Protokoll der Sitzung vom 12.05.2004

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Herr Innenminister, wir glauben, es ist an der Zeit, dass Sie uns hier und heute erklären, wie es denn geschehen konnte, dass ein Polizeibeamter, der darauf angesprochen wurde,erklärt,das sei doch kein Problem,die Kinder würden „nachgeliefert“. So war das heute in der Zeitung zu lesen.

Wir halten dieses Thema für sehr dringlich, weil wir glauben, es ist für das Ansehen des Landes Hessen nicht gerade förderlich, dass ein Sprecher der zuständigen Ausländerbehörde,nachdem die Eltern abgeschoben wurden, gesagt hat: „Nicht die Behörden haben die Familie getrennt, sondern die Eltern.“ Das sagte er, nachdem die Eltern von der Polizei zum Flughafen gebracht wurden.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Ich komme zu meinem letzten Punkt. Herr Kollege Dr. Jung, wir glauben, dass dieses hier und heute debattiert werden muss, weil wir es für einen unglaublichen Vorgang halten, dass ein Polizist zur Begründung gesagt hat, wenn man immer warten würde, bis man alle Familienmitglieder habe, dann würde man ständig den Leuten hinterher rennen. So geht es nicht. Das, was dort passiert ist, ist ein Skandal.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Die Regierung muss heute erklären, wie sie dafür sorgen will, dass sich auch hier wieder Behörden an Recht und Gesetz halten und im Zweifelsfall nicht einfach die Eltern wegschicken, ohne sich auch nur eine Sekunde darum zu kümmern, wer für die Kinder jetzt Sorge tragen soll.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wir sagen deshalb, dass das heute und hier debattiert werden muss. – Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Zur Geschäftsordnung hat Herr Kollege Gotthardt von der CDU-Fraktion das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich muss schon gestehen, dass es mich reizen würde, inhaltlich in die Debatte einzusteigen. Ich sage das vor dem Hintergrund, dass zu fragen ist: Wo waren die Kinder? Wussten die Eltern, wo die Kinder waren? Wäre es möglich gewesen, die Kinder mit den Eltern zusammenzubringen? Ich habe mich aber nicht zu einer inhaltlichen Debatte, sondern zur Geschäftsordnung zu Wort gemeldet.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Bei der Debatte zur Geschäftsordnung stelle ich dann fest, dass das Ereignis, über das wir hier reden, am 6. Mai dieses Jahres stattgefunden hat. Heute ist der 12. Mai 2004. Das heißt, es liegt bereits eine Woche dazwischen. Jetzt, eine Woche später, haben Sie diesen Dringlichen Antrag gestellt, weil heute Morgen in der Zeitung ein entsprechender Artikel erschienen ist.Das ist ja legitim.Aber ich sage auch ganz deutlich: Es passiert aber auch nichts, wenn wir diesen Punkt morgen inhaltlich im Landtag diskutieren. Denn während dieser 24 Stunden passiert inhaltlich nichts.

(Gerhard Bökel (SPD):Wann soll er morgen diskutiert werden?)

Der Dringliche Antrag wurde heute um 13 Uhr im Hessischen Landtag gestellt. Wir haben heute um 12 und um 12.30 Uhr noch über die Härtefallkommission diskutiert.

(Zuruf von der CDU: Zufall!)

Man muss dann schon auf die Idee kommen, dass da ein bisschen Böswilligkeit im Spiel gewesen ist, dass Sie versucht haben, das Thema hochzuziehen. Das können Sie gern machen. Das machen Sie aber nicht mit unseren Stimmen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Ich finde, wir sollten diesen Punkt inhaltlich besprechen. Das sollte auch im Rahmen des Plenums geschehen. Dem stimmen wir gern zu.Aber das geschieht dann im Rahmen des Ablaufs der Tagesordnung und damit morgen und nicht heute. So dringlich, dass es heute um 16 Uhr behandelt werden muss, ist dieser Vorgang wahrlich nicht. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Als nächster Redner spricht Herr Abg. Kahl für die SPDFraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Es macht schon sehr betroffen, dass man in den Zeitungen lesen muss: „Abschiebung zerreißt türkische Familie“. Herr Kollege Gotthardt, wir sind uns darüber einig, dass das Thema dringlich ist. Sie sagten, das sei am 6. Mai 2004 passiert.Aber heute hat es in der Zeitung ge

standen. Damit wurde es auch heute für den Hessischen Landtag aktuell.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Man muss sich das einmal anschauen. Die entscheidende Frage ist doch: Wer soll sich jetzt um die Kinder kümmern? – Darauf erfolgte die Antwort – das hat etwas damit zu tun, warum diese Thematik dringlich ist –:

„Das ist nicht unsere Aufgabe“, sagt der Dienst habende Beamte der Polizei Usingen. „Die werden nachgeliefert.“

Allein schon die Art der Sprache ist schlimm und macht betroffen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege Gotthardt, Sie haben hier zu Recht Fragen als Teil der inhaltlichen Debatte stellen wollen. Umso mehr zeigt das aber auch, dass es wichtig ist, dass dies hier diskutiert wird und nicht mit dem Hinweis darauf – –

(Frank Gotthardt (CDU): Morgen!)

Was heißt hier denn „morgen“? Sie haben doch gar keinen konkreten Antrag gestellt, wann das behandelt werden soll.

Es wurde der Antrag gestellt und gemeinsam beschlossen, dass dieser Dringliche Antrag auf die Tagesordnung genommen wird. Das ist klar. Sie wissen aber genauso gut wie ich, dass, wenn der Dringliche Antrag hinten an die Tagesordnung angehängt wird,es Freitagmorgen drei Uhr sein wird, bis er behandelt wird. Das kann doch nicht der Fall sein.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU): Das liegt an Ihnen!)

Deswegen wurde hier ganz klar der Antrag gestellt, dass dieser Dringliche Antrag heute nach der Behandlung des Setzpunktes aufgerufen werden soll.

Ich sage Ihnen dazu auch noch: Fragen der Familie werden hier in diesem Haus sehr oft diskutiert.Wenn es überhaupt ein dringliches Anliegen gibt, dann kann ich nur sagen: Es ist dringlich, genau darüber zu diskutieren. – Wir wollen Klarheit darüber, um was es sich bei dieser Sache handelt. Das darf so nicht stehen bleiben. Deswegen muss heute über diese Frage diskutiert werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen, meine Herren! Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen zu dem Thema vor. Es wurde beantragt, den Dringlichen Antrag, Drucks. 16/2271, direkt hinter den Setzpunkt, Tagesordnungspunkt 52, einzusortieren. Wer dem seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen.– Gegenstimmen? – Damit stelle ich fest, dass für den Antrag die Mitglieder der Fraktionen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gestimmt haben. Dagegen haben die Mitglieder der FDP- und der CDU-Fraktion gestimmt.Letzteres war die Mehrheit.Damit ist das abgelehnt.

Der Dringliche Antrag wird somit Tagesordnungspunkt 81.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 52 auf:

Antrag der Fraktion der SPD betreffend unzulässiger Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung durch Veränderungen des Gemeindewirtschaftsrechts – Drucks. 16/2224 –

Es ist eine Redezeit von 15 Minuten je Fraktion vereinbart. Als erste Wortmeldung liegt mir die des Abg. Rudolph für die SPD-Fraktion vor.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der derzeit in der Diskussion befindliche Gesetzentwurf der Landesregierung zur Verschärfung des Gemeindewirtschaftsrechts geht zulasten der hessischen Städte, Gemeinden und Landkreise und führt zu einer Aushöhlung der kommunalen Selbstverwaltung. Die Einführung einer strikten Subsidiaritätsklausel in das Gemeindewirtschaftsrecht, welches sich vorrangig an den wirtschaftlichen Interessen privater Dritter ausrichtet, beeinträchtigt die Absicherung der Daseinsvorsorge und schadet der finanziellen Leistungsfähigkeit der Kommunen in Hessen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Es war und ist in Deutschland gute Tradition, dass die Kommunen nicht nur in politischer, sondern auch in wirtschaftlicher Hinsicht für die Selbstverwaltung verantwortlich sind. In Art. 28 des Grundgesetzes finden die Gemeinden auch die verfassungsrechtliche Absicherung ihrer Kompetenzen und Rechte.

Es gibt eine Diskussion darüber, was zur Daseinsvorsorge gehört, welche Aufgaben die kommunale Ebene wahrnimmt. Das sind zum einen Dienstleistungen im so genannten allgemeinen wirtschaftlichen Bereich, z. B. Sparkassen – daran sind Kommunen beteiligt –, die einen wichtigen Beitrag etwa zur Strukturförderung leisten, wenn es um die Ansiedlung von Betrieben geht. Das ist ein ganz wichtiges Instrument der Wirtschaftsförderung, aber auch der Regionalpolitik. Es ist also eine Aufgabe, die sinnvollerweise von Kommunen wahrgenommen werden sollte.

(Beifall bei der SPD)

Ein weiterer Schwerpunkt, in dem Kommunen wichtige Aufgaben wahrnehmen, sind der öffentliche Personalverkehr, die Entsorgung, aber auch die Energie- und Wasserversorgung. Das sind klassische, wichtige Aufgaben der so genannten Daseinsvorsorge.

Dann werden nicht wirtschaftliche Dienstleistungen wahrgenommen, die von allgemeinem Interesse sind. Hierzu zählen z. B. der Betrieb von Museen,Theatern, Bibliotheken, Kindergärten, Schulen, Sportstätten und Freizeiteinrichtungen, aber auch von anderen Einrichtungen, wie etwa Friedhöfen, zoologischen Gärten und botanischen Gärten.

Meine Damen und Herren, all das sind Bereiche, die für das öffentliche Leben, für die Menschen in diesem Lande wichtig und von zentraler Bedeutung sind. Mit diesen Dienstleistungen tragen die Kommunen eine besondere Verantwortung für die Sicherung der Daseinsvorsorge ihrer Bürger, für die Gestaltung des kommunalen Lebensraumes und für die Stabilität der infrastrukturellen Grundlage wirtschaftlicher Aktivitäten. Dies war – und dies ist richtig – bei den Kommunen angesiedelt, und des

wegen gibt es keinen Grund, einen Gesetzentwurf einzubringen.