Als ich im FDP-Antrag auf eine Aktuelle Stunde dann aber von dualer Ausbildung, Gerichtswesen und Feuerwehr las, war mir klar, es geht darum, in Griechenland eine bestimmte Infrastruktur zu installieren. Herr Kollege Krüger, ich hatte eigentlich einen Spannungsbogen erwartet, der noch mehr Punkte aufgreifen würde, aber mit den drei Punkten war es das schon.
Entschuldigung, Sie haben recht, Herr Minister. – Gleichwohl, Hessen hilft Griechenland. Man reibt sich die Augen und wundert sich. Europaminister Hahn hat sich nämlich in der Vergangenheit durch – vorsichtig ausgedrückt – europaskeptische Äußerungen einen Namen gemacht. Ich erinnere nur an Ihren Vorschlag, Herr Hahn, Dänemark mit einem Urlaubsboykott zu belegen, und an Ihre Forderung nach einem Klagerecht gegen die Europäische Zentralbank.
Herr Hahn, Ihre Forderung vor zwei Monaten – im November letzten Jahres – nach einer Insolvenz für Griechenland ist uns allen noch im Ohr.
(Stefan Müller (Heidenrod) (FDP): Wer hat Ihnen das alles aufgeschrieben? – Weitere Zurufe von der FDP)
„Hessen hilft Griechenland“, so heißt diese Aktuelle Stunde. Wer in diesem Hause kann denn etwas dagegen haben, wenn das Gerichtswesen in Hessen und unser System der freiwilligen Feuerwehr Blaupausen für andere europäische Länder sind? Herr Minister, auch die Absicht, die Sie in Ihrer Presseerklärung mitgeteilt haben, in Griechenland eine duale Berufsausbildung nach deutschem Vorbild zu etablieren, wird von uns begrüßt. Ich stimme Ihnen zu: Unser duales Ausbildungssystem ist eine Erfolgsgeschichte. Ich stimme Ihnen zu, Herr Krüger, wenn Sie sagen, es ist gut, wenn unsere europäischen Partner dieses System zur
Nur, Herr Minister, wie sieht der hessische Anteil an diesem Hilfsprojekt aus? Ich habe der Pressemitteilung entnommen, dass eine Stiftung gegründet werden soll und dass die griechischen Auszubildenden von der IHK Frankfurt ihren Berufsabschluss erhalten können. Duale Ausbildung heißt, dass es diese glücklichen Griechinnen und Griechen geschafft haben, einen Ausbildungsplatz zu ergattern – im Gegensatz zu vielen ihrer Altersgenossen in Griechenland. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 53 %. Weiß man überhaupt, was sich da an sozialem Sprengstoff ansammelt, wenn mehr als die Hälfte einer Generation gesagt bekommt, dass man für sie keinen Platz hat? Die Arbeitslosenzahlen steigen, die Einkommen und die Renten sinken, und die Jugendarbeitslosigkeit steigt exorbitant.
Ich habe die Uhr im Blick, Herr Präsident. – Es ist schade, dass ich an dieser Stelle abbrechen muss. Ich glaube, die Unterstützung des beruflichen Schulwesens in Griechenland ist ein guter Anfang; um die dringendsten Probleme in der EU, auch in Griechenland und in vielen anderen Ländern Europas aber zu lösen, braucht es etwas mehr des Schweißes der Edlen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! „The Job of my life“, so heißt die neueste Homepage der Bundesagentur für Arbeit. Damit sollen Jugendliche aus dem Süden Europas für Mangelberufe in Deutschland geködert werden. Es geht um Kranken- und Altenpflegerinnen, um Gaststättenpersonal, in aller Regel also um Billigarbeitsplätze für die in der Regel gut qualifizierten jungen Menschen aus Griechenland, Spanien und Portugal. Die scheinbare Hilfe, die mit dem Antrag der FDP auf eine Aktuelle Stunde zu einer karitativen Höchstleistung stilisiert werden soll, ist keine wirkliche Hilfe für die Menschen in der Region, auch nicht für Griechenland.
In Griechenland ist die Armutsquote auf über 30 % gestiegen. Massenobdachlosigkeit, unzureichende Gesundheitsvorsorge, steigende Selbstmord- und Kriminalitätsraten
und eine junge Generation ohne Perspektive sind die Folgen deutscher Europapolitik. Ihre Beiträge zur Entwicklung in Griechenland wirken vor diesem Hintergrund nur zynisch.
Griechenland braucht einen umfassenden „Marshallplan“, um die Ökonomie und die soziale Gerechtigkeit in diesem Land zu entwickeln. Das liegt daran, dass die IWF- und die EU-Hilfen in Wahrheit nur den Banken, den Hedgefonds und privaten Gläubigern zugutekommen. Griechenland hingegen ist durch die Rettungspakete noch tiefer in die Krise gestürzt worden. Die sogenannte Rettungspolitik ist weder im Interesse der griechischen Bevölkerung noch im Interesse der deutschen und der europäischen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.
Sicherlich gab es auch in Griechenland hausgemachte Probleme, z. B. die hohen Rüstungsausgaben, die geringe Effizienz der Finanzämter und die mangelnde Besteuerung der Reichen. Maßgebliche Ursachen waren jedoch die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise sowie der falsch konstruierte Euro. Vor allem auf deutschen Druck wurde bei der Euro-Einführung auf eine Koordination von Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik verzichtet.
Es steht nicht die Solidarität, sondern es stehen Konkurrenz und Unterdrückung im Zentrum neoliberaler Politik. Die Folge: Die Agenda 2010 von Rot-Grün hat in Deutschland die Löhne massiv gesenkt, während gleichzeitig starke Gewerkschaften in Südeuropa Lohnsteigerungen durchsetzen konnten. Durch das deutsche Lohn- und Sozialdumping verloren die südlichen Euroländer immer mehr Absatzmöglichkeiten für ihre Waren – ein wesentlicher Grund für die steigende Verschuldung der betroffenen Länder. Wären die deutschen Löhne höher, ginge es den Menschen in Griechenland, Portugal und Spanien und natürlich auch in Deutschland besser.
Es sind nicht die Griechinnen und Griechen, die über ihre Verhältnisse leben. Die Ungleichgewichte in der Außenhandelsbilanz sind das zentrale Problem. Starke exportorientierte Volkswirtschaften, wie gerade auch Deutschland, erzwingen entsprechende Defizite in anderen Ländern. Es ist das Sozial- und Lohndumping der Überschussländer, das ein Ende haben muss. Hochspekulative Fonds und unkontrollierte Ratingagenturen spitzen die Krise ebenfalls immer weiter zu. Deshalb zeigt die Krise einmal mehr die dringende Notwendigkeit einer radikalen Regulierung der Finanzmärkte. In deren Fehlen liegt eine zentrale Krisenursache.
Eine radikale Sparpolitik, wie sie EU und IWF verfolgen, kann dabei keine Lösung sein. Die griechische Gesellschaft ist geprägt von sozialer Ungleichheit und Armut. Griechenland braucht keine niedrigen Löhne, sondern höhere Löhne. Griechenland braucht nicht weniger, sondern mehr Sozialstaatlichkeit.
Löhne und Sozialleistungen liegen weit unter dem europäischen Durchschnitt. Die neoliberale Sparpolitik wird nicht nur die aktuelle Krise verschärfen, sondern auch die sozialen Ungleichheiten in Europa weiter vertiefen.
Dabei ist das, was in Griechenland gerade geschieht, nur die Spitze eines Angriffs, der uns allen gilt. Wir fordern
daher die Abkehr von der neoliberalen Rollback-Politik und stattdessen eine Umkehrung des Umverteilungsprozesses sowie die Implementierung einer solidarischen Krisenpolitik. Wir treten deshalb international für den Stopp jeglicher nationalistischer, egoistischer, rassistischer und neoliberaler Krisenpolitik und -polemik ein.
Gemeinsam mit den Gewerkschaften und einer aktiven Linken – auch mit den Griechen – wollen wir am 14. März in Brüssel, bei den UmFairTeilen-Aktionen im April, bei den Blockupy-Demonstrationen im Mai und beim alternativen europäischen Gipfel in Athen im Juni unsere internationale Solidarität für ein anderes Europa zeigen.
(Beifall bei der LINKEN – Mathias Wagner (Tau- nus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist ein Werbeblock!)
Herr Präsident, ich komme zum Schluss. – Außerdem wollen wir für eine Neubegründung Europas mobilisieren. Das werden wir auch machen. – Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN – Dr. Rolf Müller (Geln- hausen) (CDU): Venceremos! – Gegenruf des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE): Genau!)
Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Nach dieser kleinen Vorlesung in angewandtem Marxismus sollten wir vielleicht zum Thema zurückkommen.
(Heiterkeit und Beifall bei der CDU und der FDP – Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wenigstens war der Hörsaal nicht überfüllt!)
Wenn man hierbei zuhört, erkennt man, der Vorteil ist, dass man die Bücher, die man noch aus der DDR hat, einfach mittendrin aufschlagen und dort dieselben Sätze finden kann. Es ist immer das Gleiche.
Ja, aber publiziert wurde er dort. – Kommen wir zurück zum Thema: zu Griechenland und zu dem, was wir Hessen machen können. Kein anderes europäisches Land ist von der Finanzkrise so schwer getroffen wie Griechenland. Es handelt sich sicherlich um eigene Fehler, aber auch um Fehler, die andere gemacht haben. Die Einführung des Euros in Griechenland erfolgte zu früh; die Prüfung der Kriterien war nicht genau. Schon damals gab es viele Skeptiker, die davor gewarnt haben.
Man muss aus deutscher Sicht auch selbstkritisch sagen, dass Deutschland und Frankreich, die sonst immer Motoren der europäischen Entwicklung sind, zu Beginn des neuen Jahrhunderts ein schlechtes Vorbild und ein schlechtes Beispiel geliefert haben: Als Deutschland und Frankreich die Stabilitätskriterien gerissen haben, haben sie für sich selbst Ausnahmen verlangt, die sie anderen nicht zu gewähren bereit sind.
Die Situation in Griechenland ist durchaus dramatisch. Gestern haben wir an die Machtübertragung in Deutschland erinnert. Die Ergebnisse der Nationalwahlen in Griechenland haben gezeigt, dass auf erschreckende Weise besonders extremistische Kräfte gestärkt wurden. Das erinnert durchaus an die Weimarer Republik: Es sind die Linken und die Rechten, die nun die Demokratie in die Mangel nehmen.
(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Es war der Faschismus, der die Demokratie entsorgt hat! – Hermann Schaus (DIE LINKE): Was ist das für eine Analogie?)
Ich finde es allerdings ausgesprochen erfreulich, dass sich die griechische Regierung und die griechische Gesellschaft von ihrer starren Haltung gelöst haben und bereit sind, in dieser Krise nicht mehr nur Sparmaßnahmen vorzunehmen, sondern auch grundsätzliche Reformen anzugehen, und dass sie erkennen, welche Chancen Europa bietet. Griechenland gehört zu Europa; deshalb hat Griechenland auch die Solidarität der anderen Europäer verdient.
Dazu ist eine Politik mit Herz und Verstand notwendig, die nach Möglichkeit nicht aus dem Bauch heraus erfolgt. Dass Hessen, obwohl es nicht für die Außenpolitik zuständig ist, als Bundesland einen wichtigen Beitrag leisten kann, liegt an unserem föderalen Aufbau. Die Bildungspolitik, aber auch Fragen des Rechts und z. B. das Feuerwehrwesen sind bei uns föderal strukturiert.