Protokoll der Sitzung vom 09.04.2008

(Norbert Schmitt (SPD): Das war knapp an der Wahrheit vorbei! Es gibt gar keinen Markt, das wissen Sie auch!)

Wenn Sie prinzipiell der Auffassung sind, dass es durchgeführt werden kann, werden wir es tun. Aber wir werden am Ende nicht 10 Millionen c Steuergelder für ein Verfahren ausgeben, das eine Landtagsmehrheit prinzipiell nicht haben will. Nur an dieser Frage hängen 400 Millionen c des Ausgleichs im Haushalt, und der Landtag muss sagen, wie er es in Zukunft haben will.

Wir werden auch, heute Nachmittag beginnend, über die Frage der Tarifgemeinschaft der Länder sprechen. Wenn der Hessische Landtag durchsetzen will – dazu braucht es einen Haushaltsplan –, dass die Tarifgemeinschaft der Länder als Standard der Finanzierung gilt, unabhängig von der Mitgliedschaft, und wenn Sie sehen, was inzwischen im Bund und in den Kommunen für das nächste Jahr verabredet worden ist, reden Sie über zusätzliche strukturelle Mehrausgaben in diesem Land, die die halbe Milliarde deutlich übersteigen. Es sind mehr als 500 Millionen c; mit dem, was jetzt im Bund und in den Kommunen vereinbart worden ist, ist es deutlich mehr, dann sind wir bei einer Dreiviertelmilliarde. Wenn Sie das zur Kenntnis nehmen, ist es unmöglich, das über einen Landtagsbeschluss durchzuführen, der nicht zu einem Nachtragshaushalt oder einem Haushalt des Jahres 2009 in angemessenem Verhältnis steht – unter dem Gesichtspunkt der Verschuldung, wie er beschrieben worden ist.

Meine Damen und Herren, das zeigt bei allen politischen Grundsatzfragen, die ich angesprochen habe: Diese Landesregierung wird darauf achten, dass der mittelfristige

Finanzplan, den der Hessische Landtag bisher beschlossen hat, die Grundlage auch der künftigen Finanzpolitik ist, weil er ermöglicht, dass wir im Jahr 2011 zu einem ausgeglichenen Haushaltsplan kommen – bei Fortführung der jetzigen Annahmen, aber nur unter Anstrengungen und bei Realisierung der globalen Minderausgaben und aller Elemente, die in dem Vorschlag drin sind, für die die Landesregierung Verantwortung trägt.

(Reinhard Kahl (SPD): 750 Millionen c Defizit!)

Wer glaubt, das Land könne mehr bezahlen, muss entweder über mehr Schulden sprechen oder bereit sein, zu benennen, an welcher Stelle er signifikante Einsparungen vornehmen will. Das gehört dazu.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Florian Rentsch (FDP))

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wollen in den kommenden Wochen und Monaten gemeinsam mit Ihnen einen Weg suchen,wie wir diese Situation,die wir in unserem Bundesland jetzt miteinander zu betrachten haben, gemeinsam zu einem Guten für die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes gestalten können. Das wird keine einfache Herausforderung werden. Das ist eine Aufgabe, bei der wir sehen müssen, dass wir nur dann die Chance haben, den Auftrag der Bürgerinnen und Bürger wahrzunehmen, wenn jeder in seiner Perspektive – das ist das Parlament, das ist der Landtag – verantwortlich mit seinem Handlungsspielraum umgeht.

Wir betrachten uns dabei,wie am Samstag gesagt,als Partner des Parlaments. Wir werden den Stil der offenen Tür pflegen. Aber wir werden natürlich auch eine Regierung bleiben, die nicht beliebig ist, sondern die ihre Prinzipien und Vorstellungen hat, wie ich sie Ihnen in dieser Regierungserklärung dargestellt habe. Diese Regierung hat dabei – das mag dem einen gefallen und dem anderen nicht – durchaus den Mut zu neuen Wegen. Ich werbe darum, dass Regierung und Landtag gemeinsam diese neuen Wege suchen, finden und auch gehen; denn sie stehen in einer gemeinsamen Verantwortung für Hessen. – Vielen herzlichen Dank.

(Anhaltender Beifall bei der CDU – Beifall bei Ab- geordneten der FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das war die Regierungserklärung.

Ich darf zunächst noch auf der Tribüne den ehemaligen Vizepräsidenten Herrn Schoppe und den ehemaligen Abgeordneten Dieter Fischer begrüßen. Ich habe auch Frau Kollegin Wagner, unsere ehemalige Vizepräsidentin, gesehen. Herzlich willkommen bei dieser Sitzung.

(Allgemeiner Beifall)

Meine Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache. Die Redezeit hat sich um sieben Minuten erweitert, sodass den Fraktionen jetzt 52 Minuten zur Verfügung stehen, der CDU-Fraktion 50 Minuten, gemäß unserer Regelung. Ich erteile Frau Kollegin Ypsilanti für die SPDFraktion das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! In ihrer Eröffnungsrede am Samstag haben sich alle Fraktionen zu

ihrer Verantwortung bekannt, die wir anlässlich der politischen Sondersituation vor unseren Bürgerinnen und Bürgern und vor unserer Verfassung wahrzunehmen haben.Auch der amtierende Ministerpräsident hat sich dazu bekannt, dass er die Mehrheitsentscheidungen des Landtags respektieren werde, dass er den Fraktionen den Sachverstand der Ministerien zur Verfügung stellen wolle. Herr Ministerpräsident, ich gehe davon aus, dass das für alle fünf Fraktionen im Hessischen Landtag gilt. Sie sagen, dass die Landesregierung dafür eine Politik der offenen Türen anbiete. Wir hören diese Ankündigung gerne und werden das Verhalten der geschäftsführenden Landesregierung jetzt im parlamentarischen Verfahren natürlich daran messen. Aber, Herr Koch, was hätten Sie denn in Ihrer neuen Rolle sonst sagen sollen?

(Beifall bei der SPD)

Sie haben beschrieben, was der verfassungsmäßige Auftrag einer geschäftsführenden Landesregierung ist und wo Ihre Kompetenzen gegenüber Mehrheitsbeschlüssen im Landtag liegen.Alles andere hätte auch dem Geist der Hessischen Verfassung widersprochen. Wir werden ab jetzt immer wieder Gelegenheit haben, im parlamentarischen Vollzug Ihre Versprechen zu prüfen. Herr Koch, Sie werden verstehen, dass bei dem einen oder bei der anderen noch eine gewisse Skepsis vorliegt, insbesondere bei den Abgeordneten, die die letzten Jahre hier im Plenum verbracht haben.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Eines ist klar, das werden Sie selber auch gar nicht bestreiten. Herr Koch, ein politisches Neutrum sind Sie sicherlich nicht, aber auch gar kein parteipolitisches. Das gilt übrigens auch für alle anderen Parteien.Die politische Welt ist seit dem 27. Januar für uns alle anders geworden, sie hat sich verändert, aber die politischen Aussagen und Inhalte, für die wir in den letzten Jahren gestanden haben, haben sich nicht verändert.

Nachdem es in der Eröffnungssitzung des neuen Landtags um die formale Aufgabenverteilung und die neue Rollenverantwortung von uns allen gegangen ist, geht es heute um die politische Bewertung der entstandenen Lage. Das kann nicht von den unterschiedlichen Zielen, den Wähleraufträgen, die jede Partei, einschließlich der CDU unter ihrem Landesvorsitzenden Roland Koch, hat, getrennt betrachtet werden.Weder der CDU-Vorsitzende Koch ist ziel- oder wertneutral geworden, noch sind wir es.

(Beifall bei der SPD)

Das kann bei aller Auseinandersetzung um politische Inhalte auch nicht ignoriert werden. Sie haben in Ihrer Erklärung und auch am Samstag auf die Regierungszeit unter Holger Börner hingewiesen.Die haben wir uns alle angeschaut, um das eine oder andere daraus zu lernen. Die Regierungszeit unter Holger Börner unterscheidet sich gravierend von dem, was wir heute im Parlament mit der geschäftsführenden Landesregierung haben. Die Lage in Hessen ist eine Ausnahmesituation, und zwar noch mehr, als sie es unter der geschäftsführenden Landesregierung unter Holger Börner war. Holger Börner hatte seinerzeit keine Mehrheit im Parlament und hinter sich. Er hatte aber im Parlament auch keine Mehrheit gegen sich.

(Beifall bei der SPD)

Er stand, unterstützt von der SPD, in der Mitte zwischen den unvereinbaren Positionen von CDU und den damals neu in den Landtag gewählten GRÜNEN. Herr Koch,

wenn Sie heute ohne Erinnerung an die letzten neun Jahre oder an die Zeiten im Wahlkampf – ich sage es einmal vorsichtig – hemmungslos um die GRÜNEN werben, dann können Sie das vor allen Dingen deshalb, weil es die große und über Hessen hinausgehende bleibende politische Leistung von Holger Börner war, die basisdemokratisch orientierten GRÜNEN mit der parlamentarischen Mehrheit zu versöhnen und sie konstruktiv zu integrieren.

(Beifall bei der SPD – Axel Wintermeyer (CDU): Was haben Sie vor? – Florian Rentsch (FDP): Mit der Dachlatte!)

Sie wissen alle, Holger Börner hat die Dachlatte nie ausgepackt, sondern er hat es mit guten Worten probiert.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Nein, nein!)

Es war manchmal nicht so einfach. Ich habe in der Zwischenzeit auch einmal in das Tagebuch von Joschka Fischer hineingeguckt, es war eine ganz spannende Zeit. Da haben wir es heute sehr gut, würde ich einmal sagen.

(Heiterkeit des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Im Gegensatz zu Holger Börner hat die geschäftsführende Regierung Koch eine Wählermehrheit und dementsprechend Parlamentsmehrheit gegen sich, wenn es sein muss.

Der zweite gravierende Unterschied zu Holger Börner als geschäftsführender Ministerpräsident ist: Er wurde 1982 nicht von den Wählern abgewählt. Die SPD hatte damals zwar leicht verloren, die GRÜNEN kamen zum ersten Mal in den Landtag, und die FDP ist damals aus dem Landtag herausgefallen. Wir haben heute aber die Situation, wenn sich drei Fraktionen zusammenschließen, können Sie in der Tat eine Mehrheit gegen sich haben. Das müssen Sie bei allem Mut für neue Wege immer wieder berücksichtigen.

(Zurufe der Abg. Frank Gotthardt und Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Herr Koch hat in seiner Regierungserklärung auf seine Bilanz hingewiesen. Ich habe mich an dieser Stelle gefragt:Warum haben Sie, wenn Sie so gerne auf Ihre Bilanz hinweisen, mit dieser Bilanz eigentlich keinen Wahlkampf gemacht?

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Warum war es denn notwendig, dass Sie von Ihrer Bilanz auf andere Themen ausgewichen sind? – Ich sage Ihnen, warum Sie es getan haben: Die Bilanz war nämlich nicht so gut, dass man damit eine Wahl hätte gewinnen können. Sie haben im Wahlkampf 25 % Ihrer Wähler verloren.

(Beifall bei der SPD – Michael Boddenberg (CDU):Welchen Punkt bezweifeln Sie denn?)

Deshalb besteht der Landtag heute aus Mandatsträgern, die nicht zuletzt für die Ablösung dieser Regierung gewählt worden sind. Daraus ergibt sich klipp und klar die politische Bewertung. Die geschäftsführende Landesregierung Koch hat zwar ein von der Verfassung vorgegebenes beschränktes Mandat. Wir respektieren das – damit das ganz klar ist. Sie haben jedoch kein erneutes politisches Mandat.

(Beifall bei der SPD)

Sie unterliegen damit einer zweifachen Beschränkung. Faktisch können Sie sich nur auf 42 Mandatsträger stüt

zen, solange die FDP, Ihr Wunschpartner, als selbstständige Partei agiert, was ich unterstelle und erwarte.

(Lachen des Abg. Jörg-Uwe Hahn (FDP))

Hinzu kommt,dass diese Landesregierung auch nach dem Ausscheiden – –

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Das war ein Aprilscherz!)

Sagen Sie etwas anderes, Herr Hahn.

(Zuruf des Abg. Jörg-Uwe Hahn (FDP))

Das kann man nicht wirklich vertreten. – Meine Damen und Herren, man sollte auch nicht unterschätzen, dass in Ihrem Kabinett jetzt zwei Ressortchefs fehlen, die Sie ersetzen müssen. Das wird als geschäftsführende Regierung sicherlich nicht einfach.

Meine Damen und Herren, wir befinden uns damit in Hessen in einer doppelten politischen Ausnahmesituation. Nach der Hessischen Verfassung ist die Konstruktion einer geschäftsführenden Landesregierung nicht als Dauerzustand für eine ganze Legislaturperiode geeignet. Dieser Zustand sollte so bald wie möglich überwunden werden. Es ist eigentlich nur ein vorübergehender Zustand, der nicht als Dauerzustand gewertet werden kann. Deshalb darf das mittelfristige Ziel nicht aus den Augen verloren werden, eine Regierung mit parlamentarischer Mehrheit zu bilden und zu wählen.

(Beifall bei der SPD)