Ich nehme zur Kenntnis, dass nicht geantwortet wurde. Das ist ja auch nicht schlecht und sagt einiges aus.
Ich habe mich noch einmal gemeldet, weil Sie so tun, als wäre die Kritik lediglich von den Oppositionsfraktionen dieses Hauses vorgetragen worden. Deswegen wollte ich noch einmal ganz kurz ein paar Pressemeldungen zitieren. Ich habe einen Ordner, in dem ich Pressemeldungen sammele. Dort habe ich beliebig hineingegriffen: „Geldmangel – Beratungsstellen für Migranten schließen“, „Oberhessische Presse“; „Keine Hilfe mehr bei der privaten Pleite – Bedarf der Schuldnerberatung geht steil nach oben, doch das Land dreht den Geldhahn zu“, „Wiesbadener Tagblatt“; „Land hat Zuschüsse gestrichen – Suchthilfezentrum macht heute zu“, „Wetzlarer Neue Zeitung“; „Gegen Amerikanisierung der Sozialpolitik“, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“; „Ortsbezirk 7 – Land streicht 530.000 c an Zuschüssen im Frankfurter Nordwesten“, „Frankfurter Neue Presse“; „Arbeit der Rödelheimer Jugendinitiative ist in Gefahr – Land streicht alle Mittel“, „Frankfurter Neue Presse“; „Kämpfen so gut und so lange es noch geht – Frankfurter Frauenschule wird nach den Kürzungen der Landesregierung ein Ein-Personen-Betrieb – Frauenbeauftragte kritisieren das Land für die Folgekosten der Streichungen“, „Offenbach Post“; „Weg ins Gefängnis ist kürzer geworden – Geldstreichungen für Hilfsangebote für straffällig gewordene Jugendliche“, „Frankfurter Rundschau“.
Die „FAZ“, ein Blatt, das in diesem Politikbereich mit der Vorgängerregierung sehr kritisch umgegangen ist, schreibt: „Stimmung zwischen Wut und Resignation – Frauenhäuser streichen Stellen und Plätze als Folge der Kürzungen der Landesregierung“.
Jeder kann nachlesen, was die Ministerin gerade zum angeblich intelligenten Sparen in diesem Bereich gesagt hat. Wir sehen, dass selbst in der „FAZ“ diese Politik nicht mehr nachvollzogen wird. Es ist nicht nur die Opposition in diesem Hause; das Land hat begriffen, dass Sie die soziale Kälte wollen und dass Sie sie durchgesetzt haben. – Danke schön.
Vielen Dank, Frau Schulz-Asche. – Meine Damen und Herren, es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit ist die Aussprache beendet.
Es ist vereinbart,Tagesordnungspunkt 39 dem Sozialpolitischen Ausschuss zu überweisen. – Ich sehe, das ist einvernehmlich.
Gut, Tagesordnungspunkt 69 wird auch dem Sozialpolitischen Ausschuss überwiesen. – Das ist einvernehmlich. Damit ist die Aussprache über diese beiden Tagesordnungspunkte abgeschlossen.
Dringlicher Antrag der Fraktion der FDP betreffend „Abschied von den Maastricht-Kriterien“ – Drucks. 16/2383 –
Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktion der FDP betreffend Sieg für den Stabilitätspakt – Niederlage für Bundesfinanzminister Eichel – Drucks. 16/2519 –
Die Redezeit beträgt 15 Minuten je Fraktion. Das Wort hat Herr Kollege von Hunnius für die FDP-Fraktion.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Das ursprüngliche Anliegen des Antrags vom 15.06.2004 ist zumindest teilweise erfüllt, indem nämlich im Verfassungsentwurf festgelegt wird, dass die Rolle der Kommission etwas stärker ist, als wir es befürchten mussten. Es ist so, dass inzwischen das Votum der Kommission betreffend ein Defizitverfahren nur noch einstimmig von allen Finanzministern ausgehebelt werden kann.
Trotzdem ist keineswegs Entwarnung angesagt. Wir müssen feststellen, dass die Europäische Kommission Hand in Hand mit Bundesfinanzminister Eichel und mit Bundeskanzler Schröder dabei ist, den europäischen Stabilitätspakt aufzuweichen. Man muss sich schon fragen, wie ernst die Bundesregierung das Ziel der Währungsstabilität nimmt, wie ernst Bundeskanzler Schröder und Bundesfinanzminister Eichel den Entwurf eines Verfassungsvertrages nehmen, wie ernst Hans Eichel die Ängste der Bevölkerung vor einem schwachen Euro nimmt und letztlich wie ernst Hans Eichel sich selbst nimmt.
Wer die Diskussion der letzten Wochen verfolgt hat, kann auf diese Fragen nur eines antworten: Schröder und Eichel nehmen weder die Europäische Union noch den Verfassungsvertrag, noch die Ängste der Bevölkerung, noch sich selbst ernst.
Lassen Sie mich Art. III-80 des Entwurfs für einen Verfassungsvertrag der Europäischen Union auszugsweise zitieren:
Bei der Wahrnehmung der... Aufgaben und Pflichten darf weder die Europäische Zentralbank noch eine nationale Zentralbank, noch ein Mitglied ihrer Beschlussorgane Weisungen von Organen, Einrichtungen, Ämtern oder Agenturen der Union, Regierungen der Mitgliedstaaten oder anderen Stellen einholen oder entgegennehmen. Die Organe, Einrichtungen, Ämter und Agenturen der Union sowie die Regierungen der Mitgliedstaaten verpflichten sich, diesen Grundsatz zu beachten und nicht zu versuchen, die Mitglieder der Beschlussorgane der Europäischen Zentralbank oder der nationalen Zentralbanken bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu beeinflussen.
Diese etwas umständliche Formulierung bedeutet ganz einfach: Die Bundesregierung hat ihre Finger aus Angelegenheiten der Europäischen Zentralbank und der Deutschen Bundesbank herauszuhalten.
Die Wirklichkeit sieht leider ganz anders aus. Bundesfinanzminister Eichel erdreistet sich,die unabhängige Institution, deren vornehmste Aufgabe es ist, für die Stabilität der Währung zu sorgen, lächerlich zu machen und ihren Vorstand abzukanzeln. Meine Damen und Herren, wo leben wir denn?
Damit Sie wissen, welche Äußerungen das Missfallen von Herrn Eichel erregt haben, will ich gern zitieren, was Edgar Meister nach Presseberichten geäußert hat und was den Zorn des Finanzministers hervorgerufen hat. Er hat Folgendes gesagt:
Der Stabilitätspakt war der Preis für die einheitliche europäische Währung. Über die im Pakt enthaltenen Einschränkungen waren sich alle Beteiligten klar, auch die Öffentlichkeit hat sich darauf verlassen. Die Politik kann den Vertrag nicht einseitig zulasten der Bürger ändern.
(Beifall bei der FDP – Norbert Schmitt (SPD): Nicht zulasten der Bürger, sondern zugunsten der Bürger!)
Herr Meister hat damit Recht. Es kann doch nicht wahr sein, dass der deutschen Bevölkerung mit ihren einschlägigen Inflationserfahrungen der Euro als stabile Währung verkauft wird und man den Stabilitätspakt als Sanktionsmechanismus vorstellt, und anschließend vom Bundesfinanzminister alles gekippt wird. Genau dies soll aber geschehen.Wie soll Vertrauen in den Euro wachsen, wie sollen die Bürger des Euroraums daran glauben, dass künftige Euroländer sich an die Kriterien halten werden,wenn die beiden größten Mitgliedstaaten Deutschland und Frankreich mit dem Stabilitätspakt geradezu Fußball spielen?
Man hätte den Pakt auch anders schließen können. Dies hätte man im Zusammenhang mit dem Maastricht-Vertrag tun müssen. Es ist aber völlig unglaubwürdig, sich so lange zu den Stabilitätsregeln zu bekennen, wie es Deutschland gelingt, sie einzuhalten. Wenn es Deutschland nicht mehr gelingt, müssen die Regeln geändert werden.
So sind alle dabei, die Kommission und die Bundesregierung, die französische und die italienische Regierung, den Vertrag umzuformulieren, zu flexibilisieren, aufzuweichen, umzuinterpretieren und zu vernebeln.
Was wäre denn passiert, wenn die Kommission in strikter Auslegung des Vertrags und der Begleitprotokolle ein Defizitverfahren gegen Deutschland eingeleitet hätte? – Stellen Sie sich für eine Sekunde vor, welcher enorme Handlungsdruck auf Bund und Länder, auch auf Hessen,
ausgegangen wäre, um die strukturellen Defizite durch strukturelle Maßnahmen zu beseitigen, statt, wie es der Bundesfinanzminister mit dem Haushaltsplanentwurf 2005 erneut getan hat, zu tarnen, zu täuschen und zu tricksen und nicht im Entferntesten daran zu denken, den Pakt einzuhalten.
Das war die heilsame Wirkung, die sich die Väter von dem Pakt versprochen haben. Ein Pakt, gegen dessen Normen kontinuierlich und planmäßig verstoßen wird, ein Pakt, der vom Kollektiv der finanzpolitischen Sünder und potenziellen Sünder infrage gestellt wird, ein Pakt, der so umdefiniert wird, dass er nie zu ernsthaften Konsequenzen führen wird, ein solcher Pakt ist das Papier nicht wert, auf das er gedruckt ist.
Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs ist, wie leider manches Urteil,interpretationsfähig.In einem Punkt aber gibt es keinerlei Spielraum für wohlmeinende Deutungen. Unmissverständlich wurde festgestellt, dass die Ratsentscheidung vom 25. November nichtig ist. Sie ist nichtig, weil sich die Minister über gültiges europäisches Recht hinweggesetzt haben.
Vor diesem Hintergrund hätte die Europäische Kommission gute Karten gehabt, die Auslegung des Paktes strikt zu verfolgen. Leider ist dies unter dem Druck von Deutschland und Frankreich nicht geschehen. Sie hat ihre Haltung aufgegeben.
Ich will in aller Kürze einige der Punkte aufgreifen, um deren Änderung es geht. Richtig ist, neben dem Defizitkriterium von 3 % auch den Schuldenstand – maximal 60 % – heranzuziehen. Aber es macht überhaupt keinen Sinn, den Schuldenstand nur dann gelten zu lassen, wenn es zugunsten des Defizitsünders geschieht. Nein, wir wollten, dass jedes dieser Kriterien für sich zu erfüllen ist. Wenn eines dieser Kriterien verletzt ist, ist eine Verletzung insgesamt vorhanden. Es gab zwei Kriterien, die unabhängig voneinander einzuhalten sein sollten.
Als Umstand, der vor einem Defizitverfahren schützt, soll künftig nicht nur eine Rezession, sondern bereits ein geringes Wachstum gelten. Damit ist Deutschland auch im Jahr 2005 in jedem Fall vor einer Verfolgung durch die Europäische Kommission sicher; denn entweder gibt es eine Rezession – das wünscht sich keiner –, oder es gibt ein Nullwachstum, was im Augenblick nicht wahrscheinlich ist, oder die Wirtschaft wächst zwischen 1 und 3 %. In keinem dieser drei Fälle hätte die Kommission eine Handhabe zum Einschreiten. So haben wir uns das nicht vorgestellt.
Neuerdings gibt es die so genannten nationalen Umstände. Sind die Umstände gut, gibt es also z. B. ein hohes Wachstumspotenzial, dürfen ruhig ein paar Schulden mehr gemacht werden. Der Sanktionsmechanismus zur Verteidigung der Kriterien ist damit der Beliebigkeit ausgesetzt. Das haben wir uns ebenfalls nicht so vorgestellt.
Als letzter Punkt ist ein weiteres Element der Vorschläge der Kommission erwähnt – Vorschläge, wohlgemerkt, die das Wohlgefallen des Bundesfinanzministers finden. In guten Zeiten sollen die Staaten etwas mehr sparen als in schlechten. Das ist gut gemeint, aber weiß Gott nicht neu. Gedacht war: Im Regelfall sind die Staatshaushalte ausgeglichen. Wenn die Zeiten schlecht sind, gibt es einen Spielraum von 3 %. Fakt ist inzwischen, dass die 3-%Grenze im Regelfall überschritten wird. Wenn die Zeiten schlechter werden, kann man diese Grenze sogar auf 7 oder 8 % hochsetzen. So haben wir uns das nicht vorgestellt.
Zusammengefasst: Von den neuen Verfahrensregeln, wie sie von der Europäischen Kommission vorgeschlagen werden, werden im Ernstfall nur die kleinen Mitgliedstaaten erfasst; denn die großen sind ohnehin nicht daran gebunden. Es werden solche Staaten erfasst, deren Bruttoinlandsprodukt außergewöhnlich stark wächst; denn bei einer Rezession, einem Nullwachstum oder einem geringen Wachstum werden sie nicht erfasst. Es sind nur solche Staaten betroffen, die nachweislich einen Schuldenstand von weit über 60 % des Bruttoinlandsprodukts haben. Ferner sind solche Staaten betroffen, die keinerlei nationale Umstände zu ihren Gunsten anführen können. Welcher findige Finanzminister wäre nicht in der Lage, solche nationalen Umstände zu entdecken?