Protokoll der Sitzung vom 28.06.2012

Besser kann man das hinsichtlich der sozialen Marktwirtschaft nicht auf den Punkt bringen. Die soziale Marktwirtschaft verbindet die freie Marktwirtschaft, die insbesondere eine hohe Leistungsfähigkeit und eine hohe Güterversorgung aufweist, einerseits mit dem Sozialstaat als

Korrektiv andererseits. Der Rahmen der sozialen Marktwirtschaft sichert die persönliche Freiheit. Er sichert Gewerbe-, Konsum-, Vertrags-, Berufs- und Koalitionsfreiheit. Zugleich gewährleistet er soziale Sicherheit.

Ich sage das jetzt insbesondere zu den Kolleginnen und Kollegen der LINKEN: Soziale Sicherheit ist nicht gleichbedeutend mit Geld für alle. Am Anfang müssen immer die eigene Verantwortung und Anstrengung stehen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Erst wenn das nicht ausreicht, setzt die Verpflichtung des Staates und der Gemeinschaft ein. Man kann nur das verteilen, was man vorher erwirtschaftet hat. Es handelt nicht nur derjenige sozial, der etwas verteilt, sondern auch derjenige, der dafür sorgt, dass es überhaupt etwas zu verteilen gibt.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Die soziale Marktwirtschaft hat uns 60 Jahre lang Wohlstand und Freiheit gebracht. Die Industrie in Hessen ist eine große Stärke unseres Bundeslandes. Dabei geht es insbesondere um die Produktion hochwertiger Güter und Anlagen. 17 % der gesamten hessischen Wirtschaftsleistung werden allein durch die Industrie erbracht. Wir haben allen Grund, stolz darauf zu sein.

Im Automobilbau zeigen wir insbesondere in Baunatal und Rüsselsheim, was Menschen leisten können. Auch der Maschinenbau und die Zulieferindustrie haben während der weltweiten Krise in hohem Maß zur Stabilität in unserer Region beigetragen.

Wir sehen aber in anderen Ländern der Europäischen Union, was es bedeutet, wenn man die Industriepolitik vernachlässigt. Gerade das Beispiel Großbritannien zeigt, wie wichtig eine gut funktionierende Industrie- und Wirtschaftspolitik ist. Wer sich wie Großbritannien nur auf die Finanzwirtschaft konzentriert, wird am Ende Schiffbruch erleiden.

Allein schon die Zahlen sprechen für unsere hessische Industrie. Im April 2012 haben 350.000 Beschäftigte in 1.400 Unternehmen gearbeitet. Sie haben einen Gesamtumsatz von 8,2 Milliarden € erzielt. Die Industrie ist somit auch für die anderen Branchen ein unverzichtbarer Absatzmarkt und Drehscheibe für die Wertschöpfungskette.

Man muss sich vor Augen halten, dass etwa 56 % der hessischen Wertschöpfung unternehmensnahen Diensten entstammen. Das sind Dienstleistungen, die es ohne die Industrie nicht gäbe.

Zugleich ist Hessen auf dem Weg, ein wichtiger Hightechstandort zu werden. Wir unterstützen die Ansiedlung und den Ausbau der innovativen Branchen wie Biotechnologie, Nanotechnologie, Medizintechnik, pharmazeutische Industrie sowie die Informations- und Kommunikationstechnologie. Unsere hessischen Unternehmen, unsere hessische Industrie trägt maßgeblich dazu bei, dass Hessen hinsichtlich der Forschungs- und Entwicklungsaufgaben eine Spitzenposition einnimmt. Deswegen begrüßen wir die Weiterentwicklung der „House of“-Konzepte, die die universitäre Forschung und die ökonomische Praxis unter einem Dach vereinen. Wir haben das schon in den Bereichen Finanzen, Mobilität und Logistik sowie Informations- und Kommunikationstechnologie erfolgreich umgesetzt. Das kann ich aus eigener beruflicher Erfahrung sagen. In all diesen Bereichen nimmt Hessen eine Spitzenstellung ein.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

An einem Punkt ist das Konzept noch zu vervollständigen. Der Standort Hessen, aber insbesondere die Universität in Marburg, hat in der Pharmaforschung weltweit einen ausgezeichneten Ruf. Deshalb wollen wir die Landesregierung bitten, zu prüfen, ob diese Reihe mit dem House of Pharma vervollständigt werden kann, damit der Spitzenplatz Hessens in der Pharmaindustrie auch in Zukunft gesichert wird.

Ludwig Erhard hat das Vertrauen in die soziale Marktwirtschaft einmal so beschrieben – ich zitiere –:

Unsere Wirtschaftspolitik dient dem Verbraucher; er allein ist der Maßstab und Richter allen wirtschaftlichen Tuns. Diese Politik der sozialen Marktwirtschaft hat vor der ganzen Welt den Beweis erbracht, dass ihre Grundsätze des freien Leistungswettbewerbs, der freien Konsumwahl wie überhaupt der freien Entfaltung der Persönlichkeit bessere ökonomische und soziale Erfolge gewährleisten, als jede Art einer behördlichen Lenkungs- oder Zwangswirtschaft es vermag.

Dem ist nichts hinzuzufügen.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

In Hessen werden kleine, mittelständische wie große Unternehmen der Industrie weiterhin auf verlässliche, klare und zukunftsfähige Rahmenbedingungen bauen können. Dafür steht die christlich-liberale Koalition unter Führung des Ministerpräsidenten Bouffier. Dafür steht auch der neue Wirtschaftsminister Florian Rentsch. Das werden wir gemeinsam auch weiterhin unter Beweis stellen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Ich könnte jetzt noch etwas zum Konjunkturprogramm sagen. Das hat aber Frau Lannert gestern schon hervorragend gemacht.

Lassen Sie mich aber ein weiteres Thema ansprechen. Wir wollen die Landesregierung bitten, eine Offensive zur Anwerbung ausländischer Nachwuchswissenschaftler zu starten. Darüber hinaus wollen wir die Landesregierung bitten, den Technologietransfer von den Hochschulen in die Wirtschaft weiter zu stärken. Es gibt da schon viele gute Ansätze. Ich möchte da das Programm LOEWE nennen. Besonders freut mich, dass gerade kleine und mittelständische Unternehmen durch diese Zusammenarbeit zu gegenseitigen Erfolgen kommen.

Die Industrie ist im Übrigen der größte Motor für Innovationen. 90 % der Aufwendungen für die Forschung kommen direkt aus der Industrie.

Im Jahr 2012 wurde in Hessen je Erwerbstätigen ein Bruttoinlandsprodukt von 71.843 € erwirtschaftet. Das ist der höchste Wert unter den deutschen Flächenländern.

Auch bei der Ausbildung zeigt die Industrie Verantwortung. Von den rund 42.000 Bewerbern, die in Hessen 2010/2011 einen Ausbildungsplatz gesucht haben, konnte fast jeder einen Ausbildungsvertrag erhalten. Das ist Rekord. Meine Damen und Herren, nehmen Sie das einfach einmal zur Kenntnis.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Heinrich Heidel (FDP))

In Hessen sind gut ausgebildete Menschen gut aufgehoben. Sie können mit sicheren Arbeitsplätzen rechnen. CDU und FDP begrüßen daher die Initiative des Wirt

schaftsministers Rentsch, gemeinsam mit den Industrieund Handelskammern noch in diesem Jahr in Spanien und Frankreich junge Fachkräfte zu werben. Wir können diesen jungen Menschen in Hessen die Chance geben, sich in ihrem Beruf und in der Wissenschaft zu qualifizieren. Wir können ihnen die Möglichkeit geben, Erfahrungen zu sammeln und den internationalen Austausch kennenzulernen.

Von dem Austausch zwischen den Regionen Europas wird im Übrigen auch die hessische Industrie profitieren. Zugleich werden diese jungen Menschen in der Lage sein, ihre in Hessen gesammelten Berufserfahrungen in ihren Heimatländern zur Verfügung zu stellen. Das kann eine Erfolgsgeschichte werden, die auf Gegenseitigkeit beruht. Das wird ein weiterer großer Schritt in Richtung eines gelebten Europas der Zukunft sein.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Philip Rosenthal hat einmal gesagt:

Wer aufhört, besser zu werden, hat aufgehört, gut zu sein.

Ich kann heute feststellen: Wir sind in Hessen gut. Wir haben trotzdem den Anspruch, ständig besser zu werden. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Herr Kollege Pentz, vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat sich Frau Kollegin Wissler von der Fraktion DIE LINKE zu Wort gemeldet. Frau Wissler, bitte schön, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Da Sie sonst niemand lobt, müssen Sie es selbst tun. In diesem Sinne diskutierten wir in dieser Plenarwoche heute schon den zweiten Antrag der Regierungsfraktionen, in dem sie sich selbst bejubeln. Ich bin der Meinung, es ist eine ziemliche Zeitverschwendung, mit was Sie hier das Parlament beschäftigen.

(Zuruf von der CDU: Einer muss doch die Wahr- heit sagen!)

Herr Pentz, ich bin im Übrigen auch nicht der Meinung, dass der Landtag die Landesregierung um etwas bitten sollte. Der Landtag ist der Gesetzgeber. Der Landtag ist das Organ, das die Landesregierung kontrollieren soll. Deswegen finde ich, ehrlich gesagt, die Bitte in dem Antrag ein bisschen deplatziert.

Vorneweg: Natürlich ist es gut, dass Hessen eine starke Industrie hat. Es ist natürlich auch richtig, das anzuerkennen und zu fördern.

Mit dem Gerede von der Dienstleistungsgesellschaft und der Wissensökonomie wurde jahrelang der Eindruck erweckt, man bräuchte die Industrieproduktion eigentlich gar nicht mehr. Das ist definitiv nicht so. Natürlich werden materielle Werte immer noch in Fabriken erarbeitet, nicht aber am Bildschirm oder an der Börse.

(Beifall bei der LINKEN)

Genau deshalb sind wir auch der Meinung, die Landesregierung muss in der Industriepolitik eine aktive Rolle spielen – sei es im Fall Opel oder im Fall Manroland. Ich will nur daran erinnern: Im Fall Manroland hielt es der Ministerpräsident nicht einmal für nötig, zu den Beschäftigten zu sprechen, als sie sich zur Kundgebung vor der Staatskanzlei versammelt hatten. Nur so viel dazu, wie sehr Ihnen die Industrie in Hessen am Herzen liegt.

Meine Damen und Herren, die Entwicklung darf nicht einfach dem freien Spiel der Investoren überlassen werden. Was hier gefragt ist, das ist eine Regierung, die klarmacht, dass sie am Erhalt der Arbeitsplätze und nicht nur am Einkommen der Eigentümer interessiert ist – und deshalb auch Angebote macht, aber auch Bedingungen stellt.

Gerade bei der Automobilindustrie halte ich es schon für notwendig, dass auch von der Landesregierung Impulse für neue industriepolitische Konzepte ausgehen. Das Öl geht zur Neige – darauf ist bereits hingewiesen worden. Wir haben eine sich verschärfende Klimakrise. Und ich meine, den sozial-ökologischen Umbau der Wirtschaft darf man nicht alleine den Unternehmen überlassen. Wenn da nicht auch politisch gesteuert wird, wird es irgendwann zu einem äußerst harten Bruch kommen – mit allen sozialen und wirtschaftlichen Folgen.

Ich befürchte – und das zeigt sich heute auch in der Automobilindustrie –, die Unternehmen denken nicht über Jahrzehnte hinaus. Dafür braucht man politische Leitplanken und industriepolitische Konzepte seitens der Landesregierung.

(Beifall bei der LINKEN)

In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, dass wir natürlich Arbeitsplätze in der Industrie für wichtig halten. Wir wollen die Arbeitsplätze in der Industrie auch erhalten.

Aber die Arbeitsplätze in der Industrie sind nicht mehr wert als die Frauenarbeitsplätze im Dienstleistungssektor – um auch das einmal ganz klar zu sagen. Momentan fallen bei Neckermann und bei Schlecker mehr als 3.000 Arbeitsplätze in Hessen weg.

(Minister Florian Rentsch: Das war die gestrige De- batte!)

Gestern war das leider nicht die Debatte. Herr Rentsch, das ist genau das Problem: dass die Kollegin Lannert hier gestern zehn Minuten lang geredet hat, aber kein Wort zu den Schlecker-Beschäftigten und zu Neckermann gesagt hat.