Protokoll der Sitzung vom 22.09.2005

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN))

Ich sage auch nicht, dass Sie alles verstanden haben. Ich zitiere aber weiter – das hat mich auch sehr gefreut; wie gesagt, Sie haben Hoffnungen in der Bevölkerung geweckt –:

Durch eine moderne Frauen- und Familienpolitik, die durch entsprechende Infrastrukturmaßnahmen auf dem Felde der Arbeitsmarkt-, der Kultur- und Erziehungseinrichtungen sowie der Sozialpolitik ergänzt werden müssen, sollen Rahmenbedingungen geschafft werden, welche die Verwirklichung des Kinderwunsches auch bei Weiterverfolgung beruflicher Karrieren beider Elternteile ermöglichen und erleichtern.

Meine Damen und Herren, das hat uns gefallen. Leider ist der Beschluss das Papier nicht wert, auf dem er geschrieben wurde.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir wissen, dass die Realität in Hessen absolut anders aussieht. Die originären Landesmittel für die Kinderbetreuung – um die es geht, wenn landespolitisch Schwerpunkte gesetzt wurden – sind von 66 Millionen c, wie es die Kollegin von den GRÜNEN ausgeführt hat, auf 17,3 Millionen c in 2005 gekürzt worden. Meine Damen und

Herren von der CDU, das Land Bayern, das doppelt so viele Einwohnerinnen und Einwohner wie Hessen hat, zahlt 500 Millionen c und trägt damit 40 % der Kosten für die Kinderbetreuung in Bayern.

(Günter Rudolph (SPD): Sehr gut!)

Rheinland-Pfalz stellt das letzte Kindergartenjahr gebührenfrei. Das Bundesland Nordrhein-Westfalen mit ca. dreimal so vielen Einwohnerinnen und Einwohnern investiert 890 Millionen c.

(Günter Rudolph (SPD): Das sind Vorbilder!)

Hessen investiert pro Einwohner gerade 6 % davon. Sie können nicht behaupten, dass das ein Beitrag für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sei.

(Beifall bei der SPD)

Ich will nicht behaupten, dass die Familienpolitik bei Ihnen nicht vorkommt. Es ist aber nicht fair, wenn sich die Ministerin bei jeder Kommune blicken lässt, die als familienfreundlich geehrt wird. Dort sind dann auch die Sonntage Familientage. Da werden dann Sonntagsreden gehalten. Das sind teure Familientage. Da lässt sich dann auch das Kabinett blicken. Aber von montags bis samstags müssen die Eltern selber zusehen, wie sie ihre Kinder unterkriegen.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Ernsthaftigkeit eines politischen Willens zeigt sich daran, wie man mit Nachdruck das umsetzt, was man sagt. Aber Sie machen nicht nur nicht, was Sie sagen, sondern Sie machen genau das Gegenteil. Mit Ihrer Leitlinie zu den kommunalen Haushalten,veröffentlicht am Montag – also nach den Sonntagsreden –, den 22.August, sollen die Kommunen mit defizitären Haushalten gezwungen werden, die Elternbeiträge zu erhöhen. Meine Damen und Herren von der CDU, da nutzt es auch nichts, wenn Sie in ihren Antrag zum heutigen Plenum schreiben, dass das eigentlich gar nicht so gemeint ist.

Ich zitiere aus den Leitlinien:

In Kommunen mit einem anhaltenden Haushaltsdefizit ist anzustreben, auf andere Weise nicht gedeckte Kosten der Kinderbetreuungseinrichtungen durch Elternentgelte zu finanzieren.

Wer das so schreibt, den nehme ich ernst, meine Damen und Herren. Wenn die Landesregierung dies als Handhabung der kommunalen Finanzaufsicht veröffentlicht,gehe ich auch davon aus, dass die Aufsicht so handeln muss und die Kommunen dementsprechend anweisen wird. Etwas anderes kann gar nicht gemeint sein.

Jetzt sage ich Ihnen einmal, wie das in den Kommunen aussieht. Das kann man sich ja einmal in Zahlen vorstellen.Wir haben das einmal nachrechnen lassen. Meine Damen und Herren, z. B. würde sich in Rüsselsheim ein Halbtagsplatz von 92 c auf 450 c verteuern.

(Norbert Schmitt (SPD): Unglaublich!)

Stellen Sie sich das einmal vor. Ganztagsplätze würden sich von 173 c auf 850 c verteuern.850 c für einen Ganztagsplatz im Kindergarten. Wer kann sich das überhaupt noch leisten, meine Damen und Herren?

(Beifall bei der SPD)

Das ist doch die fatale Konsequenz: Je mehr die Kindergartengebühren erhöht werden, desto mehr muss sich

eine Familie überlegen, ob sie sich das leisten kann. Was ist denn die Folge davon? Wenn es sich die Familie nicht leisten kann, ist die Folge, dass ein Elternteil zu Hause bleibt. Und wer macht das? Das macht die Frau. So weit zu Ihrem modernen Familienbild.

(Beifall bei der SPD)

Sie wollen den Kommunen den schwarzen Peter in die Schuhe schieben und sagen: Ihr müsst das ja dann vor den Eltern vertreten.Ihr müsst es vor den Vätern und Müttern vertreten,wenn die Elternbeiträge erhöht werden.Sie waschen sich die Hände und sagen in aller Unschuld: Die Bürgermeister müssen es vor den Familien erklären.Aber mittlerweile haben es die Kommunen und die Landräte auch schon gemerkt. Es gibt Landräte und Kommunen aus Ihren eigenen Reihen,die sich weigern werden,diesen Beschluss umzusetzen. Dazu sage ich: Recht haben sie, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD – Norbert Schmitt (SPD): Die scheinen es nicht richtig verstanden zu haben!)

Wir sollten auch nicht vergessen, dass natürlich auch die Ausgaben der Kommunen durch den Rückzug des Landes bei der Finanzierung gewachsen sind. Meine Damen und Herren, die Kommunen erhöhen also die Elternentgelte. Damit steigt natürlich die Zahl – das muss man sich auch vor Augen halten – der Anträge auf Kostenübernahme bei den Jugendhilfeträgern. Das ist doch klar. Die Gelder belasten dann den Haushalt der jeweiligen Jugendhilfeträger, also der Städte oder der Landkreise, aber da haben Sie ja auch schon eine Lösung parat, nämlich unter Punkt neun Ihrer Leitlinie sagen Sie, dass die Kreisumlage bis zu 50 % der Obergrenze ausgeschöpft werden kann.

(Günter Rudolph (SPD): Kein Problem!)

Für die kreisangehörigen Kommunen heißt das dann,dass sie letztlich doch zahlen müssen.

(Günter Rudolph (SPD): So ist es!)

Das ist doch ein absoluter Verschiebebahnhof in der Finanzierung. Die Jugendhilfeträger zahlen also mehr. Die Kommunen zahlen mehr. Die Eltern zahlen mehr. Sie werden dem gemeinsamen Anliegen von Bund, Ländern und Gemeinden, für eine Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu sorgen,überhaupt nicht gerecht. Das, was Sie hier machen, ist ein absoluter finanzieller Verschiebebahnhof.

(Beifall bei der SPD – Frank Gotthardt (CDU): Wer bezahlt dann weniger, wenn alle mehr zahlen? – Günter Rudolph (SPD): Ganz ruhig, Gotthardt!)

Ihre Leitlinie ist weit davon entfernt, eine prekäre Situation der Kommunen, in der sie ja sind, zu beseitigen. Daran haben Sie ja auch Ihren Anteil. Im vergangenen Jahr wurden die Mittel für den Kommunalen Finanzausgleich im Dezember, als die Haushalte schon fertig waren, noch um 92 Millionen c gekürzt. Da haben Sie die Kommunen im Regen stehen lassen.

(Norbert Schmitt (SPD): So ist es! – Beifall bei der SPD)

Sie verweigern doch – das haben wir hier auch schon hundertmal diskutiert – den Kommunen auch die Betriebszuschüsse für die Kindertagesstätten, jedes Jahr 50 Millionen c.

(Beifall bei der SPD – Günter Rudolph (SPD): So ist es! – Norbert Schmitt (SPD): Genau so ist es!)

Das sind, seitdem Sie regieren, über 300 Millionen c. Die Kollegin Schulz-Asche hat es ja gesagt: Mit der „Operation düstere Zukunft“ haben Sie den Kommunen noch ein Problem vor die Füße gekippt. Dann sagen Sie unter Punkt fünf zu den freiwilligen Leistungen:

Die höchsten freiwilligen Ausgaben finden sich in den Bereichen Sozial- und Jugendhilfe. Die Aufwendungen sind in den einzelnen Kommunen sehr unterschiedlich, ohne dass hierfür eine Begründung erkennbar ist.

Meine Damen und Herren, das ist doch wirklich zynisch.

(Zurufe von der SPD: Unglaublich!)

Vielleicht kennen Sie ja die Beweggründe für die freiwilligen Leistungen nicht,aber diejenigen,die die kommunalen Haushalte aufgestellt haben, kennen sehr wohl die Gründe für die freiwilligen Leistungen.

(Beifall bei der SPD)

Ein Grund für die Erhöhung ist doch der soziale Kahlschlag, mit dem Sie über Hessen gekommen sind, und die Kommunen haben sich aufgrund ihrer kommunalen Selbstverwaltung entschieden, einen großen Teil des Kahlschlags, den Sie angerichtet haben, aufzufangen. Auch da sind doch die Kommunen für Sie eingesprungen, meine Damen und Herren. Sie wollen also die Kommunen gängeln,und dann stellen Sie sich in der „Rundschau“ hin und sagen – das habe ich heute Morgen auch gelesen –, die Kommunen müssten ihre Kindergartenbeiträge gar nicht erhöhen, sie könnten das ja durch andere Mittel decken.

(Günter Rudolph (SPD):Welche?)

Sie wissen doch, wie defizitär die Haushalte der Kommunen sind. Sollen sie ihre Friedhofsbeiträge erhöhen? Wo sind denn die Quellen für die Kommunen, meine Damen und Herren?

Ich sage Ihnen: Das ist ein absolut kommunalfeindlicher Erlass. Es ist ein familienfeindlicher Erlass. Sie werden den Ansprüchen, die wir eigentlich alle haben müssten, weil wir die Familien brauchen, weil wir Kinder brauchen, weil wir eine Chancengleichheit der Kinder brauchen und deshalb eigentlich in die Kindertagesstätten investieren müssten, in kinderfreundliche Kommunen investieren müssten, nicht gerecht. Dem schieben Sie einen Riegel vor. Meine Damen und Herren, das ist nicht hinnehmbar. Die Kommunen werden sich wehren, und Sie wären gut beraten, den Erlass je früher, desto besser zurückzunehmen.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Ypsilanti. – Das Wort hat der Kollege Reißer, CDU-Fraktion.

(Norbert Schmitt (SPD): Was sagt denn die Sozialministerin zu diesem Erlass?)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir leben in bewegten Zeiten.