Auch einen weiteren Punkt finde ich zynisch: wenn die Landesregierung die posttraumatische Belastungsstörung zu einer Frage der Flugreisetauglichkeit herunter spielt. Ich zitiere aus der Antwort der Landesregierung:
Auch seitens der Ärzteschaft wird in diesem Zusammenhang die Ansicht vertreten, dass eine PTBS für sich genommen den Transport von A nach B nicht hindert, die Reisetauglichkeit also unbeeinflusst lässt.
Ja, natürlich können sich viele traumatisierte Menschen von A nach B bewegen. Aber das ist doch nicht das Problem. Die Menschen sollen gerade dorthin zurückgeführt werden, wo sie das Trauma erlitten haben. Dass die bloße Aussicht, die traumatisierende Umgebung wieder zu erleben, das Trauma und seine Folgen verschärft – darum geht es doch. Es geht doch nicht nur um die reine Flugreisetauglichkeit. Das ist eine vollkommene Verkürzung des Themas. Das haben wir auch bei der Besprechung im Bundesamt in Nürnberg erfahren. Natürlich geht es darum, dass auch gesehen wird: Allein die Aussicht der Rückführung verschärft möglicherweise den Gesundheitszustand so, dass er behandlungsbedürftig ist und deswegen von einer Rückführung, zumindest auf Zeit, abgesehen werden sollte.
Wenn Sie alles auf das Problem eines Transports von A nach B reduzieren, dann haben Sie die grundlegenden Probleme der traumatisierten Flüchtlinge nicht verstanden. Auch wenn Sie sagen – ich zitiere aus Ihrer Antwort –: „... endet die Schutzpflicht des Aufnahmestaates grundsätzlich mit der Übergabe an die Heimatbehörden bzw. Erreichen des Zielflughafens“, dann sagen Sie im Grunde genommen:Aus dem Auge, aus dem Sinn.
Natürlich geht es uns darum, zu erfahren, wie es den zurückgeführten posttraumatisch belasteten Personen geht, um möglicherweise daraus Rückschlüsse darauf zu ziehen, wie wir künftig mit diesem Problem umgehen.Wenn Sie das verweigern, dann sagen Sie gleichzeitig: Uns interessieren diese Menschen nicht.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Anhaltender Beifall des Abg. Frank-Peter Kauf- mann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir behandeln die Große Anfrage betreffend Menschen mit posttraumatischen Belastungsstörungen. Meine Vorredner haben es schon gesagt, die posttraumatischen Belastungsstörungen sind wirklich ein aus
gesprochen sensibles Thema. Denn hinter diesem Wortungetüm steht immer ein Einzelschicksal mit einer oft langen Leidensgeschichte, die die gesamte Familie betrifft und beschäftigt, ebenso wie das soziale Umfeld.
Dreh- und Angelpunkt dieser Großen Anfrage ist die Abschiebung von Ausländern, auch wenn sie physisch und psychisch erkrankt sind. Sehr geehrte Kollegen, an dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen,wie die Rechtslage ist.
Selbstverständlich unproblematisch sind die Fälle, in denen die freiwillige Ausreise erfolgt. Nach § 49 des Ausländergesetzes, künftig § 58 des Aufenthaltsgesetzes, sind die Ausländerbehörden zur Durchsetzung der Ausreisepflicht mittels Abschiebung verpflichtet. Von dieser Verpflichtung können die Ausländerbehörden nur dann absehen, wenn entweder ein zielstaatsbezogenes Abschiebehindernis oder ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis vorliegt.
Ein zielstaatsbezogenes Abschiebehindernis kann sich aus einer im Zielstaat drohenden konkreten und erheblichen Gefahr für Leib und Leben ergeben, z. B. dann – der Kollege Rentsch hat das vorgetragen –, wenn eine Behandlungsmöglichkeit im Heimatland fehlt. Allein ein schlechteres Niveau des dortigen Gesundheitssystems als in Deutschland stellt aber kein solches Abschiebehindernis dar. Das haben mehrere Gerichtsurteile belegt, die in der Antwort auf die Große Anfrage auch aufgeführt sind.
Ein inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis liegt dagegen vor, wenn durch den Abschiebungsvorgang selbst eine konkrete und erhebliche Gesundheitsgefährdung bis zur Ankunft im Zielstaat droht.Dazu zählt eben die schon angesprochene Flugreiseuntauglichkeit. Dabei – auch das ist bereits angesprochen worden – ist eine solche Reiseuntauglichkeit infolge einer Erkrankung in der Regel nur vorübergehend und steht dann dem Vollzug der Abschiebung entgegen. Es mag – auch das haben die Kollegen bereits gesagt – auch so sein, dass es eine dauerhafte gibt. Das ist gar keine Frage. Das muss im Einzelfall entschieden werden.
Bemerkenswert ist – daran kann aus meiner Sicht niemand vorbei, auch nicht der Kollege Dr. Jürgens –, dass die Zahl der posttraumatischen Belastungsstörungen erheblich angestiegen ist, seitdem im März 2000 die Rückführungen in den Kosovo wieder aufgenommen wurden, im Herbst 2001 die Rückführungen nach Serbien-Montenegro.
Bemerkenswert ist weiterhin – auch das ist bereits gesagt worden –, dass der häufig späte Zeitpunkt des Vorbringens auffällt.
Nun gibt es sicher eine Reihe Betroffener, die zu Zeiten, in denen nicht in die eben genannten Gebiete abgeschoben wurde, mit der Abschiebung einfach nicht mehr rechneten und die die Störung einfach nicht geltend gemacht haben oder – der Kollege Dr. Jürgens hat das vorgetragen – die sich diese Störung selbst nicht eingestanden oder sie ihren Familien verschwiegen haben.
Aber ich will nicht verschweigen, dass es auch einen Anteil von Trittbrettfahrern gibt, die allein durch das Vorbringen des Vorliegens einer posttraumatischen Belastungsstörung ihre Abschiebung verhindern wollen. Deshalb muss man aus meiner Sicht beiden Gruppen gerecht werden, indem man den Einzelfall prüft. Die Landesregierung hat in der Beantwortung der Großen Anfrage
deutlich gemacht, dass es genau um diese Einzelfallprüfung geht und diese auch zu Gerechtigkeit im Einzelfall führt.
Einige Fragen sind nicht beantwortet worden, weil das Land Hessen nicht zuständig ist oder die betreffenden Daten nicht erhebt. Hierzu verweise ich auf Frage 1a. Dort wurde gefragt:
Wie viele von ihnen haben angegeben, mit ein Trauma auslösenden Ereignissen konfrontiert worden zu sein?
Die Landesregierung hat dazu ausgeführt, dass sie hierzu keine Angaben machen könne, weil das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dafür zuständig sei, diese Daten zu erheben. Es ist kritisiert worden, dass auch in diesem Bereich nicht alle Antworten gegeben worden seien. Aber man muss natürlich die entscheidenden Fragen auch an die zuständigen Stellen richten. Jedenfalls war es so, dass hier die Landesregierung gar nicht der zuständige Ansprechpartner war.
Trotzdem wurde in der Beantwortung dieser Frage ausgeführt, dass man einen Überblick über die Personen hat, die es betrifft. Das ist an dieser Stelle auch recht interessant zu nennen: Das sind nämlich – Stand 8. November 2004 – 963 Personen. Hinzu kommen 1.493 Familienangehörige, die aufgrund der posttraumatischen Belastungsstörung geduldet werden.
Auch Frage 9 weist darauf hin, dass die Zuständigkeitsfragen auf diesem Gebiet sehr kompliziert sind. In der Antwort wird die SPD-Fraktion darauf hingewiesen, dass die Frage so gestellt wurde, dass in der Fragestellung nicht die zuständigen Behörden angesprochen wurden. Es geht dort um die Unterbringung von Flüchtlingen. Dafür sind „nicht die Ausländerbehörden, sondern die Magistrate der kreisfreien Städte und die Kreisausschüsse der Landkreise zuständig“. Es gibt keinerlei Möglichkeiten, durch „Anweisungen von Landesseite“ auf diese Unterbringungen Einfluss zu nehmen.
Teilt die Landesregierung die Auffassung, dass eine Abschiebung in das Land, in dem die Menschen die Ereignisse durchleben mussten, die zu ihrem Trauma führten, zu einer erneuten psychischen Krise und unter Umständen zu Suizid führen kann; wenn nein, warum nicht?
Hierzu hat die Landesregierung geantwortet, dass man diese schwierige Frage nicht mit Ja oder Nein beantworten könne, sondern dass es auf das Ergebnis der Einzelfallprüfung ankommt.
Herr Dr. Jürgens, Sie als ehemaliger Richter wissen ganz genau, dass eine Einzelfallprüfung im Regelfall sehr viel gerechter ist als das, was man durch das Aufstellen allgemeiner Regeln bewirken kann. Eine solche Einzelfallprüfung führt zu einer Abwägung, die den Belangen der einzelnen Betroffenen am besten gerecht wird.
Weiterhin wird in der Antwort ausgeführt, dass der Hessische Verwaltungsgerichtshof, der VGH Baden-Württemberg, das OVG Nordrhein-Westfalen und auch das Bundesverfassungsgericht es so gesehen haben, dass es um diese Einzelfälle geht und es dort keine generelle Regelung gibt.
An dieser Stelle will ich noch einmal sagen, wie wichtig dieses Thema ist und dass man in Zukunft sicherlich darüber nachdenken muss, wie man diesen Fällen gerecht wird. Für mich ist entscheidend, dass posttraumatische Belastungsstörungen sehr ernst genommen werden, dass Einzelfallprüfungen – wie das in Hessen geschieht – stattfinden, dass wir zukünftig durch gesetzliche Regelungen dafür sorgen, dass Menschen so schnell wie möglich wissen, ob sie in Deutschland bleiben können oder nicht. Denn psychische Störungen entstehen auch dadurch, dass Menschen – manchmal über zwölf Jahre – in täglicher Ungewissheit leben, Deutschland verlassen zu müssen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch diese Situation macht krank.
(Beifall bei der CDU – Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Das hat nichts mit der posttraumatischen Belastungsstörung zu tun!)
Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Kollegin Kühne-Hörmann hat hier sehr eingehend auf die Rechtslage hingewiesen. Ich denke, sie teilt die Auffassung, dass die Rechtslage in Nordrhein-Westfalen und Bayern genau dieselbe ist wie bei uns in Hessen.
Die Situation in Nordrhein-Westfalen habe ich in meiner Rede eingehend beschrieben. In Bayern hatte ich ein Aha-Erlebnis, als wir vor kurzem den Petitionsausschuss des Bayerischen Landtags besucht haben.
Dort wurde nämlich eine Petition beraten, in der es um das Trauma einer jungen Frau ging, und der Petitionsausschuss des Bayerischen Landtags hat den Beschluss gefasst, die Frau erst dann abzuschieben, wenn sich ihr Gesundheitszustand signifikant verbessert hat.
Ich kann mich an keine Petition in Hessen erinnern,die so entschieden worden ist.Jeder hat – das haben wir heute an mehreren Stellen gehört – hier gesagt: Die Zahl der Petitionen, bei denen ein Trauma angegeben worden ist, steigt ständig. – Wir haben in Hessen kein System und keine Möglichkeit, einen Einzelfall so zu prüfen, dass wir den Menschen gerecht werden. Bei uns wird das auf die Transportfähigkeit reduziert, und dann wird abgeschoben. Das kann keine Lösung für die Leute sein, die wirklich betroffen sind.
Frau Präsidentin, meine Damen, meine Herren! Wir debattieren diesen zugegebenermaßen nicht einfachen Sachverhalt nicht das erste Mal. Wenn ich mich recht erinnere, hat die eben amtierende Präsidentin des Hauses mit mir darüber schon vor Jahren diskutiert. Ich will darauf hinweisen, ich habe seinerzeit – vor Jahren – gesagt:
Mir braucht niemand zu erzählen, wie es um Frauen steht – in der Debatte war nur von Frauen die Rede, es gibt auch Männer –, die in Srebrenica
Sie haben das Beispiel des einen Mannes genannt – oder in anderen Lagern Schlimmstes erdulden mussten. Dass man da nicht mit leichter Hand oder bürokratisch darüber hinweggehen kann, liegt auf der Hand.
Deshalb will ich drei Punkte festhalten. In Hessen wird nicht abgeschoben auf Teufel komm heraus.Aber in Hessen wird Recht und Gesetz vollzogen. Sie haben bei Ihren Debattenbeiträgen mit Ausnahme der Frau Kollegin Kühne-Hörmann den Teil komplett ausgespart, um den es zunächst einmal geht. Wenn jemand in unserem Land ist, der hier keinen erlaubten Aufenthalt hat, dann führt das in der Regel dazu, dass über eine Vielzahl von Verwaltungsverfahren und Verwaltungsgerichtsverfahren geprüft wird, ob er nicht einen Aufenthalt erlangen kann oder es eine Begründung gibt, warum er aufenthältlich sein soll.
Ich hatte Ihnen einmal eine Statistik vorgetragen.Wir haben in diesen Fällen im Schnitt mindestens zwölf Verwaltungs- respektive Verwaltungsgerichtsverfahren. Wenn die alle vorbei sind und natürlich eine weitere Zeit ins Land gezogen ist, dann steht rechtskräftig fest, so jemand muss das Land verlassen, weil er kein Aufenthaltsrecht hat. Das ist weder eine hessische Besonderheit noch eine Gemeinheit meinerseits. Das ist die Rechtslage, zu der sich sonst immer alle bekennen. Ich will nur, dass in dieser Debatte nicht völlig an den Realitäten vorbei diskutiert wird. Dann könnte so jemand ausreisen.
Nun stellen wir bedauerlicherweise fest, dass ein beachtlicher Teil nicht freiwillig ausreist.Wer nicht freiwillig ausreist, wird nach mehrfacher Aufforderung und in der Regel weiteren Gerichtsverfahren, wenn es nicht anders geht, abgeschoben. Das ist die gesetzliche Folge. Das bleibt auch so.
Jetzt geht es um die Frage, wie wir mit einem Segment von Menschen umgehen, die ins Feld führen: Ich kann aber eigentlich diesem Gesetzesbefehl keine Folge leisten, weil ich traumatisiert bin.