Protokoll der Sitzung vom 09.05.2008

Herr Dr. Rhiel.

Sie haben mit Ihrer Frage das, was ich beantworten sollte, schon vorweggenommen. In dem Vertrag war der Monat April vorgesehen – mit einer Verlängerungsoption dieses Closing-Termins bis zum Ende dieses Jahres. Wir gehen davon aus, dass – dies ist auch die Überzeugung der Stadt – dieses Ziel festgeschrieben werden kann.

Zusatzfrage, Herr Dr. Lübcke.

Wie passt der Ansatz des „Ferienresorts Beberbeck“ zu dem Gesamtkonzept der Landesregierung, welches vorsieht, dass aufgrund der Arbeitslosenzahlen gerade in Nordhessen die Investitionstätigkeiten verstärkt werden sollen? Herr Abg. Günther Rudolph von der SPD hat letzte Woche gesagt, dass gerade in den letzten Jahren in Nordhessen sehr vieles gelaufen sei. Können Sie dies bestätigen?

Herr Dr. Rhiel.

Herr Rudolph hat dies richtig gesagt; ich wage nicht, zu widersprechen. Ich kann das nur bestätigen. Nun aber Spaß beiseite. Die Zahlen sind eindeutig. Zur Klärung der Frage, wie man die wirtschaftlichen Ressourcen des Landes aktivieren kann, sage ich: Man muss sehr nüchtern und konsequent auf die noch vorhandenen Potenziale schauen. Das ist in Nordhessen insbesondere beim Tou

rismus gelungen, wo es bei den klassischen Bäderstandorten eine unmittelbare Veränderung hin zum Kunden gegeben hat. Dass sich dies bestens bewährt hat, sagen auch die Experten der Tourismusbehörden des gesamten Bundesgebiets, die beispielsweise im letzten Jahr in Bad Sooden-Allendorf getagt haben und für diese Politik voll des Lobes gewesen sind.

Nun zur letzten Zusatzfrage, Frau Abg. Schott.

Wenn der Closing-Termin nun weiter hinausgeschoben wird und dort keine vollständigen Veränderungen stattfinden, wie wird dann mit notwendigen Investitionen, die bei der Staatsdomäne landwirtschaftlich notwendig sind und die getätigt werden müssten, umgegangen?

Herr Dr. Rhiel.

Dieser Closing-Termin wird nicht ständig nach vorne verschoben, sondern die beteiligten Partner machen von ihrem Recht Gebrauch – im Vertrag wurde ein Fixum festgeschrieben –, nämlich von einer Verlängerung bis zum Ende dieses Jahres. Die übrigen Investitionen werden, soweit sie notwendig und existenzerhaltend sind, durchgeführt. Andere Investitionen müssen gegebenenfalls, sofern dies überhaupt noch einmal notwendig würde, zeitverschoben durchgeführt werden. Die Verantwortlichen sind aber zuversichtlich, dass das eigentliche Ziel erreicht wird.

Meine Damen und Herren, damit schließe ich die Fragestunde.

Ich rufe nun Tagesordnungspunkt 2 auf:

Regierungserklärung des Hessischen Ministers für Bundes- und Europaangelegenheiten und Bevollmächtigten des Landes Hessen beim Bund betreffend „Vielfalt in der Einheit – Chance und Notwendigkeit des Vertrags von Lissabon“

Mit aufgerufen werden die Tagesordnungspunkte 14, 18 und 30.

Das Wort hat Herr Staatsminister Hoff.

Herr Präsident,meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! „Europa ist wie ein Fahrrad. Hält man es an, dann fällt es um.“ Diesen bemerkenswert richtigen Satz hat mir ein kleiner Junge im vergangenen Jahr in einer Schule zugerufen, als er an einem Aufsatzwettbewerb zum Thema Europa teilgenommen hat. Dieser Satz stimmt. Europa bedarf der ständigen

Fortentwicklung, und den nächsten Schritt haben wir nun vor uns:

Am 23.Mai wird der Bundesrat über die Ratifizierung des Vertrags von Lissabon entscheiden, und ich möchte Ihnen schon heute ankündigen, dass die Hessische Landesregierung, wie bereits im ersten Durchgang, auch dieses Mal dem Vertrag von Lissabon ihre Zustimmung geben wird.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Der Vertrag von Lissabon ist ein Meilenstein auf dem Weg der europäischen Einigung, und deshalb stimmen wir ihm aus voller Überzeugung zu. Wir unterstützen damit den erfolgreichen europapolitischen Kurs der Bundesregierung unter Bundeskanzlerin Merkel und Bundesaußenminister Steinmeier, die gemeinsam innerhalb der deutschen Ratspräsidentschaft die Grundlage für diesen zukunftsweisenden Reformvertrag und dessen Verabschiedung gelegt haben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Ratifizierung des EU-Reformvertrags und sein rasches Inkrafttreten noch vor den Europawahlen am 7. Juni 2009 sind im europäischen, im deutschen und letztlich ganz besonders auch im hessischen Interesse. 13 Mitgliedstaaten haben den EU-Reformvertrag inzwischen ratifiziert: Bulgarien, Dänemark, Frankreich, Litauen und Lettland, Malta und Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, die Slowakei, Slowenien und Ungarn.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Anzahl zeigt, dass ein klares Signal ausgesendet wird, das leider weder im Karl-Liebknecht-Haus in Berlin noch in der LINKEN-Parteizentrale in Frankfurt am Main gehört wurde. Es stieß dort stattdessen auf taube Ohren.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Dies ist verheerend, denn wer wie die LINKE im Deutschen Bundestag und im Hessischen Landtag den EU-Reformvertrag ablehnt, schadet Europa und missachtet gleichzeitig deutsche und auch hessische Interessen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin sehr gespannt, mit welchen nationalistischen Tönen die LINKE den Europawahlkampf bestreiten wird, denn einen kleinen Vorgeschmack bekommen wir bereits mit der Diskussion dieser Tage.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Der Vertrag von Lissabon passt die Strukturen, die einst für sechs Mitgliedstaaten geschaffen worden sind,den Realitäten einer EU mit 27 Mitgliedstaaten und 500 Millionen Einwohnern an. Dies ist gerade im Zeichen der Globalisierung notwendig.Der neue Vertrag wird die EU voranbringen und ihre Rolle als globalen Spieler ausbauen. Wir brauchen die institutionellen Reformen, die Ausweitung der Mehrheitsentscheidungen im Rat, die Verkleinerung der Kommission, die Erweiterung der Mitentscheidung des Parlaments, einen Präsidenten des Europäischen Rats und einen „Hohen Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik“ – kurz: den europäischen Außenminister.Wir brauchen mehr Gemeinsamkeit in einer nachhaltigen Klima-, Energie- und Umweltpolitik. Wir müssen schließlich enger in der Außen-, Sicherheitsund Verteidigungspolitik zusammenarbeiten. Hierfür legt der Vertrag von Lissabon wichtige Grundlagen.

Mit diesem Vertrag sind zahlreiche Verbesserungen verbunden: Er zielt auf mehr Subsidiarität und Transparenz, und er sorgt für weniger Zentralismus und Bürokratie in der Europäischen Union.Die Grundrechtecharta wird für

rechtsverbindlich erklärt. Die EU wird bürgernäher: Die nationalen Parlamente – und dazu zählt auch der Bundesrat – werden eingebunden, und die Bürger können sich unmittelbar über einen Bürgerentscheid einbringen. Schließlich wird erstmals die Möglichkeit eröffnet, Kompetenzen von der europäischen Ebene auf die der Mitgliedstaaten zurückzuverlagern.Das hat gerade die Hessische Landesregierung immer wieder in der Diskussion gefordert. Wir sind froh, dass dies mit dem Vertrag von Lissabon erreicht wird.

Sicherlich gibt es auch im Vertrag von Lissabon Punkte,die uns fehlen – wie beispielsweise der Gottesbezug –, die wir kritisch sehen – so Kompetenzausweitungen wie beim Katastrophenschutz, um ein aktuelles Beispiel zu nennen –, oder Punkte, die wir uns deutlicher gewünscht hätten – z. B. ein Subsidiaritätsverständnis, das noch besser gemäß deutschen Vorstellungen hätte formuliert werden können. Diese kritischen Anmerkungen dürfen aber den Blick auf das große Ganze nicht verstellen.

Meine Damen und Herren, der Reformvertrag von Lissabon wertet die nationalen Parlamente erheblich auf, und er stärkt die Regionen Europas. Am Ende bedeutet dies auch, dass die europapolitische Verantwortung des Landes Hessen deutlich zunehmen wird.

Mit der Subsidiaritätsrüge können Bundestag und Bundesrat, um nur ein Beispiel heranzuziehen, binnen acht Wochen nach Übermittlung eines Entwurfs eines europäischen Rechtsetzungsakts gegenüber Rat, Europäischem Parlament und Kommission darlegen, weshalb dieser Entwurf nicht mit dem Subsidiaritätsprinzip vereinbar ist.

Durch die Subsidiaritätsklage – ein noch schärferes Instrument – können wir Klage vor dem Europäischen Gerichtshof wegen Verstoßes gegen das Prinzip der Subsidiarität erheben.

Der Ausschuss der Regionen bekommt ein Klagerecht zum Europäischen Gerichtshof bei Verstößen gegen das Subsidiaritätsprinzip und bei der Verletzung eigener Rechte.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, jede Initiative zur Nutzung der sogenannten Brückenklausel – die Brückenklausel ist die Entscheidung des Europäischen Rates zum Wechsel von der Einstimmigkeit hin zur Mehrheitsentscheidung – muss den nationalen Parlamenten übermittelt werden, und diese haben dann sechs Monate Zeit, diese Initiative gegebenenfalls zurückzuweisen.

Das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung wird gestärkt, und gleichzeitig wird klargestellt, dass alle der Europäischen Union nicht übertragenen Zuständigkeiten auf der Ebene der einzelnen Mitgliedstaaten verbleiben.

Schließlich werden die nationale Identität der Mitgliedstaaten und deren politische und verfassungsrechtliche Struktur einschließlich der regionalen und der kommunalen Selbstverwaltung ausdrücklich herausgehoben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,unter all diesen Aspekten ist der Vertrag von Lissabon ein voller Erfolg. Wir sind froh, dass wir in Europa so weit gekommen sind.

(Beifall bei der CDU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Europäische Union beeinflusst unser nationales Recht in erheblichem Maß. Das ist von uns auch so gewollt. Schließlich haben wir ihr dazu in den Verträgen die Zuständigkeiten übertragen. Allerdings geben die Ver

träge der Europäischen Union keinen Freibrief. Sie muss sich an ihre Zuständigkeiten halten und darf diese nicht überschreiten oder sich ohne ausdrückliche Übertragung weitere Zuständigkeiten aneignen. Dies ist ein ständiges Spannungsfeld im Verhältnis beispielsweise des Landes Hessen zu Brüssel.Wir wissen, dass es seit Längerem – in letzter Zeit leider verstärkt – eine bedenkliche Entwicklung, eine schrittweise Verlagerung von Kompetenzen und Zuständigkeiten auf die Ebene der Europäischen Union gibt. Dies hat innerstaatlich auch unmittelbare Auswirkungen auf die einzelnen Länder und hat damit auch unmittelbare Auswirkungen auf uns in Hessen.

Lassen Sie mich dies an einigen konkreten Politikfeldern für das Land Hessen und damit auch für diesen Landtag deutlich machen. In der Bildungspolitik beispielsweise, einer Kernkompetenz der deutschen Länder,wirkt bezeichnenderweise der Bildungsministerrat auf einen stärkeren europäischen Einfluss im Kultussektor, insbesondere bei der Lehrerausbildung, hin.

Um ein zweites Beispiel ganz konkret zu benennen: Das Europäische Parlament drängt darauf, als verbindliche Vorgabe für alle Schulen in der Europäischen Union drei Wochenstunden Sportunterricht anzubieten.

(Dr. Rolf Müller (Gelnhausen) (CDU): Sehr richtig!)

Natürlich wird der Präsident des Landessportbundes dem zustimmen. Es ist nichts gegen die drei Wochenstunden Sportunterricht zu sagen. Aber es ist das Einfallstor dafür, dass am Ende von Brüssel aus die gesamte Bildungspolitik in der Europäischen Union vorgegeben wird. Das lehnen wir ab. Dagegen werden wir auch vorgehen.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, in der Kulturpolitik hat die Kommission eine Europäische Kulturagenda vorgelegt, die im Wege der sogenannten offenen Koordinierung – das ist ein gefährliches Instrument – zentrale europäische Leitlinien, verbunden mit einem hohen Verwaltungsaufwand, vorsieht.

In der Verkehrspolitik gibt es ein Grünbuch „Hin zu einer neuen Kultur der Mobilität in der Stadt“ – so heißt dieses Grünbuch –, nach dem deutliche Eingriffe in die kommunale Selbstverwaltung vorgenommen werden sollen, insbesondere durch die verbindliche Einführung einer CityMaut.

In der Justizpolitik sehen wir mit erheblicher Sorge die zahlreichen Kommissionsvorhaben mit dem Ziel einer Strafrechtsharmonisierung. Bereits heute sind Teile des Umweltstrafrechts durch Urteile des Europäischen Gerichtshofes vergemeinschaftet. Die Kommission drängt auf weitere strafrechtliche Sanktionen, beispielsweise bei illegaler Beschäftigung oder im Urheberrecht.

Die Innenpolitik. Hier entwickelt die Europäische Kommission fortwährend Aktivitäten in der europäischen Einwanderungspolitik, um die mitgliedstaatlichen Kompetenzen aufzuweichen.