Herr Rürup und seine Kommission machen zum Thema Kopfpauschalen einen offenkundig verfassungswidrigen Vorschlag, weil sie in die Fundamente der Tarifautonomie eingreifen.
Herr Herzog macht einen Vorschlag, dessen Berechnungsmethode innerhalb eines halben Jahres, noch während die Debatte läuft, dreimal korrigiert werden muss.
Frau Merkel machte Vorschläge,die anschließend am besten gar nicht mehr mit Zahlen hinterlegt wurden, weil jeder wusste, diese Zahlen stimmen sowieso nicht.
Wenn man die aktuelle Debatte verfolgt, kann man feststellen,die Äußerungen von Herrn Seehofer auf der einen Seite, Herrn Rösler auf der anderen Seite, Herrn Spahn
von der CDU und des außerordentlich verehrten Herrn Sozialministers in dieser Frage sind von einer beachtlichen Wolkigkeit gekennzeichnet.
Nein, meine Damen und Herren, Sie wissen doch selbst, das Ganze funktioniert nicht, weil es nichts taugt, weil es sich nicht rechnen lässt, weil es ein bürokratisches Monster und auch sonst nicht umsetzbar ist.
Wenn es dann heißt: „vielleicht ein bisschen, irgendwie zwischendrin, von allem etwas“, ist das nun wirklich effiziente Politik:Wir machen gleich drei Lösungen gleichzeitig und hoffen, dass damit vor allem eine Seite gewinnt, nämlich Bürokratie und Verwaltungskosten. – Nein, das ist ein völlig unsinniger Vorschlag.
Meine Damen und Herren, auch der Bundesgesundheitsminister rudert mit voller Kraft zurück. Zuerst wollte er noch zurücktreten, wenn es nicht kommt. Jetzt rudert er lieber zurück und kommt auf die Idee: vielleicht ein bisschen, jedes Jahr ein wenig und irgendwann einmal etwas, vielleicht 8 oder 20 oder 29 c, oder was auch immer an Beträgen durch die Gegend schwirrt. – Nein, meine Damen und Herren, wenn der Bundesgesundheitsminister für eine solche Frage schon in den Status des betreuten Regierens fällt, weil das Kabinett zur Besprechung der Kopfpauschale immer Kabinettsitzungen bei ihm durchführt – die sind in ihrer Regierungskommission zur Kopfpauschale ja beschlussfähig –,dann weiß man,das kann alles gar nichts werden. Lassen Sie die Finger von diesem Unsinn.
Es gibt nur eine fundierte, wohlüberlegte, zu Ende gedachte, durchgerechnete Alternative, das ist die Bürgerversicherung. Zum Glück wird sie dadurch nicht schlechter, dass DIE LINKE bei uns abschreibt. Nein, meine Damen und Herren, Bürgerversicherung ist die Alternative, die man braucht. Deshalb fordern wir Sie auf, unserem Antrag im Ausschuss zuzustimmen und dafür zu sorgen, dass auch Ihre politischen Freundinnen und Freunde auf der Bundesebene von diesem Monster Kopfpauschale ablassen. – Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Spies. – Nächste Rednerin ist Frau Kollegin Schott für die Fraktion DIE LINKE.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Kollege Spies, Kopfpauschalen sind Mist – jawohl, da stimme ich Ihnen voll und ganz zu.
Wer bei wem abgeschrieben hat, darüber streiten wir uns jetzt hier nicht. Lieber streiten wir gemeinsam dafür, die Pauschalen zu verhindern. Denn für das persönliche Wohlbefinden jedes Einzelnen von uns sind die Gesundheit und die Gesundheitsersorgung eines der wichtigsten Güter überhaupt.
Gesundheit ist aber nicht nur ein persönliches, sondern auch ein öffentliches Gut, das besonders zu schützen ist.
Aus diesem Grunde finden sich in praktisch allen wichtigen Dokumenten zu den Menschenrechten Aussagen über die individuellen und allgemeinen Grundrechte auf Gesundheit und Gesundheitsversorgung. Stellvertretend sei die Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen erwähnt, die Gesundheit zu einem Menschenrecht erklärt. In Deutschland ist Gesundheit ein verfassungsrechtlich garantiertes Grundrecht, und die Hessische Verfassung schreibt vor, dass jedem hier lebenden Menschen im Bedarfsfall jede erforderliche Hilfe zu leisten ist.
Dieser Stellenwert hat einen ganz einfachen Grund. Krankheit ist ein allgemeines Lebensrisiko, dem jeder Mensch ausgesetzt ist. Aufgabe der Gesundheitsversorgung ist es, die erforderliche Hilfe und Versorgung im Bedarfsfall zu gewähren. Das System der Gesundheitsversorgung bedarf deshalb einer soliden Finanzierung. Man sollte meinen, das sei eine Selbstverständlichkeit. Das war es auch, jedenfalls zwischen 1883 und 2003. In dieser Zeit beruhte die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung auf den Prinzipien der paritätischen Finanzierung zwischen Arbeitgebern und Arbeitenden und der Berechnung auf der Basis einkommensbezogener Beiträge. Dieses System hat sich während seiner Existenz als grundsätzlich tragfähig und leistungsfähig erwiesen. In der Bevölkerung sind diese Prinzipien breit akzeptiert.
Die gesetzliche Krankenversicherung ist seit geraumer Zeit in einer schwierigen finanziellen Situation. Die Gesundheitsausgaben, gemessen am Bruttosozialprodukt, sind in den letzten 30 Jahren nur moderat gestiegen. 1980 lagen sie bei ca.8,5 %,im Jahre 2007 bei 10,7 %.Worin liegen also die Ursachen der finanziellen Schwierigkeiten? Sie liegen erstens in der seit Jahren hohen Arbeitslosigkeit und den dadurch bedingten Einnahmeausfällen. Zweitens sind sie bedingt durch falsche politische Weichenstellungen der mittleren und jüngeren Vergangenheit. Sie sind drittens aktuell verursacht durch die Folgen der systembedingten schweren Finanz- und Weltmarktkrise.
Die politischen Fehlentscheidungen liegen zum einen in der Abschaffung der paritätischen Finanzierung durch Arbeitgeber und Arbeitende. Mit der Agenda 2010 übernahmen die SPD und die GRÜNEN im Jahre 2003 die Ideologie der Senkung der Lohn- und Lohnnebenkosten. Der Ausstieg aus der paritätischen Finanzierung erfolgte zeitgleich mit politisch gewollten Reallohnverlusten und dem Rückgang des Anteils der Löhne am Bruttosozialprodukt zugunsten der Kapitaleinkünfte. Die Folge ist eine Schwächung der Finanzierungsbasis der gesetzlichen Krankenversicherung.
Ein weiterer Punkt, ebenfalls unter Rot-Grün beschlossen: Der Pauschalbetrag für ALG-II-Bezieher in der gesetzlichen Krankenversicherung liegt bei 126 c und damit bei der Hälfte des Durchschnitts. Bei einer Erhöhung auf den Durchschnitt könnten rund 5 Milliarden c an Mehreinnahmen erzielt werden.
Festzustellen bleibt bei allen Reformen und Leistungskürzungen: Die Finanzprobleme der gesetzlichen Krankenversicherung wurden nicht gelöst. Sie sind im Gegenteil größer geworden. Die Zusatzbeiträge, also die kleinen Kopfpauschalen, die einige Krankenkassen bereits erheben mussten, zeigen das.
Wenn die Bundesregierung jetzt einkommensunabhängige Arbeitnehmerbeiträge will, ist das nichts anderes als
ein anderer Begriff für Kopfpauschale. Wenn Arbeitgeberanteile an der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung eingefordert werden, dann ist die Botschaft für die Finanzierung der Gesundheitsversorgung eindeutig.Ein solidarischer Ausgleich soll nur noch zwischen den Arbeitenden der unteren und mittleren Einkommensschichten stattfinden. Menschen mit hohem Einkommen sollen sich noch leichter aus der Solidargemeinschaft verabschieden können. Die Arbeitgeber sollen noch mehr entlastet werden.
Dass der von der CDU und der FDP als „Sozialausgleich“ bezeichnete Steuerzuschuss infolge der hemmungslosen Einkommen- und Unternehmensteuersenkung unter Rot-Grün, Schwarz-Rot und Schwarz-Gelb das diametrale Gegenteil einer soliden Finanzierung ist, hat die Bundesregierung in den letzten Wochen selbst eingestehen müssen.
Die LINKE will eine solidarische Bürgerversicherung.Allen Menschen ist – unabhängig von ihrem Einkommen – die gleiche, qualitativ hochwertige Versorgung im Bereich der Gesundheit und der Pflege zu gewähren.
Dies wird durch folgende Grundsätze bei der Finanzierung sichergestellt. Die Pflichtversicherungsgrenze und die Beitragsbemessungsgrenze werden abgeschafft. Alle Personen zahlen nach den Möglichkeiten ihrer individuellen persönlichen Leistungsfähigkeit ein. Hierbei werden alle Einkommensarten berücksichtigt, auch Einkünfte aus Kapital-, Zins-, Miet- und Pachterträgen.
Ich danke Ihnen und werde meine Rede gleich beenden. – Mit diesen Prinzipien der solidarischen Bürgerversicherung sind alle derzeitigen und zukünftigen Finanzierungsfragen lösbar. Die Landesregierung muss sich deshalb im Interesse aller Hessinnen und Hessen weiterhin gegen die Kopfpauschale zur Wehr setzen.
Verehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Spies, Sie behaupten, ein einkommensunabhängiger Krankenkassenbeitrag des Arbeitnehmers sei „Mist“, um damit eine emotionale und sprachliche Nähe zur Linkspartei zum Ausdruck zu bringen. Das wurde von dieser auch gleich mit Begeisterung aufgegriffen.
Das ist natürlich in der Sache falsch. Das wissen auch Sie. Die von den Regierungsparteien in Berlin langfristig an
Erstens. Die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung sollen von den Lohnnebenkosten entkoppelt werden. Dies stärkt den Wirtschaftsstandort und entspannt auch den Zielkonflikt „medizinischer Fortschritt für alle Menschen gegen Arbeitskosten“.
Zweitens.Der soziale Ausgleich zugunsten der Bürger mit geringem verfügbarem Einkommen und zugunsten der Beitragsfreiheit für Kinder soll teilweise in den staatlichen Haushalt übertragen werden.
Drittens. Die Einnahmeseite der Leistungserbringer wird kalkulierbar, sodass der medizinische Fortschritt den Bürgern unabhängig von Einkommen und Alter zugutekommen kann.
Besonders bezogen auf den sozialen Aspekt dazu jeweils eine kurze Erläuterung: Der Anstieg der Beitragssätze in den letzten 50 Jahren von 7 % auf 15 % wird sich ohne Reformen fortsetzen, sodass angesichts der demografischen Entwicklung die Kosten für alle Sozialsysteme in zehn Jahren 50 % überschreiten werden und die Lohnnebenkosten dann das sind, was den Arbeitnehmern derzeit ausbezahlt wird. Oder aber die Leistungen werden so eingeschränkt, dass nicht mehr alle von der medizinischen Entwicklung profitieren. Das ist zutiefst unsozial, und das wollen wir verhindern.
Bei der schrittweisen Umstellung auf eine Dreisäulenfinanzierung der GKV – einkommensabhängiger Arbeitgeberbeitrag von 7 % bis zur Beitragsbemessungsgrenze,solidarische Gesundheitsprämie des Versicherungsnehmers und steuerfinanzierte Zuschüsse für Kinder und sozial Schwache – wird sich der staatliche Zuschuss natürlich erhöhen. Steuerzahler mit einem hohen Einkommen werden sich stärker an der Finanzierung der GKV beteiligen, als es jetzt der Fall ist. Sie wird solidarischer und sozial gerechter. – Herr Dr. Spies, bitte.
Sehr verehrter Herr Kollege Dr. Bartelt, gerade den letzten Gedanken aufgreifend: An welcher Stelle wollen Sie denn welche Steuer erhöhen, um den von Ihnen gerade postulierten Effekt einer stärkeren Belastung der Bezieher großer Einkommen zur Deckung eines vom Bundesfinanzminister vorgerechneten Bedarfs von 22 bis 35 Milliarden c jährlich zu finanzieren? In Klammern: Der Bundesfinanzminister geht davon aus, dass eine Aufhebung der Begrenzung der Steuerprogression selbst dann nicht ausreicht, wenn ganz reiche Leute 100 % Steuern zahlen.
An der Finanzierung wird gearbeitet, deshalb erfolgt diese Umstellung schrittweise.Aber vom Grundsätzlichen her gesehen – das wird ein Sozialdemokrat vielleicht nicht verstehen, dafür habe ich Verständnis –: Wenn die Lohnnebenkosten insgesamt gesenkt werden, dann fördert das die Wirtschaftskraft. Dann kommen insgesamt mehr Gelder in den Staatshaushalt. Dann ist auch mehr Geld da, um diese Systeme zu fördern.
Dritter Punkt. Bei sicherer Berechenbarkeit der Einnahmeseite kann die Diskussion über die Gesundheitskosten, gemessen am Bruttoinlandsprodukt, auch ehrlicher geführt werden. Daher ist die solidarische Gesundheitsprämie langfristig der richtige Ansatz. In den Nachbarländern Schweiz und Niederlande wird das so praktiziert. Das sind Länder mit vergleichbaren volkswirtschaftlichen Daten. Dort besteht ein Konsens darüber.
Angesichts der Wirtschafts- und Finanzkrise und angesichts der Tatsache, dass wir die Menschen mitnehmen wollen, muss die Systemumstellung umsichtig und schrittweise erfolgen. Der Vorschlag aus dem Bundesgesundheitsministerium, zunächst den zusätzlichen Arbeitnehmerbeitrag von 0,9 % durch einen geringen Festbetrag zu ersetzen, ist ein Diskussionsbeitrag. Schritt für Schritt könnte der prozentuale Beitrag durch eine Prämie ersetzt werden. Das wäre für die Haushalte vertretbar, und es würde auch die Menschen überzeugen. Am Ende einer solchen Entwicklung wird der Durchschnittsverdiener entlastet, und der Geringverdiener wird solidarisch unterstützt.