Protokoll der Sitzung vom 21.09.2005

Mein zweiter Punkt. Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen, wir alle – und dazu gehöre ich auch – haben als Kommunalpolitiker diese Entwicklung in den letzten 20, 25 Jahren mit befördert. Ich erinnere mich an Kommunalpolitiker der FDP, die mir als Landespolitikerin gesagt haben: Ihr müsst etwas gegen die Verödung der Innenstädte tun. – Gleichzeitig aber haben diese Kommunalpolitiker die Bebauungspläne für die grünen Wiesen beschlossen – nicht wir. Darum geht es doch.

(Beifall des Abg. Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Ich erinnere an das Kriegsbeil zwischen Weiterstadt und Darmstadt – eigentlich müsste ich sagen: Weiterstädter SPD und Darmstädter SPD –, das der neue Oberbürgermeister von Darmstadt begraben hat. Diese Auseinandersetzung dauerte eine Generation lang. Meine Damen und Herren, per Gerichtsbeschluss wird jetzt an der A 5 – und das gehört weder zu Weiterstadt noch zu Darmstadt; alles ist noch viel schlimmer – eine Einkaufsfläche errichtet,die ein Drittel der innerstädtischen Verkaufsfläche meiner Heimatstadt umfasst.Was das dann im nächsten Schub für diese mittlere Großstadt bedeutet, kann ich Ihnen sagen. Dort draußen stehen schon Segmüller – das kann ich ja sagen – und Wella und die großen Lebensmitteleinkaufs

zentren. Da geht es überhaupt nicht mehr um die Frage, ob wir das kleine Familienunternehmen – die Metzgerei, das Feinkostgeschäft oder die Bäckerei – erhalten wollen, sondern es geht nur noch darum, ob wir die Wahl haben zwischen – sagen wir – Hugendubel und Thalia einerseits und acht alteingesessenen kleinen Buchhändlern andererseits. Ich weiß, wovon ich rede. Keine Angst, da geht es nicht um Marktliberalismus, sondern um konkrete Überlebenschancen der Städte in unserem Land.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Herr Minister, als Drittes will ich Folgendes sagen. Sie nehmen für sich die Wahrung der Balance zwischen Freiheit und Verantwortung in Anspruch. Wir haben größte Bedenken – und das werden wir sehr genau nachfragen –, dass gemäß § 5 Abs.8 Ihres Gesetzentwurfs Menschen,die sich dazu entschieden haben, als Eigentümer noch in der Innenstadt zu wohnen, zu Kosten für den Innovationsbereich herangezogen werden sollen.

Sie sagen, dem könne man widersprechen, und dann sei der Antrag von der Aufsichtsbehörde abzulehnen. Zahlt dann der – was schon schlimm genug ist –, oder zahle auch ich als Grundsteuerzahler im Außenbereich dafür, dass in der Innenstadt einige Leute neue Innovationsbereiche einrichten dürfen? Das hat etwas mit Individualrechten, Freiheit und Verantwortung zu tun. Meine Damen und Herren, ich halte das für eine Art der Enteignung.

(Widerspruch des Abg. Christoph René Holler (CDU))

Das ist sehr hart. Ich möchte, dass es nicht dazu kommt.

Deshalb bitten wir darum – das ist unser Petitum –, dass wir eine Abwägung treffen unter dem Gesichtspunkt der Balance zwischen Gemeinschaftsaufgaben aller Bürger und dem Lebensraum eines einzelnen Bürgers, der sich entschieden hat, im innerstädtischen Bereich zu wohnen; das macht nicht immer Spaß.Wir müssen doch die Rechte der in der Innenstadt Wohnenden schützen – damit dort nicht nur Banken und Geschäfte sind, sondern auch Wohnungen. Das erst macht doch die Mischung aus. Sonst haben wir in den Innenstädten eine reine Monodienstleistungsstruktur.

Mein letzter Punkt. Meine Damen und Herren, auch die Frage der Erhaltung der Baukultur in den Innenstädten wird ein großes Thema werden. Da muss sich der Denkmalschutz bewegen. Herr Heidel und ich haben mit dem Landesdenkmalpfleger ein großes Gespräch über den ländlichen Bereich geführt. Wenn es keine Erben mehr gibt – beispielsweise in den ländlichen Bereichen, wo Sie Hofgebäude haben, die unter Ensembleschutz stehen – es dieses Ensemble aber auch im nächsten Dorf oder in der nächsten Stadt gibt, dann muss es Kompromisse geben, damit in der Innenstadt etwas erhalten wird und nicht in billiger Baukultur auf der grünen Wiese gebaut wird. Solche Gebäude können wir nach 30 Jahren wieder abreißen. Das zeigen alle Hochschulbauten aus den Siebzigerjahren, die kann man alle abreißen. Aber diejenigen, die vor 100 Jahren gebaut wurden, stehen heute noch und haben Substanz.

Deshalb sage ich Ihnen:Es gehört auch die Frage des Bauens im Bestand dazu. Ihr Ansatz ist mir zu außengeleitet. Mit einem derartigen Gesetz – dies ist mein letzter Satz – kann ein solches Thema nicht behandelt werden. Es gibt andere Instrumente. Das Instrument dieses Gesetzes ist falsch.

(Beifall bei der FDP und der Abg. Gottfried Milde (Griesheim) und Clemens Reif (CDU))

Das Wort hat Herr Staatsminister Dr. Rhiel.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Wagner, ich bin froh, dass Sie auf die Thematik in dieser Weise eingegangen sind und letztlich das bestätigen, worum wir gemeinsam ringen.

In der Tat habe ich eben gesagt, es geht um die Ausbalancierung von Freiheit und Verantwortung derjenigen, die als Eigentümer von Immobilien auch Verantwortung haben. Das verlangt auch das Grundgesetz.

Letztlich geht es dabei um die Frage – Sie haben eben ein Beispiel angeführt, das ich voll akzeptiere –, dass im Einzelfall immer dafür gesorgt werden muss, dass in der Innenstadt eher eine Wohnung erhalten bleibt als ein Büroraum.

Aber die Fälle, dass Eigentümer in einer Innenstadt wohnen und möglicherweise Probleme haben, einen Beitrag, der nach den Bestimmungen dieses Gesetzes ermittelt und abgeführt werden soll, zu entrichten, ist doch die Ausnahme.

(Zuruf der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Dieser Kongress war übrigens kein CDU-Kongress, sondern ging auf eine Initiative der BID-Städte zurück, und ich habe dort gesprochen.Herr Riege,ich möchte aber auf Ihre Bemerkung nicht näher eingehen, sondern mich mit der wesentlichen Frage beschäftigen.

(Zurufe von der SPD: Oh!)

Wenn Sie diese wesentliche Frage zuspitzen – ob ein Eigentümer durch Zwang verpflichtet werden kann, wenn er sich nicht freiwillig dieser Gemeinschaft anschließt –, dann ist an dieser Stelle die Grenzlinie zu ziehen.

Wir haben gesagt: Im Zweifel kann es nicht so sein, dass Immobilieneigentümer, oft auch Erbengemeinschaften, die sich nicht einigen können, sich weigern, ihren Beitrag im Sinne der Sozialverpflichtung des Eigentums zu erbringen, auf den andere Mitglieder der Gemeinschaft und die Gemeinschaft als Innenstadt selbst angewiesen sind. Ich meine, dann muss hier eine Entscheidung zugunsten der Gemeinschaft und der Verantwortung für die Gemeinschaft getroffen werden.

(Norbert Schmitt (SPD): Da stimmen wir überein!)

Das ist die eigentliche Trennlinie. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ansonsten sind wir uns in den Zielsetzungen einig.Frau Wagner,Sie haben zum Schluss noch einmal deutlich gesagt, diese Zielsetzung reicht nicht aus. Deswegen habe ich zu Beginn meines Beitrags auf die drei bereits bestehenden Instrumente und Programme hingewiesen. Gerade die Umwandlung von städtischen Brachen und Liegenschaften – wir nennen das Transformation – ist das zentrale Ziel des Programms „Stadtumbau in Hessen“, das so erfolgreich gestartet ist.

Das werden wir auch im Ausschuss diskutieren. Ich bin gerne bereit – denn ich bin ein Anhänger der Innenstädte –, mit Leidenschaft dafür Verantwortung zu tragen.

In meinem beruflichen Leben habe ich auch umgekehrt viele Investitionen für die grüne Wiese im Interesse des Handels unterschrieben. Ich weiß also sehr wohl um diese Ausbalancierung. Ich freue mich auf die Debatte im Ausschuss und darüber, dass mit diesem Gesetzentwurf ein wichtiger Startschuss zur konkreten Umsetzung von Maßnahmen gegeben ist. – Danke schön.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, hierzu liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.

Wir wollen beschließen, dass dieser Gesetzentwurf nach der ersten Lesung zur Vorbereitung der zweiten Lesung dem Ausschuss für Wirtschaft und Verkehr überwiesen wird. Widerspricht dem jemand? – Das ist nicht der Fall. Damit ist dieser Gesetzentwurf dem Ausschuss überwiesen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 39 auf:

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Korruptionsprävention – Drucks. 16/4392 –

zusammen mit Tagesordnungspunkt 32:

Entschließungsantrag der Fraktion der SPD betreffend Versagen des Innenministers Bouffier bei der Kontrolle der Haushalts- und Wirtschaftsführung des Präsidiums für Technik, Logistik und Verwaltung – Drucks. 16/4357 –

sowie Tagesordnungspunkt 37:

Entschließungsantrag der Fraktion der FDP betreffend Bericht des Hessischen Rechnungshofs zur Haushaltsund Wirtschaftsführung des Präsidiums für Technik, Logistik und Verwaltung vom 23. Juni 2005 – Drucks. 16/4389 –

und Tagesordnungspunkt 44:

Entschließungsantrag der Fraktion der CDU betreffend Innenminister Bouffier beseitigt die Missstände im Hessischen Präsidium für Technik, Logistik und Verwaltung umgehend und umfassend – Drucks. 16/4401 –

Als Redezeit sind 15 Minuten je Fraktion vereinbart. Als erstem Redner erteile ich dem Kollegen Frömmrich von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Vorkommnisse im Geschäftsbereich des Innenministers entpuppen sich immer mehr als Problem auch für das Land Hessen.Wir beschäftigen uns mit einem Korruptionsfall im Präsidium für Technik, Logistik und Verwaltung, wir beschäftigen uns mit einem Überstundenskandal im Polizeipräsidium Frankfurt, und wir beschäftigen uns mit Betrug bei der Abrechnung von Verwarngeldern; da geht es um 17.000 Straftaten im Wert von ungefähr 600.000 c.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Innenminister, es läuft doch nicht so rund, wie Sie es der Öffentlichkeit immer weismachen wollen. Genau das Gegenteil ist der Fall: Sie haben Ihren Bereich nicht im Griff, Herr Innenminister.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mittlerweile wechseln Sie sich mit Ihrem Kollegen von der Justiz in der „Bild“-Zeitung bei der Bekanntgabe von Skandalen sozusagen tagtäglich ab.

Wir wollen uns jetzt gar nicht über Stilfragen und das unterhalten, was Sie als Oppositionsabgeordnete mit Kolleginnen und Kollegen gemacht haben. Wenn wir uns daran erinnern, in welcher Form Sie Regierungsmitglieder der SPD oder der GRÜNEN in der Vergangenheit angegriffen haben, sagen wir ganz einfach: Wir werden Sie an den Ansprüchen messen, die Sie seinerzeit formuliert haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Ich möchte jetzt gar nicht in nähere Details über Stilfragen gehen; aber am gestrigen Tag ging es auch um eine Stilfrage. Da beschäftigte sich der Unterausschuss Justizvollzug mit einem Selbstmord in einer Justizvollzugsanstalt, und der Justizminister war lieber bei den Brauern und trank dort ein Bier, anstatt den Abgeordneten im Unterausschuss Rede und Antwort zu stehen. Das ist Ihr Umgang mit dem Parlament. Wir messen Sie genau an dem, was Sie seinerzeit gegenüber der Regierung von SPD und GRÜNEN formuliert haben, und wir werden auch die Stilfragen zur Sprache bringen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Es ist nicht nur so, dass sich ein Untersuchungsausschuss mit dem PTLV beschäftigen muss; jetzt sind auch noch Zustände im Präsidium für Technik, Logistik und Verwaltung zutage getreten, die einem förmlich die Haare zu Berge stehen lassen. Ich habe noch keinen Bericht des Hessischen Rechnungshofs gelesen, in dem so offen und so schonungslos über Missstände und Schlamperei berichtet worden ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Da können Sie sich auch nicht herausreden, Herr Innenminister; für diesen Bereich tragen ganz allein Sie die Verantwortung.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP):Wohin?)