Protokoll der Sitzung vom 08.10.2009

(Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Langfristig!)

Nun kennt selbst Theo Waigel, auch kein Freund der LINKEN, die volkswirtschaftliche Faustregel – er zitiert sie immer wieder –, nach der für einen Euro Steuersenkung im besten Fall 30 Cent wieder in die Staatskasse zurückfließen. In Waigels Worten: „Man muss den Wählern einfach sagen, dass sich eine Steuerreform nicht selbst finanziert, sondern nur zu einem Drittel.“

Wir sagen es noch einmal kurz und zugespitzt:

Erstens. Die Krise ist keineswegs überwunden, und ein Wförmiger Krisenverlauf, bei dem die Konjunktur nach einer zwischenzeitlich schwachen Erholung infolge steigender Arbeitslosigkeit erneut einbricht, ist genauso wahrscheinlich wie ein langsamer und schwacher Anstieg der Wirtschaftsleistung, der ohne nennenswerte Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt bleiben wird.

Zweitens. Für Steuergeschenke gibt es keinen Spielraum.

Drittens. Steuerreformen finanzieren sich nicht von selbst, sondern belasten die extrem überlasteten Haushalte.

Dabei gibt es sozial gerechte Alternativen, beispielsweise unserer Fraktion.Wir legen mit unserem Antrag: „Finanzund Wirtschaftskrise bekämpfen – Reichtum solidarisch

umverteilen“ erneut ein solidarisches Alternativkonzept vor.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir gehen die Ursachen der Finanz- und Wirtschaftskrise an und sagen, wie steigende Vermögenskonzentrationen bekämpft, die Spekulation an Finanzmärkten durch eine Börsenumsatzsteuer reguliert und allein in Hessen in einem Schritt strukturelle Mehreinnahmen von bis zu 1,8 Milliarden c eingebracht werden könnten. Grundsätzlich fordern wir die Einführung einer Börsenumsatz- und Millionärssteuer.Wir fordern in unserem Antrag die Landesregierung konkret auf, Bundesratsinitiativen zur Einführung einer Großerbensteuer zu ergreifen sowie zur Wiedereinführung der Vermögensteuer beizutragen.

(Beifall bei der LINKEN – Gottfried Milde (Gries- heim) (CDU):Wann werden alle reich?)

Herr Kollege van Ooyen,Ihre Redezeit ist abgelaufen.Ich darf Sie bitten, zum Schluss zu kommen.

Ich komme dann zum Schluss. – Es geht um die Auswirkungen der Einführung einer Vermögensteuer auf die hessischen Landesfinanzen nach einer Studie des Instituts für Makroökonomie. Ein Steuersatz von 1 % bei einem Freibetrag von etwa 500.000 c brächte dem Land Hessen nach dem Länderfinanzausgleich 1,2 Milliarden c Mehreinnahmen.

Noch eine Bemerkung zum Antrag der GRÜNEN.

Nein, Herr van Ooyen, die Redezeit ist abgelaufen.

Diese sind sozusagen auf dem Wege – ich habe es heute Morgen schon gesagt –, uns zu folgen. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, ich habe keine weitere Wortmeldung vorliegen.Wenn jetzt keine folgt, dann – –

(Zuruf von der CDU: Dann können ja wir weiter- reden!)

Nein, das ist noch nicht übertragbar. – Frau Kollegin Erfurth hat für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort. Frau Erfurth, Sie sind gleich dran, denn es gab keine andere Wortmeldung.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Entschuldigen Sie den zweimaligen Weg, aber ich habe dummerweise mein Manuskript auf dem Platz liegen lassen.

(Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Wäre nicht schlimm, wenn Sie es hätten liegen lassen!)

Es ist vielleicht doch ganz schön, sich nach der Mittagspause ein wenig zu bewegen.

Lieber Willi van Ooyen,der Wahlkampf ist vorbei,und wir erwarten jetzt ein bisschen die Wiederkehr des Realitätsbezugs in die Politik. Zum Ende Ihrer Rede haben Sie gesagt, Sie freuen sich, dass die GRÜNEN jetzt auf dem Wege seien, auf den richtigen Pfad einzuschwenken. Wir alle haben uns in der Vorbereitung der Bundestagswahl redlich an unseren Konzepten abgearbeitet. Wir alle haben Steuerkonzepte aufgestellt, und diese kann man vergleichen. Daher ist es auch überhaupt keine Geschichtsklitterung, wenn man sagt: Die GRÜNEN haben ein sehr durchgerechnetes und, wie ich finde, gutes Steuerkonzept vorgelegt. Es ist natürlich um Längen besser als das, was wir von Ihnen zu Gesicht bekommen haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben uns natürlich von der Idee leiten lassen, dass wir umverteilen müssen.Wir müssen zugunsten derer umverteilen, die nicht so viel haben. Wir haben dieses Konzept auch durchgerechnet und sind nicht nach dem Modell „Wünsch dir was“ oder „Was ich schon immer einmal versprechen wollte“ vorgegangen, sondern wir haben hier ein sehr solides Konzept vorgelegt.

Ich denke, dass wir dieses Konzept in dem Antrag, der Ihnen vorliegt, in den wesentlichen Punkten hier dargestellt haben. Das muss ich nicht im Einzelnen hier noch einmal darstellen. Wir führen hier ein bisschen die Debatte von heute Morgen weiter. Ich betrachte diese Debatte als Teil zwei der finanzpolitischen Debatte, die wir heute Morgen geführt haben. Wir müssen doch einmal betrachten, wo wir in Hessen stehen und wo wir in Hessen die Möglichkeiten haben, Einnahmen so zu generieren, dass wir auch die nötigen Ausgaben in Hessen weiter vornehmen können.

Wenn wir einen vergleichenden Blick in die Steuerprogramme aller Fraktionen werfen, die uns vorliegen, dann können wir feststellen, dass die beiden Fraktionen, die jetzt gerade in Berlin verhandeln, sich redlich bemüht haben, den Wettlauf der Steuersenker zu gewinnen.Wir wollen nicht hoffen, dass diese beiden Fraktionen in diesem Wettlauf weitermachen. Bisher hat man Gott sei Dank noch nicht gehört, zu welchem Zeitpunkt Steuersenkungstermine ausgemacht worden sind.

(Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Im Moment, Herr Kollege Milde, ist es erstaunlich ruhig. Heute Morgen im Radio hörte ich, man habe Einigungen in der Finanzpolitik erzielt. Da habe ich gedacht: Oh, jetzt musst du mal schnell zuhören.– Dann war aber überhaupt nichts darüber zu hören, in welchen Bereichen hier schon große Übereinstimmungen erzielt worden sind. Ich glaube, das ist auch ein bisschen der Realität geschuldet. Die Realität ist nämlich, dass wir überhaupt keinen Spielraum zu Steuersenkungen haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie brauchen sich doch nur einmal die aktuellen Zahlen des Arbeitskreises Steuerschätzungen zu Gemüte zu führen. Mitte Juni wurde das Steueraufkommen für das laufende Jahr auf insgesamt 527 Milliarden c geschätzt. Im Jahr davor waren es 561 Milliarden c. Das sind 34 Milliarden c weniger. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen. Innerhalb eines Jahres ist das wahrscheinliche Steueraufkommen um 34 Milliarden c

zurückgegangen. Das ist das Eineinhalbfache des hessischen Haushalts. Das fehlt im Moment. Vor diesem Hintergrund können wir doch überhaupt nicht in weitere Steuersenkungsrunden einsteigen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Ich sage in Richtung der Kolleginnen und Kollegen von der LINKEN:Wir müssen uns doch jetzt auf das besinnen, was im Moment realistisch ist.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Das machen wir doch! Wir machen immer das, was wir im Wahlkampf fordern!)

Sie schlagen uns hier vor – das ist die gleiche Rhetorik wie im Wahlkampf –: Wir machen jetzt ein bisschen Millionärssteuer, wir erhöhen die Erbschaftsteuer, und wir erhöhen die Vermögensteuer.

Wir müssen doch zur Kenntnis nehmen, dass sich in Berlin die Vorzeichen geändert haben. Jetzt müssen wir einmal schauen, was wir unter diesen geänderten Vorzeichen machen können. Ich glaube, da reicht es nicht, wenn wir sagen, wir fordern die Millionärssteuer. Das klingt so schön, ist aber völlig frucht- und folgenlos. Dann sollten wir uns auch auf das Mögliche besinnen. Das Mögliche wäre aus unserer Sicht derzeit gut zu realisieren.Ich hoffe, dass sich da auch die FDP und die CDU noch ein bisschen auf das Mögliche besinnen, wenn sie nämlich in die Steuerkassen gucken. Bei der Erbschaftsteuer müssen wir dafür sorgen, dass sich das Steueraufkommen verstetigt und stabil bleibt. Es wäre doch schlimm, wenn die Vorstellungen, die im Moment von der FDP verkündet werden, wahr würden, an der Erbschaftsteuer weiter herumzuschrauben und sie in der Hoffnung auf die Länder zu verlagern, dass sie dann ganz abgeschafft wird. Das hilft uns doch überhaupt keinen Meter weiter. Ich denke, wir müssen daran arbeiten, dass die Erbschaftsteuer dazu führt, dass leistungsloses Vermögen auch besteuert werden kann und dass dadurch ein weiterer Beitrag zur Sicherung der Landesfinanzen getan wird.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der LINKEN – Gottfried Milde (Gries- heim) (CDU): Das ist doch kein leistungsloses Vermögen!)

Wenn ich, ohne dafür gearbeitet zu haben, ein Erbe erlange, und zwar nur dadurch, dass ich zufälligerweise in eine reiche Familie geboren wurde, dann besteht meine Leistung ausschließlich in der Geburt. Ich glaube, da können wir mit Fug und Recht sagen, dass wir da mit der Erbschaftsteuer ansetzen können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg.Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Natürlich – darüber haben wir schon gestritten, Herr Milde – müssen wir zusehen, dass die Freibeträge so hoch sind, dass wir das berühmte Häuschen der Familie erhalten.

(Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Natürlich müssen wir dafür sorgen – Herr Milde, auch da stimme ich Ihnen zu –, dass Betriebe im Übergang nicht abgewürgt werden. Da brauchen wir vernünftige Regelungen. Da sind wir uns auch einig. Wir brauchen Regelungen,dass Betriebe im Übergang nicht über die Wupper gehen und dass es da vernünftige Freibeträge gibt,um hier

Arbeitsplätze zu erhalten. Das ist gar keine Frage. Dennoch finde ich, dass man es nicht riskieren kann, diese Steuer, die zu einem Großteil auch in den hessischen Haushalt fließt, völlig abzuschaffen.

(Zuruf des Abg. Gottfried Milde (Griesheim) (CDU))

Ich kann Sie nur auffordern, die Angriffe der FDP an diesem Punkt, diese Steuer abzuschaffen oder in die Länderhoheit zu geben, erfolgreich abzuwehren. Da hätten Sie uns an Ihrer Seite.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der LINKEN)

Ein weiterer Punkt betrifft die Einführung der europäischen Finanzumsatzsteuer.Auch das ist ein Punkt, den die LINKE in ihrem Programm hat und den auch die GRÜNEN schon immer in ihrem Programm haben. Dieses Punktes hat sich jetzt sogar – man höre und staune – Angela Merkel angenommen. Sie hat gemeinsam mit Steinmeier auf dem letzten G-20-Gipfel in Pittsburgh einen ähnlichen Vorschlag unterbreitet. Ich finde, das ist ein guter Weg.

Hier muss man versuchen, das Volumen der internationalen Finanztransaktionen zurückzufahren und Spekulationen zu begrenzen.Das ist ein guter Weg.Ich denke,an diesem Weg müssen wir weiterarbeiten. Es wäre schon einmal ein großer Erfolg, wenn wir allein im Bereich der G-20-Staaten die internationale Börsenumsatzsteuer einführen könnten. Das würde schon einmal dazu führen, dass hier eine Spekulationsmasse begrenzt wird und dass wir auch weitere Einnahmen im Landeshaushalt haben.