Protokoll der Sitzung vom 09.06.2005

Wir können alle den Privatkrieg verfolgen, den Frau Ministerin Lautenschläger per Pressemitteilungen mit Herrn Clement führt. Wir wissen, dass die Bundesagentur seit Monaten mit Schätzungen arbeitet, weil einige Kommunen, vor allem in Hessen, keine nachvollziehbaren Daten, weil einige unvollständige Daten und weil einige Daten liefern, die nicht verarbeitet werden können. Darauf haben Sie hingewiesen. Wir haben eine Kommune, die von Anfang an problemlos Daten liefert, die auch verarbeitet werden können, nämlich Fulda – und keiner weiß, warum.

(Heiterkeit)

Meine Damen und Herren, für das Chaos, das insbesondere in Hessen herrscht,hat die Sozialministerin eine Mitverantwortung.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Machen Sie endlich Ihre Hausaufgaben, und sorgen Sie dafür, dass die Kommunen anständig mit der Bundesagentur zusammenarbeiten können. Stattdessen sorgen Sie weiter für Chaos. Ich nenne Zahlen aus Ihren eigenen Pressemitteilungen.Am 31.01.haben wir 126.000 Bedarfsgemeinschaften.Am 09.04., nicht einmal drei Monate später, sind es 192.000 Bedarfsgemeinschaften. Am 31.05.

nennen Sie 294.000 Arbeitslose. Danach fehlen angeblich 200.000 in der Statistik der Bundesagentur. – Frau Merkel arbeitet mit völlig anderen Zahlen.

Frau Lautenschläger, Sie wissen, dass ich die Arbeit der Bundesagentur sehr kritisch betrachte und begleite.

(Demonstrativer Beifall bei der FDP)

Aber das Zahlenchaos, das Sie in Hessen anrichten, kann keine Agentur der Welt vernünftig bearbeiten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Da von Herrn Rentsch nichts substanziell Neues kam, ist die Frage: Was ist an dieser Aktuellen Stunde eigentlich aktuell?

(Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Meine Damen und Herren, es kann doch nicht Ihr Ernst sein, dass Sie in dieser Aktuellen Stunde bearbeiten wollen, dass der ehemalige Arbeitsvermittler und heutige Sex-Postillen-Autor Dirk Niebel mal schnell die Bundesagentur abschaffen und damit locker 90.000 Arbeitslose mehr produzieren will, nur weil er ein Nach-Pieper-Problem hat.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Auch nicht neu, aber wenigstens aktuell war gestern die Ankündigung des Hessischen Ministerpräsidenten, nachdem Frau Lautenschläger schon gesagt hat, Hartz IV trage die Handschrift von Hessen, das Existenzgrundlagengesetz nach dem Wisconsin-Modell wieder aus der Versenkung zu holen. Armut ohne Arbeit plus Armut trotz Arbeit: Mit einem modernen Sozialstaat im 21. Jahrhundert hat das nichts zu tun.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben in Hessen ein Statistikchaos.Wir haben ein Statistikchaos bei der Bundesagentur. Meine Damen und Herren, den arbeitslosen Menschen ist es völlig egal, ob und wo sie in dieser Statistik auftauchen.

(Beifall der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Sie wollen, dass sie endlich, nachdem sie gefordert werden, auch gefördert werden, dass sie verbesserte Vermittlungschancen in den Arbeitsmarkt haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Heinrich Heidel (FDP))

Hören Sie endlich mit dieser Phantomdebatte über Zahlen auf. Machen Sie endlich Ihre Hausaufgaben, damit den Menschen in Hessen tatsächlich wieder mehr geholfen wird. – Danke schön.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Vielen Dank. – Das Wort hat der Kollege Boddenberg für die CDU-Fraktion.

(Frank Gotthardt (CDU): Ich glaube, Frau SchulzAsche will die Arbeitslosenstatistik insgesamt abschaffen! Das brauchen wir ja nicht!)

Herr Präsident, meine sehr geehrte Damen und Herren! Frau Kollegin Schulz-Asche, in einem stimme ich Herrn Rentsch vollumfänglich zu: Das Thema Arbeitsmarkt und Arbeitslosigkeit in Deutschland ist jeden Tag aktuell, und es ist völlig daneben, dass Sie hier infrage gestellt haben, dass wir dieses Thema bei jeder sich bietenden Gelegenheit thematisieren müssen.

(Zuruf der Abg. Sarah Sorge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Meine Damen und Herren, ich will einen Punkt aufgreifen, den Sie angesprochen haben. Sie beschäftigen sich mit der Frage, ob es Sinn macht, über Statistiken zu diskutieren. Da bin ich sehr bei Ihnen, wenn es um die Frage geht,ob wir über technische Dinge diskutieren.Davon haben die Betroffenen am wenigsten. Aber es macht Sinn, über Statistiken zu diskutieren, weil die Statistik uns am Ende zeigen muss, welcher Weg der bessere ist, um das Problem zu lösen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Meine Damen und Herren, insofern ist Statistik einerseits eine sehr theoretische Größe, andererseits aber ein sehr wichtiges praktisches Instrument, um über die Wege zu streiten,die wir gehen müssen.Wir müssen dazu kommen, dass die Menschen wieder Arbeit finden, weil wir die richtigen Wege beschritten haben.

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Da ich in diesen Tagen bei der Frage der Statistik immer wieder den Vorwurf der Sozialdemokraten höre, es sei schon immer so gewesen, dass die Statistiken nicht gestimmt hätten, sage ich Ihnen, dass das falsch ist. ABMMaßnahmen wurden schon immer in weiten Teilen nicht in der Statistik erfasst. Aber es hat noch nie eine solche Bündelung von Versuchen gegeben,die Zahlen in der Statistik nicht vollständig darzulegen.

(Zuruf des Abg. Mathias Wagner (Darmstadt) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Sie haben in den letzten Jahren viele Programme und Trainingsmaßnahmen auf den Weg gebracht, ob das Jump ist, ob das BfA-Vermittelte sind, ob das ältere Arbeitslose über 58 Jahren sind, die erleichterten Bezug haben – das sind immerhin 400.000 Menschen –, oder ob es über 600.000 Frühpensionäre sind, die aus dieser Statistik herausgefallen sind, obwohl sie arbeitsmarktfähig sind.

(Zuruf des Abg. Mathias Wagner (Darmstadt) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

All das gehört zur Wahrheit, ohne dass wir hier ein Schreckensszenario zeichnen, das schon bei 4,8 Millionen Arbeitslosen, die Sie offiziell ausweisen, schlimm genug ist.

Das Schlimme ist aber auch, dass wir nicht nur über die aktuelle Statistik reden, Herr Rentsch. Wir reden auch über das Problem, dass schon jetzt wieder von Nürnberg aus signalisiert wird, dass man Probleme habe, zum 1.Oktober die Erfassung der Neuregelung der Hinzuverdienstmöglichkeiten umzusetzen.Wir haben schon wieder einen Beleg dafür, dass diese Zentrale nicht in der Lage ist, das Problem auch nur zu verwalten.

(Beifall bei der FDP)

Das ist ein Thema, mit dem wir uns weiter werden beschäftigen müssen, weil es die größte Enttäuschung für Menschen ist, wenn sie erleben, dass wir zwar politische

Entschlüsse fassen – ich lasse dahingestellt, ob sie richtig oder falsch sind –, dass wir dann aber noch nicht einmal technisch in der Lage sind, diese Beschlüsse auch umzusetzen. Das ist eine Enttäuschung, die zu dem hinzukommt, was Herr Rentsch völlig zu Recht angesprochen hat, nämlich dass die Menschen der Politik allgemein nicht mehr zutrauen, ihre Probleme zu lösen.

Meine Damen und Herren,ein weiterer Punkt.Es ist nicht so, dass Sie sich nur bei den Arbeitsmarktdaten verschätzen. Sie verschätzen sich aktuell, im Jahr 2005, hinsichtlich der Frage, was uns das Arbeitslosengeld II kostet.

(Zuruf des Abg. Dr. Franz Josef Jung (Rheingau) (CDU))

Meine Damen und Herren, dafür sind 14 Milliarden c veranschlagt.Wenn wir das erste Quartal auf das Gesamtjahr hochrechnen, dann reden wir von über 24 Milliarden c. Das sind 10 Milliarden c mehr als veranschlagt. Ich sage: Es ist nichts zufällig veranschlagt und zufällig falsch, sondern es ist offensichtlich und bewusst falsch mit Blick auf den Wahltermin in Nordrhein-Westfalen und auf Ihre aktuellen Probleme, die Sie in der rot-grünen Koalition haben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren,am Ende wird es darum gehen – auch das ist Teil des Problems –, den Menschen die Verunsicherung durch die Politik zu nehmen. Die Sparquote in diesem Land – das haben wir hier immer wieder vorgetragen – ist Ausdruck für diese Verunsicherung.

(Norbert Schmitt (SPD): Das wird nach der Mehrwertsteuererhöhung alles „besser“ werden!)

Wenn Menschen in diesem Land mehr als 10 % ihres Einkommens zurücklegen, um sich für die Unwägbarkeiten der Zukunft abzusichern, dann ist das ein deutlicher Beleg für das Problem, das wir haben.

Herr Schmitt, ein weiterer deutlicher Beleg für das Problem, das wir haben, ist, dass Rot-Grün eben nicht dem Grundsatz folgt, alles zu unternehmen, was Arbeitsplätze schafft, und alles zu unterlassen, was Arbeitsplätze vernichtet oder sie verhindert. Ich könnte jetzt den ganzen Strauß der Argumente in der Debatte wiederholen.Auch gestern ist an dieser Stelle viel darüber gesprochen worden, wo das eigentliche Problem liegt. Dieses Land hat vergessen, dass es ein technisch gut gerüstetes Land ist, dass es ein Land mit vielen Fachkräften, mit hoch kreativen und intelligenten Ingenieuren und Akademikern ist.

(Norbert Schmitt (SPD): Weil Sie es heruntergeredet haben!)

Das dürfen wir nicht zerreden. Herr Schmitt, wir müssen denjenigen, denen wir Bildung zukommen lassen, denen wir Forschungs- und Fördermittel zukommen lassen, am Ende aber auch die Chance geben, das umzusetzen, was sie umsetzen wollen. Das ist das zentrale Problem, über das wir weiter werden schreiben müssen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP – Norbert Schmitt (SPD): Weil Sie die Sozialsysteme kaputtmachen wollen! Sie verunsichern die Menschen!)

Meine Damen und Herren, wir reden nach wie vor – wir werden dort Änderungen vornehmen – über das Grundsatzproblem: Wer ist am besten in der Lage, die Flexibilität des Arbeitsmarktes herzustellen, was die Vermittlungsfrage anbelangt. Damit meine ich nicht nur das, was