Protokoll der Sitzung vom 19.11.2009

Dieses Ziel findet sich deswegen auch im Koalitionsvertrag sowie im Kabinettsbeschluss zu dem vorgelegten Gesetzentwurf. – So weit die grundsätzliche Position.

Leider ist es oftmals nicht möglich,das angestrebte Ziel in nur einem Schritt zu erreichen. Die Karawane aller Bundesländer – auch das wissen wir – zieht durchaus langsam voran. Gerade das eine oder andere SPD-geführte Bundesland musste hier eher zum Jagen getragen werden.

Deswegen können wir heute leider nur über eine Neustrukturierung der ZVS und nicht über ihre Abschaffung abstimmen. Das sage ich von diesem Pult aus ganz klar: Ich bedauere dies.

Dass wir diesen Gesetzentwurf dennoch unterstützen, liegt daran, dass er zumindest einen Schritt in die richtige Richtung darstellt. Mit ihm wird nämlich die Zentralstelle in eine Serviceeinrichtung mit der neuen Rechtsform einer Stiftung umgewandelt. Damit wird die neue ZVS zu einer Dienstleistungseinrichtung. Die Universität wird in ihrer Verwaltung unterstützt, z. B. wenn es darum geht, wie man mit Mehrfachbewerbungen umgeht.

Unser politisches Ziel ist es, es den Hochschulen in Zukunft komplett zu überlassen, ob sie sich dieser Serviceleistung einer ZVS bedienen wollen oder nicht.

Die neue Rechtsform zielt auf die Herauslösung der ZVS aus der Staatsverwaltung heraus, was den Servicegedanken untermauert. Das begrüßen wir ausdrücklich.

Das zentrale Vergabeverfahren verliert immer mehr an Bedeutung. Gleichzeitig können selbst in den verbliebenen bundesweit zulassungsbeschränkten Studiengängen, die es leider noch immer gibt, bis zu 60 % der Studienplätze nach einem von der Hochschule selbst durchgeführten Auswahlverfahren vergeben werden. Auch das geht genau in die richtige Richtung. Insoweit machen wir hier einen Schritt voran.

Deswegen ist dieser Staatsvertrag ein Kompromiss – ein Staatsvertrag, der zwischen 16 Bundesländern geschlossen wird, ist immer ein Kompromiss –, den wir im Ergebnis mittragen. Nachdem der für das Jahr 2013 zu erwartende Studentenberg, der mit der Umstellung von G 9 auf G 8 zusammenhängt, bewältigt sein wird, wird sich die Situation ohnehin entspannen,sodass dann – es handelt sich um eine Größenordnung von fünf Jahren – eine Überprüfung mit dem Ziel stattfinden sollte, auf bundesweit zulassungsbeschränkte Studiengänge gänzlich zu verzichten. Auch diese Überprüfung wird in dem Kabinettsbeschluss aufgeführt.Auch das ist richtig.

Vor diesem Hintergrund werden wir dem vorliegenden Gesetzentwurf zustimmen. – Danke.

(Beifall bei der FDP)

Danke schön. – Nächste Wortmeldung, Herr Abg. Grumbach, SPD-Fraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kollege Büger, ich habe ein echtes Problem. Wir haben schon Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit dieses Staatsvertrags. An Ihrer Rede habe ich allerdings noch erheblich mehr Zweifel.

(Peter Beuth (CDU): Dass Sie ein Problem haben, weiß ich!)

Sie vertreten hier nämlich die Position, dass die Regelung in Art.12 des Grundgesetzes – die Freiheit der Berufswahl – in die Dispositionsfreiheit der Hochschulen gestellt werden kann. Ein Grundrecht kann nicht von einer einzelnen Hochschule aufgehoben werden, sondern es muss immer ein Abwägungsprozess in der Gesellschaft stattfinden.An dieser Stelle begibt sich die FDP auf einen Weg, der sich von der Verfassung und von der Rechtsprechung zur Verfassung entfernt. Ich glaube, das sollten Sie sich an der Stelle noch einmal überlegen.

Ich zitiere:

Aus dem in Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG gewährleisteten Recht auf freie Wahl des Berufes und der Ausbildungsstätte in Verbindung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz und dem Sozialstaatsprinzip folgt ein Recht auf Zulassung zum Hochschulstudium. Dieses Recht ist durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes einschränkbar.

Absolute Zulassungsbeschränkungen für Studienanfänger einer bestimmten Fachrichtung sind nur verfassungsmäßig, wenn sie in den Grenzen des unbedingt Erforderlichen unter erschöpfender Nutzung der vorhandenen Ausbildungskapazitäten angeordnet werden und wenn Auswahl und Verteilung der Bewerber nach sachgerechten Kriterien mit einer Chance für jeden an sich hochschulreifen Bewerber und unter möglichster Berücksichtigung der individuellen Wahl des Ausbildungsortes erfolgen.

Das ist die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Das ist das Gegenteil dessen, was Sie hier vertreten haben. Sie sollten Ihre Position an dieser Stelle überprüfen.

(Beifall bei der SPD)

An der Stelle haben wir schon einen schwierigen Abwägungsprozess hinter uns.Wir haben darüber diskutiert, ob wir einen Staatsvertrag,an dem wir heftige Zweifel haben, passieren lassen oder nicht.Wir haben gesagt: Das ist eine Frage, die im Rahmen einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht behandelt werden wird; wir lassen den Staatsvertrag passieren.

Wir können aber nicht zulassen, dass ein solcher Staatsvertrag mit einem Zusatzgesetz belastet wird, das die Probleme noch verschärft. Das fängt damit an, dass in dem Gesetzentwurf, der diesem Staatsvertrag beigefügt ist, die Hochschulen ermächtigt werden, per Satzungsregelung in bestimmten Bereichen abzuweichen. Mit Verlaub, die Einschränkung eines Grundrechts per Satzungsregelung von Hochschulen ist ebenfalls etwas, was überhaupt nicht geht.

Ich fordere die Landesregierung auf – deshalb brauchen wir eine dritte Lesung –, zumindest diese Passage zu streichen; denn sie macht das hessische Gesetz absolut verfassungswidrig. Ich glaube, an der Stelle müssten Sie das einsehen, was die juristischen Gutachter gesagt haben.

(Beifall bei der SPD)

Nächster Punkt. Ein Teil der Debatte dreht sich darum, was für Auswahlkriterien eingeführt werden dürfen.Ja,jeder Studierende darf beraten werden, um zu sehen, ob ein bestimmter Studiengang zu ihm passt. Aber eine Bevormundung, indem man sagt: „Wir entscheiden das für dich“, darf nicht stattfinden, sondern jeder Studierende hat selbst dann, wenn ihm seitens der Hochschule erklärt wird: „Du passt nicht zu uns“, das Recht, sich für dieses Studium zu entscheiden. Das ist der Kernbestand dieses Artikels.

An dieser Stelle sage ich:Wenn Sie erklären, es müsse neben der Abiturnote, also neben dem klassischen Reifezeugnis, ein weiteres Auswahlkriterium herangezogen werden,sind Sie an dem Punkt,dass Sie völlig willkürliche Kriterien verpflichtend machen, von denen, wissenschaftlich gesehen, keines mehr als 20 % Erklärungswert hat. Auch das ist ein Punkt, an dem Sie die Freiheit der Wahl einschränken. An dieser Stelle muss der Gesetzentwurf korrigiert werden.

(Beifall bei der SPD)

Noch über einen dritten Punkt müssen wir im Ausschuss diskutieren; da haben wir einigen Bedarf für eine Debatte mit den GRÜNEN. Es geht nicht um den Kern, sondern um die Frage: Können wir in der gegenwärtigen Situation – es laufen sozusagen die Absolventen zweier Jahrgänge auf die Hochschulen zu, und es wird in Numerus-claususFächern lange Wartelisten geben – damit leben, dass ein großer Prozentsatz der Studierenden dadurch auf Dauer ausgeschlossen wird, ja oder nein? In den alten Gesetzen ist das immer durch die Länge der Warteliste und die Berücksichtigung korrigiert worden.

Wir vertreten bisher die Auffassung, es müssen mehr Bewerber über die Wartelisten in die Hochschulen hineinkommen, damit sie nicht auf Dauer ausgeschlossen werden. Das ist etwas, worüber ich gern noch einmal sachlich diskutieren würde; denn auch da geht es nicht um die Praktikabilität, sondern die Frage ist: Ist die Beschneidung der Rechte der Wartenden von einem Umfang, dass wir sie noch akzeptieren können? Auch das muss im Ausschuss ausdiskutiert werden. Insofern gibt das eine spannende dritte Lesung. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Nächste Wortmeldung, Frau Abg. Dorn, Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Herr Büger, ich bin froh, dass sich die FDP beim Staatsvertrag nicht ganz durchgesetzt hat. Ihre Kritik an der ZVS war immer höchst emotional und irrational, angefangen vom „bürokratischen Monster“ über die „staatliche Planwirtschaft“ bis zur – Sie haben den Ausdruck gerade selbst noch einmal in den Mund genommen – „Studentenlandverschickung“. Ich finde, das ist eine viel zu starke Kritik an der ZVS, die so nicht haltbar ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Jetzt wird die ZVS nicht abgeschafft, wie Sie es immer gewünscht haben, sondern sie wird umstrukturiert. Sie haben die neuen Herausforderungen genannt. Das ist auch wirklich nötig; denn wir haben in der Realität immer weniger zentrale Verfahren und dafür immer mehr örtliche Zulassungsverfahren.In dem Ganzen – das muss man ehrlich sagen – stecken viele Chancen und auch viele Risiken.

Wir befinden uns hier in einem sehr sensiblen Bereich, und ich würde mir wünschen, dass Sie das auch anerkennen.Wir befinden uns hier zwischen dem Grundrecht auf freie Studienwahl und dem Fakt einer unzureichenden Kapazität an Studienplätzen.Wir haben das Problem,dass wir einerseits durch ein zentrales Vergabeverfahren eine größere Transparenz hätten und andererseits mit dem Fakt konfrontiert sind, dass die Hochschulen im Rahmen unserer Hochschullandschaft Schwerpunkte bilden wollen und müssen.

Zwischen diesen Polen stehend, haben wir es uns mit der Bewertung des Staatsvertrags nicht leicht gemacht. Liebe Damen und Herren von CDU und FDP, das werfe ich Ihnen aber vor. Der Staatsvertrag ist für uns sicherlich nicht der gelungenste Kompromiss. Aber zumindest ist er ein Konsens.

Sie gehen in wesentlichen Punkten über diesen Staatsvertrag hinaus. Das ist das Schädliche; denn wir können gerade bei einem zentralen Verfahren wie der Hochschulzulassung, bei dem die Bewerber keine Ländergrenzen im Kopf haben, keinen hochschulrechtlichen Flickenteppich gebrauchen. Wir brauchen hier kein Hauruckverfahren, und wir brauchen keine Experimente zulasten der Studienbewerber. Ich nenne Ihnen die Punkte, an denen ich bei Ihrem Gesetzentwurf Experimente sehe.

Erstens. Die Verpflichtung zu weiteren Auswahlkriterien wurde gerade schon vonseiten der SPD kritisiert. Wenn Sie keine Qualitätskriterien an ein Auswahlgespräch anlegen, öffnen Sie Tür und Tor für Willkür und Missbrauchsgefahr.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Sie kennen das: Da ist das optische Erscheinungsbild schon von besonderer Bedeutung. Und da wird vielleicht der Neffe schneller hineinbugsiert als jemand Unbekanntes. Das ist durchaus ein Problem.

Zweitens. Ein studiengangspezifischer Test. Ich bin Psychologin, ich halte viel von wissenschaftlich evaluierten Tests. Aber wenn da einfach nur „Test“ steht und dieser nicht evaluiert ist, können Sie auch eine Münze wer

fen. Das hat keinerlei Hand und Fuß. Wir haben dazu einen Änderungsantrag vorgelegt.

Drittens.Wenn Sie die Hochschulen verpflichten,ist es ein enormer Aufwand. Es ist nicht für jeden Studiengang sinnvoll, zusätzliche Auswahlkriterien zur Durchschnittsnote zur fordern, auch wenn Sie sich das wünschen. Es ist einfach nicht sinnvoll, alle Hochschulen mit all ihren Studiengängen dazu zu verpflichten. Lassen Sie es bei der Freiwilligkeit, dann können wir wirklich sicherer fahren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Als zweiten wesentlichen Punkt erachte ich die Ermittlung der Studienplatzkapazitäten. Da haben Sie eine sehr gefährliche Experimentierklausel vorgesehen. Bisher werden Studienplatzkapazitäten nach dem Lehrangebot und dem Ausbildungsaufwand berechnet. Sie schaffen nun eine Möglichkeit auf der Grundlage haushaltsrechtlicher Budgets. Das heißt aber in der Konsequenz nichts anderes, als dass Bewerber vergleichbarer Studiengänge ungleich behandelt werden. Ein Exzellenzstudiengang, der sozusagen das Glück hat, einen höheren Betreuungsaufwand zu bekommen, wird zulasten der anderen vergleichbaren Studiengänge gehen, die aber nicht das Sternchen der Exzellenz haben.

Genauso sehe ich keinen Grund, bei dem Kapazitätsrecht der TUD und der Goethe-Uni eine Sonderstellung zu geben. Was haben wir in dem Entwurf? Sie können mittels eigener Satzung die Zulassungszahlen selbst festsetzen. Derzeit passiert das durch Rechtsverordnung im Ministerium, und wir haben eine parlamentarische Kontrolle darüber. Mit der Studienplatzkapazität befinden wir uns in einem Grundrechtsbereich. Da können Sie nicht einfach Hochschulen eine Sonderstellung geben und sagen, das legen die per Satzung fest.Das finde ich höchst gefährlich.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Zu meinem dritten Punkt. Wir haben zusätzlich noch einen Antrag gestellt. Ich finde, Sie sollten keine extra Teile in Ihr Begleitgesetz schreiben,die gefährlich sind,sondern Sie sollten sich auf Bundesebene dafür einsetzen, dass das ganze Verfahren koordiniert wird.Es ist unglaublich wichtig, eine zeitliche Koordination an der Schnittstelle zwischen Schule und Hochschule hinzubekommen, damit die Bewerbungsverfahren überhaupt sinnvoll sind.

Herr Büger, da widerspreche ich Ihnen.Wenn das Verfahren, das wir jetzt ausgemacht haben, funktionieren soll, ist es unglaublich wichtig, dass möglichst viele Hochschulen teilnehmen. Insofern bin ich für eine Verpflichtung, denn nur diese kann gewährleisten, dass das System überhaupt funktioniert, dass auch Synergieeffekte eintreten. Wenn Sie hier wieder zu viel Freiheit zulassen wollen, nachdem Sie endlich ein Verfahren geschaffen haben, kann das nicht funktionieren. Es kann nur funktionieren, wenn möglichst viele Hochschulen teilnehmen; ansonsten haben wir wieder einen hochschulrechtlichen Flickenteppich und haben überhaupt nichts gewonnen. Insofern bitte ich Sie, sich auf Bundesebene für eine stärkere Koordinierung einzusetzen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Frau Dorn, ich bitte Sie, zum Schluss Ihrer Rede zu kommen.

Da komme ich hin. – Insofern freue ich mich auf die dritte Lesung.