Protokoll der Sitzung vom 18.05.2010

Dieser Gedanke ist deshalb so interessant, weil gerade für junge Menschen die Möglichkeit des Autofahrens weit größere Bedeutung hat als etwa erzieherische Maßnahmen oder Geldstrafe.Man kann das auch in den Satz bringen, dass sich das volle Erwachsenwerden bei den jungen Leuten subjektiv erst mit der Erteilung der Fahrerlaubnis einstellt. Es ist also ein Versuch, besonders darauf hinzuweisen, dass, neben einer normalen Strafe, eben auch der Führerschein gefährdet ist.

Das wird gemeinsam mit der jeweiligen Führerscheinstelle und der Polizei so organisiert.

Was passiert konkret? Der Betreffende bekommt in der Tat eine gelbe Karte. Darauf ist beschrieben, was ihm passieren kann, damit er sich zukünftig anders verhält.

Wir haben das als Pilotprojekt angelegt. In Wiesbaden wurde es begonnen, in einer Großstadt. Im Landkreis Fulda werden wir jetzt einmal im ländlichen Raum testen, wie sich das entwickelt.

Meine Damen und Herren, der Hintergrund – ich finde, das ist interessant – ist die Tatsache, dass das in einigen Städten Deutschlands schon erprobt wurde. Ganz besonders interessant sind die Erfahrungen aus Karlsruhe. Karlsruhe hat 55 solcher Personen angeschrieben, dass sie entsprechend auffällig geworden sind. Vier dieser angeschriebenen Personen mussten ihre Geeignetheit durch eine medizinisch-psychologische Untersuchung nachweisen. Die Stadt Karlsruhe hat berichtet, dass in keinem einzigen Fall eine dieser 55 Personen, mit denen man so umgegangen ist, wie wir es jetzt auch vorhaben, rückfällig geworden ist.

Ähnliche Erfahrungen gibt es auch aus anderen Städten. Das hat die Landesregierung bewogen, das auch hier in Hessen einmal auszuprobieren, und im Ergebnis muss ich sagen: Alles, was hilft, das Zusammenspiel zwischen Gewaltneigung und Alkohol zurückzudrängen, ist richtig.

Meine Damen und Herren, wir haben heute festzustellen, dass schon ab dem zwölften Lebensjahr erheblicher Alkoholkonsum durchaus nicht selten, sondern gelegentlich die Regel ist. Im vergangenen Jahr sind immerhin 25.700 junge Menschen in den deutschen Notaufnahmeeinrichtungen wegen Alkoholvergiftung behandelt worden. Ich glaube deshalb, dass es richtig ist, dass wir alles das, was sich andernorts schon als sinnvoll erwiesen hat, auch in Hessen machen.

Zusatzfrage, Herr Abg. Merz.

Herr Minister, ist es zutreffend, dass Sie selbst mit den Wiesbadener Verantwortlichen dieses Projekt der Presse vorgestellt haben, es bei dieser Gelegenheit über den grünen Klee gelobt haben,dieses Ihr Lob in zahlreichen Pressestatements zur Kenntnis gegeben haben, die wahrscheinlich auch dem Kollegen Bellino hätten bekannt sein können, sodass er wahrscheinlich deswegen über weite Strecken Ihrer Antwort nicht zugehört hat?

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Holger Bellino (CDU): Das ist eine Frechheit! – Axel Wintermeyer (CDU): Er ist multitaskingfähig!)

Herr Innenminister Bouffier.

Herr Kollege Merz, ich hätte mich gefreut, wenn Sie irgendeinen Beitrag dazu gebracht hätten, wie wir das objektiv besorgniserregende Problem Alkoholmissbrauch etc. gemeinsam vernünftig bekämpfen. Das haben Sie nicht gemacht.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Zuruf des Abg. Gerhard Merz (SPD))

Soweit Sie Fragen gestellt haben, die ich überhaupt beantworten kann: Ja, es stimmt, ich habe das gemeinsam mit der zuständigen Dezernentin des Magistrats der Stadt Wiesbaden und,wenn ich es richtig im Kopf habe,dem Polizeivizepräsidenten von Westhessen vorgestellt. Ob ich das über den grünen Klee gelobt habe, weiß ich nicht. Das ist eine Ihrer Bemerkungen.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Klee ist doch schwarz!)

Ich habe es so dargestellt wie heute. Ich bin davon auch überzeugt, und ich sage noch einmal:Wir können uns hier über vieles streiten.Wenn einer eine gute Idee hat, bin ich immer offen. Was mir an Ihren Bemerkungen fehlt, ist irgendeine inhaltliche Zugabe, irgendein inhaltlicher Punkt, wie wir ein schwieriges Thema erfolgreich gemeinsam behandeln können.

(Zurufe von der SPD: Eieiei!)

Sie haben mich gefragt,deshalb müssen Sie sich auch die Antwort gefallen lassen.– Für völlig unzutreffend und unangemessen halte ich Fragen eines Abgeordneten an die Landesregierung zum Verhalten eines anderen Abgeordneten. Sie werden Verständnis haben, dass ich mich weder aus eigener Kenntnis noch aus Grundüberzeugung dazu äußere.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP)

Ich habe hier eine weitere Frage von Frau Hofmann vorliegen; damit ist das erledigt. Sie haben das Wort, Frau Hofmann.

Herr Minister, in der Fachwelt, aus der Praxis sind an diesem Modellprojekt erhebliche rechtsstaatliche Bedenken geäußert worden.Teilen Sie diese Bedenken?

Herr Innenminister Bouffier.

Ich teile diese Bedenken nicht. Mir ist keines dieser Bedenken schriftlich oder wie auch immer zugegangen. Ich habe in der Presse gelesen, dass es Menschen gibt, die Bedenken haben. Das muss man hinnehmen. Wenn sie welche haben, sollen sie sich melden. Ich habe jedenfalls keine.

Die letzte Frage für die heutige Fragestunde ist die Frage 266 von Herrn Abg. Dr. Bartelt.

Ich frage die Landesregierung:

Wie stellt sich die ambulante Palliativversorgung in Hessen im Vergleich zu den anderen Bundesländern dar?

Herr Minister für Arbeit, Familie und Gesundheit.

Herr Abgeordneter, meine Damen und Herren! Hessen verfügt durch den Abschluss der Verträge zur speziellen ambulanten Palliativversorgung über eine flächendeckende Versorgung und nimmt damit im Bundesländervergleich eine Spitzenposition ein. Ich glaube, das ist eine Sache, über die wir uns alle freuen können.

Es ist uns gelungen, mit den drei Spitzenverbänden Verträge abzuschließen. In Verfolg daraus ist jetzt der Aufbau der entsprechenden Care-Teams in Arbeit. 17 solche Verträge und Care-Teams gibt es bereits.Weitere fünf sind als Vertragspartner in Aussicht genommen, um eine abschließend flächendeckende Versorgung in Hessen zu erreichen. Wir sind in den entsprechenden Vertragsverhandlungen.

Wir haben uns als Ministerium massiv eingebracht und dafür geworben, dass es zu diesen Vertragsabschlüssen kommt, und wir waren deswegen auch im Ländervergleich das erste Bundesland, das diese flächenhafte Vertragsabdeckung vorweisen konnte, sowohl was die Vertragspartner, die gesetzlichen Krankenkassen, als auch was die flächenmäßige Abdeckung betrifft, wobei wir auch darauf hingewirkt haben, dass es nicht unbedingt so

sein muss, dass ganz schnell alle Teams aufgebaut sind. Vielmehr sollte man insbesondere wegen der Sensibilität dieses Themenbereichs darauf achten, dass Qualität vorgehalten wird, dass multiprofessionelle Teams vorgehalten werden.

Ich glaube, es ist etwas, worüber sich der ganze Landtag freuen sollte: dass wir an dieser Stelle in einem der ganz schwierigen Themen für uns Menschen eine sehr gute Bilanz vorweisen können. Ich glaube, dass es für viele Menschen ein echter humanitärer Beitrag ist, dass sie die letzten Tage ihres Lebens zu Hause verbringen können. Damit will ich nicht die wertvolle Arbeit der stationären Hospize relativieren. Beides sind Wege und Möglichkeiten, um die letzten Tag in Würde und menschlich zu erleben.

Zusatzfrage, Frau Abg. Schulz-Asche.

Herr Minister Banzer, alle Fraktionen im Hause sind, glaube ich, sehr zufrieden mit dem, was bei der palliativmedizinischen Versorgung erreicht wurde. Deswegen meine Frage: Wie sieht die Situation bei der Ausbildung zur Palliativmedizin an den Hochschulen aus? Welchen Reformbedarf sehen Sie in diesem Bereich?

Herr Staatsminister Banzer.

Wir sind zunächst froh, dass im Rahmen der Approbation auf diesen Bereich immer mehr Wert gelegt wird.Wir sind in Hessen gegenwärtig bemüht, einen Lehrstuhl für diesen Bereich zu schaffen. Das ist ausgesprochen schwierig, weil damit auch eine entsprechende Ausstattung verbunden sein muss. Aber ich glaube, dass dies ein Bereich ist, dem in der ärztlichen Ausbildung künftig mehr Raum gegeben werden muss.

Ich muss allerdings einräumen, dass es mir hier ähnlich wie der Frau Kultusministerin geht, dass jede Woche ein anderes Fach zusätzlich in der Schule noch berücksichtigt werden soll. So ist es auch in der medizinischen Ausbildung. Von Arbeitsmedizin über Palliativmedizin, Schmerztherapien, in all den Bereichen, z. B. beim Thema Hausarzt – darüber haben wir gestern wieder gesprochen –, wird immer wieder verlangt, dass das Studium um weitere Aspekte ausgedehnt werden soll. Deswegen habe ich Verständnis dafür, dass dieser Prozess etwas langsam vorwärtsgeht. Aber wenn man überlegt, wie wir vor einigen Jahren das Symposium zu diesem Thema in diesem Landtag hatten und wo wir heute insgesamt stehen,dann ist das ein großer Fortschritt in kurzer Zeit.

Danke schön. – Damit ist die heutige Fragestunde beendet.

(Die Fragen 271,272,279,280,282,284,287,288 und die Antworten der Landesregierung sind als Anlage beigefügt. Die Fragen 269, 270, 273 bis 278, 281, 283, 285, 286, 289 und 290 sollen auf Wunsch der Frage- stellerinnen und Fragesteller in der nächsten Frage- stunde beantwortet werden.)

Wir kommen zu unserem nächsten Tagesordnungspunkt. Das ist Tagesordnungspunkt 2:

Regierungserklärung des Hessischen Ministerpräsidenten betreffend „Gemeinsam für ein starkes und stabiles Europa – gerade jetzt“

Vereinbart ist eine Redezeit von 30 Minuten. Ich gebe dem Herrn Ministerpräsidenten das Wort.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, dass die Ereignisse, die die Menschen in diesen Tagen genauso beschäftigen wie die politischen Institutionen im Zusammenhang mit Europa, der wirtschaftlichen Entwicklung Europas und unserer gemeinsamen Währung, des Euro, auch im Hessischen Landtag eine Rolle spielen müssen. Denn wir, auch das Bundesland Hessen, sind in den Beratungen des Bundesrates in diese Frage einbezogen, verhalten uns und wollen das selbstverständlich auch mit dem Hessischen Landtag diskutieren.

Dabei kommen wir in diesen Wochen immer wieder zu Situationen, in denen man, wenn man die letzten 24 Monate Revue passieren lässt, jeweils in den einzelnen Schritten, sei es die Bankenrettung in Deutschland, sei es der Rettungsschirm für Griechenland erst vor wenigen Tagen, subjektiv der Auffassung war und vielleicht auch hoffen durfte, dass es jeweils ein außergewöhnliches, einmaliges und in dieser Geschwindigkeit von Handlungsnotwendigkeiten auch für parlamentarische Institutionen nicht wieder vorkommendes Ereignis ist. Dennoch werden wir aller Voraussicht nach – wenn ich einmal unterstelle, dass die Bundesländer den von den Fraktionen des Deutschen Bundestages in diesen Stunden geäußerten Wünschen folgen – am kommenden Freitag erneut eine Beratung im Bundesrat haben und dort über die Frage des Euro-Rettungspakets oder des Euro-Sicherungsschirms sprechen.

Ich will gleich zu Anfang sagen: Aus der Sicht der Hessischen Landesregierung ist der Vorschlag, den die Bundesregierung dort macht und über die Bundestagsfraktionen einbringt, ein Vorschlag, dem wir am Ende folgen werden – nicht ohne Bedenken, nicht ohne Erwartungen an begleitende Maßnahmen, über die ich sprechen werde.Aber im Ergebnis sind wir der Auffassung, dass die Bundesregierung in den internationalen Verhandlungen in einer extrem schwierigen Situation das Richtige und Notwendige getan hat.

Wir müssen als Deutsche am Ende ein Interesse daran haben, in einem handlungsfähigen, wirtschaftspolitisch leistungsfähigen Europa mit einer starken eigenen Währung zu leben, weil das eine der Voraussetzungen für den Erfolg in der globalisierten Welt der Zukunft ist.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Dabei kann gar nicht bestritten werden, dass die Entscheidungen, die am 7. Mai in der Konferenz des Europäischen Rates der Staats- und Regierungschefs und am 9. Mai im Ecofin-Rat, also dem Rat der Wirtschafts- und Finanzminister, getroffen worden sind, im Gegensatz zu allem, was zuvor geschehen ist, erhebliche grundsätzliche Bedeutung haben. Das ist ein Paradigmenwechsel. Wir

tun uns alle miteinander keinen Gefallen, wenn wir versuchen, das zu verschleiern oder zu verschweigen, sondern wir müssen es den Bürgern so offen sagen.Wir müssen ihnen auch sagen, dass das ein Paradigmenwechsel ist im Verhältnis zu Erwartungen, die sie Anfang der Neunzigerjahre bei der Gründung der europäischen Währungsgemeinschaft und den Entscheidungen im Vertrag von Maastricht zugunsten einer europäischen Gemeinschaftswährung gehabt haben, nämlich im Grundsatz die Erwartung, dass jeder Nationalstaat auch bei der einheitlichen Währung für sein eigenes wirtschaftliches Verhalten in vollem Umfang verantwortlich ist und bei der Bewältigung seiner Schulden nicht auf die Solidarität der übrigen Länder der Währungsunion zählen kann.

Es ist offenkundig, dass der 720-Milliarden-c-Rettungsschirm für eine verabredete begrenzte Zeit von drei Jahren, aber natürlich mit einer Grundsatzwirkung, derer man sich nicht durch die Dreijahresfrist einfach entledigen darf, zu dem Ergebnis führt, dass im Zweifel die Mitglieder der Währungsunion jetzt eine Vereinbarung getroffen haben, die unter angemessenen Bedingungen gegenseitige Hilfe zusichert. Aus „Keiner haftet für den anderen“ ist also eine, wenn auch konditionierte, Erklärung der Bereitschaft zur Haftung für den anderen geworden. Das ist wahrscheinlich nach der Einführung des Euro an sich die tiefgreifendste ökonomische Veränderung in Europa.

Es mag sein, das will ich jedenfalls für mich persönlich sagen, dass man sich hat vorstellen können, dass so etwas in der Weiterentwicklung eines gemeinsamen Europas der nächsten Jahrzehnte einmal kommen wird. Aber ganz sicher kann man auch sagen, dass niemand wollte und vorhergesehen hat,dass zu einem so frühen Stadium der ökonomischen Integration in Europa, wie wir es heute haben und sicher im nächsten Jahrzehnt nicht anderes gehabt hätten, ein solcher Schritt unternommen wird.