Protokoll der Sitzung vom 11.10.2005

(Beifall bei der FDP)

Die Angelegenheit mit dem Ku-Klux-Klan in Butzbach ist eine sehr bedauerliche. Ich glaube aber nicht, dass sie etwas mit der Organisation des Strafvollzugs zu tun hat. Ich glaube noch nicht einmal, dass sie etwas mit der Sozialisation von Justizvollzugsbediensteten zu tun hat, sondern das hat etwas – ich sage das sehr brutal – mit den Defekten mancher Personen zu tun. Wir müssen ausschließen, soweit es geht, dass diese Personen im Justizvollzug tätig sind. Darin sind wir uns alle einig. Das ist auch die Handlung gewesen, die Sie vorgenommen haben.Aber ob man das zu 100 % ausschließen kann, weiß ich nicht. Jedenfalls geht das nicht so an. Im hessischen Justizvollzug darf das nicht passieren. Wenn es passiert ist, dann müssen die Konsequenzen unverzüglich gezogen werden, und zwar für die Personen – das ist geschehen – und möglicherweise auch bei zukünftigen Auswahlverfahren für andere Personen.

Dass der Minister dafür zuständig ist, dass es ranzige Butter in der JVA Darmstadt-Dieburg gibt, das glaube ich nicht. Ich glaube, da liegt kein Organisationsverschulden des Ministeriums vor.Auch daran waren schwarze Schafe beteiligt.Aber so etwas darf nicht immer wieder vorkommen. Frau Faeser, da haben Sie vollkommen Recht. Es muss ein System gefunden werden, das dazu führt, dass solche Vorkommnisse ausgeschlossen werden können.

Ich will in diesem Zusammenhang aber auch Folgendes sagen. Ich beziehe mich dabei auf das besondere Vorkommnis in der Justizvollzugsanstalt Wiesbaden. Es ist kein Geheimnis, dass Herr Kirchner und ich persönlich bekannt sind und dass wir eine gemeinsame fundamentale Lebenshaltung teilen. Ich habe das jetzt sehr deutlich ausgedrückt.Es tat mir schon weh,wie die Mitglieder der Opposition mit Herrn Kirchner angesichts eines Vorfalls umgegangen sind, für den er wirklich überhaupt nichts konnte. Vielmehr haben sich die Mitarbeiter seines Hauses hervorragend benommen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Die Mitarbeiter seines Hauses haben sich da hervorragend benommen.Wir konnten bei diesem Fall sehen, dass all das, von dem wir gehofft haben, dass es passieren würde, auch passiert ist. Es ist nicht immer so, dass das alles umgesetzt wird. Ich meine, die Kollegen der Opposition, die versucht haben, dieses Thema hochzuziehen, sollten doch erkennen, dass eine Skandalisierung immer nur dann funktionieren kann, wenn sie auch wirklich vorhandene Ursachen zur Grundlage hat.

Ich komme zu meiner letzten Bemerkung. Sie betrifft die Personalsituation. Wir Liberalen hegen da schon große Sorgen. Ich gehe nicht so weit, zu behaupten, dass all das, was Mitglieder des Deutschen Beamtenbunds bzw. Herr Hessler für die Vereinigung der hessischen Justizvollzugsbediensteten sagt,vollkommen richtig ist.Aber das,was er da anspricht, ist nicht okay.

Es wurde eine Vielzahl Menschen im Hinblick auf die Arbeit in der Justizvollzugsanstalt in Hünfeld ausgebildet. Das muss so sein. Denn es kann nicht sein, dass Greenhorns, also Anfänger, in der Justizvollzugsanstalt in Hünfeld das Sagen haben, dort handeln und das verantworten. Herr Minister, es ist aber auch nicht so, dass diese Personen in den anderen Justizvollzugsanstalten mitgelaufen sind. Vielmehr haben sie dort verantwortliche Positionen innegehabt. Zum Großteil werden sie ohne Ersatz abgezogen werden.

Sie sind also nicht zusätzlich dort gewesen. Sie werden im Justizvollzugsdienst dann also auf alle Fälle eine Lücke beim Personal haben. Das ist das Ergebnis Ihrer Personalplanung. Das halten wir für falsch.

Es darf nicht sein, dass wegen der Eröffnung einer Justizvollzugsanstalt möglicherweise Sicherheitslücken in anderen Justizvollzugsanstalten entstehen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, da sind Sie gefordert, zu handeln.

(Beifall bei der FDP)

Ich komme zu meiner letzten Bemerkung.Ich glaube,dass Herr Kollege Walter, den ich ansonsten das ein oder andere Mal sehr unterstütze, nicht klug gehandelt hat, als er in der Pressekonferenz den Rücktritt des Ministers gefordert hat. Es war insbesondere nicht klug, den Rücktritt im Zusammenhang mit dem sicherlich sehr bedauerlichen Vorfall zu fordern, der den Manager betraf, der in der Justizvollzugsanstalt Weiterstadt inhaftiert war. Ich kann darüber hier nicht berichten; denn ich darf es nicht. Aber ich möchte schon allen Kollegen dieses Hauses und auch den Menschen darüber hinaus den Eindruck vermitteln, den ich davon habe. Ich war darüber überrascht, in welch zeitlicher Enge sich Mitarbeiter der Justizvollzugsanstalt Weiterstadt mit diesem Inhaftierten auseinander gesetzt haben und auseinander setzen konnten.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Herr Kollege Hahn, Sie müssen zum Schluss Ihrer Rede kommen.

Herr Präsident, vielen Dank. – Wir haben es erhofft. Wir hätten aber nicht gedacht, dass dieses Netz wirklich so engmaschig ist.Aus diesem Grunde kann man wirklich in keiner Weise auch nur ansatzweise dem Minister irgendeinen Fehler unterstellen.

Herr Präsident,meine sehr verehrten Damen und Herren, alles kann man besser machen. Man kann auch den hessischen Justizvollzug besser bewältigen. Aber das, was heute geschieht, ist um Längen besser, als es zu der Zeit war, als die Regierung von Roland Koch und Ruth Wagner die Erblast im Justizvollzug von Rot-Grün übernommen hat. – Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und der Abg. Michael Bod- denberg und Alfons Gerling (CDU))

Herr Kollege Hahn, vielen Dank. – Das Wort zu einer Kurzintervention erhält Frau Kollegin Faeser.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Kollege Hahn, Sie haben gesagt, manches würden wir ähnlich sehen, und unsere Kritik sei da ähnlich. Das galt auch im Zusammenhang mit den Gegebenheiten der Justizvollzugsanstalt in Hünfeld.

Eines lasse ich mir von Ihnen aber nicht unterstellen. Das weise ich auch mit Nachdruck zurück. Wir haben zu keinem Zeitpunkt Herrn Anstaltsleiter Kirchner wegen des Vorfalls angegriffen, der in der Justizvollzugsanstalt in Wiesbaden geschehen ist. Das geschah zu keinem Zeitpunkt.

Wir haben kritisiert, dass, als es zu dem Vorfall kam, keine Bediensteten anwesend waren, die hätten einschreiten können, dass also Gefangene den Bediensteten retten mussten. Dass es an Personal mangelt, hat das Hessische Ministerium der Justiz zu verantworten und niemand anders. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank. – Das Wort hat Herr Kollege Dr. Jürgens für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

(Florian Rentsch (FDP): Andreas, denk an die Koalition im Landeswohlfahrtsverband, die platzt sonst!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Diese Landesregierung hat die Hälfte ihrer Amtszeit hinter sich.Wir haben sicherlich mit der Abgabe einer Regierungserklärung gerechnet. Wir haben allerdings damit gerechnet, dass uns die Landesregierung vielleicht einmal erklärt, was sie zum wirtschaftlichen Niedergang des Landes Hessen oder zum Anstieg der Arbeitslosenquote auf einen historischen Wert zu sagen hat, der erstmals über dem Bundesdurchschnitt liegt.

Die Hessische Landesregierung hätte sicherlich vieles zu erklären.Aber sie hat sich entschlossen, dies nicht zu tun. Vielmehr hat sie ihre Regierungserklärung zur Halbzeit dafür genutzt, dass ein angeschlagener Minister eine Rechtfertigungsrede halten kann, dessen Ansehen in der Öffentlichkeit auf den Nullpunkt gesunken ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Justizminister muss als Minister von der traurigen Gestalt etwas präsentieren, was tatsächlich nur in seiner Fantasie existiert, nämlich den modernen und sicheren hessischen Strafvollzug.

Herr Wagner, Sie haben uns hier einen Aufguss aus der Regierungserklärung des letzten Jahres präsentiert, der mit einigen Aussagen der Presseerklärungen aus diesem

Jahr angereichert war, und haben dies mit Oppositionsschelte garniert. Wirklich Neues hatten Sie zu dieser Sache nicht zu sagen.

Herr Wagner, nicht zuletzt durch die Berichterstattung in der Presse weiß im Lande Hessen inzwischen jeder, dass Sie den hessischen Strafvollzug in die Krise geführt haben.

(Lachen bei Abgeordneten der CDU und des Abg. Jörg-Uwe Hahn (FDP))

Daran kann auch Ihr realitätsfernes Eigenlob nichts ändern.

(Beifall des Abg. Frank-Peter Kaufmann (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN))

Ich verstehe Ihre Sichtweise, und weshalb Sie einige Vorfälle aus der rot-grünen Regierungszeit dramatisieren. Sie müssen das theatralisch überbewerten.Sie tun so,als wäre die damalige Landesregierung geradezu der Anstifter der Meuterei der Gefangenen in der Justizvollzugsanstalt in Kassel gewesen.Ich kann auch nachvollziehen,dass Ihnen daran gelegen ist, die Vorfälle, die es während Ihrer eigenen Regierungszeit gegeben hat, möglichst herunterzuspielen und Ihre eigene Verantwortung möglichst weit von sich zu schieben. Herr Wagner, das Problem dabei aber ist: Ihre Vergleiche nämlich, auf der einen Seite zu dramatisieren, auf der anderen Seite das aber vollkommen herunterzuspielen, haben mit der Realität so viel zu tun, wie öffentliches Schneiden der Fingernägel mit Anstand zu tun hat.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jörg-Uwe Hahn (FDP): Das war so peinlich, da haben noch nicht einmal die Genossen geklatscht!)

Man kann es doch schlicht und ergreifend nicht leugnen: Seit Ende letzten Jahres haben wir praktisch jeden Monat einen besonders schwer wiegenden Vorfall im Strafvollzug. Frau Faeser hat schon eine ganze Reihe der Vorfälle genannt. Die meisten davon habe ich mir auch aufgeschrieben. Ich will das nicht im Einzelnen wiederholen.

Hinzu kommt, dass im Dezember 2004 zwei Gefangene aus einer Justizvollzugsanstalt in Frankfurt geflohen sind. Es hat eine Bedrohungssituation durch eine Gefangene gegeben usw. Es gäbe da noch einiges anzuführen.

Wir hatten auch eine ganze Reihe Todesfälle. Damit meine ich auch natürliche Todesfälle. In Hessen werden inzwischen auch schwer kranke Gefangene weiter in Haft gehalten. Es gab eine ganze Reihe Suizide und Brandstiftungen mit und ohne Verletzungen, zum Teil sogar mit Todesfolge. Das alles sind besondere Vorkommnisse, die uns gemeldet wurden.

Herr Hahn, ich glaube nicht, dass es weiterhilft, wenn wir sagen: Das eine ist während der rot-grünen Regierungszeit geschehen, während es unter der schwarz-gelben bzw. schwarzen Regierung nicht geschehen ist. – Da könnte ich auch sagen: So einen Vorfall wie den mit der Ku-KluxKlan-Maske hat es während der rot-grünen Regierungszeit nicht gegeben. Es hat auch keinen solchen Vorfall gegeben, dass ein Gefangener zu einem Mitgefangenen in die Zelle gesperrt wird, weil er vor dem Suizid geschützt werden soll. Er wird dann aber von dem Mitgefangenen umgebracht. Das hat es während der rot-grünen Regierungszeit nicht gegeben. – Ich weiß aber nicht, wie es uns weiterhelfen soll, wenn wir sozusagen einzelne Vorfälle herausgreifen und dazu feststellen,dass es sie zu der einen oder anderen Regierungszeit gegeben hat.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Gerhard Bökel (SPD))

Wir sind uns alle darüber einig, dass solche Vorfälle im Strafvollzug immer wieder vorkommen werden. Das wird man nie zu 100 % verhindern können. Das ist vollkommen klar. Das passiert auch trotz all des großen Einsatzes, den die Vollzugsbediensteten immer wieder erbringen, den ich hier auch noch einmal loben möchte.

Das Entscheidende ist doch etwas anderes. Was kritisieren wir an diesem Justizminister? Das betrifft seine Reaktion auf die jeweiligen Vorfälle. Da hat er immer wieder ein gewisses Stereotyp gewählt. Er hat immer wieder gesagt, es handele sich dabei um bedauerliche Einzelfälle, aber wenn man sich die Statistik ansehe, erkenne man, dass alles in Ordnung sei. Natürlich ist jeder Fall ein Einzelfall. Immer sind die Ursachen, Auswirkungen und Schlussfolgerungen gesondert zu betrachten. Aber der Justizminister hat immer wieder dazu beigetragen, dass in seinen Presseerklärungen so getan wird, als sei jeder Einzelfall wirklich nur eine Nummer in der Statistik. Auch heute hat er wieder behauptet, da, statistisch gesehen, alles in Ordnung sei, sei auch der Strafvollzug in Ordnung. Aber genau darin besteht der Denkfehler.

Herr Wagner, Sie verkennen, dass, jenseits jeder Statistik, die Beteiligten jedes Einzelfalls immer zu 100 % betroffen sind. Dem Bediensteten der Justizvollzugsanstalt Wiesbaden, der mit dem Messer angegriffen wurde, hilft die Erkenntnis darüber, ob er der erste oder der mittlere Fall in einer kurzen oder langen statistischen Reihe ist, überhaupt nichts. Er ist immer als Individuum höchstpersönlich betroffen. Das ändert an den Verletzungen überhaupt nichts, die sein Körper oder seine Seele erlitten haben.

Auch den Opfern der Vergewaltigungen in den Justizvollzugsanstalten dürfte es ziemlich gleichgültig sein, ob sich mit ihrem Martyrium ein, statistisch gesehen, geringes oder hohes Risiko verwirklicht hat.

Schließlich möchte ich auch noch auf die Angehörigen der Toten zu sprechen kommen, und zwar unabhängig davon, ob die Betroffenen getötet wurden oder aus natürlichen Gründen starben. Auch den Angehörigen der Gefangenen, die zu Tode gekommen sind, ist es ziemlich gleichgültig, mit welcher Ziffer der Tod ihrer Angehörigen in der offiziellen Statistik belegt wird.

Genau da liegt der Unterschied. Es geht darum, wie ein Minister, der für den Strafvollzug die Verantwortung trägt, auf jeden Einzelfall reagiert.

(Beifall des Abg. Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Darin besteht die Kritik, die wir haben. Da hilft es nicht weiter, auf die Statistik zu verweisen.

Wir haben folgende Situation gehabt.Wir haben uns während einer Sondersitzung des Unterausschusses Justizvollzug sehr intensiv über den Ausbruch aus der Justizvollzugsanstalt in Kassel unterhalten. Zugleich hat der zuständige Justizminister an einem Empfang der Juristischen Gesellschaft zu Kassel teilgenommen.

Erst kürzlich haben wir uns sehr intensiv über den Suizid in der Justizvollzugsanstalt Frankfurt-Höchst unterhalten. Währenddessen hat der Minister schon auf einem parlamentarischen Abend der hessischen Brauer das spendierte Bier genossen.