Protokoll der Sitzung vom 18.06.2009

Vielen Dank, Frau Kollegin Fuhrmann. – Das Wort hat Herr Staatsminister Banzer.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Tarifautonomie ist ein hohes Gut. Sie ist ein wichtiges Kriterium von Freiheit und einer freiheitlichen Gesellschaft. Freiheitsfragen beginnen nicht immer bei der absoluten Beschränkung, sondern es fängt schleichend an. Die Versuchung, bei solchen Fragestellungen, wie wir sie heute diskutieren, diese Freiheit einzuschränken, ist vorhanden, und das kann ich auch nachvollziehen. Man hat vielleicht auch den Eindruck, dass man hierbei von den beabsichtigten Seiten entsprechenden Beifall bekommt, aber führt es doch am Ende zur Beseitigung der Tarifautonomie und damit zur Beseitigung eines wichtigen Freiheitsgrundsatzes unserer Gesellschaft.

Deswegen ist der Landtag gut beraten, sich absolut zurückzuhalten, wie auch in jedem Falle die Landesregierung.Wir achten die Tarifautonomie.Wir hoffen im Interesse aller Beteiligten, dass man sich möglichst bald einigt, weil Tarifkämpfe immer die Ultima Ratio sein sollten, da sie natürlich zu Belastungen für alle führen, für die Eltern genauso wie für die Kommunen.Aber auch für die Streikenden kann man nur hoffen, dass man sich möglichst bald einigt.

Unabhängig davon wird unsere Gesellschaft aber zu diskutieren haben, wie sie die Dienstleistungen an Personen bewertet. Ich glaube, dort werden wir in unserer Gesellschaft zu einer neuen Bewertung kommen müssen. Dabei geht es nicht nur um die Arbeit in Kinderbetreuungseinrichtungen, sondern insbesondere um den Bereich der Sorge für ältere Menschen. Dort werden wir zu neuen Wertigkeiten kommen müssen. Dies hat zwei Gründe:

Erstens. Bei diesen Aufgabenstellungen wird immer mehr Kompetenz verlangt, und Kompetenz muss leistungsgerecht bezahlt werden.

Zweitens. Der Bedarf wird immer größer, und auch die Nachfrage am Arbeitsmarkt bestimmt den Preis. Ich bin sicher, dass dies in die entsprechenden Diskussionen, die gegenwärtig geführt werden, einfließen wird.

Dass die Landesregierung dem Antrag der LINKEN ausgesprochen ablehnend gegenübersteht, ergibt sich aus

dieser Logik und dieser Position der Tarifautonomie, aber auch insbesondere aus dem letzten Satz, in dem Sie von den „finanziellen Veraussetzungen“ sprechen und diese dem Land zuweisen.Das können wir nicht leisten,und das wollen wir auch nicht leisten. Die Aufgabenstellung ist eindeutig bei den Kommunen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Minister. – Wir sind am Ende der Debatte angelangt.

Zur Geschäftsordnung hat Herr Kollege Schaus das Wort.

(Zuruf von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Guten Morgen!)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir nehmen die Argumente aus der aktuellen Diskussion auf und beantragen, dass der Antrag an den Ausschuss für Arbeit, Familie und Gesundheit überwiesen wird, um dort mit allen weiter zu diskutieren, welche Auswirkungen für das Land Hessen und für den Landtag zu erwarten sind,damit wir zu einem Ergebnis kommen.

Vielen Dank. – Zur Geschäftsordnung, Herr Kollege Wintermeyer.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir haben hier bei der Aktuellen Stunde schon Probleme gehabt, den Titel „Soziale Arbeit in Hessen braucht gute Arbeitsbedingungen“ einzuordnen. Wir haben den Antrag nicht vor Beginn der Aktuellen Stunde gehabt, sondern während der Diskussion.Wir haben es im Hessischen Landtag immer so gehalten, dass wir Dringliche Entschließungsanträge dann auch ohne Aussprache entsprechend abstimmen. In § 32 Abs. 9 unserer Geschäftsordnung heißt es zu den Entschließungsanträgen nach einer Aktuellen Stunde eindeutig: „... die einer sofortigen Abstimmung unterliegen“. Daran wollen wir uns auch halten.

Zur Geschäftsordnung hat Herr Kollege Wagner das Wort.

Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Kollege Wintermeyer, wir haben hier im Parlament durchaus die gängige Praxis, a) dass wir auch Dringliche Entschließungsanträge an einen Ausschuss überwiesen haben, wenn es der Debattenverlauf hergegeben hat. Insofern ist das Begehren der Kollegen der LINKEN nichts Ungewöhnliches.

Wir haben im Hessischen Landtag vor allem die gängige Praxis, b) dass nicht gegen den Willen von Antragstellern ein Verfahren zu ihrem Antrag beschlossen wird. Deshalb unterstützen wir den Antrag der Kollegen der LINKEN.

Herr Kollege Wintermeyer, es kann nur sachdienlich sein, wenn wir im Ausschuss fachlich beraten.

Haben wir noch etwas zur Geschäftsordnung? – Das ist nicht der Fall.

Ich lasse dann darüber abstimmen, ob wir den Antrag an den Ausschuss überweisen. Wer für die Überweisung ist, den bitte ich um das Handzeichen. – SPD, GRÜNE und DIE LINKE. Gegenstimmen? – CDU und FDP. Damit ist dieser Verfahrensantrag abgelehnt, und ich stelle – –

(Zurufe von der SPD – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist doch unmöglich!)

Meine Damen und Herren, ich weiß gar nicht, warum Sie sich so erregen. Die Abstimmung ist – –

(Anhaltende Zurufe)

Meine Damen und Herren, ich möchte jetzt gern über den Antrag abstimmen lassen.

(Zuruf der Abg. Marjana Schott (DIE LINKE)

Frau Kollegin Schott, ich möchte über Ihren Antrag abstimmen lassen. Schreien Sie bitte nicht dazwischen, sonst höre ich nicht, was Sie vielleicht meinen.

Ich lasse über den Dringlichen Entschließungsantrag der Fraktion DIE LINKE abstimmen.Wer ihm seine Zustimmung gibt, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist DIE LINKE. Gegenstimmen? – CDU und FDP. Enthaltungen? – SPD und GRÜNE. Damit ist der Antrag abgelehnt.

Dann rufe ich Tagesordnungspunkt 68 auf:

Antrag der Fraktion der SPD betreffend eine Aktuelle Stunde (Wahlversprechen gebrochen – Bankrotterklä- rung der Landesregierung bei den Mindestvoraussetzun- gen in Kindertagesstätten) – Drucks. 18/789 –

gemeinsam mit dem Tagesordnungspunkt 69:

Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend eine Aktuelle Stunde (Kinderbetreuung: CDU bricht Wahlversprechen, FDP macht mit, Eltern haben das Nachsehen) – Drucks. 18/791 –

Diese Anträge werden gemeinsam beraten. Die Redezeit beträgt 7,5 Minuten. Das Wort hat Herr Kollege Merz für die SPD-Fraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich muss zunächst den Titel unseres Antrags für diese Aktuelle Stunde korrigieren. Es kann natürlich von einem Bankrott der Landesregierung nicht die Rede sein, allerdings aus dem einzigen Grunde, dass man heutzutage keinen Bankrott mehr macht, sondern in Insolvenz geht, wie wir aufgrund der ständigen Erklärungen des Bundesinsolvenzministers zu Guttenberg jeden zweiten Tag erfahren.

(Beifall bei der SPD)

Wir erfahren auch, dass Insolvenz heutzutage nichts Schlimmes ist, sondern sogar heilsame Wirkungen haben kann.

(Lebhafte Zurufe von der CDU)

Meine Damen und Herren, was ist eine Insolvenz? Eine Insolvenz ist gekennzeichnet durch akute Zahlungsunfähigkeit, durch drohende Zahlungsunfähigkeit und/oder durch Überschuldung.

(Zuruf des Abg. Volker Hoff (CDU) – Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

Im vorliegenden Falle der Mindestvoraussetzungen sind alle drei Merkmale gleichzeitig gegeben. Meine Damen und Herren,der Sinn eines Insolvenzverfahrens ist es,entweder die Zahlungsfähigkeit wiederherzustellen oder die Situation geordnet abzuwickeln. Nach Abschluss des Insolvenzverfahrens verfallen in der Regel alle noch unbefriedigten Ansprüche der Gläubiger gegenüber dem Schuldner.Im vorliegenden Fall ist zu befürchten,dass die ersten beiden Ziele nicht erreicht werden, dass aber in jedem Fall die unbefriedigten Ansprüche der Gläubiger gegenüber dem Schuldner verfallen werden, dies umso mehr, als der Schuldner, nämlich das Land Hessen, seit Jahr und Tag nichts dafür getan hat, die Insolvenz zu vermeiden.Vielmehr weiß es noch nicht einmal, wie hoch eigentlich seine Verbindlichkeiten sind.

(Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU: Spre- chen Sie zum Thema?)

Ich komme zum Thema. – Das ist das Thema. Denn das Problem beginnt schon mit der Bezeichnung der Verordnung, deren Aussetzung der Anlass dieser Debatte ist. Eine Verordnung über die Mindestvoraussetzungen für den Betrieb von Kindertagesstätten bezeichnet schon in ihrem Titel den mangelnden Gestaltungswillen des Landes als Verordnungsgeber. Mit dieser Verordnung wird nicht beschrieben, welche Aufgaben es in der Kinderbetreuung heutzutage gibt und welche Qualifikationen und wie viel Personal zur ordentlichen Erfüllung dieser Aufgaben benötigt werden. Die Verordnung beschreibt den Punkt, den man nicht unterschreiten darf, damit der Betrieb nicht zusammenbricht – nicht mehr und nicht weniger.

Genau das ist die Realität. Das kann ich Ihnen aus vielfältiger Erfahrung als kommunaler Arbeitgeber, als Personalratsmitglied und zurzeit auch als Vater von zwei Kindern in Kinderbetreuungseinrichtungen sagen. Denn dass man eine Einrichtung unter den gegenwärtigen Bedingungen und mit den ständig wachsenden Aufgaben – hier nenne ich nur den Bildungs- und Erziehungsplan, von dem die Landesregierung immer noch behauptet, dass er ohne zusätzliches Personal umzusetzen sei – mit 1,5 Fachkräften pro Gruppe, mit diesem Schlüssel, mit dem alle Leitungsaufgaben, alle Vertretungsfälle, alle Vor- und Nachbereitungszeiten, all die vielen Aufgaben, von denen in der vorherigen Aktuellen Stunde die Rede war, nicht mehr ordentlich betreiben kann, das ist heute offensichtlich. Umgekehrt ist offensichtlich: Heute glaubt kein Mensch mehr, dass man das könne.

(Beifall der Abg. Regine Müller (Schwalmstadt) (SPD))

Weil das kein Mensch mehr glaubt und auch im letzten Jahr kein Mensch geglaubt hat, hatten wir im letzten Jahr die sehr erfolgreiche und verdienstvolle Kampagne der Liga der Wohlfahrtsverbände. Deswegen und wegen des herannahenden Wahltermins hat die Landesregierung dann doch noch unerwartet eine Neufassung der Verordnung vorgelegt. Die erste Fassung war freilich so, dass es im Grunde bei dem alten Stand geblieben wäre, weil 1,5 Stellen pro Gruppe als Muss und 2,0 Stellen als Soll vorgesehen waren.

Ich konzentriere meine Argumentation auf den Eckpunkt der Betreuungsschlüssel für die drei- bis sechsjährigen Kinder. Denn alle anderen Schlüssel folgen im Grunde mit einem gewissen Abstand diesem Schlüssel. – 1,5 Stellen sollten also vorgeschrieben werden, und 2,0 mit einem Soll versehen werden.

Meine Damen und Herren, jeder, der die Situation in den Kommunen und bei den Trägern kennt, weiß, was das bedeutet hätte. Er weiß, dass es in den meisten Fällen bei genau 1,5 geblieben wäre bzw. hätte bleiben müssen. Denn selbst da, wo bei einer schlechten Finanzsituation der Wille gewesen wäre, über diesen Schlüssel hinauszugehen, hätte die Finanzaufsicht, wie wir z. B. aus dem Regierungspräsidium Gießen sehr gut wissen, eingegriffen, sodass es auf dem Papier stehen geblieben wäre.

Weil es eine ganze Menge an Protesten gegeben hat, weil der berechtigte Einwand war, dass es bei dem Alten bleiben würde, ist diese Verordnung korrigiert worden. Deswegen stehen jetzt 1,75 Fachkräfte pro Gruppe als Muss auf dem Papier – auf dem Papier.

Das ist das akute Problem, über das heute zu reden ist. Denn nach Inkrafttreten der Verordnung ist der Landesregierung aufgefallen, dass mit ihrer Verordnung ein zusätzlicher Bedarf an Fachkräften ausgelöst wird, ein Bedarf, der gegenwärtig schwer zu decken ist, weil sich auf diesem Teil des Arbeitsmarktes die Versäumnisse bemerkbar machen, von denen in der vorherigen Debatte die Rede war und von denen ich auch gesprochen habe, nämlich schlechte Arbeitsbedingungen,

(Günter Rudolph (SPD): So ist es!)

schlechte Bezahlung, geringe Wertschätzung. All das hat dazu geführt, dass der Beruf der Erzieherin und erst recht der Beruf des Erziehers – um dies an der Stelle noch einmal zu betonen – für junge Männer und junge Frauen nicht attraktiv ist.