Protokoll der Sitzung vom 16.03.2005

(Roland von Hunnius (FDP): Bei Verdacht!)

Zweitens will ich Ihnen sagen, dass es in Deutschland generell ein Vertrauensproblem gibt. Das Thema, das wir heute hier diskutieren, kommt nicht von ungefähr. Es kommt daher, dass sich die Steuerzahler in Europa immer neue sichere Häfen gesucht haben, wo sie ihr Geld anlegen können, weil sie im deutschen System kein Vertrauen in die Zukunftssicherheit von Gesetzen hatten. Das hat sehr viel damit zu tun, dass wir kein Gesamtkonzept haben – das hat Herr von Hunnius zu Recht angesprochen –, wie wir Kapitalerträge besteuern wollen.Wenn Sie immer neue Diskussionen über die Wiedereinführung einer Vermögensteuer, über die Erhöhung der Erbschaftsteuer führen wollen, führt das in der Tat dazu, dass die Menschen ihr Geld aus Deutschland hinaustragen wollen. Wenn Sie allerdings Vertrauen schaffen wollen,dann ist es absolut richtig, was Herr von Hunnius hier gefordert hat – das ist auch eine zentrale Forderung gerade der hessischen CDU –:Wir brauchen eine Abgeltungssteuer,die an der Quelle erhoben wird, auf alle Kapitalerträge den gleichen Steuersatz erhebt und grundsätzlich auf alle Formen von Kapitalerträgen bezogen wird.

Meine Damen und Herren, wir sind sehr sicher, dass das Bankgeheimnis in dieser Form erhalten bleibt. Der Antrag der FDP betreffend kein Generalverdacht von Steuerzahlern ist nun wirklich von der Hand zu weisen; denn darum geht es hier überhaupt nicht. Wir haben auch in den Anhörungen im Deutschen Bundestag eindeutig zur Kenntnis nehmen dürfen: Dieses Bankgeheimnis wird in der Abgabenordnung geregelt. Letztlich ist es eine Vereinbarung zwischen den Banken und deren Kunden.

(Norbert Schmitt (SPD): So ist es!)

Letztlich geht es um § 30 der Abgabenordnung. In den Stellungnahmen auch der Datenschützer – ich komme gleich noch einmal darauf, was die verlangt haben – ist eindeutig davon die Rede, dass das Bankgeheimnis und § 30 Abgabenordnung auch nach den Veränderungen, die jetzt geplant sind, erhalten bleiben.

Das Nächste, was ich sagen will: Steuerzahlen kann auch nicht von der Freiwilligkeit eines Steuerzahlers abhängen.

(Norbert Schmitt (SPD): Das wäre schön!)

Wenn es so wäre,wie es Herr von Hunnius hier dargestellt hat, dass alle steuerehrlich wären und mit Kapitalerträgen, die sie freiwillig angeben müssten, offen umgingen, hätten wir damit kein Problem. Deswegen gibt es eine Rechtsprechung des Finanzgerichtshofs auch zur Frage der Besteuerbarkeit von Spekulationsgewinnen.Heute ist es so, dass derjenige, der bei Spekulationsgewinnen noch Steuern zahlt, wirklich der Dumme ist und dass der Staat und die Finanzbehörden keinerlei Möglichkeiten haben, zu überprüfen, ob das, was jemand freiwillig angegeben hat, auch wirklich zutrifft.

Da muss man sagen: Im Sinne der Steuergerechtigkeit müssen wir entweder die Steuer abschaffen,oder wir müssen dafür sorgen, dass sie von allen erhoben wird. Das ist eine zentrale Forderung. Darum geht es auch im Moment in den Diskussionen im Finanzausschuss des Bundestages, wo man sich im Übrigen jetzt entschieden hat – das haben

Sie auch angedeutet, Herr von Hunnius –, erst dann weiter zu diskutieren, wenn eine Klarstellung der Datenschützer erfolgt ist und wenn der Erlass, der dafür notwendig ist, das regelt, was noch zu regeln ist. Denn Sie haben vollkommen Recht:Es kann nicht sein,dass nicht klar geregelt ist, wer wann worauf zugreifen darf. Das soll in dem Erlass geregelt werden. Da gibt es einen Entwurf, und das wird in jedem Fall auch gemacht.

Aber ich möchte Ihnen auch sagen:Wir leben in Deutschland nicht in einer Oase, wo das Bankgeheimnis aufgelöst werden soll, sondern wir leben in einer Welt, wo es gang und gäbe ist, viel mehr zu machen, als wir in Deutschland ab 1.April oder vielleicht auch später beabsichtigen.

(Zuruf der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Ich habe gerade Frau Wagner zugerufen, in allen angelsächsischen Ländern ist es normal, wenn Sie ein Spekulationsgeschäft machen, also wenn Sie ein Wertpapier kaufen, dass Sie der Bank gleich Ihre Steuernummer geben müssen. Das ist in den meisten Ländern der Welt üblich. In den angelsächsischen Ländern, die wir wegen ihres besonderen Finanzmarktes immer so loben, ist das gang und gäbe. Nirgends hat es dazu geführt, dass die Engländer und die Amerikaner all ihr Geld abgezogen und in Österreich angelegt haben. Fakt ist, dass in einem Staat, in dem man weiß, auf welche Spielregeln man sich einlässt, die Leute bereit sind, zu investieren und auch ihre Steuern zu bezahlen. Denn Steuern bezahlen wollen auch die Bundesbürger; das ist keine Frage.

Deswegen muss man sehr differenziert mit diesem Thema umgehen. Keiner hat vor, in Big-Brother-Manier auf Konten zuzugreifen. Auch Herr Kollege Wagner hat deutlich gemacht – in dem Punkt, in dem er nicht in Richtung der FDP polemisiert hat –, dass es hier nicht darum geht, dass grundsätzlich verdachtsunabhängig bei jedem Bürger mal eben in die Konten geschaut werden kann, so als würde man vor Urlaubsantritt seinen Haustürschlüssel bei der Polizei abgeben, falls in der Zwischenzeit einer Informationsbedarf hat und einmal die Wohnung durchsuchen will. Das ist gar nicht der Fall. Fakt ist, dass es in Deutschland im Moment den Behörden nicht möglich ist, durchzugreifen, wenn sie schon mit dem Steuerpflichtigen gesprochen haben, ihn aufgefordert haben, seine Konten offen zu legen, selbst wenn der Steuerpflichtige sagt: Ich kann Ihnen das gar nicht sagen, ich weiß nicht, wo überall meine Konten sind.

Deswegen ist es jetzt als eines der Instrumente vorgesehen – ich lasse gleich eine Zwischenfrage zu –,diesen Kontenabruf zuzulassen, d. h. über die BaFin zu erfragen, welche Konten er hat. Um mehr geht es nicht.

(Norbert Schmitt (SPD): So ist es!)

Die Behörde muss einen begründeten Verdacht haben – das ist nicht verdachtsunabhängig –, und alle anderen Instrumente müssen vorher gescheitert sein.Wenn das stattgefunden hat und dem Steuerpflichtigen vorgelegt wird: „Wir haben herausgefunden, da und da gibt es noch Konten“ – da ist übrigens egal, ob es um Zinsbesteuerung, BAföG, Sozialhilfemissbrauch oder sonst etwas geht –, wenn der sagt: „Ich kann mich an die Konten gar nicht mehr erinnern, keine Ahnung, und ich sage Ihnen auch nicht, was darauf ist“, dann gibt es juristische Durchgriffsmöglichkeiten, die es im Übrigen auch heute schon gibt, nämlich durch richterlichen Beschluss auch Umsätze, Kontenstände usw.abzurufen.Das ist etwas,was wir heute in ganz normaler Form auch schon haben.

Herr von Hunnius möchte eine Zwischenfrage stellen. Ich lasse sie einfach einmal zu. In der Zeit kann ich auch etwas trinken.

Das können Sie gern tun. Aber wenn er keinen Saft hat, nützt es Ihnen auch nichts, Herr Kollege Milde. Da Sie mit Ihrem reizenden Rücken vor mir stehen, habe ich ihn nicht gesehen. – Bitte, Herr Kollege.

Herr Kollege, wären Sie bereit, mir zuzugestehen, dass exakt das Gegenteil von dem, was Sie gerade gesagt haben, zutreffend ist? Es ist gerade kein Verdacht, schon gar kein begründeter Verdacht Voraussetzung für die Einleitung dieses Verfahrens.

(Beifall bei der FDP)

Es ist ausdrücklich geregelt worden, dass ein solcher Verdacht nicht vorliegen muss. Wären Sie bereit, mir weiterhin zuzugestehen, dass auch die Befragung des Steuerbürgers nicht Voraussetzung ist? Gerade das Gegenteil ist festgelegt worden. Sie kann bereits vorher erfolgen, aber sie muss nicht erfolgen. Wären Sie bereit, mir zuzugestehen, dass es ein großer Unterschied ist, ob ich meiner Bank meine Steuernummer gebe und sie sie weitergibt, oder ob der Fiskus oder andere Behörden ohne mein Wissen auf meine Informationen zugreifen?

(Beifall bei der FDP)

Das war ein ganzer Fragenkatalog. Eigentlich ist nur eine Frage zugelassen. Aber bitte schön, Herr Kollege Milde, antworten Sie.

(Nicola Beer (FDP): Du brauchst eigentlich nur Ja zu sagen!)

Herr Kollege von Hunnius, ich muss Ihnen leider widersprechen. Grundsätzlich ist auch im Gesetz schon geregelt, dass ein Kontenabruf nicht im rechtsfreien Raum stattfinden darf.

(Norbert Schmitt (SPD): So ist es!)

Ausdrücklich steht darin, ein Abruf ins Blaue hinein ist nicht zulässig. Jetzt können wir uns darüber streiten, wann ein Verdacht besteht. Aber wenn der Finanzbeamte aus der Erfahrung mit dem Steuerpflichtigen heraus zu der Erkenntnis kommt – das steht ausdrücklich darin, ich interpretiere das anders als Sie –, dass er ihn beschwindelt hat, oder zu der Erkenntnis kommt, dass er gar keinen Überblick über seine Konten hat, dann darf er das machen.

Im Übrigen ist auch in dem Anwendungserlass klar geregelt, dass der Steuerpflichtige darüber zu informieren ist, und zwar an jeder Stelle, sowohl beim Abruf als auch über das Ergebnis des Abrufs. Insofern ist es nicht wahr, Herr von Hunnius, dass das einfach mal so gemacht wird.

Ich bin nach wie vor der Meinung, wir sollten uns im Ausschuss in aller Ruhe über das Thema unterhalten. Wir können aber nicht einfach zusehen, dass uns auf der an

deren Seite die Rechtsprechung verbietet, Steuern auf Spekulationsgewinne zu erheben, weil wir nicht in der Lage sind, eine Steuergerechtigkeit herzustellen. Das muss doch unser Ziel sein, gerade in diesen Zeiten, in denen die Kassen wahrlich nicht überlaufen. Ich habe überhaupt nicht die Sorge, die Sie haben, dass hier ein zusätzlicher Generalverdacht ausgesprochen wird, der zu gläsernen Bürgern führt,

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Genau das ist es!)

sondern wir erleichtern mit diesem Gesetz sogar die Bürokratie, wenngleich ich ausdrücklich sagen möchte, dass das Gesetz so,wie es im Moment vorliegt – deswegen auch die Bedenken der Datenschützer –,sicherlich nicht durchgeführt werden kann, sondern noch einige Klarstellungen erfolgen müssen, was von allen Beteiligten auch zugesagt wurde.

Insofern bleiben wir dabei,wir lassen in aller Ruhe die Argumente im Ausschuss noch einmal auf uns zukommen. Wir werden uns auch den aktuellen Stand bis dahin aus dem Finanzausschuss des Bundestages zu dem Thema geben lassen, auch die Stellungnahme des Datenschutzbeauftragten, und werden dann in aller Vernunft eine Entscheidung treffen, wie man mit dem Antrag umgeht. Grundsätzlich wollen wir keine Durchleuchtung der Bürger.Wir sind nach wie vor der Meinung, das Bankgeheimnis ist ein großes Gut, das wir zu schützen haben, und wir glauben, dass es mit dem Gesetz geschützt wird.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Jetzt hat Frau Wagner, FDP-Fraktion, die Möglichkeit zu einer Kurzintervention zu Herrn Wagner, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN.

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Ich habe mich nicht zu Herrn Wagner, ich habe mich zu Herrn Milde gemeldet!)

Dann war das ein Missverständnis meinerseits. Sie hatten sich ja bereits gemeldet, als Herr Milde erst zwei Sätze gesprochen hatte.

(Zuruf der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Ja, ist in Ordnung.

Ich melde mich zu einer Kurzintervention zu der Rede von Herrn Milde, und ich nehme seine Bemerkung zum Anlass, wie köstlich er sich über die Diskussion zwischen FDP und GRÜNEN amüsiert.

Herr Milde, ich finde das nicht in Ordnung. Wenn Sie behaupten, dass Ihnen das Bankgeheimnis so wichtig ist wie den Liberalen in diesem Landtag, dann sollten Sie sich nicht darüber amüsieren, dass wir zu einem bestimmten Gesetz die Meinung haben, dass man auch andersherum ohne Generalverdacht – das ist unsere Befürchtung – ein Rechtsgut erhält, das bei uns jahrzehntelang gegolten hat.

(Beifall bei der FDP)

Was Sie unterstützen, Herr Milde, ist in Wahrheit die Position von Mathias Wagner, wenn er sagt „ohne begründeten Verdacht“. Das ist doch der Punkt.

(Zuruf von der SPD: Hat er nicht gesagt!)

Ohne begründeten Verdacht kann ich nach diesem Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit in Zukunft Informationen bei Banken abrufen, wenn dies für die Steuerveranlagung erforderlich ist, ohne – Herr Milde, da waren Sie mit uns früher immer einer Meinung – dass der Kontoinhaber davon erfährt. Meine Damen und Herren, hier wird von SPD und GRÜNEN im Deutschen Bundestag, wenn auch noch mitten in der Beratung, eine Umkehrung von rechtsstaatlichen Grundsätzen vorgenommen, die jahrzehntelang gegolten haben.

(Beifall bei der FDP)

Und da sollen die Liberalen nicht aufstehen gegen Menschen, die hier sitzen und mir sagen, ich würde das Recht auf Steuerhinterziehung verteidigen? Mit denen rede ich gar nicht.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Die halten mir Lenin vor. Da kann ich nur sagen, hätten Sie sich mal in Kiew mit Ihrem Außenminister an Lenin erinnert,das wäre wirklich sinnvoller gewesen,anstatt uns hier zu diffamieren.

(Beifall bei der FDP und der CDU)