Herr Präsident, meine Damen und Herren! Zum Thema Einführung der vorgezogenen Anmeldung an Grundschulen und, damit verbunden, einer Sprachprüfung durch die aufnehmende Schule kann ich vom Ablauf her, Frau Kollegin Hinz, genau berichten, wie das damals war. Das war eine gemeinsame Idee, geboren von CDU und FDP, als wir das erste Gesetz zur Qualitätssicherung an hessischen Schulen geplant und dann auch eingebracht haben. Sie haben uns jetzt vorgelesen, dass die GRÜNEN 1999 das Konzept von Vorlaufkursen und Sprachförderung entwickelt hatten. Wir haben im Herbst 1999 das erste Gesetz zur Qualitätssicherung an Schulen verabschiedet. Da waren die Vorlaufkurse und die vorgezogenen Einschulungstermine bereits drin. Bei der Diskussion um die Einführung dieses Gesetzes haben Sie im Hessischen Landtag die damaligen Regierungsfraktionen von vorne bis hinten beschimpft, wir würden eine Zwangsgermanisierung durchführen, wir würden die Eltern unter Druck setzen, wir würden die Kinder mit Migrationshintergrund von der Schule entfernen wollen. So wurde damals hier diskutiert, hektisch, aufgeregt, polemisch und verletzend wie immer.
Sie haben es bis heute noch nicht gelernt, liebe SPD-Fraktion. Was soll denn das Gemecker um den Ort, die Vorlaufkurse müssten alle in den Kindertagesstätten stattfinden? Die Schulträger, die Schulämter und die Kindertagesstätten haben sich zusammengesetzt und haben gefragt: Wo ist der beste Ort für unsere Kinder, da nämlich Kinder aus verschiedenen Kindertagesstätten zu Vorlaufkursen zusammengefasst werden, was ja sinnvoll ist, wenn in jedem Kindergarten nur ein oder zwei Kinder sind? Demzufolge ist es auch eine Frage des Transports und der praktischen Organisation, wo diese Kurse stattfinden.
Auch das haben Sie damals bemeckert und haben gesagt, das könne gar nicht funktionieren,die armen Eltern müssten ihre Kinder hin- und herfahren. Es hat alles – das hat nicht nur Sie, das hat auch uns überrascht – viel besser funktioniert, als sogar wir am Anfang gedacht haben. Der Erfolg hat uns auch da eingeholt und überholt. Es gab nämlich viel, viel mehr Interesse von den Kindern, und es gab auch viel mehr Interesse von den Eltern, als wir gedacht hatten.
Es machen viel mehr Mütter mit. Da muss ich sagen, vorhin hieß es: die Väter auch. Es gibt viele Einrichtungen, da sind die Mütter froh, dass Väter nicht zugelassen werden, weil sonst nämlich die Mütter nicht mehr zugelassen würden, weil die Ehemänner nicht möchten, dass die Mütter gemeinsam mit anderen Männern Sprache lernen. Es war ganz besonders wichtig, dass das in Schulen oder Kindertagesstätten stattfindet, wo eben keine Männer sind. Zum Teil dürfen nur dann die Frauen hingehen und an den Sprachförderkursen teilnehmen. Deswegen war das Programm „Mama lernt Deutsch im Kindergarten“ ebenfalls ein sehr großer Erfolg.
Aber – und damit bin ich jetzt mit dem Loben am Ende – das reicht nicht aus. Wir sind in Hessen auf der Stelle stehen geblieben, wir haben uns nicht schnell genug weiterentwickelt.
Andere Länder überholen uns. Ich habe das am Dienstag schon gesagt. Baden-Württemberg, Bayern und Rheinland-Pfalz sind viel, viel weiter. Wir bleiben schlichtweg zurück.
Der Besuch des Kindergartens ist nicht verpflichtend. Er ist auch in Hessen nicht verpflichtend. Das heißt, wir erreichen nicht alle Kinder, die es dringend nötig hätten.
Die Beiträge für die Kindertagesstätten steigen. Die Kirchen ziehen sich aus der Finanzierung zurück. Das heißt, es wird für die Eltern teurer. Sie überlegen sich zweimal, ob sie ihr Kind in eine Kindertagesstätte geben oder nicht.
Es gibt Probleme bei den Erzieherinnen. Es gibt Träger, die eben nicht für eine kontinuierliche Fortbildung der Erzieherinnen sorgen. Hier ist das Land gefragt. Es geht um einen Bildungsauftrag, und Bildungsaufträge sind Ländersache. Deshalb muss das Land neben dem Fortbildungspool für Lehrer eben auch einen Fortbildungspool für Erzieherinnen einrichten, damit diese wenigstens das Geld haben, sich fortbilden zu können.
Das Gleiche gilt für die Zusammenarbeit zwischen Grundschulen und Kindertagesstätten. Wir haben Regio
nen, in denen gehen die Zahlen der Grundschulkinder dramatisch zurück. Dort haben wir dann zu viele Grundschullehrerinnen. Warum ordnen wir sie nicht stundenoder tageweise in die Kindertagesstätten ab, damit sie dort die Kinder rechtzeitig auf die Schule vorbereiten können?
Das wären einzelne praktische Schritte, die Erfolg bringen könnten, und das wäre sehr viel schneller zu realisieren als das Warten auf einen Bildungs- und Erziehungsplan.
Wenn wir aber wollen, dass alle Kinder, auch die deutschen Kinder mit Sprachschwierigkeiten, auch die deutschen Kinder mit sozialen Problemen, wirklich einen guten Start in der Schule haben, dann müssen wir sie verpflichtend mit fünf Jahren in unsere Kinderschulen schicken. Dort werden die Defizite komplett bereinigt. Dort werden Regeln und Rituale gelernt, die garantieren, dass die Kinder, wenn sie in die Grundschulen kommen, wirklich am Unterricht teilnehmen können.
Zu dem gleitenden Übergang mit großen Jahrgangsbreiten sage ich Ihnen: Die Schulen nehmen bereits vierjährige Kinder in die Eingangsstufen auf. Dann hat man in der Eingangsstufe vierjährige Kinder neben sechsjährigen Kindern sitzen. Das macht die Sache unglaublich schwierig und wird im Grunde genommen den Großen in den Eingangsklassen genauso wenig gerecht wie den Kleinen.
Von daher gesehen ist es sehr viel sinnvoller, die Kinder mit einer nicht ganz so großen Altersspreizung aufzunehmen. Das würde die Förderung der Kinder für die Lehrerinnen und Lehrer sehr viel einfacher machen.
Wenn wir nicht aufpassen, meine Damen und Herren von der Regierungsfraktion, werden wir in Hessen von anderen Ländern abgehängt.Das wäre jammerschade – gerade in einem Bereich, wo wir wirklich an der Spitze waren.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach dem Verlauf der Debatte habe ich in der Tat verschärft den Eindruck, dass es richtig war, diesen Punkt auf die Tagesordnung zu setzen, und außerordentlich wichtig dazu.
Es scheint so zu sein, dass in den Oppositionsfraktionen partiell Gedächtnisschwierigkeiten insofern herrschen, als Sie nicht wissen, wie dieses Konzept zustande gekommen ist, was es sollte, in welchem Zusammenhang es steht und welche Erfolge mittlerweile damit errungen worden sind. Die sind sehr beachtlich.
Wir haben sehr schnell festgestellt, dass es auch unter der Vorgängerregierung Sprachkurse gegeben hat, aber immer nur begleitend, zwei Stunden am Nachmittag, mehr oder weniger nebenbei. Dieser Zustand musste beendet werden.
Frau Hinz, ich finde es in Ordnung, dass Sie 1999 nach der verlorenen Wahl gesagt haben: Wir müssen neue Konzepte aufstellen. – Ja, was Sie vorgelesen haben, ist ausdrücklich richtig. Aber die Notwendigkeit dafür ist weit vorher entstanden. Wir haben sofort zugegriffen und dafür gesorgt, dass es Vorlaufkurse gibt, die neun Monate dauern. Frau Kollegin Henzler, ich bin versucht, Ihre Rede von Dienstag und die heutige Rede zusammenzunehmen und die Summe zu berechnen, die Sie ausgeben zu können glauben.Tatsache ist aber:Wer die Länder dieser Republik seriös miteinander vergleicht und prüft, welche Bundesländer sich am Beispiel Hessens orientieren und mittlerweile ebenfalls Sprachkurse vor dem Eintritt in die 1.Klasse eingeführt haben,der sieht,es gibt kein anderes Land in dieser Republik, das es erlaubt, Kinder so früh bei der Grundschule anzumelden, kein Land, das so ausgedehnte Vorlaufkurse anbietet, kein Land, das eine derart große Zahl von Stunden in die Vorlaufkurse gibt, kein Land, das eine höhere Bemessungsgröße an Kindern hat. Insoweit ist Hessen in der Ausführung der Vorlaufkurse mit Abstand vorne.
Wenn ich mir die Maßnahmen des Sozialministeriums und des Kultusministeriums anschaue, die inzwischen zusammengewachsen sind,wenn ich mir anschaue,dass über die Zuschüsse des Sozialministeriums – von 1,3 Millionen c auf 3,5 Millionen c aktuell gesteigert – 8.300 Kinder gefördert werden konnten, wenn ich mir anschaue, dass 3.200 Erzieherinnen fortgebildet werden konnten, um multiplikatorisch auf die Kinder und auf die Eltern einzuwirken, wenn ich mir anschaue, dass parallel dazu fast 3.800 Mütter qualifiziert werden konnten, wenn ich mir anschaue, dass wir innerhalb der ersten drei Jahre in der Summe fast 17.000 Kinder in den bis zu 15-stündigen Vorlaufkursen hatten, dann muss ich sagen, das sind außerordentlich beachtliche Zahlen.
Von Frau Hartmann und Frau Hinz kommt immer wieder der Vorwurf, wir hätten gesagt: Wer nicht an den Vorlaufkursen teilnimmt oder anderweitig Deutsch lernt,wird zurückgestellt. – Meine Damen und Herren, wer sich im wirklichen Leben aufhält und Diskussionen über die Vorlaufkurse führt, der wird überall gefragt: Ist das denn verbindlich? – Diese Frage greift erst in dem Augenblick, wenn die Schulpflicht einsetzt. Die Tatsache, dass wir im Schulgesetz festgelegt haben, dass nur diejenigen eingeschult werden, die in für den Unterricht in der 1. Klasse ausreichendem Maße Deutsch sprechen, hat – neben dem guten Willen der Eltern – dazu geführt,dass die Quote der Kinder, die an diesen Kursen teilnehmen, bei über 93 % liegt und dass von denen, die an den Kursen teilgenommen haben, über 95 % eingeschult werden konnten. An der Stelle hat also eine Revolution in der Bildungspolitik stattgefunden.
Frau Hartmann, so einfach ist Welt nicht gestrickt, dass man sagen kann: Neun Monate, darauf werden die Kurse konzentriert. – In den meisten Ländern dieser Republik – nämlich in allen Ländern außer Hessen – wäre man froh, man hätte eine Ausdehnung dieser Kurse auf neun Mo
nate erreicht. Wir sind aber durch die Maßnahmen des Sozialministeriums mittlerweile deutlich über das Vorschuljahr hinaus, rückwärts in die Kindergartenzeit gegangen. Die Mittel, die wir für die Vorlaufkurse ausgeben, betragen nicht ein Viertel dessen, was für Deutschkurse in Hessen insgesamt ausgegeben wird. Das heißt, wir haben parallel dazu dafür gesorgt, dass sich die Zahl der Kurse für Kinder nicht deutscher Herkunft im Fach Deutsch mehr als verdoppelt hat. Wir sind im Moment dabei, die Intensivkurse für Seiteneinsteiger auszubauen, um sie nach gleichem Muster zuerst in einem Intensivkurs zu schulen und dann zu schauen,in welche Schulform,in welchen Bildungsgang, in welche Jahrgangsstufe die betroffenen Kinder eingeschult werden können. Das haben wir systematisch weiterentwickelt. So kommt es zu dem Tatbestand, den Sie gerne verschweigen, dass es allein in diesem Jahrgang nahezu 400 Kinder deutscher Herkunft gibt, die sprachliche Mängel der beschriebenen Art und Weise haben.
Herr Präsident, ich bin gleich am Ende. – Wer vor diesem Hintergrund behauptet, es gebe kein Konzept bzw. die Mittel würden mit der Gießkanne ausgegeben, dem kann ich nur sagen: Da ist über diese Fünf-Minuten-Debatte hinaus eine Nachhilfestunde erforderlich.
Eines will ich zum Schluss noch sagen: Ich will, dass alle Kinder von Anfang an mitreden können. Das war das Motto der Vorlaufkurse, die wir eingeführt haben. Das führt nämlich dazu, dass sich die Kinder mit der Schule identifizieren, dass sie lernen und sich integrieren wollen, dass sie sich über die Schule hinaus engagieren. Das wird für die Integration von Ausländern in unsere Gesellschaft eine außerordentliche Bedeutung entwickeln.Wir werden das nicht nur in Orientierungsarbeiten, sondern auch in künftigen PISA-Studien und in der Entwicklung unserer Gesellschaft nachweisen können.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Kultusministerin, es lohnt sich wirklich, über dieses Thema länger zu streiten. Deshalb will ich noch einmal fünf Minuten dranhängen.
Eines wird Ihnen nicht gelingen: uns und die Öffentlichkeit die Legende glauben zu machen, dies sei ein Konzept gewesen, das mit der Vorlage des ersten Qualitätssicherungsgesetzes geplant war. Ich erinnere mich noch genau an die Anhörung und an das Entsetzen aller Experten, weil im Schulgesetz nur eine Rückstellungsregelung bei mangelnden Sprachkenntnissen vorgesehen war und kein Maßnahme, dem entgegenzuwirken. Das wurde in die Verantwortung der Eltern gestellt. Nur der öffentliche Druck hat dazu geführt, dass Sie sich darüber Gedanken gemacht haben, wie man das ändern könnte.
Zweitens. Der Ansatz der Vorlaufkurse und der Sprachförderung ist nach unserer Ansicht verkürzt und defizitorientiert. Sprachförderung ist wichtig, aber genau die Zahlen,die Frau Ravensburg genannt hat,zeigen,dass das eine Aufgabe ist,die in der Vorschulerziehung und auch in der Grundschule geleistet werden muss. Ein verbindliches beitragsfreies Vorschuljahr für alle Kinder kann dazu beitragen, solche Konzepte in der Kindergartenpädagogik zu verankern und wirklich alle Kinder zu erreichen.
Drittens. Im Bereich der Grundschulen geht die Förderung nicht weiter, Frau Kultusministerin, denn die zusätzlichen Stunden, die früher für die Deutsch-Förderung zur Verfügung gestanden haben, müssen heute zur Abdeckung der Stundentafel eingesetzt werden. Das heißt, mit Eintritt in die Grundschule werden die Kinder allein gelassen.
Ich will noch zwei Bemerkungen zu der Frage des Erfolgs dieser Maßnahme machen. Frau Ravensburg hat gesagt, der Erfolg dieser Maßnahme sei, dass 93 % der Kinder eingeschult werden könnten,die in den Vorlaufkursen waren.Frau Ministerin,Sie haben das bestätigt.Wenn Sie das Wort „Erfolg“ definiert und gesagt hätten: „Wir werden an den Bildungskarrieren dieser Kinder feststellen können, dass ihr Weg durch die Grundschulen und die weiterführenden Schulen einfacher ist“, dann hätte ich gesagt: Das warten wir ab, das kann durchaus sein.
Aber dass es ein Erfolg ist, wenn weniger Kinder zurückgestellt werden, das sagen Ihre eigenen Statistiken nicht aus.Frau Kultusministerin,deswegen will ich es Ihnen einmal vortragen.
Im Schuljahr 1999/2000 wurden insgesamt 6.203 Kinder von der Schulpflicht zurückgestellt oder befreit. Im Schuljahr 2003/2004 waren es 5.623 – ein Rückgang von 600, und das, obwohl 5.600 Kinder an Vorlaufkursen teilgenommen haben, darunter immer noch 1.600 Kinder so genannter ausländischer Herkunft.