Protokoll der Sitzung vom 12.10.2005

Die vereinbarte Redezeit für diese Tagesordnungspunkte beträgt 15 Minuten je Fraktion. Ich erteile zunächst Frau Kollegin Henzler für die Fraktion der FDP das Wort.

(Beifall bei der FDP)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir haben eben sehr emotionale und gegensätzliche Reden gehört. Ich will deshalb doch einmal festhalten, dass es auch Themen gibt, bei denen Gemeinsamkeiten bestehen. Das ist zumindest vom Grundsatz her so. Diese Gemeinsamkeiten betreffen den weiter einzuschlagenden Weg. Außerdem haben diese Gemeinsamkeiten sehr viele Veränderungen im Bewusstsein der Bevölkerung und im Bewusstsein der Politik erbracht.

Als ich 1985 in Oberursel als Stadtverordnete anfing, begann die Diskussion über einen Kindertagessstättenentwicklungsplan. Der Kommentar des damaligen Sozialdezernenten lautete so – Herr Staatssekretär Krämer kennt ihn sehr gut, später war es nämlich sein Kämmerer –: Er wolle doch einmal anmerken, dass es in Oberursel noch Mütter gebe, die ihren Kindern ein Mittagessen kochen könnten, deshalb bräuchte man in Oberursel keinen Kindertagesstättenentwicklungsplan.

Die Kommentierung des Sozialdezernenten der Nachbarstadt Bad Homburg war wie folgt: Soll ich die Kindergärten bauen, damit die Mütter morgens auf den Tennisplatz gehen können?

So verlief die Diskussion 1985.Das ist inzwischen 20 Jahre her. Trotz allem will ich bemerken, dass sich in diesen 20

Jahren in den Köpfen der Bevölkerung und auch in der politischen Meinung eine wirklich deutlich spürbare Veränderung zum Thema Kinderbetreuung und Kindertagesstätten ergeben hat.

(Beifall bei der FDP – Nicola Beer (FDP): Gott sei Dank!)

„Gott sei Dank“ ist das so, das kann man wohl sagen.

Mittlerweile hat sich die Erkenntnis durchgesetzt,dass Eltern Familie und Beruf vereinbaren wollen und auch müssen. Das beginnt damit, dass Frauen heute berufstätig und gut ausgebildet sind. Sie ergreifen einen Beruf. Dann erhebt sich natürlich die Frage,was Mann und Frau machen: Entscheiden sie sich für oder gegen ein Kind? Entscheiden sie sich für oder gegen den Beruf? Wenn Sie die Betroffenen wirklich fragen, können Sie feststellen, dass sie im Grunde genommen beides wollen. Sie möchten einen Beruf haben. Sie möchten aber auch eine Familie haben.

Inzwischen hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass es, volkswirtschaftlich gesehen, unsinnig ist, gut ausgebildete Frauen an den Herd zu schicken. Wenn Sie mit Personen aus den Firmenleitungen sprechen, werden Sie feststellen, dass die Ihnen sagen: Wir haben Frauen, die in ihrem Beruf top sind.Wenn die in den Mutterschutz gehen und wir sie durch eine neue Person ersetzen müssten,die wir komplett neu aufbauen müssten, dann würde uns das unendlich viel mehr Geld kosten, als wenn wir ihnen während der Zeit des Mutterschutzes die Gelegenheit bieten, sich weiter- und fortzubilden, und ihnen hinterher jegliche Möglichkeit der Teilzeitarbeit bzw. der Flexibilisierung der Arbeitszeit anbieten.

In vielen Firmen hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass die Eltern sehr viel ruhiger und produktiver arbeiten, wenn sie wissen, dass ihre Kinder gut aufgehoben sind, und wenn sie wissen, dass es auch Maßnahmen für den Notfall gibt, also etwa für den Fall, dass ein Kind einmal krank wird. Es beruhigt sie, wenn sie wissen, dass ihnen dann die Arbeitgeberseite entgegenkommt.

(Beifall bei der FDP)

Außerdem hat sich auch die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Erziehung und die Sozialisierung der Kinder sehr viel besser und einfacher erfolgen kann, wenn sie möglichst früh mit anderen Kindern zusammenkommen und damit aus der Königsrolle der so genannten Einlinge herauskommen. Denn heute gibt es überwiegend die Einkindfamilie.

Viele dieser Erkenntnisse hat schon die in der Legislaturperiode von 1995 bis 1999 tagende Enquetekommission „Familienfreundliches Hessen“ des Hessischen Landtags zusammengetragen und in ihren Bericht hineingeschrieben. Ich habe die Diskussion über die Kinderbetreuungseinrichtungen verfolgt und kann deshalb sagen: Vieles, was diese Enquetekommission damals gesagt hat, findet sich jetzt in dem wieder, was die Politik umsetzt.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Seit Veröffentlichung der Ergebnisse der PISA-Studie hat die Kindertagesbetreuung eine Doppelfunktion. Wir sind uns alle darüber einig, dass man seit Veröffentlichung der Ergebnisse der PISA-Studie der Auffassung sein muss, dass in der Kindertagesstätte die Aufgabe der Betreuung von dem Bildungsauftrag nicht mehr getrennt werden kann.

Das wird auch durch die Hirnforschung belegt. Zum Beispiel gibt es die Aussage, dass, wenn man eine Fremdspra

che bis zum fünften Lebensjahr lernt, sie in der gleichen Hirnhälfte erlernt wird, in der man auch die Muttersprache lernt. Deshalb muss die Fremdsprache in diesem Fall im Gehirn nicht übersetzt werden. Deshalb spricht man eine Fremdsprache, wenn man sie bis zum fünften Lebensjahr gleichzeitig lernt, so gut wie die Muttersprache.

(Beifall bei der FDP)

Bei der Diskussion über die Kindertagesstätten können deshalb die Aspekte Bildung und Betreuung sowie die Kosten der Bildung und der Betreuung nicht mehr gesondert diskutiert werden. Das kann man nur noch gemeinsam besprechen.

Über den Kindergarten wurde in Hessen in letzter Zeit unter Bezugnahme auf diese drei Aspekte sehr kontrovers diskutiert. Ausschlaggebend hierfür war zum einen das Grundsatzurteil des Verwaltungsgerichtshofs in Kassel zur Finanzierung der Betriebskostenzuschüsse. Auf manche Gemeinden werden dadurch etliche zusätzliche Kosten zukommen, falls das wirklich umgesetzt werden sollte. Dann gab es die Leitlinie des Innenministers zur Konsolidierung der kommunalen Haushalte. Sie ist zum Glück zurückgezogen worden. Denn sie hat auch eine für uns nicht tragbare Regelung hinsichtlich der Elternentgelte enthalten.

Kindergartenplätze und ein gutes Angebot an Betreuungseinrichtungen sind für die Städte und die Kreise ein Standortfaktor. Den sollte man insbesondere auch mit Blick auf die demographische Entwicklung bei weitem nicht unterschätzen.

(Beifall bei der FDP)

Die Einführung des Bildungs- und Erziehungsplans für Kinder von 0 bis 10 Jahren, der jetzt in die Erprobungsphase geht, ist ein weiterer guter Schritt in die richtige Richtung. Denn zum ersten Mal gibt es eine Leitlinie für die Betreuung und Bildung der Kinder von Geburt an.

Begonnen hat die ganze Debatte über die Gebühren für die Nutzung der Kindergärten im Jahre 2001, und zwar mit einer Rede, die Dr. Wolfgang Gerhardt auf dem Bundesparteitag der FDP in Düsseldorf gehalten hat.

(Beifall bei der FDP)

Weit vorausdenkend – das macht er immer so – hat er damals die Frage gestellt: Warum müssen Eltern in der Anfangsphase, also in der Phase, in der die Kinder noch klein und die Eltern ohnehin finanziell sehr stark belastet sind, für die Bildung ihrer Kinder relativ viel Geld bezahlen, während die Kinder später, wenn sie eigentlich erwachsen sind – sie sind dann schon volljährig und studieren –, kostenlos studieren dürfen? Durch diese Provokation – das war schon ein bisschen provokativ – wurde eine Diskussion angestoßen. Sie kam damit ins Rollen. Heute beschäftigen wir uns deshalb mit den Gebühren für die Kindertagesstätten.

Der Wunsch der Entlastung der Eltern einerseits und die Aufgabe, alle Kinder an elementare Bildung heranzuführen und das Sozialverhalten und die kognitiven Fähigkeiten zu fördern, würden am besten durch das Modell der Kinderschule der FDP erfüllt. Ich will den Begriff noch einmal erklären. Ich konnte nach Lesen des Antrags der GRÜNEN erkennen, dass das Modell anscheinend immer noch nicht ganz richtig verstanden wird, obwohl wir es vor zwei Jahren vorgestellt haben.

(Zuruf)

Der Begriff wurde gewählt, weil er zeigt, dass wir die Verknüpfung von Kindergarten und Schule wollen. Dies soll wirklich ein Bindeglied in der Ausbildung der Kinder und zur Vorbereitung auf die Schule sein. Es soll sich dabei um ein für alle Fünfjährigen verpflichtendes Jahr handeln.Am Beginn dieses Jahres muss zunächst eine ausgiebige Diagnose der Stärken und Schwächen jedes Kindes stehen.

(Beifall der Abg. Nicola Beer (FDP))

Durch ein auf das jeweilige Kind abgestimmtes Gesamtkonzept mit spielerischem Lernen, musischen und künstlerischen Aktivitäten, Lernen im naturwissenschaftlichen Bereich sowie mit Bewegung und Gesundheitserziehung sollen die kognitiven, sozialen und motorischen Fähigkeiten der Kinder gefördert werden. Damit soll die Grundlage für die spätere Freude am Lernen gelegt werden.

(Beifall bei der FDP)

Die GRÜNEN kritisieren das in ihrem Dringlichen Antrag. Darin wird nämlich ausgesagt, das sei eine einseitige Vorbereitung auf die Schule. Das ist es natürlich nicht. Vielmehr werden die Begabungen spielerisch ausgebildet werden. Fehlende Fähigkeiten sollen in einem Aufholprozess erworben werden. Natürlich soll es letzten Endes auch auf die Schule vorbereiten und die Startchancen verbessern.

Das ist ab dem fünften Lebensjahr nicht zu früh. Ich weiß: Viele stoßen sich daran, dass dann ab dem fünften Lebensjahr eine Art Schulpflicht bestehen würde. – Sie sollten sich aber einmal in unseren Nachbarländern umschauen: Da gehen die Kinder selbstverständlich ab dem dritten Lebensjahr in vorschulische Einrichtungen, manchmal geschieht dies verpflichtend auch ab dem vierten oder fünften Lebensjahr.

(Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Warum macht man das dann nicht ab dem dritten Lebensjahr?)

In Frankreich sind die Kinder in der Ecole maternelle ab dem zweiten Lebensjahr. Das ist freiwillig. Aber im Grunde genommen besuchen fast alle Kinder die Ecole maternelle.

Durch individuelle Förderung sollen Defizite ausgeglichen und Begabungen speziell gefördert werden.

Bei der Kinderschule handelt es sich um ein pädagogisches Konzept. Räumlich kann sie an eine Kindertagesstätte oder an eine Grundschule angebunden sein. Das kann je nachdem erfolgen, wo sich aufgrund der Bevölkerungsentwicklung freie Räume ergeben.

Die Kinderschule soll mit Erzieherinnen, Sozialpädagogen und Grundschulpädagogen besetzt werden. Außerdem muss sie ein eigenes pädagogisches Konzept haben. Hierzu könnte man sicherlich sehr viel von den Eingangsstufen lernen, die im Grunde genommen auch mit Kindern ab dem fünften Lebensjahr beginnen.

Die Kinderschule weist eindeutige Vorteile auf. Sie ermöglicht eine finanzielle Entlastung der Eltern. Außerdem ermöglicht sie eine individuell abgestufte vorschulische Bildung aller Kinder.

(Beifall bei der FDP)

Da alle Kinder erfasst würden, würden sie alle auch die gleichen Startbedingungen haben. Das wäre wirkliche Chancengleichheit. Nachher werden wir wieder über ei

nen Gesetzentwurf reden, bei dem es um Chancengleichheit gehen soll.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Die verpflichtende Kinderschule ist natürlich eine Schule und damit eine Angelegenheit des Staates. Sie fällt damit in die Zuständigkeit des Landes. Allerdings fordern wir weitergehend, dass, je mehr die Kindertagesstätten zu Bildungseinrichtungen werden, sie in Zukunft auch in die Zuständigkeit des Kultusministeriums überführt werden sollen.

Die Kinderschule kann durchaus finanziert werden. Denn mit ihr würden die Vorschulklassen überflüssig. Die Eingangsstufen könnten aufgelöst werden. Außerdem würde auch der flexible Eingang, der zusätzlich Personal bindet, mit der Einführung der Kinderschule entfallen.

Die Kommunen und die freien Träger würden für einen ganzen Jahrgang die Betreuungskosten in den Kindergärten sparen.

Die Kinderschule stellt also das Königsmodell dar. Unabhängig davon ist aber auch eine Weiterentwicklung der Kindertagesstätten notwendig. Wegen der demographischen Entwicklung – wir haben weniger Kinder – ist eine Öffnung der Kindertagesstätten für jüngere Kinder, also solche ab dem zweiten Lebensjahr, sinnvoll. Die Räume gibt es. Das Personal ist vorhanden. In vielen Kommunen wird das bereits gemacht. Auch eine Öffnung dieser Einrichtungen für die Schulkinder am Nachmittag wird mittlerweile durchgeführt, wenn sich dort nicht mehr so viele Kindergartenkinder in den Räumen aufhalten.

Dazu bedarf es in den Kindertagesstätten aber eines besseren und weiter gehenden Personalmixes. In diesem Zusammenhang müssen wir durchaus noch einmal über die Mindeststandards und die für den Kindergarten zugelassenen Personalkapazitäten reden. Kinderkrankenschwestern, Kinderpfleger oder auch Grundschullehrerinnen gehören dort mit hin, die zusätzlich die Vorbereitung auf die Grundschule übernehmen könnten.