Protokoll der Sitzung vom 29.04.2010

Ein Ablenkungsmanöver ist es auch, wenn der Minister, jetzt immerhin seine politische Niederlage zugebend, davon spricht, man habe nicht alles erreicht, was man angestrebt habe. Fakt ist, ein gebrochenes Wort bleibt ein gebrochenes Wort. Eine sach- und rechtswidrige Ungleichbehandlung bleibt eine Ungleichbehandlung. Konnexität ist in Zukunft nur ein Wort, und das ist nicht hinnehmbar.

Es ist auch nicht hinnehmbar, dass in Zukunft jeder, der sich in der frühkindlichen Bildung engagieren will, sehr zurückhaltend sein wird, weil er nicht sicher sein kann, ob seine Finanzierungsgrundlage den nächsten Tag übersteht.

Fazit: Das Land Hessen ist von einer gerechten Lastenverteilung bei der Finanzierung der frühkindlichen Bildung weit entfernt. Noch weiter sind wir von einer verlässlichen, kalkulierbaren Beteiligung des Landes daran entfernt.

Herr Minister, Ihr Wort wurde gebrochen. Da spielt es im Grunde keine Rolle mehr, ob Sie Ihr Wort selbst gebrochen haben oder ob es Ihnen erneut von einem anderen Mitglied der Landesregierung gebrochen worden ist. Ich glaube, Letzteres ist der Fall.

(Beifall bei der SPD)

Sie können sich aber aussuchen, welcher Vorwurf Ihnen lieber ist: der des Wortbrechers oder der des Papiertigers. Sie haben schließlich auch schon eine politische Niederlage hinter sich, was die Finanzierung der Schulsozialarbeit betrifft.

Meine Damen und Herren, Kollege Dr. Bartelt hat in der Ausschusssitzung gesagt, die Opposition habe Zweifel am Wort der Landesregierung gesät. Ich will darauf hinweisen, dass wir zunächst einmal gar keine Zweifel hatten. Herr Kollege Dr. Bartelt, die Zweifel sind vom Finanzminister und von Politikern aus der Tiefe des osthessischen Raums gesät worden;Sie erinnern sich an das famose Moratoriumpapier. Sie sind von Ihnen gesät worden, als Sie im Ausschuss monatelang nicht in der Lage waren, sich klar zu positionieren. Sie sind vom Vorsitzenden der CDU-Fraktion und dem famosen „liberalen Kompetenzteam Haushaltskonsolidierung“ – das ist übrigens ein hübscher Widerspruch in sich – gesät worden,

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

das letzte Woche noch gesagt hat, die Mindestverordnung stehe zur Disposition. Deswegen ist jetzt eben nicht mehr nur das schlechte Ergebnis das Problem,sondern auch der quälende Prozess, der zu diesem schlechten Ergebnis geführt hat. Herr Minister, beides zusammen macht den Totalschaden für die politische Glaubwürdigkeit aus.

(Beifall bei der SPD)

Herr Minister,zum Schluss will ich Ihnen etwas für Ihr Poesiealbum mitgeben. Es stammt aus Bertolt Brechts Gedicht „Vom armen B. B.“, zeitgemäß in „Vom armen J. B.“ umbenannt und an einer Stelle ein wenig abgewandelt:

In meine leeren Schaukelstühle vormittags Setze ich mir mitunter ein paar Bürgermeister Und ich betrachte sie sorglos und sage ihnen: In mir habt ihr einen, auf den könnt ihr nicht bauen.

So ist es.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nächste Wortmeldung, Frau Abg. Schott, Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir haben von dem Kollegen eben ganz ausführlich gehört, was passiert ist und wie das zu bewerten ist. Ich möchte einen Schritt weitergehen. Ich möchte beschreiben, dass das aus unserer Sicht etwas ist, womit wir in Zukunft des Öfteren rechnen müssen, nämlich dass wir gesagt bekommen: Es wäre schön, wenn wir mehr Erzieherinnen und Erzieher hätten. Es wäre schön, wenn wir mehr Lehrerinnen und Lehrer hätten. Es wäre schön, wenn wir mehr Sozialarbeiter hätten.Aber leider haben wir kein Geld dafür.

Wir haben gestern gehört, wie viele Lehrerstellen es kosten würde, wenn wir die Schuldnerberatung finanzieren würden. Ist das jetzt die harte Währung, in der wir hier rechnen? Wir rechnen jetzt Lehrerstellen gegen Schuldnerberatung und Erzieherinnen- und Erzieherstellen gegen Förderung von Kultur auf – oder gegen was auch immer im sozialen und kulturellen Bereich –, mit der Begründung, wir können es uns nicht leisten. Wenn das die harte Währung ist, mit der wir in Zukunft zu rechnen haben, müssen wir uns auf einen sozialen Kahlschlag gefasst machen, der unermesslich sein wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Unsere Einnahmepolitik hat uns in den letzten zehn Jahren auf Bundesebene 335 Milliarden c gekostet. Das ist deutlich mehr, als der Hessische Landtag für das ganze Land in den letzten zehn Jahren überhaupt zur Verfügung hatte.

Wenn wir so weitermachen, werden wir uns nichts mehr leisten können. Was geschieht in diesem Land, wenn wir uns nichts mehr leisten können? Ich habe irgendwann gehört, wenn man in Offenbach noch ein Schwimmbad schließen wollte, ginge dies nicht, denn es gebe keines mehr zum Schließen. Das ist doch der Anfang vom Ende.

Ich glaube, es war Herr Minister Bouffier, der heute Morgen gesagt hat, nicht das, was man sage, sondern das, was man tue, sei maßgeblich. Wir haben Sie sagen hören, es gebe eine Finanzierung der Erzieherinnen. Wir haben erleben müssen, dass es sie nur bedingt gibt.

Mit den Mindeststandards wird noch nicht einmal das eingehalten, was die Europäische Kommission als Mindeststandard fordert. Sie liegen also schon unter diesem.Aber nicht einmal das wird jetzt tatsächlich finanziert.

Wir können uns überlegen, ob wir diesen sozialen Kahlschlag wollen, ob wir ihn gutheißen, ob wir auf bessere Bildung verzichten wollen, ob wir auf bessere Angebote für Familien in Not verzichten wollen, ob wir auf Kultur verzichten, ob wir auf die Sportförderung verzichten oder ob wir endlich anfangen, eine andere Einnahmepolitik zu betreiben, damit das Verzichten aufhören kann.

(Beifall bei der LINKEN)

Diese Regierung ist wortbrüchig geworden, und das nicht zum ersten Mal. Diese Regierung wird wortbrüchig bleiben. Das Einzige, worauf wir uns mit Sicherheit verlassen können, ist, dass wir düsteren Zeiten entgegengehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich erteile das Wort Frau Abg.Wiesmann für die Fraktion der CDU.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Wir sprechen heute nicht zum ersten Mal über die Mindestverordnung, die, wie ich meine, nach dem Willen aller Fraktionen zur Verbesserung der Qualität der Kinderbetreuungseinrichtungen in Hessen beitragen soll. Neu ist heute – das begrüße ich für die CDU-Fraktion –, dass die zuletzt intensiv diskutierten Fragen hinsichtlich der Umsetzung und der Finanzierung geklärt sind. Es wurde, wie ich ausdrücklich sagen will, unter den obwaltenden Umständen eine vernünftige Kompromisslösung für alle Beteiligten gefunden.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD):Aha!)

Warum ist das eine vernünftige Lösung? Spätestens ab dem 1. September 2012 wird in jeder hessischen Kindertagesstätte,also nicht nur in denen der Vorreiterkommunen, der verbesserte Personalschlüssel gelten. Durch die Mindestverordnung schaffen wir die Voraussetzung dafür, dass die frühkindliche Bildung überall in Hessen entsprechend dem Bildungs- und Erziehungsplan gestärkt wird. Das ist eine zentrale Investition in die Zukunft unserer Kinder und unseres Landes insgesamt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP)

Warum ist das unter den obwaltenden Umständen vernünftig? Ich will noch einmal auf den Kontext hinweisen. Dabei gibt es zwei Aspekte.

Erstens. Die Haushaltslage des Landes ist extrem angespannt.Das geschieht im Kontext eines beispiellosen wirtschaftlichen Einbruchs mit unklaren Erholungsaussichten, aber auch im Kontext eines langfristigen demografischen Wandels, der auf allen Ebenen eine Zunahme der Lasten bei zurückgehender Leistungsfähigkeit bewirkt. Da gehören alle ausgabenintensiven Projekte auf den

Prüfstand. In aller Bescheidenheit gesagt: Dies entspricht unserer Verantwortung gegenüber den kommenden Generationen. Davon war heute hier auch schon einmal die Rede. Am Ende sind es doch genau diejenigen Personen, deren Bildungschancen als Kinder uns heute berechtigterweise am Herzen liegen, deren finanzielle Inanspruchnahme in der Zukunft wir nicht überstrapazieren dürfen.

(Beifall bei der CDU)

Zweitens. Die Verantwortungsträger auf kommunaler Ebene, die mit rückläufigen Einnahmen und steigenden Erwartungen konfrontiert sind, würden es sicherlich vorziehen,eine eigene Abwägung zwischen den kommunalen Leistungen zu treffen. Ohne Frage sind die Situationen vor Ort vielfältig.Wer sich dies klarmacht, versteht leicht, dass der einen Gemeinde der jetzt verbesserte Fachkraftschlüssel ein willkommener Landesbeitrag zu einem ohnehin selbst gehegten Projekt ist. Andernorts ist die Aufgabe bereits erledigt. Wiederum an einem anderen Ort werden gänzlich andere Prioritäten gesehen.

Vor diesem Hintergrund wäre es vielleicht, politisch gesehen, leichter gewesen, von dem ursprünglich vorgesehenen Vorhaben abzusehen und die Festlegung der Standards in der Kinderbetreuung den Verantwortlichen vor Ort zu überlassen.Vielleicht wäre das besser gewesen. Es hätte jedenfalls den hierzulande stets schwerwiegenden argumentativen Vorteil gehabt, dass keiner besser als die anderen dabei weggekommen wäre.

Wäre dies aber in der Sache richtig gewesen? Die Mitglieder der CDU-Fraktion sind nach intensiver Diskussion zu der Auffassung gelangt, das wäre nicht richtig gewesen.Was hätte die Rückkehr zu der alten Regelung, ein Moratorium oder Ähnliches bedeutet? Die Vorreiterkommunen hätten ihre Politik fortgesetzt. Bei den anderen wäre da und dort das eine oder andere geschehen.Vielerorts wäre aber schlichtweg gar nichts geschehen. Die Kinder, die eigentlichen Adressaten dieses Vorhabens, wären jedenfalls in zahlreichen Kommunen des Hessenlandes die Leidtragenden gewesen.

Stattdessen wurde unseres Erachtens eine tatsächlich im Interesse aller Beteiligten vernünftige Lösung gefunden. Die Kinder werden hessenweit gleich gut gestellt, indem die Voraussetzungen für ihre Betreuung, Bildung und Erziehung landesweit verbessert werden. Das Land behält seinen gestaltenden Einfluss in einem für unser aller Zukunft wichtigen Bereich. Es nimmt damit seine Verantwortung gegenüber den kommenden Generationen sogar in doppelter Art und Weise wahr.

Die Kommunen schließlich behalten ihre originäre Aufgabe. Das ist nämlich unter anderem die Bereitstellung der Kinderbetreuung. Sie profitieren aber vollumfänglich von der Kostenerstattung, soweit sie Einstellungen im Vertrauen auf die Neuregelung durch das Land vorgenommen haben.

Warum ist das so wichtig? – Man kann es nicht oft genug betonen: Wir sind Vorreiter in Sachen frühkindlicher Bildung und wollen dies bleiben. Das gilt nicht nur für den quantitativen Ausbau – ich erspare es mir, die Einzelheiten zu nennen –, sondern auch hinsichtlich der qualitativen Sorgfalt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Wir wollen, dass die frühkindliche Bildung, Erziehung und Betreuung aus einem Guss sind, und zwar nach dem umfassenden Konzept des Bildungs- und Erziehungsplans,den wir um wichtige Elemente zur Vorbereitung auf

die Schule in den Kindertagesstätten verstärken wollen, wobei wir die frühkindliche Diagnostik bündeln und ihre Komponenten stärker aufeinander abstimmen wollen.All dies können wir nicht mit der bisher üblichen zeitlichen und personellen Ausstattung bewältigen. Deshalb erhöhen wir in den hessischen Kindertagesstätten die Fachkraftquote und verbessern damit die Betreuungsrelation.

(Petra Fuhrmann (SPD): Das machen nicht Sie!)

Wir sorgen dafür, dass das möglich wird. – Die Mindestverordnung schafft die zentrale Voraussetzung für diese Qualitätsoffensive. Dass dies auch in Zeiten extrem knapper Kassen eine Priorität der Landesregierung bleibt, ist ein bemerkenswerter Erfolg hinsichtlich der Sache, um die es geht.

Zum Schluss meiner Rede möchte ich noch ein paar Worte zu den Kommunen sagen, die schon lange vor dem Land engagiert gehandelt haben. Ich komme aus Frankfurt. Sie werden das also verstehen.

Diese Kommunen sind nun versucht, zu argumentieren, sie würden für ihr begrüßenswertes Engagement bestraft. Sie werden gute Gründe gehabt haben, dies zu tun. Deswegen haben sie eigenes Geld in diesen ihnen angemessen erscheinenden Zweck investiert. Es kann nicht sinnvoll sein, dass jede gute Idee in Hessen, sollte sie Anwender in großer Zahl finden und in Landesregelungen einfließen, automatisch durch das Land finanziert werden muss.

(Torsten Warnecke (SPD): Konnexitätsprinzip!)

Dass Wiesbaden, Frankfurt, Offenbach und Kassel aus wohlerwogenen guten Gründen in ihre Familienfreundlichkeit investieren, ist eine hervorragende Sache. Ich betone:Auch ich hätte mir gewünscht,dass das Land dazu einen finanziellen Beitrag leistet.

Bitte kommen Sie jetzt zum Schluss Ihrer Rede.