Meine sehr geehrten Damen und Herren, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie herzlich und wünsche einen schönen guten Morgen. Ich eröffne die 77. Plenarsitzung des Hessischen Landtags, die zunächst einmal einen besonderen Vorgang zu verzeichnen hat. Jörg-Uwe Hahn wird 49 Jahre alt. Das ist erwähnenswert.
Ich wollte darauf hinweisen, dass die Party im nächsten Jahr größer wird als in diesem Jahr. Ich wünsche Ihnen alles Gute.Bleiben Sie gesund und munter und uns wohl gewogen und lange erhalten.
Der zweite wichtige Punkt ist, dass unsere Fußballmannschaft, die gestern hätte spielen sollen, nicht gespielt hat. Dafür hat die Eintracht verloren.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, nun zum Ernst des Tages. Ich bitte Sie um Aufmerksamkeit. Ich stelle die Beschlussfähigkeit des Hauses fest. – Dem wird nicht widersprochen.
Noch eingegangen und auf Ihren Plätzen verteilt sind ein Dringlicher Gesetzentwurf der Fraktion der CDU für ein Gesetz über die Studentenwerke bei den Hochschulen des Landes Hessen, Drucks. 16/4445, sowie ein Dringlicher Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP betreffend energetische Nutzung von Biomasse verstärken, Drucks. 16/4447. Wird die Dringlichkeit bejaht? – Das ist der Fall. Dann wird der Dringliche Gesetzentwurf der Fraktion der CDU zu Tagesordnungspunkt 70 und kann, wenn dem nicht widersprochen wird, mit den Tagesordnungspunkten 4 und 9 zu diesem Thema aufgerufen werden. Der Dringliche Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP wird zu Tagesordnungspunkt 71.
Weiter ist eingegangen ein Änderungsantrag der Fraktion der FDP, Drucks. 16/4446 zu dem Antrag der Fraktion der CDU, Drucks. 16/4398. – Frau Kollegin Beer.
Es wird gebeten, Tagesordnungspunkt 71 mit Tagesordnungspunkt 30 aufzurufen. Widerspricht dem jemand? – Das ist nicht der Fall. Dann wird das so erfolgen.
Weiter ist eingegangen ein Änderungsantrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Drucks. 16/4448, zu dem Gesetzentwurf der Landesregierung, Drucks. 16/4066. Die
Wir beginnen mit Tagesordnungspunkt 10: erste Lesung des Gesetzentwurfs der Fraktion der CDU für ein Gesetz zur Stärkung von innerstädtischen Geschäftsquartieren (INGE) , Drucks. 16/4396. Dann folgt Tagesordnungspunkt 39 – Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Korruptionsprävention, Drucks. 16/4392 –, der mit den Tagesordnungspunkten 32, 37 und 44 aufgerufen wird. Nach der Mittagspause beginnen wir mit Tagesordnungspunkt 31, Drucks. 16/4354, der mit Tagesordnungspunkt 47 aufgerufen wird.
Erste Lesung des Gesetzentwurfs der Fraktion der CDU für ein Gesetz zur Stärkung von innerstädtischen Geschäftsquartieren (INGE) – Drucks. 16/4396 –
Die vereinbarte Redezeit beträgt 15 Minuten je Fraktion. Die Antragsteller haben das Wort. Wer wünscht es? – Herr Kollege Möller für die Fraktion der CDU.
Herr Präsident,meine Damen und Herren! Ich nehme zufrieden zur Kenntnis,dass schon allein die Namensgebung des Gesetzentwurfs für allgemeine Erheiterung sorgt.Das hat den großen Vorteil, dass er sich relativ schnell einprägen wird. Zugleich haben wir die Möglichkeit, ein bisschen von den Anglizismen wegzukommen. Schließlich sind wir noch nicht so weit,dass wir alles eins zu eins übernehmen müssen.
Wir alle kommen im Land viel umher und kennen viele Städte und Gemeinden. Das Problem, dessen wir uns heute annehmen wollen, dürfte insofern für niemanden aus diesem Hause überraschend sein; denn hierbei handelt es sich um Prozesse, die schon seit Jahren, wenn nicht schon seit Jahrzehnten schleichend laufen. Die Mittelund Oberzentren geraten zunehmend durch verschiedene Faktoren unter Druck. Das lässt sich in manchen Städten mehr und in manchen Städten weniger beobachten. Die Konkurrenz auf der grünen Wiese, die Konkurrenz im innerstädtischen Bereich durch Einkaufszentren und so genannte Shopping-Malls nach amerikanischem Vorbild, die zunehmend leeren kommunalen Kassen sowie das veränderte Käuferverhalten sind Faktoren, die der Einzelhandel vor Ort seit Jahren spürt und die nunmehr durch einen zu beobachtenden Strukturwandel in den Innenstädten zum Ausdruck kommen.
Hinzu kommt ein abnehmendes Interesse von vielen Hauseigentümern an der eigenen Immobilie bzw. an dem Umfeld. Das Interesse ist in nachvollziehbarer Weise primär darauf fixiert, einen ordentlichen und solventen Mieter zu bekommen, und zwar ohne Absprache mit den Nachbarn. Die Folge dieser Probleme ist in vielen Städten eine zunehmende Uniformität der Innenstädte. Die Innenstadtbereiche werden zunehmend austauschbar. Das kann man beobachten, wenn man verschiedene Städte besucht.Im Prinzip wiederholt sich im Großen und Ganzen das Angebot.In den meisten Städten gibt es keine ausgewogene Geschäftsstruktur mehr. Ein so genannter Trading-down-Effekt ist zu beobachten.
Herr Bökel, dieses Wort ist mittlerweile im Großen und Ganzen sogar schon üblich. Ich sage: Wir müssen es mit den Anglizismen nicht übertreiben. Sie verstehen aber, was ich meine.
Abgesehen davon hängt das ein bisschen damit zusammen. Die allgemeine Wirtschaftssituation tut ihr Übriges dazu.
Wir haben Monostrukturen in den Städten. Deshalb ändern sich die Kundenströme. Die Stärkung der Einkaufszentren auf der grünen Wiese ist die Folge.
Zentren. Wir können jetzt jedes Wort im Duden nachschlagen. So können wir 15 Minuten auch herumbekommen. Damit habe ich kein Problem.
Bislang wurde versucht, des Problems Herr zu werden, indem man sich freiwillig zusammengeschlossen hat. Die Händler haben sich organisiert und in Arbeitsgemeinschaften,Arbeitsgruppen oder Werbegemeinschaften versucht, des Problems Herr zu werden, allerdings ohne nennenswertes Budget, ohne finanzielle Ausstattung und vor allem ohne Verpflichtung. Die Folge ist immer wieder zu beobachten: Am Anfang läuft so etwas recht gut. Die Köpfe sind voller Ideen.Die Einzelhändler sind motiviert. Man sprüht vor Fantasie, was man für den Standort alles machen könnte.
Mit zunehmender Existenzdauer dieser Arbeitsgemeinschaften und Arbeitsgruppen ist zu beobachten, dass sich die Zusammenschlüsse langsam auflösen. Es bleiben immer weniger übrig. Meistens bleiben die wenigen von Inhabern geführten Einzelhändler übrig, die zwar Ideen haben, wie man den eigenen Standort aufwerten könnte, die aber schlichtweg nicht die Mittel haben und die am Ende relativ allein dastehen, sodass diese Arbeitsgemeinschaften fast nur noch auf dem Papier bestehen. Man scheitert schon an relativ kleinen Herausforderungen. Man bekommt nicht mehr wirklich etwas auf die Reihe. Das wiederum ruft einen Teufelskreis hervor, die Motivation sinkt, und niemand macht im Endeffekt mehr mit.
Das alles fördert zunehmend und weiter Einkaufszentren sowie Geschäfte auf der grünen Wiese. Das bedeutet, wir stehen vor der Herausforderung, die Freiwilligkeit und die Bereitschaft vor Ort, den eigenen Standort zu stärken, zu fördern,Planungen verbindlich zu ermöglichen,eine Finanzierung sicherzustellen, das Trittbrettfahrertum einzudämmen und zu vermeiden,den Händlern vor Ort Perspektiven zu sichern, den Einzelhandel weiter zu motivieren und die Grundeigentümer mehr in die Pflicht zu nehmen.
Dabei wollen wir eine weit gehende Autonomie für die Initiatoren gewährleisten, möglichst wenige Vorschriften machen, sondern einen Rahmen schaffen. Die Zusammenarbeit der innerstädtischen Geschäfte wird dadurch gefördert werden, und die Unabhängigkeit von den Kommunen bei den Planungen wird mit Sicherheit auch gefördert werden. Die Folge wird sein, dass die Innenstadtlagen wieder unverwechselbarer werden. Jede Stadt
hat wieder mehr Chancen, die eigene Identität aufzubauen. Die Nachbarn und die Anwohner werden davon profitieren, wenn die Attraktivität einer Innenstadt wieder steigt und die Kundenströme sich wieder in die traditionellen Geschäftslagen hinein konzentrieren.
Eine Lösung sind die so genannten BIDs, Business Improvement Districts. Der Begriff kommt unverkennbar aus dem Englischen. Ich will es gleich betonen, bevor jemand dazwischenruft.
1.200 solcher BIDs gibt es bereits in Nordamerika, in Südamerika, in Neuseeland, in Australien und im asiatischen Bereich, in Deutschland bislang nur in der Freien und Hansestadt Hamburg. Es handelt sich hierbei um einen Lösungsansatz für die Herausforderung, freiwillige Zusammenschlüsse zu bilden.
Der Ablauf wird folgendermaßen sein: Auch bisherige freiwillige Zusammenschlüsse werden mit einem ersten Quorum, mit einer Zustimmung von 15 % der Betroffenen den Prozess in Gang bringen können. Man wird gemeinsam Analysen vom eigenen Standort machen. Man wird sich über Planungen, über Möglichkeiten verständigen. Man wird Bedarfsanalysen erarbeiten und vorlegen müssen, einen Finanzierungsplan, einen Maßnahmenkatalog,die Berechnung von Beiträgen,wenn man sie auf jeden Kopf verteilen würde. Nicht zuletzt wird vor Ort innerhalb der Eigeninitiative für den zweiten Schritt geworben werden müssen: das Erreichen eines Quorums von 75 % oder, umgekehrt, nicht mehr als 25 % Ablehnung.
Das Ganze ist im Kern ein urdemokratischer Prozess; denn die Befürworter wie auch die Gegner werden sich selbst organisieren müssen und werden für Zustimmung vor Ort werben müssen. Das alles geschieht ohne Beteiligung der Kommune. Die Kommune ist in dieser Phase schlichtweg nur Ansprechpartner bei der Einschätzung der Beiträge, die erhoben werden müssten, um die definierten Ziele zu erreichen.
Erst wenn dieser Prozess beendet ist und in einem selbst definierten Bereich einer Innenstadt 75 % Zustimmung der Grundeigentümer erreichbar erscheinen, schaltet sich die Kommune ein durch Ansprache des dann in Gründung befindlichen BID. Die Folge muss ein öffentlichrechtlicher Vertrag über die Maßnahmen sein, der unter anderem eine Verpflichtung aller Beteiligten in diesem Bereich für fünf Jahre beinhaltet. Nach dem Gesetz gehen diverse Verpflichtungen für die Initiatoren einher, z. B. jährliche Bilanzen, Abhandlung der Maßnahmenkataloge, Einhaltung des Finanzierungsplanes usw.
Von den ursprünglichen Ansätzen darf nicht in erheblichem Maße abgewichen werden. Das würde das Ganze auch auf den Kopf stellen; denn man hat ursprünglich mit einer Planung geworben und diese mit 75 % Zustimmung auf den Weg gebracht. Hoheitliche Aufgaben sollen von einem BID nicht wahrgenommen werden.
Wir geben mit einem solchen Gesetz im Prinzip die Verantwortung und die Zukunft in einem Quartier zurück an das Quartier selbst. Die Menschen vor Ort, die Händler und die Eigentümer sollen die zukünftige Gestaltung ihres Umfeldes selbst in die Hand nehmen können, mit möglichst wenig Einfluss seitens der Politik. Die Chancen liegen in einer direkten Einflussnahme auf das Management und in der Neuvermietung des Grundeigentums seitens des Handels. Momentan ist schlichtweg zu beobach
ten, dass durch die Sprachlosigkeit der Händler Hauseigentümer auf dem Markt den Mieter nehmen, den sie für am solventesten halten, mit relativ wenig Rücksicht auf die Struktur des Quartiers. In Zukunft wird ein BID sich dahin gehend aufstellen können und wird frühzeitig bei einem drohenden Ladenleerstand mit dem Eigentümer Kontakt aufnehmen und sich auch anbieten können, gemäß den eigenen Vorstellungen für einen Nachmieter zu sorgen und dafür zu werben. Das Ganze nennt man auch Ladenleerstandsmanagement. Der vorhin genannte und schmunzelnd zur Kenntnis genommene Trading-downEffekt wird damit einzudämmen sein.
Ein BID wird eine verstärkte Interessenvertretung darstellen können gegenüber den Kommunen. Neben der Werbung für das Quartier und den Standort im Allgemeinen werden selbstverständlich Veranstaltungen, Feste, aber auch die Dekoration von Innenstadtlagen sehr viel leichter zu bewerkstelligen sein als bisher. Es besteht die Möglichkeit zur Finanzierung gemeinsamer Aktionen, die viele Einzelhändler niemals alleine bewerkstelligen könnten. Es gibt Beispiele: Kinderbetreuung in der Innenstadt, Teilhabe an der Möblierung von Straßen, Beteiligung an der Umgestaltung der Plätze usw. Je größer die Sache ist, desto enger wird die Verbindung mit der Kommune. Je kleiner die Sache ist, desto eigenständiger kann der BID arbeiten.
Im Prinzip ist ein BID nichts anderes als die Schaffung der Möglichkeit, dass sich traditionelle Einzelhandelslagen organisieren, ähnlich wie in den Einkaufszentren nach amerikanischem Vorbild. Die verfügen über ein gemeinsames Budget, über eine gemeinsame Marketingstrategie, über ein gemeinsames Wertekonzept, über ein Ladenleerstandsmanagement usw. Dieses Instrument braucht der Innenstadthandel, um die Konkurrenz aufnehmen zu können und mit Chancengleichheit für die Attraktivität traditioneller Standorte werben zu können.
Die Folge wird eine deutliche Belebung der Innenstadtlagen sein, weil die Städte unverwechselbarer sein werden, weil die Attraktivität steigt und weil auch ein paar neue Ideen in die Innenstädte fließen können. Wir fördern im Prinzip die Eigenverantwortung vor Ort.Wir fassen einen Rahmen für die Eigeninitiative.Wir unterstützen gemeinsames Vorgehen, und wir fördern die Chancengleichheit zwischen traditionellen Lagen und der so genannten grünen Wiese bzw. den Einkaufszentren.