Protokoll der Sitzung vom 13.12.2004

ordnung und anderer Gesetze – Drucks. 16/3339 zu Drucks. 16/2463 –

Berichterstatter ist Herr Kollege Schaub. Ich darf Ihnen das Wort erteilen.

Herr Präsident, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Innenausschuss empfiehlt dem Plenum, den Gesetzentwurf unter Berücksichtigung des Änderungsantrags der Fraktion der CDU, Drucks. 16/3307, in zweiter Lesung anzunehmen.

Der Gesetzentwurf war dem Innenausschuss, federführend, und dem Haushaltsausschuss, beteiligt, in der 42.Plenarsitzung am 14.Juli 2004 überwiesen worden.Die Änderungsanträge von SPD, FDP und CDU waren ebenfalls vom Präsidenten überwiesen worden.

In ihren Sitzungen am 13. Oktober 2004 haben der Innenausschuss und der Haushaltsausschuss eine mündliche öffentliche Anhörung zu dem Gesetzentwurf durchgeführt.

Der Haushaltsausschuss hat den Gesetzentwurf in seiner Sitzung am 17. November 2004 beraten und mit den Stimmen der CDU gegen die Stimmen der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP beschlossen, dem federführenden Innenausschuss vorzuschlagen, dem Plenum die Annahme des Gesetzentwurfes zu empfehlen.

Der Innenausschuss hat sich zuletzt in seiner Sitzung am 8. Dezember 2004 mit dem Gesetzentwurf befasst und mit den Stimmen der CDU gegen die Stimmen der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP die Annahme empfohlen.

Zuvor wurde der Änderungsantrag der Fraktion der CDU, Drucks. 16/3307, mit den Stimmen der CDU gegen die Stimmen der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN bei Enthaltung der FDP angenommen.

Der Änderungsantrag der Fraktion der SPD, Drucks. 16/2764, wurde mit den Stimmen der CDU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP gegen die Stimmen der SPD abgelehnt.

Der Änderungsantrag der Fraktion der FDP, Drucks. 16/3286, wurde mit den Stimmen der CDU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN gegen die Stimme der FDP abgelehnt.

Herr Kollege Schaub, vielen Dank für die Berichterstattung. – Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Kollege Rudolph für die Fraktion der SPD.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem wir mit vorweihnachtlicher Harmonie eingeleitet haben, wollen wir – es bleibt uns nichts anderes übrig – in der Tat zur Sache kommen.Wenn die Landesregierung einen schlechten Gesetzentwurf vorlegt, werden wir das auch benennen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Staatssekretärs Dirk Metz)

Herr Metz, ganz friedlich.

(Staatssekretär Dirk Metz: Immer!)

Mit der Einführung einer Subsidiaritätsklausel in das Gemeindewirtschaftsrecht, welches sich vorrangig an den wirtschaftlichen Interessen privater Dritter ausrichtet, wird die Absicherung der Daseinsvorsorge beeinträchtigt und somit die finanzielle Leistungsfähigkeit der Kommunen nachhaltig geschädigt.

(Beifall bei der SPD)

Gerade die wirtschaftliche Betätigung der Kommunen, der Städte, der Gemeinden und Landkreise auf dem Gebiet der Daseinsvorsorge stellt eine wesentliche Säule der kommunalen Selbstverwaltung dar. Diese ist immerhin in der Hessischen Verfassung verankert.In die darf das Land nicht einseitig zugunsten einzelner Begehrlichkeiten der Wirtschaft und zulasten der kommunalen Gemeinwesen eingreifen. Auch die wiederholt vorgetragene Behauptung der Landesregierung, durch die wirtschaftliche Betätigung kommunaler Unternehmen werde der Mittelstand in seiner Existenz bedroht, kann nicht belegt werden und geht schlicht und ergreifend an der Lebenswirklichkeit in Hessen vorbei.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben versucht, diese Behauptung im Rahmen der Anhörung zu thematisieren, nachdem wir das bereits im vergangenen Jahr bei der Behandlung des Gesetzentwurfs der FDP-Fraktion getan haben.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Das war ein guter Entwurf!)

Im Grunde haben wir die damalige Anhörung wiederholt. Was war das Ergebnis? Die angeblich geschädigten Betreiber eines Nagellack-Studios – das war nicht in Hessen. Der Verkauf von Blumen durch eine Friedhofsgärtnerei – das hat nicht in Hessen stattgefunden. All die Fälle von Missbrauch, die es geben kann, die z. B. der Bund der Steuerzahler dargelegt hat, können im Rahmen der Kommunalaufsicht abgestellt werden. Dafür braucht man keine Gesetzesänderung.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das sind Fälle, die belegen: Es gibt den behaupteten Missbrauch und die angebliche Existenzgefährdung überhaupt nicht.Die Praxis vor Ort ist eine ganz andere.In vielen Fällen gibt es eine enge Kooperation zwischen den kommunalen Unternehmen einerseits und den Verbänden der Wirtschaft andererseits. Kommunale Unternehmen müssen auch im Rahmen der Daseinsvorsorge im wirtschaftlichen Interesse der Bürgerinnen und Bürger tätig sein können.Wir können daran überhaupt nichts Ehrenrühriges und Schlimmes erkennen. Deswegen ist Ihr Gesetzentwurf falsch.

Herr Innenminister, wenn Sie schon den Sozialdemokraten nicht glauben, dann glauben Sie doch bitte Ihren eigenen Parteifreunden. Wenn z. B. der jetzt ausscheidende Oberbürgermeister von Marburg,Möller,erklärt,dass das Gesetz völlig überflüssig ist, weil es die Dinge, die Sie hier darstellen, in der Praxis gar nicht gibt, dann ist das doch ein beredtes Beispiel. Wenn der Direktor des Städtetags, Herr Schlempp, der CDU-Stadtrat in Wiesbaden ist, erklärt, dass der Gesetzentwurf völlig neben der Spur liegt, weil er an der Lebenswirklichkeit vorbeigeht, dann müssten Sie das zur Kenntnis nehmen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ihre Diktion stimmt einfach nicht. Privat ist gleich billiger ist gleich besser – das ist schlicht und ergreifend falsch. Das beste Beispiel dafür haben wir in Wiesbaden erlebt: alte klapprige Busse aus Hamburg, die noch nicht einmal den Neroberg hochkommen. Wenn das das Ergebnis von Privatisierung ist,dann sagen wir:Darauf können auch die Bürgerinnen und Bürger sehr gut verzichten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Es besteht vielmehr die Gefahr der Rosinenpickerei. Das wurde von den Interessenvertretern der kommunalen Ebene deutlich gesagt, und deren Sachverstand ist uns nä- her als Ihre ideologisch gefärbten Meinungen. Das heißt, was lukrativ ist, dürfen Private machen, und das, was im Rahmen der Daseinsvorsorge übrig bleibt, dürfen die Kommunen machen. Dann beklagt man sich, dass das ein defizitärer Bereich ist, ein Bereich, der Zuschüsse benö- tigt. Nein, die Kommunen sollen weiterhin auch dort tätig sein können, wo es sich rentiert. Die Kommunen werden sonst in ihren Bemühungen behindert, wirtschaftliche Or- ganisationsformen für die Erbringung kommunaler Leis- tungen zu wählen. Der Abg. Möller hat diesem Hause das Beispiel genannt, in Gießen gebe es eine Tochter der Wohnbau GmbH, eine Mietservice GmbH mit fast 100 Mitarbeitern, und auch der Innenminister wird in der „Gießener Allgemeinen“ vom 14. Oktober 2004 mit den Worten „überbordende wirtschaftliche Betätigung“ zitiert. Herr Bouffier, da Sie uns nicht glauben, fragen Sie doch einmal den Oberbür- germeister in Gießen, Herrn Haumann. Der hat die Kritik zurückgewiesen. Die Mitarbeiter seien für die Bestands- erhaltung und damit für einen Kernbereich der Woh- nungsbaugesellschaft zuständig. Meine sehr verehrten Damen und Herren von der CDU, nehmen Sie doch ein- mal Ihre eigenen Parteifreunde ernst, die sagen, die ge- plante Gesetzesänderung sei Unsinn, dafür gebe es kei- nen Bedarf. (Beifall bei der SPD)

Wir haben in das Gesetzgebungsverfahren verschiedene Änderungsvorschläge eingebracht. Zum einen treten wir für eine Bündelung von Direktwahlen ein, damit die Wahlen von Bürgermeistern, Oberbürgermeistern und Landräten zusammen mit Bundes- und Landtagswahlen sowie mit Volksabstimmungen und Volksentscheiden durchgeführt werden können. Wir versprechen uns davon auch eine höhere Wahlbeteiligung, denn es ist in der Tat eigentlich nicht in Ordnung und entspricht nicht dem Charakter direkter Demokratie, wenn Landratswahlen mit einer Wahlbeteiligung von 30 bis 35 % stattfinden. Hier müssen wir schauen, wie wir Anreize schaffen können.

Wir setzen uns zweitens für die Wiedereinführung der 3-%-Klausel ein. Sie sagen, das würde gegen die Verfassung verstoßen. Nein, es ändert sich auch mit der Einführung dieser Klausel am Kumulieren und Panaschieren nichts. Es bleibt weiterhin beim Verhältniswahlrecht – zwar bei einem personifizierten Verhältniswahlrecht, aber im Ergebnis ist das hessische Kommunalwahlrecht nach wie vor ein Verhältniswahlrecht. Das heißt, die Verteilung der Mandate ist abhängig von der Zahl der für die einzelnen Listen abgegebenen Stimmen. Deshalb sagen wir, die Einführung der 3-%-Klausel ist möglich, und man sollte ihr näher treten. Die geltenden Bestimmungen haben insbesondere in Städten wie Frankfurt und Darmstadt zu einer Zersplitterung,bis hin zu Eine-Person-Fraktionen,geführt.Das beeinträchtigt die Handlungsfähigkeit deutlich.

Wir sprechen uns dafür aus, wieder zu dem Verfahren d’Hondt bei der Verteilung der Mandate zurückzukehren. Herr Kollege Al-Wazir, man muss dem ja nicht zustimmen, aber wir halten es trotzdem für richtig, und deshalb stellen wir einen entsprechenden Antrag.

Außerdem haben wir vorgeschlagen, die Anfechtungsgründe bei Unregelmäßigkeiten im Wahlverfahren klarer zu fassen. Die Anfechtung von Wahlen soll nur bei erheblichen Auswirkungen zu einer Wiederholung führen.Es ist in der Tat absurd, dass nach der Verwaltungsrechtsprechung z. B. die Tatsache, dass der Abstand von Wahlplakaten 9,80 m statt 10 m beträgt, möglicherweise zu einer Wiederholung von Wahlen führen kann. Das kann niemand in diesem Land ernsthaft wollen.Deshalb haben wir gesagt, wir wollen die Bestimmungen für eine Wahlwiederholung so gestalten, dass sie sich an den Bestimmungen für die Wiederholung von Landtagswahlen orientieren, dass also eine Wahl nur bei erheblichen Auswirkungen wiederholt werden darf. Unser Vorschlag ist wesentlich konsequenter als das, was die CDU vorschlägt. Nur bei einem groben Missbrauch soll eine Wahlwiederholung stattfinden, nicht bei Nebensächlichkeiten. Deshalb muss hier Klarheit geschaffen werden.

(Beifall bei der SPD)

Wir konnten insgesamt feststellen: Dieser Gesetzentwurf ist unnötig. Die Landesregierung ist ja auch zurückgerudert. Herr Hahn, deshalb mussten Sie zu Ihrem großen Bedauern jetzt gegen den Gesetzentwurf stimmen. Er geht Ihnen nämlich nicht weit genug. Wir sagen, der Gesetzentwurf ist auch deswegen falsch, weil es an der Stelle gar nichts zu regeln gibt. Daraus zu schließen, wie der Herr Innenminister meinte, es im Innenausschuss tun zu müssen, dass er alles richtig gemacht habe, weil alle anderen dagegen seien, das ist CDU-Logik, die sich für uns nicht erschließt, die auch den Kern der Sache nicht trifft.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein schlechtes Gesetz bleibt eben ein schlechtes Gesetz. Meine Damen und Herren von der CDU und der Landesregierung, wenn Sie meinen, Sie müssten etwas verbessern, dann sollten Sie etwas für die Verbesserung der finanziellen Rahmenbedingungen der hessischen Kommunen tun.

(Beifall bei der SPD)

Was machen Sie denn? Sie kürzen im Rahmen des Kommunalen Finanzausgleichs. Diese Woche ließ der Finanzminister der kommunalen Familie ein vergiftetes Weihnachtsgeschenk überreichen: 80 Millionen c an Kürzungen im Rahmen des Kommunalen Finanzausgleichs. Auf den Hinweis, die Kommunen hätten ihre Haushalte eingebracht und planten mit dem Geld, bekommt man die rotzige Antwort: Dann müssen die halt ein bisschen was ändern. – Meine Damen und Herren, schauen Sie sich die kommunale Wirklichkeit an. Städte, Kreise und Gemeinden stehen kurz vor dem finanziellen Kollaps. Diese Landesregierung steuert ihren Beitrag dazu bei, dass es noch schlimmer wird und dass die finanzielle Lage an der Stelle noch dramatischer wird.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU)

Betriebskostenzuschüsse für Kindergärten – ein ganz wichtiger Bereich, wenn es darum geht, ein familienfreundliches Umfeld zu schaffen. Wir alle reden von der

Verbesserung der Betreuungsangebote. Hier müsste das Land einsteigen und die Kommunen entlasten. Auch hier gibt es Kürzungen, die nicht nachvollziehbar sind.

(Beifall bei der SPD)

Deswegen besteht an der Stelle wirklicher Handlungsbedarf, aber nicht mit der eher ideologischen Begründung, die dem Gesetzentwurf zugrunde liegt.

Sie haben leider auch nicht die Bedenken der kommunalen Seite hinsichtlich der Einführung der Doppik aufgegriffen. Hier hätten sich die Kommunen eine längere Übergangsfrist gewünscht, weil die Einführung der Doppik im Moment zu einer Belastung führt.

(Widerspruch des Abg.Jürgen Frömmrich (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN))

Doch, Herr Kollege Frömmrich. – Wenn man sich mit vielen Kommunalpolitikern unterhält, dann erfährt man, eine großzügigere Regelung wäre sinnvoll. Die Kommunen sollen doch nicht den gleichen Fehler wie das Land Hessen bei der SAP-Einführung machen. 50 Millionen c waren veranschlagt, inzwischen sind wir bei 500 Millionen c, und der politische Nährwert von SAP für die Landesverwaltung geht gegen null.

(Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der CDU)

Deswegen ist es falsch, der kommunalen Seite das zu oktroyieren.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, betroffene Hunde bellen. Deshalb nehme ich Ihre Hinweise so entgegen, dass ich annehme, dass Sie sich getroffen fühlen.

(Zurufe von der CDU)