Meine Damen und Herren, wenn wir uns anschauen, wie die Versorgungslage bei der Betreuung von sechs- bis zwölfjährigen Kindern überhaupt aussieht, dann sehen wir,dass wir für diese Altersgruppe eine Betreuungsquote von ungefähr 7 % haben. Experten schätzen den Bedarf auf rund 40 %. Da sehen Sie, wie weit wir tatsächlich davon entfernt sind, hier ein bedarfsdeckendes Angebot zu haben.
Diese Landesregierung, die sich dafür bejubeln lässt, für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu sorgen,nimmt nicht zur Kenntnis, das 66 % aller Mütter, deren jüngstes Kind in die Grundschule geht, erwerbstätig sind – und wir haben für Hortkinder eine Versorgungsquote von 7 %. Wir werden in diesem Herbst die Situation haben, dass viele Kinder, die in diesem Jahr vom Kindergarten in die Schule wechseln,mit großer Wahrscheinlichkeit keine Betreuungsplätze mehr erhalten werden. Das ist ein erneutes Signal dieser Landesregierung an junge Eltern und – das lassen Sie mich dazusagen – auch an potenzielle junge Eltern. In Hessen ist eine langfristige Planung von Familien- und Berufsleben nicht möglich.
Meine Damen und Herren, nicht nur der Hortplatzmangel ist eklatant, sondern auch in den Schulen selbst fehlen verlässliche Angebote. Von den 1.187 Grundschulen gelten 87 % als so genannte verlässliche Halbtagsschulen. Worüber reden wir da überhaupt? Für die Erst- und Zweitklässler bedeutet dies eine Betreuung von vier Stunden und für die dritte und vierte Klasse eine Betreuung von fünf Zeitstunden. Dazu kommt noch der inzwischen übliche Unterrichtsausfall, den wir in allen Schulen zu beklagen haben. – Von verlässlicher Halbtagsschule ist hier nicht zu reden. Diese Landesregierung ist kein verlässlicher Partner für die Eltern in Hessen.
In Hessen haben wir nur sechs Ganztagsgrundschulen. Das heißt, an vier Nachmittagen gibt es dort eine Betreuung bis 17 Uhr und am Freitag bis 14 Uhr.Wir haben weitere 58 Grundschulen,die an drei Tagen in der Woche eine so genannte pädagogische Mittagsbetreuung anbieten, d. h. bis 14.30 Uhr. Das bedeutet für die angebliche Vereinbarkeit von Familie und Beruf, dass es nur an 5 % der Grundschulen in Hessen eine nachmittägliche Betreuung gibt und an den meisten nur an drei Tagen in der Woche. Das ist kein verlässliches Angebot für die Eltern.
Meine Damen und Herren, diese Landesregierung fördert Betreuungsangebote in Grundschulen mit 5.000 c pro Jahr und Grundschule im Rahmen des Kommunalen Finanzausgleichs.Aber diese Förderung ist für erwerbstätige Eltern zu wenig. Außerdem findet in den Schulen – übrigens im Gegensatz zum Hortbereich – keine verlässliche und garantierte Betreuung in der Ferienzeit statt. Damit wird erneut deutlich: Diese Landesregierung ist kein verlässlicher Partner für Eltern in Hessen.
Lassen Sie mich zusammenfassen: Es fehlt in Hessen ein verlässliches und qualitätsorientiertes Angebot an Betreuungsplätzen für Hortkinder. Wir haben zu wenige Hortplätze, und wir haben zu wenige Angebote an Schulen. In dieser Situation kommt diese Landesregierung, die angeblich auf dem Weg zum Familienland Nummer eins ist, und sagt: Schluss mit der Förderung von Hortplätzen, alles für die Kleinkinder.
Meine Damen und Herren, wir haben ausdrücklich mehrfach darauf hingewiesen, und auch der Sinn des Tagesbetreuungsausbaugesetzes war:Wir brauchen ganz dringend einen Ausbau von Angeboten für die Kleinkinder, aber das darf nicht auf Kosten anderer Altersgruppen geschehen. – Aber das ist genau das, was die Landesregierung in diesem Lande macht.
Der Kollege Reißer von der CDU hat uns GRÜNEN in einer Presseerklärung vorgeworfen, wir forderten eine Förderung nach dem Gießkannenprinzip. – Kinder sind doch kein Kunstrasen, bei dem man entscheidet, auf welche Ecke man beliebig Wasser gießt. Kinder werden geboren, und sie werden älter. Eltern gehen aus der Erwerbstätigkeit heraus und gehen wieder zurück. Sie entscheiden sich doch nicht danach, nach welchen Kriterien die Landesregierung entscheidet, wo sie Geld hintut.Vielmehr brauchen Eltern eine verlässliche Planung.Sie brauchen verlässliche Angebote, von klein an, bis die Kinder keine Betreuung mehr brauchen. Dafür muss eine Landesregierung sorgen,und genau das Gegenteil machen Sie hier im Moment.
Ein ganz wesentliches Moment der Hortplätze und der Ganztagsbetreuung ist neben den pädagogischen Ansätzen die Möglichkeit, Eltern, gerade Müttern, einen Wiedereinstieg in den Beruf zu ermöglichen. Stattdessen produziert die Landesregierung gerade in diesem Bereich eine neue Mangelsituation. Früher haben wir diese Kinder Schlüsselkinder genannt. Heute ist es vielleicht etwas moderner, wenn man von der Generation Mikrowelle spricht, die nach Hause kommt und das Essen in die Mikrowelle schiebt. – Diesen Mangel an Betreuung produziert die Landesregierung mit ihrem Erlass in der aktuellen Situation.
Deswegen wird es Zeit, dass Sie endlich die Lebensrealität von modernen Familien zur Kenntnis nehmen und eine Förderung von Betreuungsplätzen für Kinder aller
Altersgruppen vornehmen. Im Moment haben wir hier keine verlässliche Familienpolitik.Wir brauchen eine gute Bildung für Kinder, und das ist nicht zum Nulltarif zu haben. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, und ihr muss man sich endlich stellen. Man muss einfach mehr Geld in die Hand nehmen.
Uns wird hier vorgespiegelt,man sei auf dem Weg zum Familienland Nummer eins. Genau das Gegenteil ist passiert. Im Jahre 2000 hat die Landesregierung die Landesmittel für die Kinderbetreuung radikal gekürzt, und zwar von 59 auf 2 Millionen c. Seitdem wird tatsächlich jedes Jahr ein bisschen obendrauf gelegt. Inzwischen sind wir bei 23 Millionen c im Jahre 2006. Aber das ist ungefähr die Hälfte dessen, was 1999 für die Kinderbetreuung in Hessen ausgegeben wurde.
Sie haben beim Tagesbetreuungsausbaugesetz, bei dem es um die Betreuung der unter Dreijährigen geht, zunächst Gift und Galle gespuckt und dann im Bundesrat blockiert, bis jetzt die neue Familienministerin,die aus Ihren Reihen kommt, beschlossen hat, dieses Gesetz weiterzuführen – und das ist gut so.
Kleinkinderbetreuung ist in der CDU glücklicherweise in den Mainstream – wenn mein Kollege Al-Wazir mir das Wort erlaubt – gekommen. Damit ist aber deutlich geworden, dass man die Förderprinzipien im Lande Hessen für die Betreuungsangebote genauer unter die Lupe nehmen muss. Dabei wird deutlich, dass die Offensive für Kinderbetreuung in der Vergangenheit eben nicht, wie die Landesregierung ständig behauptet, ein Förderangebot zur Betreuung von Kleinkindern war, sondern dass die meisten Mittel in die Schulkinderbetreuung gingen, weil dort die massivste Nachfrage geherrscht hat. Die Offensive für Kinderbetreuung hat durchschnittlich 550 Krippenplätze gefördert, aber in einer Situation, in der für die unter Dreijährigen ungefähr 23.000 Plätze fehlen.
Die Maßnahmen und Initiativen,die in diesem Hause vorgeschlagen wurden, nämlich hier massiv zu investieren, sind abgelehnt worden. Die Mittel für die Offensive sind überhaupt die einzigen Landesmittel, die von der Landesregierung zur Verfügung gestellt werden. Mit diesen Landesmitteln wird zurzeit zu rund 70 % der Ausbau von Hortplätzen und Teilzeitangeboten für Schüler finanziert. Von den Finanzmitteln im Jahre 2005 sind 2 Millionen c in die Krippenfinanzierung, ohne Bestandsschutz, und 6,6 Millionen c in den Ausbau von Hort- und Schülerbetreuung gegangen.
Meine Damen und Herren, seit der Umbenennung des Programms im Jahre 2001 sind rund 2.200 Krippenplätze, aber 6.300 Hortplätze gefördert worden. Wie gesagt, wir sind im Moment bei einer Betreuungsquote von 7 %, und das zeigt, wie groß die Nachfrage gerade bei Eltern ist, deren Kinder in die Schule kommen. Die Nachfrage nach Hortplätzen ist nach wie vor massiv.Wir brauchen sozusagen eine Doppelfinanzierung, nämlich zusätzliche Mittel für die Kleinkinderbetreuung und Beibehaltung der Mittel für die Grundschulbetreuung.
Ich weiß nicht, wie oft ich hier vorne gestanden habe und auf diesen Widerspruch hingewiesen habe, dass die Landesregierung behauptet, die Offensive sei eine Kleinkinderfördermaßnahme, wobei in Wirklichkeit hauptsächlich Hortplätze gefördert wurden. – Meine Damen und Herren, eine gute Betreuung, eine gute Qualität ist nicht zum Nulltarif zu haben.Wir müssen endlich eine gesellschaftliche Entscheidung fällen, wo wir investieren wollen. Ich sage Ihnen: Dann fällt die Entscheidung, ob wir ein Schloss kaufen oder ob wir in die Bildung investieren.Wir wissen, wie diese Landesregierung, wie die CDU sich entschieden hat. Man hat ein Schloss gekauft, und hier werden Mittel von einer Gruppe von Kindern, bei denen ein Mangel an Betreuung herrscht, umverteilt zu einer anderen Gruppe von Kindern, bei denen ein Mangel herrscht, statt zu sagen:Wir investieren als Land in die Zukunft der Kinder und werden ein verlässlicher Partner für die Eltern.
Wir haben Ihnen übrigens mehrfach solche Konzepte vorgelegt. Unsere letzten Haushaltsanträge sahen eine solide Finanzierung der Betreuungsangebote für alle Altersgruppen, den schrittweisen Ausbau, um die Mangelsituation zu beheben, und genaue Überlegungen vor, mit welchen Qualitätsmaßnahmen wir dafür sorgen können, dass ein altersgerechtes Bildungsangebot vorgelegt werden kann. Alle diese Anträge sind von Ihnen abgelehnt worden. Jetzt kommt dieser Erlass obendrauf, der zeigt, dass Sie nicht bereit sind, ein Gesamtkonzept für die Betreuung und Bildung der Altersgruppe von sechs bis zwölf Jahren vorzulegen.
Es ist zum Teil erfreulich, dass Sie sich langsam von dem Bild der berufstätigen Frau als Rabenmutter entfernen, dass langsam auch bei Ihnen die positiven Effekte frühkindlicher Bildung gesehen werden.Aber die Kleinkinder gegen die Hortkinder auszuspielen zeigt erneut: Diese Landesregierung ist kein verlässlicher Partner für Eltern.
Wir bräuchten stattdessen einen Ausbau der Hortbetreuung in der aktuellen Situation. Dann sollte man, wie es viele Gemeinden und Städte schon tun, versuchen, die Hortangebote mit den Schulangeboten zusammenzuführen, um tatsächlich zu einem Bildungsangebot zu kommen, das auf die individuellen Bedürfnisse von Schülerinnen und Schülern eingehen kann und das uns von den letzten Plätzen bei der PISA-Studie wegholen kann. Das verstehe ich unter einer verlässlichen Politik für Betreuung und Bildung im Hortbereich und im Grundschulbereich. Davon sind Sie weit entfernt.
Ich möchte einmal kurz die Kette solcher Entscheidungen, die die Landesregierung fällt, erwähnen. Mit dem Bouffier-Erlass vom letzten Jahr wurde versucht, von defizitären Kommunen kostendeckende Elternbeiträge zu verlangen. Er wurde übrigens von der Sozialministerin unterstützt und konnte nur dank der Opposition in diesem Hause gestoppt werden. Auch das war ein Signal für die Eltern in diesem Land, dass sie sich auf eine verlässliche Politik in Bezug auf Familien- und Kinderförderung bei dieser Landesregierung nicht verlassen können.
Werfen wir einen Blick zurück in den Kommunalwahlkampf, in dem sich alle überboten haben, die Elternbeiträge abzuschaffen. Da wurde über keinen einzigen Platz mehr gesprochen, über keine einzige Qualitätsverbesserung, über keine einzige zusätzliche Erzieherin, über kein einziges zusätzliches Betreuungsangebot. Ich bin wirklich froh, dass der Wahlkampf vorbei ist, damit wir endlich wieder zur Sachpolitik zurückkommen.
Deswegen fordern wir die Landesregierung ganz massiv auf, die Anhörung im Ausschuss zur Kinderbetreuung abzuwarten, die Streichung der Landeszuschüsse für den Hortbereich zurückzunehmen und stattdessen dafür zu sorgen, gute Betreuungs- und Bildungsangebote für Kinder aller Altersgruppen sicherzustellen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Väter und Mütter endlich zur Realität werden zu lassen.
Handeln statt Reden ist angesagt. Es wird Zeit, dass Sie nicht ständig anders handeln, als Sie reden. Genau das tun Sie nämlich. Sie sind kein verlässlicher Partner der Eltern und der Kinder in Hessen.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Schulz-Asche, Sie haben – wie ich finde, zu Recht – in Ihrer Rede gerade darauf hingewiesen,dass die Familienpolitik von allen Parteien im Wahlkampf zwar sehr stark in den Vordergrund gestellt worden ist und wir alle versucht haben, dieses Thema zu positionieren, um zu zeigen, dass wir es für wichtig halten, dass aber nach der Wahl gefragt werden muss, was dabei „hinten herausgekommen“ ist.
Man kann jetzt noch keine Ergebnisse ablesen. Man wird jetzt noch nicht prüfen können, ob die kommunalen Vertreter ihre Versprechen vor Ort umgesetzt haben. Das wird man in den nächsten Monaten sehen. Eines ist für mich aber klar:Wir werden als Politiker an dem gemessen werden, was wir in diesem Bereich auf den Weg bringen.
Klar ist auch, dass wir überall gefordert sind und gefragt werden:Was hat die Politik in den letzten Jahren und Jahrzehnten in der Familienpolitik gemacht? Wir werden gefragt: Könnt ihr das, was ihr plakatiert habt, was ihr in Wahlversammlungen den Menschen angekündigt habt, auch umsetzen?
Rückblickend muss man wohl sagen, dass die Familienpolitik nie eine sehr große Lobby in diesem Land hatte. Das bedauere ich. Wir müssen jetzt die Wahlversprechen einlösen,die wir den Leuten mit auf den Weg gegeben haben. Meine Damen und Herren, da habe ich aber große Bedenken.Wenn ich mir anschaue, was in den letzten Monaten auf Bundesebene passiert ist, wenn ich mir anschaue, was die neue Familienministerin, Frau von der Leyen, die mittlerweile quasi der Prototyp für eine ordentliche Familienpolitik in Deutschland ist, umgesetzt hat, dann muss ich sagen:Das ist relativ wenig.Sie ist mit sehr großen Versprechungen gestartet. Sie hat sich in Interviews dazu ge
äußert, wie man das Familienleben organisieren kann, wie man als berufstätige Frau seinen Tagesablauf organisieren sollte. Ich weiß nicht, ob Sie, meine Damen und Herren, in den letzten Monaten noch etwas von Frau von der Leyen gehört haben. Ich habe jedenfalls kaum noch etwas von ihr gelesen.
Wir müssen aufpassen, dass das Thema Familienpolitik nicht immer nur dann kurz aufflackert, wenn Wahlkampf ist, und danach wieder in der Versenkung verschwindet. Ich möchte mit Ihnen gemeinsam dafür kämpfen – auch die Frau Ministerin ist hier an unserer Seite –, dass wir dieses Thema als eine der wichtigsten Fragestellungen, als eine der Herkulesaufgaben, die wir in den nächsten Jahren zu bewältigen haben, auf die Tagesordnung nehmen.
Das Thema Familienpolitik betrifft nicht nur die Kinderbetreuung, wo die Familien direkt betroffen sind, sondern es gibt auch viele Querschnittsbereiche, in denen die Familienpolitik mittlerweile eine große Rolle spielt. Wir müssen zunächst einmal aufgrund der demographischen Entwicklung die Kinderbetreuung ganz anders gestalten. Die Familienpolitik ist für alle anderen Politikfelder wichtig. Sie ist für die Wirtschaftspolitik genauso wichtig wie für den Bildungssektor. Deshalb sind wir der festen Überzeugung, dass die Familienpolitik das zentrale Thema schlechthin sein wird, und deshalb hat die Frau Ministerin unsere Unterstützung, wenn es darum geht, in diesem Land etwas auf die Beine zu stellen, damit sich die Situation verändert.
Die Landesregierung hat hier in den letzten Jahren viel Geld in die Hand genommen. Wir können darüber streiten, ob es genug oder zu wenig Geld war.