Zusammengefasst: Von den neuen Verfahrensregeln, wie sie von der Europäischen Kommission vorgeschlagen werden, werden im Ernstfall nur die kleinen Mitgliedstaaten erfasst; denn die großen sind ohnehin nicht daran gebunden. Es werden solche Staaten erfasst, deren Bruttoinlandsprodukt außergewöhnlich stark wächst; denn bei einer Rezession, einem Nullwachstum oder einem geringen Wachstum werden sie nicht erfasst. Es sind nur solche Staaten betroffen, die nachweislich einen Schuldenstand von weit über 60 % des Bruttoinlandsprodukts haben. Ferner sind solche Staaten betroffen, die keinerlei nationale Umstände zu ihren Gunsten anführen können. Welcher findige Finanzminister wäre nicht in der Lage, solche nationalen Umstände zu entdecken?
Das heißt im Klartext: Der Pakt wird in keinem einzigen denkbaren Fall zur Anwendung kommen. Der Pakt existiert, wenn diese Vorschläge verwirklicht werden, nicht mehr.
Herr Bundesfinanzminister Eichel, so haben wir uns das weiß Gott nicht vorgestellt.Auch die Finanzwissenschaftler, die diese Entwicklung kritisch begleiten, vertreten dazu andere Meinungen als der Minister Eichel. Ich zitiere Rolf Peffekoven aus Mainz. Er schreibt in der „FAZ“ vom 02.09.2004: „Sollten die Vorschläge in die Realität umgesetzt werden, könnte man keinen Defizitsünder mehr dingfest machen.“ In der „FAZ“ von heute können Sie nachlesen, was Horst Siebert dazu meint:
Den Stabilitätspakt aufzuweichen bringt das Risiko mit sich, dass die Vertrauenskrise gegenüber der Politik nun auch noch auf das Geld übergreift. Bedauerlich, dass Deutschland bei diesem Manöver vorne dabei ist.
Leider hat die Kommission den Spruch des Europäischen Gerichtshofs nicht genutzt, um die Mitgliedstaaten auf diesen Zusammenhang hinzuweisen. Stattdessen weicht der verantwortliche Kommissar die Regeln des Pakts auf und nimmt ihnen die letzte Durchschlagskraft. Wenn der Pakt bröckelt, kracht es im Gebälk der Währungsunion.
Das ist das Urteil der Experten. Lassen Sie mich hinzufügen, was das „Darmstädter Echo“ am 11.09.2004 dazu ausgeführt hat:
im Allgemeinen und in puncto Euro im Besonderen dürfte sowohl in der Europäischen Zentralbank als auch in der Bundesbank weitaus größer sein als im Finanzministerium. Eichel hat Grund genug, vor der eigenen Haustüre zu kehren,denn dort liegt der finanzpolitische Unrat mannshoch.
So ist sein Etat nur deshalb verfassungskonform, weil darin Gelder verbucht sind, die Eichel vielleicht nie sieht.
Dem ist kaum etwas hinzuzufügen – außer dem Ergebnis einer Umfrage. Auf die Frage: „Glauben Sie den Worten
(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Abwählen ist die einzige Konsequenz! – Zuruf von der CDU:Wer sind denn die 11 %?)
Ich kenne keinen persönlich. Möglicherweise Herr Eichel und seine Gattin. – Dass Herr Eichel seinen Kredit längst verspielt hat, könnte uns Liberale relativ gleichgültig lassen. Dass er aber zur Rettung seiner eigenen Haut die Axt an die Gemeinschaftswährung legt und einen Pakt zur Farce macht, der einst auf den ausdrücklichen Wunsch Deutschlands geschlossen wurde, ist nicht mehr seine Privatangelegenheit, sondern wird zur währungspolitischen Tragödie.
Haben Sie ein Problem, Herr Hahn? Mit diesen Anträgen haben Sie sich auch nicht gerade als wirtschaftspolitische Cracks geoutet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren von der FDP, es ist ein Treppenwitz, dass Sie sich hier Sorgen um die Haushaltsdisziplin machen. Bei der FDP handelt es sich um eine Partei, die aufgrund der Haushaltsaufstellungen bis vor gut einem Jahr für die desolate Haushaltslage mitverantwortlich war.
Aber wir unterhalten uns heute nicht nur über die hessischen Finanzen, sondern immer wieder auch über die Finanzen des Bundes. Ich sage Ihnen: Das sind auch Ihre Schulden. Sie haben 16 Jahre lang mitregiert: von 1982 bis 1998. In diesem Zeitraum wurden Schulden in Höhe von 1,5 Billionen DM aufgehäuft.
(Beifall bei der SPD – Michael Boddenberg (CDU): Sie müssen sich erst einmal angucken, was der Erhard aufgehäuft hat! Lassen Sie uns noch einmal von vorne anfangen!)
Deshalb haben Sie das Defizitverfahren an dieser Stelle mitzuverantworten. Auch das ist eine katastrophale Finanzpolitik, und deswegen steht es Ihnen, Herr von Hunnius, überhaupt nicht zu, heute scheinheilig mit dem Finger auf unseren Finanzminister zu zeigen.
Kommen wir zu Ihren Anträgen. Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil den fehlerhaften Ablauf des Entscheidungsverfahrens des Ministerrats kritisiert. Die europäischen Finanzminister haben nämlich im November letzten Jahres gemeinsam das Defizitverfahren ausgesetzt, nachdem klar geworden war, dass es der wirtschaftspolitischen Logik widerspricht.
Hieran rüttelt der Europäische Gerichtshof nicht. Er rüttelt vielmehr an den Verfahrensfehlern. Herr von Hun
nius, Sie wollen das Urteil hier zu etwas nutzen, was es schlicht und einfach nicht hergibt.Allein schon aus Gründen der intellektuellen Redlichkeit wird die SPD-Fraktion Ihre Anträge nicht unterstützen.
Meine Damen und Herren von der FDP, Ihre Anträge sind zwar dringlich, aber an dieser Stelle schlicht und einfach rückwärts gewandt.Sie klammern sich dogmatisch an das 3-%-Kriterium. Dabei kommt es eigentlich darauf an, den Stabilitätspakt seiner ökonomischen Logik gemäß auszulegen.Aber Ihr Tunnelblick lässt anscheinend nichts anderes zu, als sich nur auf die 3-%-Marke zu beziehen, Herr Hahn.
Erstens. Herr von Hunnius, Unwahrheiten werden nicht dadurch wahrer, dass man sie immer wiederholt. Niemand, weder dieser Finanzminister noch die Bundesregierung, stellt infrage, dass wir ein auf Regeln gestütztes System innerhalb des Stabilitäts- und Wachstumspaktes brauchen. Das ist die deutsche Position. Im Übrigen wurde diese Position am Wochenende in Scheveningen beim Treffen mit den anderen 25 EU-Finanzministern bestätigt.
Daher sollten Sie aufhören, so zu tun, als würden wir den Pakt infrage stellen. Dieser Finanzminister stellt den Pakt nicht infrage.
Auch das gilt spätestens seit dem letzten Wochenende in Scheveningen. Es war der für Währungspolitik zuständige EU-Kommissar, Joaquin Almunia, der Mann, der eigentlich Ihr Kronzeuge gegen die Bundesregierung sein müsste, der die Vorschläge für eine flexiblere Handhabung des Stabilitätspaktes eingebracht hat. Übrigens war es der heutige Bundespräsident, der als Präsident des Internationalen Währungsfonds sagte, man habe bei Abschluss des Maastrichter Vertrages eine dreijährige Stagnationsphase nicht vorhersehen können – auch Ihr Mann, meine Damen und Herren von der FDP.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): So eine Bundesregierung hat damals wirklich keiner erwartet! – JörgUwe Hahn (FDP): Was haben Sie gegen Herrn Köhler?)
Eigentlich hätten Sie diese Entwicklung schon zu dem Zeitpunkt, als Sie die Anträge formuliert haben, sehen können. – Sie haben ihn doch bei der Wahl unterstützt. Wollen Sie das etwa infrage stellen? Es war Ihr Mann.
(Jörg-Uwe Hahn (FDP): „Ihr Mann“, sagte sie! – Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Auch Ihr Mann! – Jörg-Uwe Hahn (FDP): Unser Präsident oder Ihr Bundespräsident? Unser aller Bundespräsident!)
Er ist heute unser Bundespräsident. Das steht überhaupt nicht infrage, Herr Hahn. Da sind wir uns ganz schnell einig. Natürlich ist er unser aller Bundespräsident.
(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Das wollte ich hören! – Michael Siebel (SPD): Nicht Ihr Bundespräsident, sondern Ihr Mann!)
Zurück zu Ihren Anträgen.Als Sie die Anträge formuliert haben, hätten Sie schon ganz klar erkennen können, dass Sie rückwärts gewandt diskutieren. Denn die EU-Kommission hat in ihrer Mitteilung am 3. September letzten Jahres Defizite in der bisherigen Handhabung des Paktes festgestellt. Sie spricht von „erlebten Zulänglichkeiten“ im Zusammenhang mit der Konjunkturentwicklung. Die Kommission sieht Schwierigkeiten bei der Berücksichtigung – Zitat – „langwieriger Wachstumsschwächen“. Die EU-Kommission sieht Verbesserungsmöglichkeiten „in den Fällen,“ – hier zitiere ich – „in denen das Wachstum noch positiv, aber über längere Zeit unerwartet sehr niedrig sein kann“. Meine Damen und Herren, diese Worte sollten Sie sich auf der Zunge zergehen lassen.