Antrag der Fraktion der SPD betreffend eine Aktuelle Stunde (Kein Hamburger Studiengebührenmodell in Hessen – Koch ohne Mehrheit für erneute Wende) – Drucks. 17/177 –
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Was wir von der Hessischen Landesregierung in Sachen Studiengebühren in den letzten Monaten erlebt haben, das kommt in der Tat einem Besuch auf dem Jahrmarkt gleich: Geisterbahnfahrt und Besuch der Achterbahn.
Im letzten Jahr wurde dem Hessischen Landtag ein Gesetz mit dem klangvollen Namen Studienguthabengesetz vorgelegt. Vorausgegangen war eine Begutachtung des
Vorhabens auf seine Verfassungsmäßigkeit durch Prof. Pestalozza. Das Gutachten hätte bei intensiver Lektüre schon damals bei der Hessischen Landesregierung alle Alarmglocken ertönen lassen müssen. Nachdem aber klar war, dass der vorgelegte Gesetzentwurf erstens politisch nicht durchsetzbar und zweitens offensichtlich verfassungswidrig war, besann sich die Landesregierung und nahm im Gesetzgebungsverfahren eine Novellierung des eigenen Gesetzentwurfs durch die CDU-Fraktion vor.
Es wurden zahlreiche Verschlimmbesserungen vorgenommen, insbesondere in Bezug auf die Darlehensregelung. Das gesamte Verfahren wurde von Protesten begleitet, die weit über die Gruppe der Studierenden hinausgingen. SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben daraufhin Verfassungsklage eingereicht und ein Aktionsbündnis der ASten angeregt. Der Deutsche Gewerkschaftsbund sammelte 70.000 Unterschriften, mit denen ebenfalls eine Klage vor dem Staatsgerichtshof angestrengt wurde. Es war offensichtlich: Die Erhebung von Studiengebühren ist ein Angriff auf die soziale Gerechtigkeit in diesem Land. Die Erhebung von Studiengebühren verhindert den Hochschulzugang solcher Talente, deren Eltern nicht begütert sind, und Studiengebühren gefährden den Wissenschaftsstandort Hessen.
Die Landtagswahl brachte das Ergebnis, dass Koch und mit ihm das Studienbeitragsgesetz letztendlich abgewählt wurden.
Nun kam genau dieser Ministerpräsident in der letzten Woche mit einem neuen Vorschlag, nämlich nachlaufenden Studiengebühren nach dem Hamburger Modell – nach all dem, was uns in den letzten 16 Monaten präsentiert worden ist.Das Hamburger Modell hatte Koch zuvor immer abgelehnt. Dieses Modell, das den Hochschulen erst Jahre später,wenn überhaupt,Einnahmen aus den Taschen der ehemaligen Studierenden beschert, soll nun salonfähig gemacht werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese neue Einlassung ist politisch nicht ernst zu nehmen. Sie ist ein politischer Taschenspielertrick,wie wir ihn von diesem geschäftsführenden Ministerpräsidenten mittlerweile kennen.
Es ist vielleicht der Versuch, sich bei den GRÜNEN anzubiedern. Tarek Al-Wazir sagte vorhin, dass man sich seine Freunde nicht aussuchen kann, aber auch nicht diejenigen, die einen jeweils umwerben.
An dieser Stelle ist jedoch klar: Das, was in Hamburg als schlechter Kompromiss zwischen Schwarz und Grün formuliert wurde – wenn man eine Koalition eingeht, ist es legitim, auch schlechte Kompromisse zu schließen –, kann nicht gleichzeitig auch für Hessen gut sein.
Gut bleibt aber, dass wir einen Entwurf für ein Gesetz zur Sicherstellung von Chancengleichheit an den hessischen Schulen und Hochschulen im Beratungsgang haben. Es wird dabei bleiben,dass mit diesem Gesetz,so es im Landtag eine Mehrheit findet, die Studiengebühren in Hessen zum Wintersemester 2008/2009 abgeschafft werden.
Ich sage dies auch deshalb, weil nachlaufende Studiengebühren am Ende nicht besser sind als allgemeine Studien
gebühren. Die Bezahlung wird lediglich auf einen zukünftigen Zeitpunkt verschoben. Sie nutzen auch nichts; denn wir wissen, dass in den Familien, um die es eben geht, die Entscheidung „Studium, ja oder nein?“ nach ökonomischen Grenzwertüberlegungen gefällt wird.
Ein weiterer Punkt kommt hinzu. Bei einer Betrachtung all der Länder mit vergleichbaren Modellen,die sozusagen als Referenzländer gelten – unter anderem Australien –,ist deutlich geworden, dass nachlaufende Studiengebühren auf lange Sicht zu einer sozialen Schieflage führen. Die Studiengebühren sind also immer weiter gestiegen. Wer schnell zahlt – das sind in der Regel die Studierenden, die wohlhabende Eltern haben –,bekommt Rabatte;denn der Staat gelangt auf diese Weise schneller an das Geld.In den Referenzländern war ebenfalls festzustellen, dass die Staatsausgaben für die Hochschulen letztendlich gesenkt wurden, weil die Einnahmen dann aus Gebühren erzielt worden sind.
Letzter Satz. – Zugegeben, das Hamburger Modell bedeutet eine Entschärfung der Studiengebühren. Aber das kann für Hessen nicht das Ziel sein.
Im Gegensatz zu dem, wovon der Herr Ministerpräsident fabuliert, bleiben die Abschaffung der Studiengebühren und die Herstellung von Chancengleichheit im Land Hessen unser Ziel.
Herzlichen Dank, Herr Kollege Siebel. – Für die FDPFraktion erteile ich Frau Kollegin Beer das Wort.
Herr Präsident, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Anders als Herr Kollege Siebel bewertet die FDP-Fraktion das in Hamburg in der Koalition zwischen CDU und GRÜNEN ausgehandelte Modell grundsätzlich positiv; denn es enthält die Möglichkeit, Studiengebühren zu erheben, und sieht vor, die Rückzahlung dieser Studiengebühren erst nach Abschluss des Studiums, bei einem Bruttoverdienst von 30.000 c und mehr pro Jahr, einzufordern.
Aber, Herr Kollege Siebel, auch die Liberalen haben bereits nach dem Bekanntwerden des Hamburger Modells dieses als eine Kompromissmöglichkeit für die Auseinandersetzung in Hessen ins Gespräch gebracht. Wir haben, wie Sie sehr wohl wissen, ein anderes Modell; denn wir wollen den Hochschulen gern die Entscheidung darüber überlassen, ob und, wenn ja, in welcher Höhe sie Studiengebühren erheben.
Wir als Liberale könnten uns dieses Modell so, wie es jetzt auch vom Herrn Ministerpräsidenten angesprochen worden ist, sehr wohl als einen Kompromiss vorstellen, mit dem der Kampf um Studiengebühren in Hessen beendet
werden kann.Genau deswegen habe ich in der letzten Debatte von dieser Stelle aus den GRÜNEN zugerufen: „Lassen Sie uns über Hamburg reden!“ Das Hamburger Modell hat nämlich den wichtigen Effekt, dass an unseren Hochschulen weiterhin die Möglichkeit besteht, Gebühren zu erheben, um die Qualität jedes einzelnen Studienplatzes – gerade in der Lehre und bei den Studienbedingungen – zu verbessern.
Herr Kollege Siebel, auch wenn Sie es mehrfach wiederholen, wird es nicht richtiger. Wenn Sie hier von der Gefährdung des Wissenschaftsstandorts Hessen sprechen, kann man nur den Kopf schütteln.
Schauen Sie sich einmal auf internationaler Ebene um. Denken Sie an die USA, an England oder auch an andere europäische Länder,z.B.Österreich,die Studiengebühren erheben. Sie können doch nicht sagen, dass es dort keine adäquat funktionierenden Wissenschaftsstandorte gibt. Vor allen Dingen können Sie nicht weiterhin die Behauptung aufrechterhalten, dass es dann zu einer bildungspolitischen Schieflage kommt.
Herr Kollege Yüksel, die EU-Studie aus dem Herbst letzten Jahres hat deutlich gezeigt, dass es keine Verbindung gibt zwischen dem Fakt, dass Studiengebühren erhoben werden oder nicht, und der Möglichkeit des Zugangs zu den Hochschulen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Sozialdemokratie, unser Problem beginnt doch schon viel früher. Das Problem liegt in der frühkindlichen Bildung.Herr Kollege Yüksel, wir haben einen Bildungstrichter: Die Kinder, die wir gar nicht erst zum Abitur führen, werden auch nie ein Hochschulstudium aufnehmen. Dort müssen wir ansetzen. In Deutschland – in Hessen – leisten wir uns die Situation, dass wir zwar für den Besuch des Kindergartens Beiträge erheben, aber das Studium freistellen wollen. Das ist eine verkehrte Welt.
Ich finde es ausgesprochen richtig, dass in dem Hamburger Modell der liberale Gedanke der Nachlagerung aufgegriffen wird.
Herr Kollege Wagner, wo, bitte, ist denn die soziale Ungerechtigkeit, die Sie hier immer wieder anführen, wenn jemandem nach dem erfolgreichen Abschluss seines Studiums – ein Studium, das ihm die Gesellschaft ermöglicht hat, und zwar jeder Einzelne, auch die Leute, die hier Steuern zahlen und niemals in ihrem Leben eine Hochschule besuchen werden – und bei einem entsprechend hohen Einkommen abverlangt wird, etwas von dem zurückzugeben, was er von der Gesellschaft erhalten hat?
Herr Kollege Siebel,da Sie dazwischenrufen:Es geht darum,genau diesem System etwas zurückzugeben,von dem er allein profitiert hat, das er allein in Anspruch genommen hat. Die Beträge, über die wir hier reden, machen doch nur einen Bruchteil dessen aus, was diese Ausbil
dung gekostet hat. Das heißt, sie machen auch nur einen Bruchteil dessen aus, wovon er profitiert hat.
Meine Damen und Herren, es geht also darum, auch bei dem Thema Bildung die Welt wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen.Wir müssen uns bemühen, mehr zu investieren, und zwar schon in die frühkindliche Bildung. Wir müssen mehr Kinder in der Altersgruppe der Ein- bis Dreijährigen fit machen. Das muss schon vor dem Eintritt in den Kindergarten, nämlich in den Krippen, erfolgen.
Über eine Kinderschule müssen wir dafür sorgen, dass mehr Kinder die gleichen Startchancen haben, wenn sie mit der Grundschule anfangen. Wir müssen mehr Kinder zu einem höheren Bildungsabschluss, bis zum Abitur, führen. Dann schaffen sie auch den Übergang an die Hochschulen.
Aber dafür müssen wir das System auch in finanzieller Hinsicht vom Kopf auf die Füße stellen. Wir müssen die Kindergärten entlasten. Dann können wir von den Akademikern nach dem erfolgreichen Abschluss ihres Studiums auch einen sozialen Beitrag für das Hochschulstudium verlangen. – Herzlichen Dank.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Siebel, über die Aktuelle Stunde der SPD kann man sich aus meiner Sicht nur wundern.
Sie zeigt Ihre Konzept- und Kraftlosigkeit und macht deutlich, wie unsicher sich die SPD selbst ist, ob sie eine stabile Mehrheit für die Abschaffung der Studienbeiträge hat.