Protokoll der Sitzung vom 17.09.2009

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die soziale Marktwirtschaft war nicht nur die Grundlage des deutschen Wirtschaftswunders in den Fünfzigerjahren. Sie war und ist auch heute das wirtschaftliche Kernelement unserer demokratischen Grundordnung.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Keine andere Wirtschaftsordnung in der Welt hat den Menschen mehr Wohlstand auf breiter Grundlage gebracht. Die soziale Marktwirtschaft ist auch heute, und das mehr denn je,ein wesentlicher Garant für Freiheit und Wohlstand. Die CDU-Fraktion hat diesen Punkt zum Setzpunkt gemacht,um noch einmal die Bedeutung dieser Wirtschaftsordnung für unser Gemeinwesen hervorzuheben.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP – Günter Rudolph (SPD): Das sieht man!)

Um die Zielsetzung und auch die Dynamik dieser Wirtschaftsordnung zu verdeutlichen, macht es Sinn, einen Blick auf ihre Entstehungsgeschichte zu werfen. Es war Alfred Müller-Armack, Ökonom, Politiker und Professor, der 1946 erstmals den Begriff soziale Marktwirtschaft schriftlich publizierte. Für Müller-Armack war die soziale Marktwirtschaft nicht bloß eine Wirtschaftsordnung, sondern sie war für ihn auch ein gesellschaftspolitisches Leitbild. Neben Müller-Armack zählen sicherlich auch die Vertreter der sogenannten Freiburger Schule zu den geistigen Vätern der sozialen Marktwirtschaft: Franz Böhm, Walter Eucken,Wilhelm Röpke,Alexander Rüstow,Friedrich Hayek und andere lieferten wichtige ordnungstheoretische Entwürfe. Ihnen allen war gemeinsam:

(Zuruf des Abg.Willi van Ooyen (DIE LINKE))

erstens die strikte Ablehnung des sogenannten Laisserfaire-Kapitalismus der Zwanzigerjahre mit seinen schwierigen und katastrophalen politischen und wirtschaftlichen Folgen, zweitens die ebenso strikte Ablehnung des totalitären Sozialismus mit der Planwirtschaft und drittens ein entschiedenes Eintreten für eine auf sozialen Ausgleich eingestellte Gesellschaftsordnung, die teilweise durch eine durchaus konservative Gesellschaftspolitik geprägt war und – das möchte ich auch hervorheben – ein klares Bekenntnis zum Menschenbild der christlichen Soziallehre, zu den Idealen der menschlichen Freiheit und der persönlichen Würde zeigte.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Zuruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Vor allem zeichnete sie der unerschütterliche Glaube an die Vorzugswürdigkeit einer marktwirtschaftlichen Gesellschaftsordnung aus,die zwar aus Gründen des sozialen Ausgleichs in die richtigen Bahnen zu lenken sei,deren segensreiche Wirkungen aber für Volkswohlstand, Freiheit und Fortschritt außer Zweifel stehen.

Die Bewährungsprobe für diesen sogenannten dritten Weg zwischen Laisser-faire-Kapitalismus und sozialistischer Planwirtschaft sollte bald kommen. Lassen Sie uns deswegen kurz in das Jahr 1949 blicken. Nach den ersten Jahren des Wiederaufbaus eines zerbombten Nachkriegsdeutschlands steht das politische Deutschland vor der Wahl des ersten Deutschen Bundestages am 14. August 1949. Die Architekten des neuen Deutschlands sind damals Konrad Adenauer, CDU, und Kurt Schumacher, SPD.

Meilensteine dieser bisherigen Entwicklung sind die Währungsreform vom 21. Juni 1948 und das Inkrafttreten des Grundgesetzes am 23.Mai 1949.Was war die damalige politische Situation?

(Günter Rudolph (SPD): Kommen Sie auch noch einmal zu dem Antrag?)

In der unmittelbaren Nachkriegszeit hatte sich in den wesentlichen Besatzungszonen trotz westlicher Besatzungsmächte eine breite sozialistische Strömung artikuliert und ließ für kurze Zeit eine Abkehr vom Kapitalismus als möglich erscheinen. CDU, CSU, FDP, Deutsche Partei, SPD und – Herr Rudolph, jetzt sollten Sie zuhören – KPD rangen um die Stimmen der Wähler. Die soziale Marktwirtschaft wurde auf Betreiben von Ludwig Erhard und Alfred Müller-Armack in den Düsseldorfer Leitsätzen der CDU/CSU vom 15. Juli 1949 offiziell zum wirtschaftlichen Kernprogramm für die erste Bundestagswahl benannt.

Die Kurzformel von Müller-Armack für den Sinn der sozialen Marktwirtschaft lautet:Verbindung von Marktfreiheit und sozialem Ausgleich. Das bedeutete eindeutig auch in den Beiträgen der anderen genannten wissenschaftlichen Forscher, dass die Grundwerte Freiheit, Verantwortung, Gleichheit und Gerechtigkeit dabei sowohl in ihrer marktwirtschaftlichen als auch in ihrer sozialen Ausprägung gleichberechtigt anerkannt wurden. Mit dem Sozialen in dieser Marktwirtschaft war nicht primär die wohlfahrtsstaatliche Sozialpolitik gemeint, sondern die Setzung von Schranken, die den Markt begrenzen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Das heißt, es geht um einen festen Ordnungsrahmen, der außerhalb der Marktkräfte steht.Das bedeutet einen starken Staat, und das muss damit Gegenstand der demokratischen Kontrolle sein. Ziel ist die Herstellung der Balance zwischen Einzelinteresse und öffentlichem Interesse. Die Geschichte dieser ersten Bundestagswahl spricht für sich. – Herr Kollege Rudolph, jetzt sollten Sie zuhören.

(Günter Rudolph (SPD): Ihnen höre ich gern zu! Nicht allen, aber Ihnen höre ich gern zu!)

Der designierte Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard – damals übrigens noch parteilos – wird zum zentralen Träger des Wahlkampfs von CDU, CSU und FDP, die die soziale Marktwirtschaft zum Hauptthema dieser ersten Auseinandersetzung machen. Die SPD unter Kurt Schumacher setzt in ihrem Wahlkampf auf Planwirtschaft und Klassenkampf, wobei die Kirchenschelte von Kurt Schumacher zum Ergebnis beiträgt.Die Entscheidung der Wählerinnen und Wähler der damaligen ersten Bundestagswahl ist eindeutig eine Mehrheit von CDU, CSU und FDP mit dem Grundprinzip der sozialen Marktwirtschaft, und sie bekommen eindeutig den Regierungsauftrag. Konrad Adenauer wird der erste Bundeskanzler und führt in einer Koalition von CDU, CSU, FDP und der Deutschen Partei das Nachkriegsdeutschland mit der sozialen Marktwirtschaft zu einem deutschen Wirtschaftswunder, das seinesgleichen in der Welt sucht.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Zu Ihrer Beruhigung, Herr Kollege Rudolph: 1960 schließt auch die SPD ihren Frieden mit der sozialen Marktwirtschaft. Im Godesberger Programm wird dies aufgenommen. Mit Karl Schiller haben Sie einen glühenden Vertreter.

(Günter Rudolph (SPD): Ich bin Ihnen für die Geschichtsstunde dankbar! Kommen Sie einmal zum Antrag!)

Warum habe ich hier diesen Ausflug in die Geschichte gemacht? – Es gibt heute viele, die diese soziale Marktwirtschaft für sich reklamieren. Ich bin sehr froh, dass zumindest für unsere freiheitliche Grundordnung CDU, FDP und auch die SPD keinen Zweifel daran lassen, dass diese wirtschaftliche Grundordnung verkettet mit unserem Grundgesetz und den Grundsätzen unserer Gesellschaftsordnung und unseres Gemeinwesens keinen Zweifel an sich zieht. Freiheit, Marktwirtschaft und Verantwortung stehen in einem krassen Gegensatz zum Staatsdirigismus der Planwirtschaft, zu Gängelung und Unfreiheit.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Das genau ist die Lehre der Geschichte, die wir in diesem Hohen Haus gemeinsam ziehen sollten und die ich auch der Fraktion der LINKEN ins Stammbuch schreiben

möchte. Die wirtschaftspolitische Entwicklung im freien Teil Deutschlands und in dem anderen, östlichen Teil Deutschlands zeigt, dass der totale Bankrott der sozialistischen Planwirtschaft die Überlegenheit der sozialen Marktwirtschaft sehr deutlich gemacht hat und dass die Menschen keine kommunistische Gängelung und Bevormundung wollen, sondern Freiheit und Eigenverantwortung. Das gibt die soziale Marktwirtschaft.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Ein Blick in das Wahlprogramm der LINKEN zeigt, dass sie überhaupt nichts gelernt haben: Banken vergesellschaften. Im Kernbereich soll die Wirtschaft auf öffentlichem Eigentum und Belegschaftseigentum aufgebaut werden. Keine Marktsteuerung der Produktion und Verteilung, sondern überdemokratische Institutionen, Einstieg in eine andere Gesellschaft. Auch hier hilft wiederum durchaus ein Blick auf die deutsch-deutsche Geschichte.Den tatsächlichen Zustand der Wirtschaft im östlichen Teil Deutschlands am Vorabend der Wiedervereinigung bezeugt eine Untersuchung, die das Zentralkomitee der SED nach dem Sturz von Erich Honecker Ende 1989 in Auftrag gab. Sie kommt zu dem Schluss, dass das Land nur dann überleben wird, wenn entweder der Lebensstandard der DDR-Bürger dramatisch gesenkt, der Export ins westliche Ausland vervielfacht oder das bestehende Wirtschaftssystem aufgegeben wird. Sie kennen die Entscheidung: die Selbstaufgabe. Diese prekäre Wirtschaftslage führte zum ersten politischen Systemwechsel und zur ersten demokratischen und freien Volkskammerwahl im Frühjahr 1990. Sie, meine Damen und Herren von der LINKEN, haben aus diesem gescheiterten Realexperiment der ehemaligen DDR überhaupt nichts gelernt. Unfreiheit im Wirtschaftsgebaren führt zu Unfreiheit der Menschen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Ich hoffe sehr mit den demokratischen Parteien in diesem Haus, dass den Menschen in unserem Land – gerade mit Blick auf den 27. September – bald die Augen aufgehen und sie nicht länger auf Ihre politischen Seifenblasen hereinfallen. Dies gilt aber auch – und das sage ich ganz deutlich; Herr Rudolph, bitte hören Sie zu, das ist auch für Sie gedacht – für andere Fraktionen, die bereit sind, mit den LINKEN eine Koalition einzugehen,

(Zurufe von der SPD: Eieiei!)

die bereit sind, die LINKEN in eine Regierungsverantwortung hineinzunehmen, und die meinen, soziale Marktwirtschaft und die Vorstellungen von der Partei der LINKEN würden sich miteinander vertragen. Das will ich noch einmal deutlich sagen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Herr Kollege Dr. Arnold, Sie müssten zum Schluss Ihrer Rede kommen. Die Redezeit ist abgelaufen.

Ich möchte mit einem Zitat von Bundeskanzler Ludwig Erhard schließen. Es stammt aus seiner Regierungserklärung vom 18. Oktober 1963. Herr Rudolph, all das, was ich gesagt habe, begleitet und unterstützt unseren Antrag und verdeutlicht ihn. Ludwig Erhard sagte:

Die Freiheit ist ein so hoher und absoluter Wert, dass sich ein Volk selbst preisgibt, wenn es auf sie verzichtet.

Dem ist nichts hinzuzufügen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Zurufe der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE) und Günter Rudolph (SPD))

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Arnold. – Nächster Redner ist für die SPD-Fraktion Herr Kollege Frankenberger.

(Günter Rudolph (SPD): Reden Sie bitte auch einmal zu den Anträgen! Das ist eben vergessen worden!)

Ich werde mir Mühe geben. –Frau Präsidentin, sehr verehrte Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Arnold, das waren zweifelsohne sehr interessante Ausführungen, die Sie hier gemacht haben, aber sie haben herzlich wenig mit dem hier vorliegenden Antrag zu tun.

(Beifall bei der SPD)

Den vorliegenden Entschließungsantrag von CDU und FDP könnte man einfach als Bekenntnisantrag abtun, der eigentlich nichts anderem als der uns bevorstehenden Bundestagswahl geschuldet ist.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Ganz genau!)

Aber hinter Ihren politischen Bekenntnissen findet sich konkretes politisches Handeln, und da ist es gut, dass Sie diesen Tagesordnungspunkt gesetzt haben; denn das gibt uns Gelegenheit, doch einmal darüber zu reden, worin eigentlich die Unterschiede in den politischen Entwürfen bestehen. Es ist auch gut, dass wir darüber reden können, was CDU und FDP mit diesem Land vorhaben und was das für Auswirkungen auf die Lebenssituation der Menschen hat.

(Beifall bei der SPD – Zuruf von der FDP: Großer Gott!)

Ich denke, auch eine Motivation für diesen Antrag wird gewesen sein, dass Sie wahrgenommen haben, dass die Menschen das Vertrauen in staatliche Institutionen, in die Politik und in die Wirtschaft verloren haben. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, mit Bekenntnisanträgen und weißer Salbe, die Ihren Antrag durchzieht, werden Sie dieses Vertrauen nicht wieder zurückgewinnen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Fakt ist doch, dass sich Ludwig Erhard vermutlich im Grab umdrehen würde, wenn er wüsste, was die selbst ernannten Hüter der sozialen Marktwirtschaft von CDU und FDP aus dem Leitbild der sozialen Marktwirtschaft gemacht haben und – noch viel schlimmer – was sie mit der sozialen Marktwirtschaft vorhaben, wenn sie denn die Gelegenheit bekommen würden, gemeinsam Verantwortung zu tragen.

(Beifall bei der SPD – Zuruf der Abg. Janine Wiss- ler (DIE LINKE))

Das ist eben auch der Unterschied. Für Sozialdemokraten gehört beides zusammen. Das Soziale in der Marktwirt

schaft hat für uns einen hohen Stellenwert, weil wir davon überzeugt sind, dass Demokratie nur dann funktionieren kann, wenn der soziale Zusammenhalt und Ausgleich in der Gesellschaft gewährleistet ist.