Zweitens. Keine Verfassung der Welt enthält eine Bestimmung, wonach sich ein Staat zur Aufrüstung verpflichtet. Der Lissabon-Vertrag, der für die EU einen Verfassungscharakter hat,sieht eine solche Aufrüstungsverpflichtung vor.
Drittens. Zahlreiche weitere Bestimmungen des Lissabon-Vertrages sehen eine Militarisierung der EU vor,
(Aloys Lenz (CDU): Das ist doch Schwachsinn! – Weitere Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Glockenzeichen des Präsidenten)
etwa die Einrichtung einer Rüstungsagentur – Sie nennen das volkstümlich Verteidigungsagentur –, die Festlegung der EU-Mitglieder auf militärischen Beistand bei terro
ristischen Angriffen, die Begründung einer europäischen Verteidigungsunion, also eines militärischen Beistandspaktes, und die Möglichkeit weltweiter militärischer Interventionen, unter anderem friedenserzwingende Einsätze.
Viertens. Besonders zu kritisieren ist, dass das Europäische Parlament ausgerechnet in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik, wenn es also buchstäblich um Krieg und Frieden geht, keinerlei Entscheidungskompetenz besitzt. Auch der Europäische Gerichtshof kann in diesem Politikfeld nicht angerufen werden.
Das Bundesverfassungsgericht hat sich lediglich mit der Frage der Vereinbarkeit von Lissabon-Vertrag und Grundgesetz befasst. Es hatte weder über die Friedensverträglichkeit noch über die Umweltverträglichkeit, noch die Sozialverträglichkeit des Verfassungswerks zu entscheiden. Weder Europa noch die Welt braucht eine neue Militärunion.
Zu einem friedlichen abrüstungsbereiten Europa sagt die Friedensbewegung eindeutig Ja. Der Militarisierung der EU verweigern wir aber weiterhin jede Zustimmung.
Das Bundesverfassungsgericht hat der Bundesregierung und der Mehrheit des Bundestags eine demokratische Nachhilfestunde erteilt. Dass der Ratifizierungsprozess des EU-Vertrages durch die Verfassungsrichter gestoppt wurde, belegt, wie gravierend die Beteiligungsrechte von Bundestag und Bundesrat verletzt worden sind.Wenn das höchste deutsche Gericht die Gefahr einer – ich zitiere – „Aushöhlung des demokratischen Herrschaftssystems in Deutschland“ sieht, ist das eine schallende Ohrfeige für CDU/CSU, FDP und GRÜNE.
Es ist der Klage der Fraktion DIE LINKE im Bundestag und weiterer Kläger zu danken, dass diese Selbstentmachtung der Legislative
vielleicht hätten Sie das Verfassungswerk vorher „reparieren“ können, dann wäre die Klage gar nicht notwendig gewesen – in Bezug auf den europäischen Gesetzgebungsund Entscheidungsprozess gestoppt wurde.Damit ist klarund sichergestellt, dass die Bundeswehr weiterhin nur mit ausdrücklicher Zustimmung des Bundestags eingesetzt werden darf.
Die im Lissabon-Vertrag und mit dem deutschen Begleitgesetz vorgesehene Aushebelung der Beteiligung des Bundestags bei Militäreinsätzen der EU ist also verfassungswidrig.
Ich komme zum Schluss. – Wir fordern natürlich ein soziales Europa. Die sozialen Bedingungen gehören in den Vordergrund gestellt – vor pekuniären und finanziellen Fragestellungen. Wir sind für ein Europa, in dem kein
Mensch illegal ist. Wir bleiben dabei – und sehen uns durch das Verfassungsgerichtsurteil bestärkt –, dass der Lissabon-Vertrag keine ausreichende Grundlage für ein soziales, demokratisches und friedenspolitisches Europa legt und dringend verbesserungsbedürftig ist. – Vielen Dank.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf zunächst der FDP-Fraktion recht herzlich danken, dass sie mir noch einmal Gelegenheit gibt, hier eine Rede zu halten.
In der Tat hat das Bundesverfassungsgericht mit seinem Karlsruher Urteil eine entscheidende Weichenstellung für Europa vorgenommen. Lieber Willy van Ooyen, Sie haben es aber nicht so ganz verstanden.
Die Klage der seltsamen Koalition aus Peter Gauweiler und Oskar Lafontaine ist nämlich ganz eindeutig abgelehnt worden.
Der Lissabon-Vertrag wird in Zukunft Grundlage der Europäischen Union sein. Das ist gut so, weil er Demokratiedefizite in Europa aufhebt und eine Grundlage für eine Organisation mit 27 Mitgliedstaaten bietet. Ohne ihn würde das nicht funktionieren.Wenn die Karlsruher Richter Herrn Gauweiler und Oskar Lafontaine gefolgt wären, dann wäre die Europäische Union von einem der Kernstaaten in Europa, nämlich Deutschland, heraus implodiert. Das hätte katastrophale Folgen für den europäischen Einigungsprozess gehabt.Deshalb war das ein guter Tag für Europa und ein guter Tag für alle demokratischen Kräfte in diesem Land.
Das Urteil des Verfassungsgerichts hat wirklich Maßstäbe gesetzt, und zwar dahin gehend, dass die Rollenverteilung zwischen dem Europaparlament,der europäischen Ebene und der Bundesrepublik Deutschland neu bestimmt wird. Es ist ganz klar gesagt worden – auch das haben Sie eben falsch gesagt, Herr Kollege van Ooyen –, dass nach wie vor der Bundestag über alle Auslandseinsätze der Bundeswehr entscheidet. Die Europäische Union kann diese Entscheidung nicht vorwegnehmen. Außerdem ist Europa in keiner Hinsicht ein Projekt der militärischen Aufrüstung.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie bei Abgeordneten der CDU und der SPD – Zu- ruf des Abg.Willi van Ooyen (DIE LINKE))
Das haben Sie im ganzen Wahlkampf erzählt. Sie haben dafür nicht unbedingt wahnsinnig viele Stimmen eingesammelt. Das ist schlicht und ergreifend Unsinn. Unsinn
ist auch, zu behaupten, dass die nationale Souveränität durch den Verfassungsvertrag gefährdet werde.
Dass die Ebenen klar getrennt werden und dass das Verfassungsgericht den Bundestag zum Nachsitzen in der Sommerpause verdonnert hat, ist eigentlich ein Zeichen dafür – die „Zeit“ hat es mit „Mehr Volk wagen“ überschrieben –, dass sich die Parlamente auf allen Ebenen intensiver mit dem Thema Europa beschäftigen müssen. Die Herausforderung Europa kann man nicht mehr an Regierungschefs delegieren und sagen: „Entscheidet ihr, nachher nicken wir das im Bundestag und in den Landesparlamenten ab“, sondern der Bundestag und die Länderparlamente müssen ihren Teil an Verantwortung überund wahrnehmen. Europa muss ein Stück gelebte Demokratie auch in den Parlamenten werden. Machen wir uns nichts vor – das sage ich ganz selbstkritisch, auch als Abgeordneter, der im Europaausschuss saß und sitzt –: Das Thema Europa ist nicht immer Kernpunkt der Auseinandersetzungen in den Landtagen und im Bundestag, es ist eher ein Thema, das man so „mitmacht“.
Das wird in Zukunft nicht mehr so sein können; denn keine Regierung und kein Parlament kann sich mehr hinstellen, mit dem Finger nach Brüssel zeigen und sagen: Was habt ihr da wieder verbrochen? – Es zeigen nämlich drei Finger auf den Fragenden, wenn man sich vorher nicht intensiv genug mit den Problemen beschäftigt und ganz klar gesagt hat:Wir stehen in der Verantwortung, wir müssen uns mit sämtlichen Regeln in Europa beschäftigen, wir müssen den Rahmen der Möglichkeiten der nationalen Parlamente abstecken.
Der europäische Einigungsprozess ist ohne Alternative. Das hat auch das Verfassungsgericht ganz klar gesagt. Das Grundgesetz war von Anfang an europafreundlich gestaltet und wird auch weiterhin so interpretiert. Das ist eine klare Absage an alle die, die das Urteil jetzt so uminterpretieren wollen, als könnten alle Länder, die im Kern gegen Europa sind, regelmäßig ihr Veto einlegen. Das, was jetzt aus Bayern, von Teilen der CSU zu hören ist, dass in der EU jetzt nichts mehr passieren könne, ohne dass der Bayerische Landtag oder die CSU-Fraktion das abnickt, darf und wird nicht passieren. Es ist kein Hemmschuh dadurch aufgestellt worden, dass sich die nationalen Parlamente jetzt intensiver mit Europa beschäftigen müssen, sondern es gibt eine Verpflichtung der nationalen Parlamente, das zu tun. Das muss auch so gewertet werden.
Eines muss ich ganz klar sagen:Es geht darum,dass die legislativen Ebenen in Europa, das Europaparlament, der Bundestag und die Länderparlamente,nicht in einen Konkurrenzkampf darum eintreten müssen, wer mehr zu sagen hat, wer die Richtung vorgibt. Nein, Europa geht nur im Konsens, und alle Parlamente müssen die Weichen für Europa gemeinsam stellen. Das ist die Kernaufgabe.Auch dieser Landtag muss und darf die Europapolitik in Zukunft mitgestalten. Das ist eine interessante Aufgabe.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich werde demnächst auf einer anderen Ebene, nämlich auf der Ebene der Europäischen Union, tätig sein.
Ja, eine fünfminütige Rede ist im Europäischen Parlament schon eine lange Rede, die den Fraktionsvorsitzenden vorbehalten ist. Die meisten Reden dauern nur zwei
oder drei Minuten. Das heißt aber nicht, dass man im Europäischen Parlament nicht viel sagen kann; denn es findet wesentlich mehr Arbeit in den Ausschüssen statt. Im Europäischen Parlament – das habe ich in der kurzen Zeit schon mitbekommen – herrscht eine offene Debattenkultur, und es gibt mehr Zusammenarbeit, auch über die Parteigrenzen hinweg.
Von einer solchen offenen Atmosphäre, wie sie im Europäischen Parlament herrscht, könnte auch der Hessische Landtag profitieren.
Ich darf mich mit dieser Rede vom Hessischen Landtag verabschieden. Ich darf mich bei allen Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich in den letzten Jahren zusammenarbeiten durfte, recht herzlich für diese Zusammenarbeit bedanken. Es waren oftmals harte Debatten, aber ich glaube, wir waren letztendlich immer fair zueinander, und der Inhalt stand im Mittelpunkt der Auseinandersetzung.
Ich werde mich in Brüssel natürlich auch für Hessen einsetzen.Das sage ich ganz klar.Ich bin gesprächsbereit und für alle Seiten ansprechbar. Demnächst werde ich mein Büro in Wiesbaden eröffnen.Auch dort bin ich für alle ansprechbar. Natürlich biete ich auch der Landesregierung eine Zusammenarbeit in vielen Fragen der Europapolitik an. Ich wünsche Ihnen einen guten Verlauf der weiteren Plenarrunde. – Vielen Dank.
Herr Kollege Häusling, Sie hatten heute in der Aktuellen Stunde unbegrenzt Redezeit. So liberal geht es in diesem Haus zu.