dass die Bediensteten über eine solch sachfremde Entscheidung tief verunsichert und aufgeschreckt gewesen sind. Das kann man nicht nachträglich noch gutheißen.

Stichwort Synergieeffekte. Die sind doch wirklich nicht bekannt. Ich möchte einen Punkt ansprechen, der hier noch nicht erwähnt worden ist: die gesamten Folgekosten für die Verlagerung der Amtsgerichte, beispielsweise dadurch, dass man die Zuständigkeiten der Gemeindebezirke verändert und auf Konzentrationsgerichte verlagert. Was geschieht mit all den Daten, den Akten? Wie erfolgt die Umstellung dieser Akten, deren Transport, deren Auslagerung? Wie viel Personalkosten entstehen dadurch, wie viel sächliche Kosten? – Diese Zahlen liegen beispielsweise noch gar nicht auf dem Tisch.

(Zuruf des Abg. Dr.Walter Lübcke (CDU))

Ich denke, darüber haben Sie sich zum Teil noch gar keine Gedanken gemacht.

Wenn wir über Synergieeffekte in der Justiz nachdenken, dann stehen doch ganz andere Fragen auf der Tagesordnung, z. B. die Frage nach der Vereinheitlichung von Verfahrensordnungen – ein Stichwort, das auch auf Bundesebene diskutiert wird –, das Justizmodernisierungsgesetz oder auch Ihr Entwurf zum Justizbeschleunigungsgesetz. In der Tat können wir Synergieeffekte in der Justiz erzielen – aber auf einem anderen und sinnvolleren Weg.

Nochmal zum Stichwort Bad Wildungen. Sie haben versucht, hierzu hämisch aus der Presse zu zitieren. Im Nachgang zu meinem Besuch mit dem Kollegen Kahl in Bad Wildungen habe ich E-Mails von Personalräten bekommen, die mir ausdrücklich erklärt haben, der Personalrat begrüße die Auflösung des Amtsgerichts in Bad Wildungen keineswegs,sondern er könne im Gegenteil diese Entscheidung nicht nachvollziehen.

(Zuruf des Abg. Heinrich Heidel (FDP))

Insofern stimmen dem auf keinen Fall alle zu, auch nicht in Bad Wildungen.

Zusammenfassend kann ich nur sagen, Ihr angebliches Konzept zur Zusammenlegung der Amtsgerichte ist absoluter Murks, nicht durchdacht. Die vermeintlichen Synergieeffekte, die Sie hier vorrechnen, sind nicht nachvollziehbar.

(Beifall bei der SPD)

Ich darf Herrn Dr.Jürgens nochmals das Wort für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erteilen. Sie waren der Redner, der vor dem Minister sprach,deshalb dürfen Sie jetzt noch einmal für insgesamt sechs Minuten das Wort ergreifen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es war eigentlich zu erwarten, dass der Minister und auch Herr Wintermeyer auf Nebenschauplätze ausweichen – weil sie unserer Kritik in der Sache wirklich nichts entgegenzusetzen haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich glaube, in diesem Hause hat niemand die Auffassung, ein Ort, der seit 350 Jahren ein Amtsgericht hat, müsse dies auch während der nächsten 350 Jahre behalten.

Um es noch einmal ganz klar zu sagen: Natürlich kann es gute Gründe geben,Amtsgerichte zusammenzulegen.Das bestreitet in diesem Hause wahrscheinlich niemand. Wenn es aber darum geht, im Einzelfall zu entscheiden, welches Amtsgericht wohin kommen soll, dann wollen die Bürgerinnen und Bürger vor Ort doch wissen, warum das im einen Fall getan und im anderen Fall unterlassen wird, warum die Argumente einmal so und einmal anders gewichtet werden.

Natürlich kann es auch gute Gründe geben, das Amtsgericht Bad Arolsen mit nur zwei Richterplanstellen zu erhalten. Aber ein anderer Gesichtspunkt, der noch gar keine Erwähnung gefunden hat, der aber in der Mitteilung des Landesrechnungshofs durchaus erwähnt worden ist, ist die Effizienz.

Auf der Grundlage verschiedener Gutachten wurde festgestellt, dass die höchste Effizienz und Bürgernähe bei Amtsgerichten zwischen zehn und 25 Richterplanstellen besteht. Warum dann nicht einige kleinere Amtsgerichte zusammengelegt werden, z. B. durchaus auch durch Herauslösen von Zuständigkeiten aus größeren Amtsgerichten – zumal die größten Amtsgerichte in Frankfurt und Kassel noch zusätzliche dazu bekommen –, das ist ebenfalls nach wie vor ohne jede Begründung.

Herr Minister, im Grunde genommen haben Sie hier etwas wiederholt, was gegenwärtig schlicht und ergreifend keine vernünftige Grundlage hat.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben wieder behauptet, es würde 1 Millionen c eingespart. Weder im Rechtsausschuss noch hier an diesem Pult noch sonst irgendwo haben Sie einmal konkret auflisten können, wie Sie auf diesen Betrag kommen. Ich finde es schon ein ziemlich starkes Stück – und es grenzt an Missachtung des Parlaments –, dass Sie diese Behauptung heute hier wieder aufgestellt haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zweitens haben Sie nach wie vor die Abweichungen von dem Vorschlag des Landesrechnungshofs nicht begründet. Mit keinem Wort haben Sie gesagt, warum Sie jene Amtsgerichte, die der Landesrechnungshof überhaupt nicht erwähnt hat, aufgenommen haben, warum Sie diese unterschiedlich behandeln. Nochmals: Es geht nicht so sehr darum, alle Amtsgerichtsstandorte zu erhalten, sondern es geht darum, den Leuten vernünftige Grundlagen und Argumente zu liefern.

Wenn man dann z.B.hört,dass das Amtsgericht Bad Arolsen erhalten bleiben soll, weil das nächste Amtsgericht 50 km entfernt sei: Lieber Herr Wintermeyer, Nordhessen ist zwar groß, aber die Entfernungen sind nicht so groß. Das nächstgelegene Amtsgericht in Korbach ist rund 18 km entfernt. Es ist also zweifellos nicht so, dass das im

Rahmen des Konzepts nicht hätte gemacht werden können.

Nochmals: Ich will das nicht fordern. Ich will nicht sagen, auch das muss jetzt aufgelöst werden. Aber ich möchte eine vernünftige Grundlage und vernünftige Argumente dafür haben, warum in dem einen Fall so, im anderen Fall aber ganz anders gehandelt wird.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dr.Walter Lübcke (CDU))

Zu Butzbach. Herr Hahn, es mag sein, dass die Zahl 350 eine gegriffene Größe ist, um es einmal vorsichtig zu sagen. Aber die Zahlen, die Sie haben, sind doch auch eher Pi-mal-Daumen-Zahlen.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Nein!)

Wenn Sie fragen, wie viele Vorführungen tatsächlich stattfinden, dann hat das doch offenbar bei der Entscheidung, Butzbach zu schließen, überhaupt keine Rolle gespielt. Da ist es doch nicht so wichtig, ob es 50, 100, 150 oder 250 Vorführungen im Jahr sind. Dies ist schlicht und ergreifend nicht berücksichtigt worden. Das ist einfach vergessen worden. Das ist bei der Entscheidung überhaupt nicht beachtet worden.

(Zuruf des Abg. Jörg-Uwe Hahn (FDP))

Das ist doch der Punkt. Deswegen sagen die Leute, das hat überhaupt keinen Sinn.

Ein Beispiel haben Sie bereits genannt, das vom ursprünglichen Konzept der Landesregierung bereits abweicht. Homberg (Efze) soll mittlerweile zunächst als Außenstelle erhalten bleiben, und Witzenhausen soll nicht mehr – wie ursprünglich geplant – zur Hälfte nach Kassel und zur Hälfte nach Eschwege,sondern vollständig nach Eschwege und dort möglicherweise als Außenstelle erhalten bleiben. Darüber wurde einmal diskutiert, jetzt ist das wieder verworfen. Jetzt soll es wieder nach Eschwege. Das ist doch ein totales Chaos, ein totales Kuddelmuddel. Die Leute vor Ort wissen nicht mehr, was eigentlich die Grundlage für die Entscheidung gewesen ist. Das macht doch den Ärger im Land aus.

Ein letzter Punkt. Herr Wagner, Sie haben auf verschiedene Änderungen, Zusammenlegungen und Zuständigkeitsänderungen bei den Amtsgerichten hingewiesen.Das ist alles richtig. Natürlich sind die Familiengerichte konzentriert, mittlerweile auch die Registergerichte, die Insolvenzgerichte usw. Das ist alles richtig. Aber allein mit der Vergangenheit zu operieren ergibt keine Argumentation für die Zukunft, keine Grundlage für die Entscheidung, was künftig geschlossen werden soll.

Ich kann nur feststellen: Nach wie vor trifft unsere Kritik zu. Sie haben keine verlässliche Kalkulationsgrundlage. Es ist rein willkürlich entschieden worden.Auch nach dieser heutigen Debatte stehen Sie inhaltlich und argumentativ völlig im Hemd da.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Jörg-Uwe Hahn (FDP))

Danke, Herr Dr. Jürgens. – Ich darf Herrn Wintermeyer nochmals das Wort für die CDU-Fraktion erteilen. Herr Wintermeyer, Sie haben fünf Minuten Redezeit.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich kann versprechen, dass ich die Redezeit nicht vollständig ausnutzen werde.Aber ich möchte trotzdem die Gelegenheit ergreifen, hier auf den Kollegen Dr. Jürgens einzugehen. Herr Hahn wird mir vergeben, dass ich jetzt nicht zum Amtsgericht Hofheim im Main-Taunus-Kreis spreche.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Schade!)

Aber ich darf Ihnen durchaus sagen, Herr Kollege Hahn, insgesamt ist natürlich zu überlegen, wie die Struktur der Justiz in einer Region aufgebaut ist.