Darauf will ich überhaupt nicht eingehen, sondern ich möchte feststellen, dass wir mit diesem Gesetzentwurf in die Frage der Machtverteilung eingreifen. Natürlich ist es nach der ordnungspolitischen Theorie richtig, dass die Entscheidungen so ortsnah wie möglich und so problemnah wie möglich erfolgen sollen. Dieselbe Diskussion führen Roland Koch und ich ab morgen Abend ganz intensiv in Berlin auf der Ebene des Grundgesetzes. Aber natürlich wollen wir die Machtfrage auch hier neu justieren: Ist es klug für einen Landesgesetzgeber, ist es klug für eine Landesregierung, sich vollkommen der Einflussmöglichkeiten zu begeben, die sie bisher hat, um Landesinteressen durchzusetzen? Die Antwort darauf ist eindeutig: Nein, das ist unklug.
Also muss man ein System finden, das auf der einen Seite die Problemlösung ortsnah und problemnah möglich macht – ich meine nicht nur die Räumlichkeit, sondern auch die Interessenabwägung –, das auf der anderen Seite aber Auswüchse verhindert, wo kommunale Wahlbeamte, auch noch beflügelt von der Direktwahl durch die Bevölkerung,meinen,dass das eine oder andere,was in der Landesgesetzgebung vorgeschrieben ist, in ihrem Bezirk nicht so hundertprozentig Anwendung finden muss.
Ich glaube, ich muss keinen von Ihnen intensiv anschauen – weil ich weiß, dass die große Mehrheit von Ihnen Kommunalpolitiker sind –, um herauszukitzeln, dass jeder von uns mindestens ein Beispiel parat hat, wo ein Bürgermeister oder ein Landrat – er muss noch nicht einmal das falsche Parteibuch gegenüber dem Minister haben – nicht das macht, was die Landesgesetzgebung will und was die Landesinteressen sind.Wir reden von praktischen Sachen und nicht von der Theorie.
Deshalb glauben wir Liberale, dass der Gesetzentwurf jedenfalls in der vorliegenden Form zu kurz gesprungen ist. Ja, wir müssen darangehen, eine Neujustierung der Aufgaben und der Zuständigkeiten vorzunehmen.Auf der anderen Seite müssen wir ein System finden, das die Durchsetzung der Landesinteressen, der Interessen des frei gewählten Hessischen Landtags, der ersten Gewalt in diesem Land, sicherstellt.
Nun kann jeder von Ihnen antworten – hier sind viele Juristen –:Da gibt es doch die Fachaufsicht,dann soll die das
tun.– Liebe Kolleginnen und Kollegen,wir haben eine andere Geschichte in diesem Land. Bisher hat sich von der Fachaufsicht kaum einer eingemischt. Da nehme ich einmal etwas nicht mehr Lebendiges, ich nehme den Umlandverband Frankfurt am Main.Wir haben in der letzten Legislaturperiode darüber diskutiert und gemeinsam mit den Unionschristen ein Gesetz verabschiedet, das jetzt umgesetzt wird, und haben uns beklagt, dass der Umlandverband seinen Aufgaben nicht gerecht geworden ist. Ich kann mich daran erinnern, dass in der Debatte der FDPRedner darauf hingewiesen hat, dass das nicht nur an den Strategen im Umlandverband gelegen hat, sondern z. B. daran, dass kein hessischer Innenminister bereit war, die Stadt Frankfurt oder den Main-Taunus-Kreis per Weisung zu verpflichten, die Müllbeseitigungsanlagen auf den Umlandverband zu übertragen.
Wenn man jetzt sagt:„Das ist ja kein Problem,wir machen einfach die Fachaufsicht etwas stärker, und dann wird das laufen“, dann sage ich: Ich glaube es zunächst nicht, weil die gewachsene Bürokratiegeschichte in unserem Land etwas anderes sagt. Vielleicht muss man darangehen und es ändern. Vielleicht muss die Kommunalaufsicht etwas bissiger, etwas interessengesteuerter werden. Jedenfalls im Umlandverband war sie es nicht.
Ich will noch ein Beispiel sagen. Darüber haben jedenfalls wir Liberale uns Mitte der Neunzigerjahre tierisch aufgeregt. Das war die Frage der Abschiebung von Ausländern, die kein Bleiberecht hier hatten. In den Landkreisen hat das der Landrat exekutiert – ich sage bewusst: der Landrat.In Frankfurt hat es der Oberbürgermeister – ob männlichen oder weiblichen Geschlechts, und das war gerade die Phase – nicht exekutiert. Der damalige hessische Innenminister hat nicht von seinem Weisungsrecht Gebrauch gemacht und darauf hingewiesen, dass das umzusetzen ist,weil wir in diesem Hause entsprechende Regeln beschlossen haben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will damit deutlich machen: Es ist zu einfach, zu sagen, alles muss so nah wie möglich an dem Problem gelagert werden, sondern wir müssen das Gegenstück dazu mitdiskutieren.
Wenn wir es schaffen, ein anderes, aber wiederum ausjustiertes System zu finden, so werden die Liberalen allein schon von ihrer ordnungspolitischen Grundauffassung her die Ersten sein, die dieses unterstützen.
Ich möchte festhalten, dass für den Bürger alles das, was wir diskutieren, Spanisch oder Kisuaheli ist. Aber eines wundert ihn schon:Das die Kfz-Zulassungsstelle,die Wasserbehörde und das Ausländeramt einen anderen Briefkopf haben als das Umweltamt, das Jugendamt und das Sozialamt. Das bekommt er schon mit, wenn er etwas mit den Behörden zu tun hat. Er sieht es teilweise – ich habe gerade noch einmal mit meinem Kollegen Roland von Hunnius darüber gesprochen –, wenn er in Rathäuser oder Landratsämter hineingeht. Das ist teilweise schon aufgeteilt: Da ist die Abteilung, da ist jene Abteilung – für den Bürger vollkommen unverständlich. Denn für ihn gibt es eine Kreisverwaltung – ich weiß nicht, wie es im Südhessischen oder im Nordhessen heißt; auf dem Dorf oder in dem Ort gibt es vielleicht eine andere Bezeichnung –,
Ich glaube schon, dass wir das anders justieren müssen, als das jetzt der Fall ist. Der vorliegende Vorschlag ist in unseren Augen aber noch zu kurz gegriffen.
Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, natürlich sind wir ein Unikat in Hessen. Das zeigt der Gesetzentwurf eindeutig. So etwas gibt es nur noch in Bayern. Wir selbst haben von dem Unikat schon immer eine Ausnahme gemacht, weil wir die Trennung zwischen Landräten und Oberbürgermeistern vorgenommen haben,die eigentlich nicht nachvollziehbar ist, wenn man es nach der reinen Lehre macht. Natürlich ist es vernünftig, Einsparpotenziale im Personalbereich zu heben. Natürlich ist es sinnvoll, den Subsidiaritätsgedanken – ich habe schon darauf hingewiesen – neu zu definieren. Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wir gehen deshalb davon aus, dass wir das in der gestern schon beschlossenen Anhörung sehr ausführlich mit den Kommunalen Spitzenverbänden, aber auch mit anderen erörtern. Ich darf Ihnen sagen,dass wir das auch parteiintern erörtern werden. Deshalb finde ich es ein bisschen sehr forsch von der CDU-Landtagsfraktion, uns kurz vor Weihnachten einen entsprechenden Gesetzentwurf – ich will die Anlagendiskussion nicht noch einmal führen, die der Kollege Rudolph schon geführt hat – mit dem Akzentzeichen der Abteilung des Innenministeriums und nicht der Abteilung der Landtagsfraktion der CDU auf den Tisch zu hauen.
Es ist sehr forsch, uns das vorzulegen und dann auch noch zu wollen, dass der Gesetzentwurf zum 01.04. kommenden Jahres Recht und Gesetz wird.
Herr Kollege Dr.Jung und Herr Innenminister,zum einen widerspricht das der Interessenlage der Kommunen. Die Interessenlage der Kommunen, so, wie ich es verstanden habe, ist, dass man aus den verschiedensten Gründen auf jeden Fall das Halbjahr nimmt, aber am besten die Jahresfrist, um eine Umorganisation vorzunehmen. Wir wissen durch die verschiedensten Dinge, sei es aus dem privaten, sei es aus dem öffentlichen Bereich, dass es immer mit entsprechenden Umstellungen verbunden ist, wenn man so etwas tut. Deshalb nimmt man einen Stichtag, der auch mit anderen Stichtagen vereinbar ist.
Wir wollen es aber auch in unserer Partei diskutieren. Ich verhehle überhaupt nicht, dass es einen Riesendiskussionsbedarf zwischen den kommunalen Wahlbeamten auf der einen Seite und den Landtagsabgeordneten der hessischen FDP auf der anderen Seite gibt. Wenn ich mit meinen Kollegen Vizelandräten diskutiere – das habe ich gestern sehr ausführlich getan –, so komme ich zu dem Ergebnis, dass sie aus ihrer Sicht eine andere Interessenlage haben als wir im Hessischen Landtag. Das macht aber deutlich, dass wir darüber noch einmal reden müssen. Deshalb,meine sehr verehrten Damen und Herren,lassen Sie sich mit den Dingen im Parlament so viel Zeit, wie Sie sich mit den Dingen Zeit gelassen haben, bis Sie es ins Parlament eingebracht haben.
Sie regieren jetzt seit 20 Monaten.Aus vorangegangenem Tun weiß ich, dass Sie auch vorher schon überlegt haben, so etwas zu tun. Das ist nichts Verwerfliches. Aber bitte peitschen Sie es jetzt nicht in knapp vier Monaten durch den Hessischen Landtag, die Weihnachtspause eingerechnet. Da muss noch vieles überlegt und bedacht werden.
Da müssen noch viele mitgenommen werden, damit wir ein System bekommen, das wir Liberale gerne wollen: auf der einen Seite so ortsnah, so problemnah wie möglich, auf der anderen Seite aber mit so viel Durchsetzungsfähigkeit für Landesinteressen wie nötig. – Wenn wir das zusammenbringen, ist es ein gutes Gesetz. Der Entwurf, den Sie vorgelegt haben, bringt das noch nicht richtig zusammen. – Vielen Dank.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Landesregierung begrüßt natürlich den von ihr angeregten und von der CDU-Fraktion eingebrachten Gesetzentwurf. Das ist doch völlig klar.
Meine Damen und Herren, Herr Kollege Hahn hat eben gesagt, der Bürger versteht das nicht, was wir hier machen. Stimmt, es ist Kommunalrecht und Staatsrecht auf höchstem Niveau. Das ist die eine Seite. Es geht aber den Bürger an, ob wir unsere Verwaltung intelligent organisieren oder nicht und ob er mehr für die Verwaltung bezahlt, als er bezahlen müsste.
Deshalb ist das ein wichtiger Punkt. Herr Kollege Rudolph, dieses Gesetz zur Kommunalisierung erfüllt eine langjährige Forderung der kommunalen Familie, die RotGrün nie erfüllt hat, übrigens SPD und FDP auch nicht. Das gehört auch zur Wahrheit. Die CDU ist diejenige Fraktion in diesem Hause, die diese langjährige Forderung der kommunalen Familie aufgenommen hat.Mit diesem Gesetzentwurf löst sie auch ein Versprechen des Regierungsprogramms und der Regierungserklärung des Ministerpräsidenten ein. Es ist die umfangreichste Veränderung der hessischen Verwaltung zumindest seit 30 Jahren. Es geht nicht nur um 1.700 Personen, die einen neuen Dienstherrn bekommen, sondern es geht quer durch die gesamten Bereiche der Verwaltung und die damit verbundenen Aufgaben. Deshalb ist es richtig, festzuhalten: Es ist die größte Veränderung, die die hessische Staatsverwaltung auf der unteren Ebene – nach meiner Kenntnis überhaupt, auf jeden Fall in den letzten 30 Jahren – erfahren hat. Das zeigt die Bedeutung dieser Aufgabe, um die es hier geht.
Herr Kollege Haselbach hat zu Recht darauf hingewiesen, wie wir derzeit organisiert sind und was sich ändert. Das muss ich nicht alles noch einmal vortragen. Fakt ist aber: Die beiden Sprecher von SPD und GRÜNEN haben sich relativ lange zu Verfahrensfragen geäußert – dazu komme ich noch –, aber nicht zu Inhalten.
Ich hätte gerne einmal gewusst, ob es irgendjemanden gibt, der das derzeitige System für intelligent und klug hält.Jeder,der es kennt,hält es weder für klug noch für in
telligent und schon gar nicht für effizient. Es ist zwingend geboten, dass wir es zumindest im Jahr 2004 ändern.
Meine Damen und Herren, worum geht es? Wir haben zum Ersten die Kreisverwaltung, zum Zweiten die staatlichen Mitarbeiter,die dem Landrat unterstehen,und zum Dritten Mitarbeiter, die vom staatlichen Landrat, der zugleich Vorsitzender des Kreisausschusses ist, zur Erfüllung der Aufgaben herangezogen werden – ein ziemlich kompliziertes Verfahren. Dafür zahlt das Land an die Kreise einen Aufwendungsersatz. Seit 20 Jahren wird darüber gestritten, ob der Aufwendungsersatz angemessen ist oder nicht.
Als ich in mein Amt kam, habe ich eine ganze Reihe von Gerichtsverfahren geerbt. Das hätten Sie alles lösen können, wenn Sie so tatkräftig herangehen.
Ich sage es noch einmal:Hier geht es nicht um Eitelkeiten, jedenfalls nach meiner Überzeugung. Hier geht es auch nicht um Zuständigkeitsstreits. Hier geht es einzig und allein um die Frage, wie wir Verwaltung für diejenigen intelligent organisieren, für die wir sie machen, nämlich für die Bürger. Deshalb ist alles das, was Sie gesagt haben, zur Seite zu legen.Es ist uninteressant.Es ist auch weitgehend falsch. Ich will aber noch einmal nachdrücklich sagen: Mit mir kann niemand über so spannende Fragen streiten, ob das Schild der unteren Wasserbehörde von links oder rechts genagelt werden muss. Die einzige Frage ist: Ist es intelligent? – Die Tatsache, dass in Deutschland niemand mehr so organisiert ist – mit Ausnahme der Bayern, die eine andere Tradition als wir haben –, zeigt doch, dass es richtig ist, dass wir dieses Thema aufgenommen haben.
Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen sagen: Ich bin davon überzeugt,dass Sie am Schluss zumindest inhaltlich wenig finden können, was dagegen spricht. Nun haben Sie sich ausführlich mit dem Verfahren auseinander gesetzt.
Herr Kollege Rudolph, Sie haben lange gesprochen, ich habe Ihnen intensiv zugehört, aber ich weiß nicht, ob die SPD nun dafür oder dagegen ist.
Da Sie in diesem Land viele Jahre regiert haben, sind Ihnen die Themen offenkundig so neu, dass Sie intensiv beraten müssen. Das ist in Ordnung. Bei den GRÜNEN ist es genau das Gleiche.
(Lebhafte Zurufe der Abg. Günter Rudolph (SPD) sowie Priska Hinz und Sarah Sorge (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN))
Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir auch eine spaßige Bemerkung. Es vergeht hier nahezu kein Redebeitrag von Ihnen, in dem Sie nicht auf die frühere Rolle des jetzigen Fraktionsvorsitzenden der CDU, auf die frühere Funktion des jetzigen Ministerpräsidenten als Oppositionsführer oder, in aller Bescheidenheit, auf meine Aufgabe als innenpolitischer Sprecher rekurrieren.
(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Das muss man immer wieder erwähnen, insbesondere die Forderungen nach Konsequenzen! – Günter Rudolph (SPD) und Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das haben Sie immer gemacht!)
Liebe Kollegen, ich habe den Eindruck, die Oppositionszeit der CDU hat Sie traumatisiert, weil Sie bei jeder Diskussion permanent darauf zurückkommen.