Protokoll der Sitzung vom 13.07.2004

Frau Staatsministerin.

Frau Abgeordnete, wir nehmen das Thema sehr ernst. Ich glaube auch nicht, dass das Thema Alkopops dazu benutzt werden sollte, um spaßige Fragen zu stellen.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Warum redet der Staatssekretär dann so einen Unsinn?)

Ich glaube nach wie vor, dass dabei weitere Aufklärungsarbeit vonnöten ist. In diesem Bereich helfen keine Steuern, sondern Verständnis und Aufklärungsarbeit, ebenso Gespräche mit den Einzelhandelsverbänden.All das wird von uns getan. Dazu gehört auch immer wieder die Überprüfung, ob man sich an die Abgaberichtlinien hält.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Frank Gott- hardt (CDU): Bei den Benzinpreisen traut sich sowieso keiner mehr an die Tankstellen!)

Meine Damen und Herren, damit schließe ich die Regierungsbefragung und will Ihnen noch zwei oder drei Dinge mitteilen.

Zunächst einmal gibt es die Gratulation an ein Geburtstagskind. Sehr verehrte Kollegin Faeser, ich gratuliere Ihnen zum heutigen Geburtstag ganz herzlich. Alles Gute und eine gute Zeit im kommenden Lebensjahr.

(Allgemeiner Beifall)

Herr Kollege Klee, unser Blumenpolitiker, wird das jetzt erledigen.

(Heiterkeit – Schriftführer Abg. Horst Klee über- reicht Blumen. – Zuruf: Ein Blumenkind!)

Vorsicht, er hat das studiert.

Meine Damen und Herren, auf der Tribüne möchte ich zum einen Teilnehmer des Seminars „Im Zentrum der Landespolitik“ begrüßen. Herzlich willkommen und viel Erfolg in dieser Woche.

Zweitens möchte ich Preisträger des Wettbewerbs „Jugend forscht“ begrüßen, die heute zu Gast sind. Auch Ihnen meine Glückwunsch zur Auszeichnung und herzlich willkommen im Hessischen Landtag.

(Allgemeiner Beifall)

Meine Damen und Herren, dann rufe ich den Ihnen vorliegenden dringlichen Antrag auf:

Dringlicher Antrag der Fraktionen der CDU, der SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP betreffend deutschen Föderalismus fortentwickeln – Drucks. 16/2516 –

Dieser Antrag liegt Ihnen vor. Wird die Dringlichkeit bejaht? – Das ist der Fall.

Wir rufen ihn zusammen mit Tagesordnungspunkt 2 auf:

Regierungserklärung des Hessischen Ministers für Bundes- und Europaangelegenheiten und Bevollmächtigten des Landes Hessen beim Bund betreffend „Föderalismus stärken – mehr Rechte für die Länder“

Die Redezeit beträgt 30 Minuten je Fraktion. Bevor ich dem Minister das Wort erteile, bitte ich die Fraktionen, sich klar zu werden,wie die Reihenfolge sein soll.Ansonsten muss ich sie selbst festlegen.

(Wortmeldung des Abg. Frank Gotthardt (CDU))

Selbstverständlich.

Mein Vorschlag ist, Tagesordnungspunkt 48 – das ist die Abschaffung von Gremien – gleich mit diesem Punkt aufzurufen.Angekündigt ist wohl,dass es von den GRÜNEN dazu noch einen Änderungsantrag gibt. Den sollten wir vielleicht gleich mit aufrufen, auch wenn er noch auf dem Weg ist.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Der ist eingebracht, aber noch nicht hier!)

Wenn er auf dem Tisch liegt, werden wir ihn hinzufügen. – Herr Kollege Walter.

Die Redereihenfolge bei einer Regierungserklärung ist, dass die SPD beginnt, dass dann die CDU, die GRÜNEN und die FDP kommen.Das ist bei Regierungserklärungen so üblich.

Ich hatte einen anderen Wunsch vorliegen. Wenn das Konsens ist, machen wir es so. – Dann ist es so beschlossen, wie es Herr Kollege Gotthardt vorgeschlagen hat.

Herr Staatsminister Riebel, jetzt darf ich Ihnen das Wort erteilen.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen, meine Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der föderale Staatsaufbau ist nicht nur geltendes Verfassungsrecht für die Bundesrepublik Deutschland und zugleich gefestigte politische Überzeugung der Hessischen Landesregierung, sondern ergibt sich auch aus meinen eigenen Einsichten,

aus der historischen Entwicklung Deutschlands der vergangenen mindestens 150 Jahre, als die Staatsform, die prinzipiell ohne Alternative ist.

Föderalismus war und ist für uns alle Grundlage jeder demokratischen Entwicklung prinzipiell, aber spätestens seit 1848. Zentralismus war dagegen in Deutschland ein Kennzeichen des totalitären Staates, in der Nazidiktatur ebenso wie in der DDR. Von daher müssen bestimmte Entwicklungen, wie wir sie gemeinsam in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten erlebt haben, mit Sorge betrachtet werden.

In den Augen vieler hat sich das Bund-Länder-Verhältnis hinsichtlich der Rolle des Bundesrates eher problematisch entwickelt. Hieraus folgt in Teilen der Bevölkerung eine negative Resonanz auf die politische Arbeit mit Vermittlungs- und Akzeptanzschwierigkeiten, teilweise sogar mit ausdrücklicher Ablehnungshaltung. Diese fügt sich in unserer Zeit in verhängnisvoller Weise in das Bild wirtschaftlicher Stagnation und Depression ein. Eine der besonderen Herausforderungen für uns gemeinsam ist es deshalb, neue Strukturen zu entwerfen und verfassungsrechtlich einzuführen.

Die im Prinzip und von fast niemandem bestrittenen Ziele der Föderalismusreform, die eigentlich eine Verfassungsreform ist, kann man wie folgt beschreiben:

erstens die Entflechtung von Entscheidungsprozessen zur Verbesserung der Handlungsfähigkeit von Bund und Ländern mit einer Finanzausstattung,die die Finanzierbarkeit der verfassungsrechtlich zugewiesenen Aufgaben für den Bund und die Länder gestattet,

zweitens eine erkennbare und deutliche Zuordnung der politischen Verantwortlichkeiten zum Bund wie zu den Ländern bei gleichzeitiger Stärkung der Länderkompetenzen,

drittens eine Effizienzsteigerung bei der Aufgabenerfüllung zur besseren Ausschöpfung vorhandener Potenziale des Bundes wie der Länder,

viertens die Verbesserung der Europatauglichkeit des Grundgesetzes und

fünftens die verfassungsrechtliche Umsetzung der Idee des Wettbewerbsföderalismus bei weitgehendem Erhalt der Finanzausgleichssolidarität der Länder untereinander.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, vorweg darf ich daran erinnern, dass nach 1945 zuerst die Länder ihre Eigenstaatlichkeit erlangt haben und dass es die Länder gewesen sind, die die Staatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland begründet haben.Deshalb haben die Länder auch in ihrer Eigenstaatlichkeit erstens gemäß Art. 30 Grundgesetz grundsätzlich alle staatlichen Befugnisse, und die Erfüllung staatlicher Aufgaben ist zuallererst ihre Angelegenheit; zweitens ist ihnen gemäß Art. 70 Abs. 1 Grundgesetz auch eine umfassende Gesetzgebungskompetenz zugewiesen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren, die Länder sind die Ebene, auf der sich das politische Geschehen nach der Idee unseres Grundgesetzes hauptsächlich abspielen müsste.Dies ist gegenwärtig nicht der Fall;die Verfassungswirklichkeit hat sich anders entwickelt: Der Bund dominiert.

Ein vielleicht trivialer Hinweis: Ein Blick auf den Umfang des Bundesgesetzblattes einerseits und etwa des Hessischen Gesetz- und Verordnungsblattes andererseits

macht jedermann deutlich, dass sich der Schwerpunkt der Gesetzgebung zum Bund hin verlagert hat. Dies betrifft nicht nur materielle Gesetzgebung, sondern auch formelles Recht, sodass sich die Zahl der im Bundesrat zustimmungspflichtigen Gesetze in den vergangenen 40 Jahren kontinuierlich erhöht hat.

Hinzu kommen – über die konkurrierende Gesetzgebung hinaus – spezifische Verbindungen des Bundes und der Länder durch die Rahmengesetzgebungskompetenzen des Bundes nach Art. 75 Grundgesetz und durch die Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern nach Art. 91a und 91b Grundgesetz.

Ich will nun die Möglichkeiten aufzeigen, die sich aus Sicht der Landesregierung zum Erreichen der zu Beginn dargestellten Zielsetzungen anbieten.

Die Landesregierung setzt zuallererst auf die Idee der Rückgewinnung eines Gestaltungsföderalismus anstelle des derzeitigen Beteiligungsföderalismus, wie er sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten entwickelt hat. Deshalb müssen zunächst die Zustimmungsrechte der Länder bei der Bundesgesetzgebung neu definiert und die Eigen- und Mitwirkungsrechte der Länder neu gewichtet werden.

Wir, die Länder der Bundesrepublik Deutschland, sind – in Nuancen unterschiedlich, aber prinzipiell einvernehmlich – bereit, auf Mitwirkungsrechte im Bundesrat dann zu verzichten, wenn die im Folgenden darzustellenden Voraussetzungen erfüllt sind:

erstens wenn der Bund auf eine Regelung der Behördeneinrichtung – und damit auch auf eine Aufgabenübertragung an die kommunale Ebene – generell und prinzipiell verzichtet,

zweitens wenn den Ländern ein Zugriffsrecht auf vom Bund getroffene Verfahrensregelungen eingeräumt wird – manche nennen dies auch die Umkehr des Verfassungsprinzips „Bundesrecht bricht Landesrecht“; dies ist verfassungsrechtlich zwar falsch,mag aber in dem politischen Diskurs so gesagt werden können, weil es jedermann eingängig ist –,

drittens wenn Gesetze mit „erheblichen“ Kostenfolgen für die Länder zustimmungspflichtig werden – wobei die verfassungsrechtliche Debatte, welche Kostenfolgen „erheblich“ für die Länder sind, noch vertieft werden muss, wobei ich auch darauf hinweisen will, dass verfassungsrechtlich die Regelung „Wenn die Kostenfolgen erheblich sind, sind die Gesetze zustimmungspflichtig“ nicht ganz einfach zu fassen sein wird; man muss das möglicherweise in einer Gedenkvorschrift des Grundgesetzes festhalten, und ein Ausführungsgesetz muss näher definieren, was darunter zu verstehen ist –,

viertens wenn die Länder vom Bund substanzielle eigene politische Gestaltungsmöglichkeiten erhalten, vor allem in den Bereichen ihrer eigenstaatlichen Organisationshoheit – auch dort, wo sie Bundesgesetze vollziehen –, bei der Regelung von Sachverhalten mit Regionalbezug und selbstverständlich bei der Kulturhoheit.

Die Revitalisierung des Föderalismus in diesem Sinne erfordert vor allem eine Neugestaltung eigener politischer und legislativer Gestaltungsmöglichkeiten der Länder. Wegen erheblicher Bedürfnisse und sehr unterschiedlicher Interessenlagen und Deckungsquoten einzelner Länder, insbesondere der neuen Bundesländer, kommt es dabei auf eine abgestufte Möglichkeit der Zuweisung neuer Aufgaben an: