Protokoll der Sitzung vom 16.12.2004

(Beifall bei der SPD)

Frau Kollegin, Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Damit haben die Menschen schlechte Erfahrungen gemacht. Zu Gesprächen über Reformen ist die SPD immer bereit. Sozialabbau und Qualitätsverlust auf Kosten der Schwächsten machen wir nicht mit.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat Frau Kollegin Schulz-Asche, Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Allein in den Jahren von 1947 bis 2003 ist die Zahl der schwer behinderten Menschen von 314.000 auf 562.000 gestiegen und damit der Anteil an der Gesamtbevölkerung von 5,7 % auf 9,2 %. Die Anzahl der Menschen mit Behinderung, die durch den LWV Leistungen erhalten, steigt jährlich um zirka 1.000 Personen auf mittlerweile 53.000 an. Für diesen Anstieg gibt es drei Gründe. Der erste Grund ist in den schrecklichen Auswirkungen der Euthanasie im Hitlerfaschismus zu sehen. Erst seit dem Ende dieses mörderischen Regimes haben Menschen mit Behinderungen wieder das Recht auf ein menschenwürdiges Leben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was in anderen Ländern völlig normal ist, musste sich in Deutschland erst entwickeln – das Zusammenleben von behinderten und nicht behinderten Menschen in unseren Dörfern und Städten.

Der zweite Grund ist, dass durch die verbesserten Lebensbedingungen und den medizinischen Fortschritt auch die Lebenserwartung vieler Menschen mit Behinderung verschiedenster Ursachen – sei es von Geburt an, sei es durch Unfall oder sei es durch Erkrankung – ständig ansteigt.

Drittens. Auch unsere älter werdende Gesellschaft bringt es mit sich, dass wir zunehmend Menschen mit altersbedingten Behinderungen haben.

Es ist unsere grüne Vision von einer modernen und nachhaltig funktionierenden Gemeinde bzw. eines Stadtteils, dass das Zusammenleben von behinderten und nicht behinderten, von jungen und alten Menschen zum Normalfall wird. Es ist die wesentliche Aufgabe von Kommunen, dieses Zusammenleben zu ermöglichen und zu gestalten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, diese Diskussion muss in den Kommunen, und zwar unter Einbeziehung der Bevölkerung, viel breiter als bisher geführt werden. Dass Sie mit dem Gleichstellungsgesetz, das von CDU und FDP in dieser Woche verabschiedet wurde, die Kommunen aus der Pflicht entlassen haben, ist unter Demographie- und Demokratieaspekten das falsche Signal.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Es ist aber auch klar, dass die Kommunen diese Aufgabe nicht allein übernehmen können. Daher meine ich, dass sich der LWV, der sich als überörtlicher Träger der Sozialhilfe bewährt hat, reformiert und weiterentwickelt werden muss.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Er hat sich auch da bewährt, nämlich im Maßregelvollzug, wo die Ängste und Bedenken der Bevölkerung durch Information, Einbeziehung und sorgfältige Planung reduziert werden können.Aber der LWV ist auch ein Beispiel für die negative Wirkung einer 40-jährigen großen Koalition von SPD und CDU.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der LWV hat in den letzten Jahren seine wichtige Rolle bei der Verbreitung neuer Ideen zu einer besseren Integration behinderter Menschen weitgehend verloren.

(Reinhard Kahl (SPD): Na, na, na! Das begründen Sie einmal!)

Aus unserer Sicht findet eine Modernisierung des LWV, hin zu bürgernahen Angeboten, zu wenig statt. Eine verstärkte Einbindung der Menschen mit Behinderung und der Beschäftigten in den Einrichtungen ist längst überfällig. Alternative Versorgungsangebote fehlen vielerorts noch.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Roland von Hunnius (FDP))

Meine Damen und Herren, vor diesem Hintergrund ist es kaum nachvollziehbar, warum der amtierende Landesdirektor eine Strukturreform für nicht notwendig hält. Eine Reform des LWV ist auch deshalb notwendig, weil auf Bundesebene eine ganze Reihe von Verbesserungen für behinderte Menschen erreicht wurde, die jetzt in Hessen umgesetzt werden müssen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, für uns ist es wesentlich, dass die Diskussion über eine solche Reform offen und transparent geführt wird,ohne Verbreitung von Gerüchten und Lügen, aber unter Einbeziehung der Behindertenverbände und der Beschäftigten des Wohlfahrtsverbandes und seiner Einrichtungen. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort hat der Kollege Florian Rentsch,FDP-Fraktion.

Herr Präsident, meine sehr geehrte Damen und Herren! Zunächst einmal kann man es nur als positiv werten, dass

der Hessische Landtag heute über die Zukunft des LWV diskutiert. Deshalb begrüßen wir auch den Antrag der SPD.

(Reinhard Kahl (SPD): Sehr gut!)

Frau Kollegin Ypsilanti, die inhaltliche Fragestellung, was eine Zerschlagung mit einer Privatisierung zu tun haben soll, verstehen wir von der FDP aber nicht ganz.

(Beifall bei der FDP – Michael Siebel (SPD): Das ist ja euer Problem!)

Aber dass in den Köpfen der Sozialdemokraten Zerschlagung und Privatisierung ein Begriff sind, das haben wir in den letzten Wochen immer wieder erleben können. Die FDP hat in den Haushaltsberatungen das Thema LWV mit angesprochen, weil wir der Meinung sind, dass der LWV einen großen Teil der Sozialpolitik in Hessen bestimmt und einen doppelt so großen Haushalt hat wie der, über den wir im Hessischen Landtag entscheiden. Der LWV ist ein ganz entscheidender Träger der Sozialpolitik in Hessen.

Meine Damen und Herren, wir haben ein Problem damit, dass man immer nur dann über Reformen im LWV redet, wenn der Druck am größten ist.Wenn der Druck auf dem Kessel groß ist,fängt man an,über Reformen zu sprechen. Dann wundert es schon sehr – ich kann meiner Vorrednerin nur zustimmen –, wenn der Landesdirektor von sich gibt, dass er eine Strukturreform trotz einer sehr desolaten Situation im Bereich der Kosten für nicht notwendig hält. Ich habe Ihnen einmal ein Diagramm mitgebracht.

(Der Redner hält ein Blatt Papier hoch.)

Dieses Diagramm – es ist nur zufälligerweise rot-grün – zeigt die Steigerungen der Kreisumlage im Verhältnis zu den Steigerungen auf der Seite des Landes.Ich zeige es Ihnen gerne noch einmal und gebe es Ihnen gerne hinüber.

(Reinhard Kahl (SPD): Womit hat das zu tun? Das sind doch abstrakte Zahlen!)

Aus diesen Zahlen können wir zwei Konklusionen ziehen. Einerseits sind die Kosten gestiegen – das ist unbestritten –, und zwar aus den verschiedensten Gründen. Die Kollegin hat es gerade gesagt: längere Lebenserwartung, bessere technische Möglichkeiten. Auf der anderen Seite gibt es natürlich auch Effekte beim LWV,bei denen es einem teilweise wirklich kalt den Rücken herunterläuft. Wenn man z. B. in einer Diskussion, die wir mit unseren Kommunen führen müssen – das machen Sie in der SPD genauso wie die Kollegen von den GRÜNEN und der CDU –, wenn wir über die Frage reden,wie es mit dem LWV weitergeht, hört man Geschichten wie die Insolvenz einer LWV-eigenen Brauereigaststätte. Wenn wir diese ganzen Geschichten immer wieder vom LWV zu hören bekommen,

(Norbert Schmitt (SPD): Immer wieder?)

dann ist das sicherlich nicht Wasser auf die Mühlen derjenigen, die sagen: Wir wollen den LWV weiter betreiben. Es ist sicherlich nicht sehr positiv, dass man immer wieder irgendwelche Geschichten aus dem Landeswohlfahrtsverband hört, was alles nicht klappt.

Die FDP hat zu diesem Thema eine Kommission eingesetzt.Wir werden parteiintern über diese Problematik beraten. Denn genauso, wie es bei Ihnen der Fall ist, gibt es auch in unserer Partei unterschiedliche Positionen dazu. Einerseits haben wir Vertreter aus den Kommunen, die sagen:Der Landeswohlfahrtsverband muss aufgelöst wer

den, weil die Kosten zu hoch sind. – Andererseits haben wir aber auch genügend Vertreter, die sagen: Der Landeswohlfahrtsverband hat über die Jahre hinweg qualitativ gute Arbeit gemacht, die notwendig ist; wir brauchen einen überörtlichen Träger, der die Qualität der Arbeit sicherstellt.

Für uns gibt es zwei Gründe, warum man darüber nachdenken muss, ob der Landeswohlfahrtsverband der Träger sein soll.Auf der einen Seite steht da das überörtliche Know-how, das eine Kommune allein nicht hat. Da muss man aber genau hinschauen und sich die Frage stellen, ob es heute noch genauso ist, wie es vor 40 Jahren der Fall war, als eine Kommune allein dieses Know-how nicht vorhalten konnte. Ich habe meine private Meinung dazu und glaube schon, dass es eine Rechtfertigung gibt, so etwas überörtlich zu organisieren.

Das Zweite wurde auch schon angesprochen. Dabei geht es um die Synergieeffekte, die man natürlich mit einem überörtlichen Träger erreichen kann.

Diese beiden Punkte müssen aber ganz klar gegen die Kosten abgewogen werden.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Es ist zu fragen:Was kostet die Kommune momentan der Landeswohlfahrtsverband? Wenn man sich das Diagramm anschaut, sieht man, wie stark die Belastung für die Kommunen in den letzten Jahren geworden ist. 1992 und 1993 gab es schon einmal eine Krise.

(Wortmeldung des Abg. Jürgen Walter (SPD))

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Jetzt stört doch bitte den Florian nicht!)

Bitte sehr, Sie können Ihre Zwischenfrage stellen.