Herr Kollege Dr. Bartelt, vielen Dank. – Das Wort erhält nun Herr Abg. Bocklet für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen der SPD, es tut mir leid, dass ich aus dem Modewettbewerb, wer die schönere Krawatte trägt, ausscheiden muss. Ich werde einen Kurs besuchen, der zeigt, wie man eine Krawatte bindet.
Herr Kollege Decker, der sozialpolitische Sprecher, Sie haben meine Hochachtung. Sie führen diesen Wettbewerb mit großem Abstand an. Das wollte ich als Vorbemerkung sagen.
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, sehr verehrte Damen und Herren, 1,3 Millionen Menschen sind in diesem Land trotz Erwerbstätigkeit auf das Arbeitslosengeld II angewiesen. Ein Viertel von ihnen arbeitet sogar in Vollzeit und braucht trotzdem diese Aufstockung. Armut trotz Arbeit in einem der reichsten Länder der Welt, das ist schlicht und einfach beschämend. Dennoch tun CDU und FDP nichts. Wir halten das für skandalös.
Ein allgemeiner Mindestlohn ist die elementare Grundlage sozialer Gerechtigkeit. Schwarz-Gelb ist dazu nicht in der Lage. Ihr jahrelang vorgetragenes Mantra, Leistung müsse sich wieder lohnen, gilt offensichtlich immer nur für die Spitzenverdiener. Der Mensch mit geringem Einkommen hat da offensichtlich nie interessiert.
Dass in Deutschland über 1 Million Menschen für weniger als 5 € Stundenlohn arbeiten, muss ein Ende haben. Das ist eine Frage der Gerechtigkeit.
Dieses Zitat stammt von Hermann Gröhe, dem CDU-Generalsekretär. Er hat das im Frühjahr 2012 gesagt. Er hat recht. Aber die CDU zieht nicht die richtigen Konsequenzen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU, sehr verehrter Herr Ministerpräsident, viele von Ihnen haben die Analyse vollzogen. Sie haben erkannt, dass es dort ein Problem gibt. Sie haben sich auf Ihrem Bundesparteitag auch damit beschäftigt. Es mag sein, dass Ihr Lohnuntergrenzenmodell, das auf Ihrem Parteitag beschlossen wurde, Ihnen als großer Schritt erscheint. Aber er ist für die Beschäftigten in diesem Lohnbereich zu klein. Das ist zu wenig.
Das ist ein windelweicher Kompromiss. Er lässt Millionen Niedriglohnbeschäftigte im Regen stehen. Ihre Mindestlohngrenze light ist nämlich keine wirksame Lohnuntergrenze. Das soll nämlich nur in Branchen ohne Tarifvertrag gelten. Wir könnten da wieder über die bereits viel zitierte Friseurin aus Sachsen reden, die zum tarifvertraglich vereinbarten Stundenlohn von 3,06 € arbeiten muss.
Wir könnten uns genauso gut den vielen Beschäftigten im Hotel- und Gaststättengewerbe, im Gartenbau oder in der Landwirtschaft widmen. Es ist immer so: Sobald es einen Tarifvertrag gibt, wollen Sie mit Ihrer Regelung die Betriebe von der allgemeinen Lohnuntergrenze ausnehmen. Das wissen Sie genauso gut: Damit öffnen Sie Dumpingtarifverträgen mit Scheingewerkschaften Tür und Tor. Das hat mit Gerechtigkeit überhaupt nichts zu tun.
Sie wissen: Wir GRÜNE wollen einen generellen Mindestlohn in Höhe von 8,50 € pro Stunde. Wir wollen, dass der Mindestlohn jährlich angepasst wird. Das soll wie in Großbritannien mit einer Kommission geschehen, in der die Vertreterinnen und Vertreter der Sozialpartner und der Wissenschaft sitzen.
Wer es mit sozialer Marktwirtschaft ernst meint, der sagt auch Ja zu einem Ordnungsrahmen, der für faire Arbeitsbedingungen sorgt und der sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze erhält. Wer es mit der sozialen Marktwirtschaft ernst meint, sagt auch Ja zu einem echten Mindestlohn und beendet endlich die Blockadepolitik in dieser Frage.
Wir wollen, dass sich in diesem Land endlich etwas bewegt. Ich glaube, dass sich in den nächsten Monaten bis zum Ende der Wahlperiode im Bund daran nichts mehr ändern wird. Es ist schon bemerkenswert, dass Herr Bouffier gesagt hat:
Herr Bouffier, ich glaube, Sie haben in der Tat in der Analyse recht. Sie haben festgestellt, dass Sie ein Problem haben. Viele Menschen in diesem Land nehmen das als ein riesengroßes Problem sozialer Gerechtigkeit wahr. Sie haben einen, wie wir finden, untauglichen Versuch unternommen, das Problem anzugehen. Aber wie heißt es so schön im Volksmund:
Wenn Sie Herrn Hahn in dem Sinne beraten würden, er möge sich öffnen, dann hätten wir wenigstens zwei Einäugige. Aber dieses Land braucht Zweiäugige. Wir müssen das Problem richtig angehen. Wir brauchen einen Mindestlohn, der diesem Land tatsächlich weiterhilft. Das gibt es weder bei der CDU noch bei der FDP. Insofern bitte ich Sie, sich im Interesse aller Menschen dieses Landes zu bewegen. – Danke schön.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))
Herr Kollege Bocklet, vielen Dank. – Das Wort erhält nun Frau Abg. Schott für die Fraktion DIE LINKE.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Vor einem Monat gab die Hans-Böckler-Stiftung aktuelle Forschungsergebnisse bekannt, denen zufolge die Arbeitslosigkeit zwischen 2005 und 2011 zwar gesunken ist, aber die Armutsgefährdung gleichzeitig gestiegen ist, und zwar vor allem
in den Großstädten. Die Wissenschaftler erklären das damit, dass bei einer wachsenden Gruppe der Beschäftigten das Einkommen gerade über der Hartz-IV-Grenze liege.
Was hier konstatiert wird, ist im Klartext, dass das erklärte Ziel der rot-grünen Bundesregierung unter Gerhard Schröder und Wolfgang Clement erreicht worden ist: In Deutschland wächst und gedeiht der Niedriglohnsektor. Das war ein ausdrücklich genanntes Ziel rot-grüner Arbeitsmarktpolitik. Die Probleme, vor denen heute Hunderttausende Menschen stehen, sind also direkte Folgen der Agenda-Politik und vor allem der Politik von Hartz I bis Hartz IV. Vorbereitet und betrieben wurde das von den vier Hartz-IV-Parteien, nämlich der SPD, den GRÜNEN, der CDU und der FDP. Ich muss da wirklich sagen: von den vier Parteien. Sie haben nichts dagegen unternommen.
Das ist überhaupt kein Blödsinn. Das ist eine Tatsache. Sie können das nicht aushalten. Das ist Ihr Problem. Haben Sie doch endlich einmal den Mut, zu sagen: Wir haben da etwas falsch gemacht. – Das sollten Sie tun, anstatt jetzt zu bedauern, dass viele Menschen arm sind. Sie haben zum großen Teil zu verantworten, dass diese Menschen jetzt arm sind. Stehen Sie dazu, und weinen Sie darüber nicht dicke Krokodilstränen. Sagen Sie nicht, es sei Blödsinn, was ich hier sage, sondern halten Sie es einfach aus.
Das bedeutet konkret, dass 85.000 Erwerbstätige so niedrige Löhne erzielen, dass sie zusätzlich auf Mittel aus Hartz IV angewiesen sind. In Art. 33 der Hessischen Verfassung steht, das Arbeitsentgelt müsse „zum Lebensbedarf für den Arbeitenden und seine Unterhaltsberechtigten ausreichen“. 350.000 Niedriglohnbeschäftigte sind nichts anderes als ein Tausendfacher täglicher Bruch der Hessischen Verfassung, den Sie, die Mitglieder der vier Hartz-IV-Parteien, zu verantworten haben.
Aber nicht nur sozialpolitisch ist die Niedriglohnstrategie gescheitert. Das haben wir vorhin schon einmal in ähnlicher Weise gehört. Die Vermutung hinter der Lohnsenkungsstrategie war, dass Arbeitsmärkte so funktionieren wie Gütermärkte: Sinkt der Preis, wird mehr angefragt. Das war der Gedanke.
Heute wissen wir, dass trotz der gesunkenen Löhne das Arbeitsvolumen, also die Gesamtzahl der geleisteten Arbeitsstunden, gesunken ist – sowohl in ganz Deutschland als auch in Hessen. Die gestiegene Anzahl der Erwerbstätigen ist nur zustande gekommen, weil Vollzeitarbeit in Miniund Midijobs, in Teilzeitstellen aufgespalten wurde. Auch arbeitsmarktpolitisch sind Hartz- und die Agenda-Politik von SPD und GRÜNEN gescheitert.
Es gibt keinerlei Hinweis darauf, dass sinkende Löhne die Anzahl der Beschäftigungsstunden steigern. Ebenso gibt es keinerlei Hinweise darauf, dass die Anhebung niedriger Löhne zum Rückgang der Beschäftigung führt. Selbst der Wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums kam im August dieses Jahres zu dem Ergebnis, dass sich in den von der Bundesregierung in Auftrag gegebenen Studien zu branchenspezifischen Mindestlöhnen kaum statistisch gesicherte Befunde finden lassen. – Das muss man sich an dieser Stelle wirklich einmal verdeutlichen.
Binnenwirtschaftlich würde ein Mindestlohn vielmehr zu positiven Effekten führen – und zwar nicht nur, weil keine Dumpinglöhne mehr aus Steuergeldern subventioniert werden müssten. Das allein würde – bei einem Mindestlohn von nur 8,50 € – bundesweit zu Minderausgaben von etwa 1,7 Milliarden € führen. Hinzu kämen eine Mehreinnahme bei der Einkommensteuer im Volumen von 2,7 Milliarden € sowie Mehreinnahmen bei der Sozialversicherung, ebenfalls in dieser Höhe.
Auch außenwirtschaftlich haben die sinkenden Löhne in Deutschland schädliche Wirkungen, vor allem auf die Stabilität in der Europäischen Union. Das mussten wir uns in der letzten Zeit hinlänglich vom Ausland sagen lassen. Zwar sind im vergangenen Jahr die Arbeitskosten in Deutschland stärker angezogen als in Europa insgesamt, aber in den Jahren zuvor hatte Deutschland seine preisliche Wettbewerbsfähigkeit auf der Basis gesunkener Löhne sehr stark ausgebaut und damit zu den Finanzmarktkrisen in Europa beigetragen. Das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung empfiehlt deshalb:
In Deutschland wäre für eine nachhaltige Entwicklung im gesamten Euroraum eine weitaus kräftigere Lohnsteigerung nötig.
Es gibt viele gute Gründe, den Sumpf der Niedriglöhne in diesem Land endgültig auszutrocknen. Das aber wird mit dieser SPD nicht möglich sein, schon gar nicht mit diesem Kanzlerkandidaten.
In seiner Rede am letzten Wochenende hat Steinbrück zwar mindestens viermal das Wort „Mindestlohn“ in den Mund genommen, aber an keiner Stelle erklärt, dass ein Kanzler Steinbrück den Mindestlohn einführen wird. Und es wäre verwunderlich, wenn es anders wäre.
In Hessen hat die SPD im Jahr 2008 Unterschriften für den Mindestlohn gesammelt. Im Bundestag hat sie aber immer gegen die entsprechenden Anträge gestimmt. Ich möchte Sie nicht im Detail daran erinnern müssen,
Frau Kollegin Schott, Sie müssen dann langsam – – Sie haben noch ein bisschen, das geben wir bei der Schreierei schon zu. Aber langsam müssen Sie zum Schluss kommen.
Das waren identisch Ihre Worte – und Sie haben gegen Ihren eigenen Unterschriftentext gestimmt. Unglaubwürdiger kann man nicht sein.
Deswegen kann ich auch nur sagen: Ihrem Entschließungsantrag fehlt eigentlich der Punkt 5: Der Landtag bedauert, dass die SPD genau die gegenteilige Politik von dem macht, was sie hier fordert. – Herzlichen Dank.