Protokoll der Sitzung vom 20.11.2013

Es ist die Frage der syrischen Familien, die uns allen sehr nahegeht. Die Frage, dass die syrischen Familien auch ihre Angehörigen außerhalb der 5.000er-Kontingente holen können, ist auch ein politisches Thema gewesen, für das wir uns gemeinsam entschieden haben. Wie es so oft im Leben ist, gibt es in der Praxis den einen oder anderen Fallstrick, den man im Vorfeld vielleicht nicht beachtet hat. Deswegen ist es ganz legitim, dass wir jetzt gemeinsam versuchen, mit diesem Antrag in der Anordnung die einen oder anderen Korrekturen vorzunehmen, damit auch die Familien ernsthaft hierher geholt werden können.

Herr Roth hat das Beispiel Wetzlar genannt. In Wetzlar und auch in vielen anderen Städten – sei es Gießen oder Wiesbaden – sitzen gerade syrische Familien, die versuchen, ihre Familien aufgrund dieser Beschlusslage zu holen. Sie scheitern oft an den Krankenversicherungen und auch daran, dass ihr Einkommen nicht ausreicht, um ihre Familien krankenversichern zu können. In anderen Ländern wie beispielsweise Nordrhein-Westfalen hat man da einen ganz pragmatischen Weg gefunden, indem man in der Anordnung auch über die Kostenfrage gesprochen und eine Deckelung der Kosten eingezogen hat. Das werden wahrscheinlich Dinge sein, die wir uns im Ausschuss näher anschauen müssen.

Wichtig ist, dass das Signal und die tatsächliche Hilfe bei den Familien ankommen. Wichtig ist aber auch, dass die Kommunen in der Kostenfrage nicht ganz alleingelassen werden und dass wir, aus guten Beispielen wie in Nordrhein-Westfalen lernend, diese Initiative auch für uns aufgreifen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Danke schön. – Ansonsten möchte ich nicht viel über den Inhalt sprechen, weil wir im September schon ausführlich darüber beraten haben. Ich möchte eher, dass wir den Sozialpolitischen Ausschuss und den Innenausschuss dazu nutzen, um aus dieser Initiative einen gemeinsamen Antrag zu machen. Das liegt uns GRÜNEN sehr am Herzen, weil wir sehr verwundert waren, als die Vorlage gestern so im Plenum lag.

(Vizepräsidentin Ursula Hammann übernimmt den Vorsitz.)

Nichtsdestotrotz kann man das im Sozialpolitischen Ausschuss zurechtbügeln und im Dezember hoffentlich ein starkes gemeinsames Signal aussenden, damit die Familien kommen können. – In diesem Sinne: herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Vielen Dank, Frau Kollegin Öztürk. – Als nächster Redner hat sich Herr Bauer von der CDU-Fraktion zu Wort gemeldet. Bitte schön, Herr Kollege Bauer, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Was in Syrien nun schon im dritten Jahr passiert, darüber muss man keine großen Worte verlieren. Der Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen fasste die Lage wie folgt zusammen:

Syrien ist zur großen Tragödie dieses Jahrhunderts geworden, einer empörenden humanitären Katastrophe.

Wer die Nachrichten verfolgt, der weiß: Dem ist nichts hinzuzufügen.

Meine Damen und Herren, Deutschland steht aber nicht unbeteiligt am Rande; denn seit dem Beginn des Konflikts vor rund drei Jahren haben zahlreiche Menschen aus Syrien in unserem Land Zuflucht gefunden. Auch vor Ort, in der Krisenregion, hilft unser Land, gerade auch in den von den Flüchtlingsströmen betroffenen Nachbarländern. Deutschland hat über 170 Millionen € zur Verfügung gestellt und ist damit nach den USA der zweitgrößte Geldgeber, und diese Summe wird inzwischen verdoppelt.

Diese Hilfe vor Ort ist auch wichtig, und sie kommt dem Wunsch der syrischen Flüchtlinge entgegen. Denn der überwiegende Teil will schnellstmöglich in eine befriedete Heimat zurückkehren und sucht gerade nicht nach Aufnahme in Deutschland oder einem anderen westlichen Land.

Die Lage in Syrien zu befrieden, dazu können wir in Hessen keinen oder nur einen sehr kleinen Beitrag leisten. Aber deshalb werden wir gerade das Mögliche tun, und dazu zählt die Aufnahme von Flüchtlingen. Wir nehmen uns dieser Herausforderung insbesondere aus humanitären Gründen an. Wir nehmen uns ihr gerade mit Blick auf die syrischen Christen an, die unter diesem grausamen Bürgerkrieg in besonderer Weise leiden. In solchen Konflikten zwischen Sunniten und Schiiten stehen sie gleichsam ungeliebt zwischen den Fronten, auch in Ägypten und anderswo, und sind wehrlose Opfer in diesem Glaubensstreit. Wir sind hier gerade in der Vorweihnachtszeit, die bald bevorsteht, besonders gefordert.

Wir hatten damals – Kollege Roth hat es angesprochen – gemeinsam und übereinstimmend die Hessische Landesregierung darum gebeten, den Familiennachzug syrischer Flüchtlinge zu ermöglichen und damit weitere Flüchtlinge aus Syrien aufzunehmen. Dazu wurde eine Aufnahmeanordnung entsprechend gestaltet, und deren wesentliche Bestandteile sind eben keine zahlenmäßigen Begrenzungen, aber eine Verpflichtungserklärung für die Kostenübernahme für Krankheit und anderes. Jetzt gilt es, diese Anordnung praktikabler zu machen, damit sie konkret zur humanitären Hilfe beitragen kann.

Meine Damen und Herren, eine irische Weisheit lautet: Ein Tropfen Hilfe ist mehr wert als ein Ozean von Mitleid. – Entsprechend wollen wir auch in Hessen verfahren. Sie haben schon darauf hingewiesen, dass wir im Grunde genommen schon einen Konsens haben; denn der Antragstext, den Sie eingereicht haben, ist im Vorfeld schon mit uns abgestimmt. Aber Sie verweisen auf einen entscheidenden

Punkt, der noch nicht geregelt ist. Wenn Sie NordrheinWestfalen als glorreiches Beispiel herausstellen, dann steht in Ihrer Begründung eben auch, dass Nordrhein-Westfalen eine Deckelung der Kosten herbeigeführt hat, dass es eine ganz klare Grenze gibt. Der Umfang der abzugebenden Verpflichtungserklärung ist in Nordrhein-Westfalen begrenzt.

Über eine solche Kostendeckelung müssen wir auch sprechen; denn am Ende ist es ganz klar: Wir müssen uns Gedanken darüber machen, dass die Landkreise und damit die Städte und Kommunen für diese Kosten geradestehen. Wenn man das aufsummiert, sind das nicht unerhebliche Beträge, über die man sich im Ausschuss wohlwollend im Sinne des Ganzen Gedanken machen muss. Man kann das nicht aus dem Ärmel schütteln. Wir sind bereit, uns der Aufgabe zu stellen, haben auch signalisiert, dass wir die humanitäre Frage ernst nehmen. Wir sind zuversichtlich, dass wir zu einem guten gemeinsamen Ergebnis kommen werden. – Danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Bauer. – Als nächste Rednerin spricht Frau Kollegin Cárdenas von der Fraktion DIE LINKE. Bitte schön, Frau Kollegin, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Im September brachten wir einen differenzierten Antrag zur Aufnahme syrischer Flüchtlinge ein. Die anderen vier Fraktionen konnten sich aber nur darauf einigen, unseren Punkt 4, eine eigene Aufnahmeanordnung für Familienangehörige von hier lebenden Syrerinnen und Syrern zu erlassen, in einem eigenen Antrag zur Abstimmung zu stellen.

Es war damals bereits klar – die Diakonie hatte uns in den Tagen davor deutlich darauf hingewiesen –, dass eine Aufnahmeanordnung, die das Problem der Krankenversicherung nicht löst, nur in wenigen Fällen wirksam werden kann. Insofern ist der jetzt vorliegende Antrag eine überfällige und notwendige Korrektur – danke an die SPD-Fraktion für die Einbringung –, und wir tun gut daran, ihm als ganzes Haus zuzustimmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich möchte aber die Gelegenheit nutzen, dieses Feld noch einmal etwas weiter aufzumachen.

Alle wissen, dass es nicht reicht, Aufnahmeanordnungen für Angehörige zu erlassen, dass es auch nicht reicht, 5.000 syrische Flüchtlinge in ganz Deutschland aufzunehmen. Kollege Roth nannte schon die erschreckenden Zahlen derer, die auf der Flucht sind. Über 80.000 Menschen kamen bisher in dem Konflikt ums Leben, so sagt der UNHCR. Was wir brauchen, ist eine großzügig ausgestaltete Aufnahmeanordnung, die den Flüchtlingen einen gesicherten Aufenthalt ermöglicht, so wie z. B. in Schweden, das als erstes europäisches Land beschlossen hat, allen syrischen Flüchtlingen eine sogenannte permanente Aufenthaltserlaubnis anzubieten, die ihnen einen unbegrenzten Aufenthalt und auch einen unbegrenzten Familiennachzug ermöglicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich möchte aber noch etwas anderes betonen: Was wir brauchen, ist endlich eine vorausschauende Flüchtlingsund Migrationspolitik – vorausschauend, weil absehbar ist, dass die Zuwanderung aus ost- und südeuropäischen Ländern weiter zunehmen wird und die Flüchtlingszahlen weiter steigen werden.

Wir brauchen eine Flüchtlingsu n d Migrationspolitik, weil immer weniger nachvollziehbar ist, dass die beiden Themen immer noch von unterschiedlichen Ministerien verantwortet werden, dass die vom Integrationsminister propagierte Willkommenskultur für hierher eingewanderte Menschen nicht gelten soll oder darf für hierher geflüchtete Menschen. Wir wollen gleiche Rechte für Flüchtlinge, und das heißt, da zitiere ich unter anderem aus den Forderungen der Diakonie und der GEW Hessen

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Ach, die GEW!)

ach, Herr Irmer –: eine verbesserte Unterbringung von Flüchtlingen, einen am Kindeswohl orientierten Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, eine Vermeidung von Abschiebehaft, einen gleichrangigen Zugang zu Beschäftigung sowie eine stärkere Bekämpfung von Rassismus und Diskriminierung.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Stattdessen werden die Flüchtlinge aus Syrien oder anderswo Dublin II unterworfen. Damit können sie ihr Ziel nicht mehr selbst wählen. Durch innereuropäische Abschiebungen werden sie zum Spielball und irren oft jahrelang in Europa umher. Ich bin sehr froh, dass die Kirchengemeinde im Frankfurter Westend mit Frau Pfarrerin Fröhlich einige von diesen jahrelang umherirrenden Flüchtlingen, die zuletzt seit Wochen unter Frankfurter Brücken kampierten, aufgenommen hat und versucht, ihnen eine Zukunft zu geben. Dafür haben sie unseren Dank und unsere Anerkennung und, ich nehme an, auch die des ganzen Hauses.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, wir wissen, in Griechenland wie in Italien sind die Flüchtlinge mit Obdachlosigkeit und extremer Armut konfrontiert. In Griechenland ist es seit Jahren kaum mehr möglich, überhaupt Asyl zu beantragen. Das haben wir vor drei Jahren auf unserer Petitionsausschussreise nach Griechenland und in die Türkei selbst erfahren. Wir wurden dort inständig um eine veränderte Flüchtlingspolitik gebeten. Geschätzte 25.000 Menschen sind in den letzten 20 Jahren im Mittelmeer ertrunken. Wie können wir zulassen, dass Fischer, die einem untergehenden Boot zu Hilfe eilen wollen, sich der Beihilfe zur illegalen Einwanderung schuldig machen?

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns alles tun, was in unserer Macht steht. Lassen Sie uns hier und heute – am liebsten heute, weil die Zeit drängt – diesem Antrag zustimmen und ihn dann auch schnellstmöglich umsetzen, danach aber unsere Kraft für die Erarbeitung einer humanitären und vorausschauenden Flüchtlings- und Migrationspolitik nutzen. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Cárdenas. – Als nächster Redner spricht Herr Kollege Reuscher von der FDP-Fraktion. Bitte schön.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Bilder aus Syrien, die uns seit Monaten in den Nachrichten ins Haus gesendet werden, machen uns betroffen, machen uns verärgert über das, was in dem Bürgerkrieg in Syrien abgeht – eine humanitäre Katastrophe, die ihresgleichen sucht. Die Vereinten Nationen sprechen von einer Katastrophe, wie sie in den letzten 20 Jahren auf dieser Erde nicht vorgekommen ist. Es ist nicht nur in Syrien selbst eine Katastrophe. Auch die Nachbarländer sind davon betroffen: 1,3 Millionen Flüchtlinge, die in den Nachbarländern unterkommen.

Die humanitäre Hilfe der Vereinten Nationen, der Länder der Welt ist angelaufen. Man versucht zumindest, soweit es möglich ist, humanitäre Hilfe zu leisten, indem man, vor allem wenn jetzt Wintereinbruch ist, den Leuten eine auskömmliche Unterkunft gewährt. Innerhalb Syriens sind 3,6 Millionen Flüchtlinge unterwegs. Der Gipfel der humanitären Katastrophe, wo man sich fragt, wie die Menschheit gestrickt ist, ist der Einsatz von Giftgas. Die Vereinten Nationen können an der Stelle nicht so viel machen, außer man versucht, die Flüchtlinge aus diesem Land herauszuholen.

Das machen wir. Die Bundesrepublik hat im Mai beschlossen, 5.000 syrische Flüchtlinge in der Bundesrepublik aufzunehmen. Das Land Hessen hat mit dem Erlass aus dem September zusätzlich ermöglicht, dass auch Verwandte der Menschen, die hier sind, nach Deutschland reisen können und zumindest für die Zeit hier leben können, in der es diese Zustände in Syrien gibt und sie nicht verändert werden können.

Nachdem der Erlass in die Praxis umgesetzt wurde, hat sich die finanzielle Problematik gezeigt, dass die Verwandten zwar die Unterkunft und Verpflegung übernehmen, was schon einmal den Staat und die Kommunen entlastet, aber, wenn es um Krankheiten, Behinderung oder Pflegebedürftigkeit geht, die Kosten nicht kalkulierbar sind.

Aus diesem Grund hat die SPD diesen Antrag eingebracht. Ich habe mich ein bisschen gewundert. Im Grunde waren wir uns in allen Fraktionen doch einig, dass diese Änderungen umgesetzt werden müssen. Deswegen bin ich mir sicher, wenn im Ausschuss beraten wird, dass wir einen gemeinsamen Antrag daraus machen. Denn es ist eine humanitäre Notwendigkeit, dass wir die Regelungen so anpassen, dass es möglich ist, dass Menschen hierherkommen und die Verwandten, die hier leben, nicht in finanzielle Schieflage geraten. Das hat dazu geführt, dass die Anträge so dürftig eingehen, weil man nicht weiß, wie man das finanzielle Risiko für seine Verwandtschaft tragen kann.

Die Fristverlängerung ist hier auch angesprochen. Bis 28. Februar müssen die Visaanträge gestellt sein. Diese Frist soll durch den Antrag ebenfalls verlängert werden, was ich für richtig halte.

An der Stelle möchte ich auf eine Problematik hinweisen, die vielleicht ein bisschen in Vergessenheit gerät. Es geht um die türkischstämmigen Kurden, die aus der Türkei nach

Syrien geflüchtet sind und die jetzt aufgrund der Bürgerkriegssituation in Syrien nach Deutschland gekommen sind. Für die gilt die Regelung eigentlich nicht. Auch für diese Menschen muss es eine Möglichkeit geben, ihre Verwandten nachkommen zu lassen. Das halten wir für humanitär geboten. Sicher wird es im Ausschuss dazu entsprechende Diskussionen und Vorschläge geben.

(Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie bei Ab- geordneten der SPD)

Das möchte ich an der Stelle anregen. Ich hoffe, dass wir in der Diskussion im Ausschuss eine einvernehmliche Lösung finden und einen entsprechenden Antrag erarbeiten, der diesen Erlass so ändert, dass er in der Praxis anwendbar und humanitär hilfreich ist für die Menschen, die hierherkommen, die hier leben und die hier Schutz suchen, weil sie in ihrem Land ihres Lebens nicht mehr sicher sind. Ich hoffe, dass die Diskussion im Ausschuss zu diesem Ergebnis führt. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU und der SPD)

Vielen Dank, Herr Reuscher. – Für die Landesregierung spricht Staatsminister Rhein. Bitte schön, Herr Staatsminister.

Verehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben zwei große Schritte getan, um die humanitäre Katastrophe für syrische Flüchtlinge abzumildern. Am Ende muss man natürlich sagen, es ist immer ein Tropfen auf den heißen Stein, wenn man sich die Dimension dessen anschaut, was am Ende zu stemmen ist. Aber die Alternative, nichts zu tun, ist die schlechteste Alternative.