Protokoll der Sitzung vom 22.09.2005

und zwar ohne Begrenzung auf 33 %. Das heißt, die Elternbeiträge können noch darüber hinausgehen.

Meine Damen und Herren, im heutigen Interview mit der „Frankfurter Rundschau“ behauptet Herr Bouffier zunächst – das ist wieder ganz typisch –: „Die Landesregierung ist kinder- und kommunalfreundlich.“

(Günter Rudolph (SPD): Das ist ein Widerspruch! – Petra Fuhrmann (SPD): Das ist schon einmal gelogen!)

Das sehe ich nicht unbedingt als Widerspruch, weil Kommunen durchaus kinderfreundlich sein können, wenn sie die richtigen Prioritäten setzen.Ich denke,das ist nicht das Hauptproblem.

Sie weisen dort zunächst auf einen richtigen Punkt hin.Sie sagen,gerade für kleinere Gemeinden und Städte von den immerhin 426 in Hessen sind die Kosten der Kindergärten der Hauptdefizitfaktor im Haushalt.

Meine Damen und Herren, das ist doch das Entscheidende, worüber wir uns hier unterhalten. Die meisten Kommunen haben tatsächlich wenig Spielraum, mehr in die Kinderbetreuung zu investieren, wenn nicht seitens des Landes zusätzliche Hilfen zur Verfügung gestellt werden. In dem Moment, wo Sie jetzt diesen Zwang auf die Kommunen ausüben, sind gerade diese kleineren Kommunen nicht mehr in der Lage, die Kosten aufzubringen. Sie sind dann gezwungen, die Eltern vermehrt zu beteiligen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie sagen dann in dem Interview weiter, die Alternative hieße: noch mehr Verschuldung. – Nein, die Alternative heißt zunächst, das Land muss mehr Geld in die Hand nehmen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Dann sagen Sie weiter – das finde ich eine besonders perfide Argumentation –, für diese Verschuldung würden unsere Kinder und Enkel, die das später abzahlen müssten, kaum Verständnis haben.

Meine Damen und Herren, sicher haben unsere Kinder und Enkel kein Verständnis für eine hohe Verschuldung. Aber sie haben auch kein Verständnis dafür, dass ihnen heute von dieser Landesregierung die Möglichkeit entzogen wird, frühzeitig Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungsangebote in Anspruch zu nehmen und damit überhaupt in die Lage versetzt zu werden, in Zukunft Schulden zurückzuzahlen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wir brauchen natürlich einen Rückgang der Verschuldung. Wir brauchen eine verantwortliche kommunalpolitische Haushaltsplanung.Aber entscheidend ist:Wir brauchen eine Kinderbetreuung, die es schafft, dass unseren Kindern für die Zukunft alles in die Hand gegeben wird, damit sie in der Lage sind, sich mit den Folgen dessen, was bisher an Politik gemacht wurde, auseinander zu setzen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, deswegen ist das, was Sie hier mit diesem Erlass machen, ein Signal in genau die falsche Richtung. Sie geben auf die Frage, ob es in Zukunft mehr Sicherheit für junge Familien geben kann, ob es mehr Sicherheit für Kinder geben kann, auf Betreuungs- und Erziehungsangebote zurückgreifen zu können, ein falsches Signal. Sie sagen: Nein, das wird auch in Zukunft nicht so sein. – Besonders auffällig ist, dass die Sozialministerin, die eigentlich für diesen Bereich zuständig ist und die sich noch gestern hierher gestellt und betont hat, wie wichtig es sei, diese Angebote zur Verfügung zur stellen, und die schon gestern keinen Plan dazu vorlegen konnte, wie sie ihr eigenes Programm in der Hessen-CDU umsetzen will, sich zu diesem Punkt kein einziges Mal geäußert hat.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Mit dem Erlass, der, wie gesagt, in der Sommerpause ohne Beteiligung der Spitzenverbände – damit es vielleicht nicht so auffällt – an die Gemeinden gegangen ist,

(Günter Rudolph (SPD): Klammheimlich!)

sind andere Bereiche ausgenommen. Wir finden es z. B. richtig und gut, dass Gebühren für Sportvereine hier ausdrücklich ausgenommen werden. Aber dann ist tatsächlich die Frage: Wenn es bei den Gebühren für die Sportvereine geht – dagegen haben wir nichts –, warum geht es dann nicht auch für diesen für die Zukunft der Kinder wesentlichen Bereich, die Kindergartengebühren?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Man kann sich über das Verfahren des Eingriffs in die kommunale Selbstverwaltung tatsächlich streiten. Aber dass Sie die eine freiwillige Leistung vor die Klammer setzen und die Kindergartengebühren ausdrücklich ausneh

men, ist ein Eingriff in die Prioritätensetzung der Kommunen, den wir aufs Schärfste kritisieren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Jürgen Walter (SPD) und Florian Rentsch (FDP))

Meine Damen und Herren, es erweist sich ein weiteres Mal, dass wir von dieser Landesregierung mit Presseerklärungen und Verlautbarungen von Familientischen und -tagen überzogen werden, die Realität und die Prioritäten dieser Landesregierung aber völlig anders aussehen. Die Realität besteht in einer Verweigerung,die Familien in ihrem Familien- und Erziehungsauftrag zu unterstützen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Auch durch die „Operation düstere Zukunft“ haben Sie die Möglichkeiten der Kommunen eingeschränkt, sich um sozial schwächere Familien intensiv zu kümmern. Es sind 30 Millionen c eingespart worden. All das sind Bereiche, wo auf der kommunalen Ebene menschennahe Leistungen angeboten werden, wo menschennahe und familiennahe Beratungsangebote und Hilfestellungen zur Verfügung gestellt werden. Hier brechen die Angebote zusammen. Da wir gerade über Kinder und Familien reden, nenne ich hier die Erziehungs- und die Familienberatungsstellen. All dies waren Bereiche, wo Sie gesagt haben: intelligent sparen. – Letztendlich haben Sie die Möglichkeiten der Kommunen, familienfreundlich zu agieren, weiter eingeschränkt.

Meine Damen und Herren, wir hatten hier gestern die Diskussion über unseren Gesetzentwurf zum massiven Ausbau der Betreuung von unter dreijährigen Kindern. Auch das ist ein Thema, das die ganze Zeit verschlafen und mit schönen Zahlen übertüncht wird. Sie haben gestern erneut fälschlicherweise behauptet, Sie würden mehr Geld ausgeben. Es ist aber so, dass der Großteil der Finanzierung über den Kommunalen Finanzausgleich und nicht durch die Landesregierung erfolgt.Wenn wir ins Detail gehen, sehen wir, dass 1999 unter Rot-Grün in Hessen noch 66,5 Millionen c für Kindergärten und für die Kleinkindbetreuung ausgegeben wurden. Unter dieser Regierung, die immer behauptet, familienfreundlich zu sein, sind es nur noch 18,8 Millionen c. Meine Damen und Herren, alle anderen Zahlen, die gestern wieder vorgelegt wurden, sind unseriös. Ein Land, das es sich leistet, nur 2,68 c pro Monat und Kind auszugeben,kann nicht sagen, dass es tatsächlich eine Priorität auf der Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern gesetzt hat.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Herr Innenminister, deswegen sollten wir noch einmal ernsthaft darüber reden, ob es im Moment tatsächlich angesagt ist, die Kommunen dazu zu zwingen, sich auf Kosten der Kinder zu sanieren, oder ob es in der jetzigen Situation mit dem allseits wiederholten Anspruch, die Bildungsangebote für Kinder auch in der Vorschule auszubauen, nicht angesagt ist, mit einem durchdachten und durchgeplanten Finanzierungskonzept in diesem Bereich zu investieren, statt ständig weiter das Signal zu geben, dass hier nichts passiert.

Meine Damen und Herren, wir brauchen ein qualitativ hochwertiges und ausreichendes Angebot an Betreuung, und zwar auch wegen des besonderen Aspektes des demographischen Wandels. Wir können es uns auf Dauer nicht leisten, dass Kinder mit 3 Jahren nicht mehr in der

Lage sind, rückwärts zu laufen, dass sie bestimmte Sozialkompetenzen nicht gelernt haben. Wir können es uns nicht mehr leisten, dass vielen Kindern in diesem Land bestimmte Angebote, familiäre Angebote, aber auch Erziehungsangebote, nicht mehr zukommen. In einer solchen Situation stellen Sie sich hin und sagen: Wir haben unsere eigenen Finanzen nicht im Griff, aber die Kommunen sollen das auf Kosten dieser Kinder tun. – Wir brauchen landespolitisch und kommunalpolitisch genau das gegenteilige Signal. Im Moment ist es so, dass die Gemeinden und das Land Hessen ungefähr 3,4 % der Mittel ihrer Haushalte in die Kinderbetreuung und die Kindererziehung investieren. Meine Damen und Herren, das ist zu wenig.Wenn wir dieses Land zukunftsfest machen wollen, wenn wir den Kindern und unserem Land eine Chance geben wollen, dann müssen wir investieren und dürfen die Kommunen nicht zwingen, sich auf Kosten der Kinder zu sanieren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Deswegen – damit möchte ich zum Schluss meiner Rede kommen – fordere ich Sie zunächst auf, diesen Erlass sofort zurückzunehmen. Zweitens fordere ich die Sozialministerin und Sie auf, ein Konzept vorzulegen, das eine realistische Umsetzung eines Betreuungs-, Erziehungs-, und Bildungsangebots für Kinder von 0 bis 6 Jahren darstellt, das für die Kommunen finanzierbar ist.Das heißt,dass Sie eine Initiative ergreifen müssen, damit Sie nicht immer weiter nur reden, reden, reden und Ihr Handeln genau in die falsche Richtung geht, sodass die Kommunen und die Eltern resignieren. Legen Sie ein Konzept vor. Sie können die Familien- und Kinderfreundlichkeit nicht immer wieder als hohle Parole ausgeben. Kommen Sie, legen Sie ein Konzept vor, wie Sie die Kommunen unterstützen wollen, wie Sie konkret ausbauen wollen, wie Sie konkret die Qualität verbessern wollen, wie Sie den Kindern in diesem Land endlich eine Chance geben, in die Zukunft zu sehen. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,der SPD und des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Vielen Dank. – Die nächste Rednerin ist Frau Kollegin Ypsilanti, SPD-Fraktion.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Ein Rennen der Landesvorsitzenden! – Günter Rudolph (SPD): Bei so einem wichtigen Thema!)

Herr Hahn, wir nehmen das Thema ernst.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Wir alle! – Gegenruf des Abg. Gerhard Bökel (SPD): Wer hat für die FDP am Anfang geredet?)

Meine Damen und Herren, Herr Minister, Ihre Leitlinie zur Konsolidierung der kommunalen Haushalte ist kommunalfeindlich, und sie ist familienfeindlich.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und Jörg-Uwe Hahn (FDP))

Sie scheinen aus den Niederlagen bei den Direktwahlen nichts gelernt zu haben. Das ist nicht unser Problem.Aber

was Sie mit dem Erlass anrichten, das werden wir Ihnen zum Problem machen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Frank Got- thardt (CDU): Umsonst versprechen und dann nicht machen! So gewinnt ihr Wahlen!)

Lassen Sie mich einen Moment ausholen. Ich möchte auf Ihren Parteitag vom letzten Jahr, im November 2004, zurückkommen, denn ich lasse es Ihnen nicht durchgehen, dass Sie das eine sagen und das andere tun.

(Gerhard Bökel (SPD): So ist es!)

Nach Ihrem Parteitag haben wir schon geglaubt, dass die CDU endlich in der familienpolitischen Gegenwart angekommen ist. Keine Vokabel war Ihnen wichtig genug. Der Ministerpräsident hat einen Paradigmenwechsel in der Familienpolitik in Aussicht gestellt. Wir haben schon gedacht: Es bewegt sich etwas. Sie haben fast revolutionäre Beschlüsse gefasst.Da steht z.B.– Herr Präsident,ich darf zitieren –: „Die Wirtschaft braucht gut ausgebildete junge Frauen, die zum Teil besser ausgebildet sind als ihre männlichen Kollegen.“ Meine Damen und Herren von der CDU, das haben Sie beschlossen.

(Norbert Schmitt (SPD): Das hat die CDU schon erkannt!)

Wir waren ganz begeistert, dass die CDU im Jahre 2004 entdeckt hat, dass Frauen arbeiten dürfen und Familien haben dürfen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Norbert Schmitt (SPD):Alle Achtung!)

Wir diskutieren das schon seit August Bebel. Wir haben uns aber gefreut, dass Sie im Jahre 2004 darüber geredet haben.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN))