Ein Beispiel: In Sontra gibt es eine Oberstufenklasse, die von Schülern besucht wird, die einen Anfahrtsweg von bis zu 35 km – einfache Strecke – haben. Wenn diese Oberstufenklasse aber aufgrund der Größenvorgaben im Schulgesetz wegfällt – außer Sie geben die Zusicherung, dass sie weiter besteht, das ist bisher nicht passiert –, dann werden die Schüler künftig bis zu 60 km zum nächsten Schulstandort für weiterführende Bildung fahren müssen. Das halte ich für nicht verantwortbar.
Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit im ländlichen Raum bedeuten, dass wir nicht mit dem gleichen „Maß“ für Oberstufen in Großstädten und im ländlichen Raum rechnen können.
Bisher sind Sie in Ihren Vorgaben ziemlich steif, lieber Heinrich Heidel. Deshalb ist die Antwort „Breitbandversorgung“ bei diesem Thema ein bisschen wenig.
Das gilt im Übrigen auch für das Thema soziale Versorgung. Es ist so, dass wir eigentlich eine soziale „Aufrüstung“ der Dorfgemeinschaftshäuser bräuchten. Es gibt in Hessen ein Reihe sehr kluger Initiativen – in der Regel ohne Landesbeteiligung –, wo mit großen Anstrengungen der örtlichen Wirtschaft, des örtlichen Gewerbes, der Sozialstationen, der Genossenschaftsbanken, der Sparkassen, der kommunalen Familie und der Zivilgesellschaft versucht wird, die Dorfgemeinschaftshäuser wieder mit Leben zu füllen, damit dort etwas stattfinden kann, damit die Infrastrukturen und die elementaren Bedürfnisse im Bereich von Gesundheit und Versorgung sichergestellt werden können. Lieber Heinrich Heidel, das können Sie nicht über das Breitband allein lösen; da brauchen wir schon ein bisschen mehr. Deshalb braucht das Programm zur Dorferneuerung eine Stärkung – auch deshalb, weil es private Investitionen hebt. Ein bisschen mehr Mittel, wenn wir über die Stärkung von Städten und Gemeinden reden – bei allen Problemen, die wir haben –, wären sicherlich nötig.
Es bleibt dabei: Tun Sie nicht das Gegenteil dessen, was Sie sagen. Nehmen Sie morgen die Kürzung im Kommunalen Finanzausgleich in Höhe von 360 Millionen c zurück. Dann haben Sie für die Kommunen mehr getan als das, was Sie gerade mit Ihrer PR-Aktion zum Thema Schutzschirm zu tun versuchen.
Damit kein Missverständnis entsteht, Herr Ministerpräsident: Den Schutzschirm werden etliche trotzdem nutzen, weil ihnen das Wasser derart bis zum Hals oder über den Hals steht, dass sie gar nicht anders können.
Sie von den Regierungsfraktionen haben die Mehrheit. Sie entscheiden.Aber ich glaube, es wäre ehrlicher, keine neue PR-Aktion zu machen, sondern einen elementaren, substanziellen Beitrag zu leisten.Im Übrigen gehört dazu, sich die Ursachen für die Finanzkrise der Städte und Gemeinden einmal genauer anzuschauen.Es hat immer noch ganz erheblich mit den hohen Sozialtransfers zu tun. Das hat wiederum mit der Ordnung am Arbeitsmarkt zu tun. Wenn Menschen für ihre Arbeit ordentlich bezahlt werden, wird ein erheblicher Teil dieser Transferleistungen wegfallen. Es wird für Nachfrage auch am Markt sorgen und damit mehr Beschäftigung schaffen. Das, gepaart mit der Energiewende, wäre der beste Konsolidierungsbeitrag, den wir für die öffentlichen Haushalte leisten könnten. Verhindern Sie die Zukunftsinvestitionen für dieses Land nicht.
Sie sehen, es gibt eine Reihe von Themen, bei denen es sich lohnt, in der Sache zu streiten, bei denen wir zusammenkommen können, weil die Herausforderungen elementar und groß sind. Dazu haben Sie heute aus meiner Sicht entschieden zu wenig gesagt. Den Ton hören wir gern. Sie werden jetzt dafür sorgen müssen, dass diesem Ton auch Taten folgen. Sie haben die Messlatten selbst gelegt. Beispielsweise sollte der Anteil der Frauen im Kabi
nett deutlich erhöht werden. Die Landes-CDU sollte weiblicher und jünger werden. Ich habe gesagt: Die Verjüngung fängt im Kopf an. – Das will ich jetzt nicht ausdehnen, denn auch ich nehme mich im Ton zurück. Aber: Bei der „Verweiblichung“ der hessischen Landespolitik sind Sie nicht sehr weit gekommen. Sind Sie unter Ihrer eigenen Messlatte durchgelaufen. Sie sind an den eigenen Ansprüchen gescheitert. Vielleicht ist das ein Grund dafür, warum Sie heute bei der inhaltlichen Vorlage für Ihre Regierungspolitik keine Messlatten mehr definiert haben. Dann besteht nämlich gar nicht erst die Gefahr, sie zu unterlaufen.
Auch wenn ich der Auffassung bin, dass dieses Regierungsprogramm unambitioniert ist – insofern bleibt es in der Tradition des Koalitionsvertrags, insofern droht die Gefahr, dass der Stillstand ein neues Gesicht bekommt –, bleibt es dabei, dass wir Ihnen konstruktive Gespräche über die großen Aufgaben anbieten. Sie müssen dem Ton allerdings auch in der Sache etwas folgen lassen. Sie haben dafür 100 Tage Zeit. Die haben wir Ihnen ausdrücklich eingeräumt. Ich habe vorhin schon gesagt: Ihr persönliches Punktekonto wird dabei nicht auf null gestellt. Die Formulierung, dass Sie der „Skandalminister Nummer eins“ sind – das hat Sie natürlich geärgert –, ist zunächst eine mathematische Feststellung. Sie hat etwas mit der Zahl der Untersuchungsausschüsse und anderem zu tun.
Aber auch jenseits dieser Bilanz haben Sie die Chance, Neues zu tun. Die heutige Regierungserklärung, das muss ich Ihnen allerdings sagen, war ein enttäuschender Ausblick auf das, was Sie machen wollen. Es war eine Werbung ohne Produkt. Raider heißt jetzt Twix, der AFG heißt jetzt wieder SPA. Zur Erklärung: Das frühere Sozialministerium wurde in Ministerium für Arbeit, Familie und Gesundheit, AFG, umbenannt. Man hat „Soziales“ gestrichen. Seit heute heißt es wieder Sozialministerium. Der andere Ton ist zwar zu vernehmen, die andere Politik muss aber erst noch folgen. Die Chance dafür haben Sie – zumindest heute – allerdings vertan.
Herr Schäfer-Gümbel, vielen Dank. – Als Nächster wird der Vorsitzende der FDP-Fraktion zu uns sprechen. Herr Rentsch, bitte schön, Sie haben das Wort.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst einmal die Gelegenheit nutzen, dem neuen Hessischen Ministerpräsidenten und dem Kabinett Bouffier/Hahn namens der FDP und der CDU herzlich zu gratulieren. Es ist schön, zu sehen, wie das neue Kabinett hier vorne Platz genommen hat.
Im Gegensatz zu Herrn Kollegen Schäfer-Gümbel muss ich sagen, dass ich schon finde, dass da viel Neues dabei ist. Ich hatte aber auch vorher nicht das Gefühl, dass diese Landesregierung an zu wenig Energie leidet.
Herr Kollege Schäfer-Gümbel, das, was Sie gesagt haben, provoziert ein bisschen. Die Bilanz der letzten eineinhalb Jahre, die ich Ihnen heute gerne noch einmal vortrage, zeigt nämlich, dass wir, also die Regierung und die beiden
sie tragenden Fraktionen, nicht nur viel von dem, was wir uns gemeinsam in unseren Wahlprogrammen und dann mit dem Koalitionsvertrag vorgenommen haben, in Gesetze umgewandelt haben. Vielmehr zeigt das auch, dass wir auf die großen gesellschaftlichen Herausforderungen, von denen Sie einige genannt haben, die richtigen Antworten gegeben haben. Darauf werde ich gerne zu sprechen kommen.
Ich glaube, dass der Start gut war, den diese neue Landesregierung mit der Wahl des Ministerpräsidenten hatte. Er bekam alle 66 Stimmen. Wenn man eine so große Mehrheit hat, ist es eben nicht alltäglich, dass man sozusagen alle Menschen an Bord bekommt. Sie wissen doch viel besser als wir, dass man mit einem solchen Start auch vieles verbindet.
Herr Kollege Al-Wazir, mit diesem Start verbindet sich ein Stückchen weit auch das, was wir in den nächsten Jahren hier erreichen möchten. Wir möchten den Menschen zeigen, dass wir, Liberale und Christdemokraten, gemeinsam eng zusammenstehen. Wir möchten klar zeigen, dass wir im Gegensatz zu anderen Regierungen die Themen, die uns trennen, erst einmal intern diskutieren, aber dann gemeinsame Lösungen nach außen präsentieren.Wir wollen die Menschen nicht mit unterschiedlichen Gesichtspunkten verwirren.Vielmehr wollen wir immer sagen,was wir wollen, auch wenn das nur ein Kompromiss zwischen beiden Fraktionen und Parteien ist.
Das haben wir den Menschen von Anfang an versprochen.Diesen Weg werden wir gemeinsam gehen.Auch mit Ministerpräsident Bouffier wird dieser Weg gemeinsam fortgesetzt werden.
Ich freue mich sehr auf die Zusammenarbeit. Ich glaube, dass dieses Kabinett neue Akzente in der hessischen Landespolitik setzen wird. Jeder wird das auf seine Weise tun. Die drei liberalen Minister, über die ich gleich noch sprechen werde, werden ihre Inhalte präsentieren und ihre Arbeit natürlich fortsetzen.
Herr Al-Wazir, wenn man mit den Menschen redet, erkennt man doch, dass es genau das ist, dass die Menschen wieder Vertrauen in die Politik haben wollen, dass die Politik wieder berechenbar werden muss und dass die Politik auch beständig sein muss.Ich glaube,dass wir das trotz des Personalwechsels in Hessen zeigen. Das Personal hat sich an einigen Stellen geändert. Wir werden unseren Kurs weiterhin konsequent fortsetzen. Ich glaube, das ist das Wesentliche.
Herr Ministerpräsident Bouffier hat in seiner ersten Rede vor einer Woche angekündigt – heute hat er das in seiner Regierungserklärung noch einmal getan –, dass er in diesem Landtag dafür eintreten möchte, dass wir es vielleicht schaffen, den Stil ein wenig zu ändern. Ich erinnere mich an viele Reden einiger Ministerpräsidenten, denen ich schon zuhören durfte.Da wurde immer wieder dieser Versuch unternommen.Verehrte Damen und Herren der Opposition, ich glaube, so wie Volker Bouffier heute hier die Akzente gesetzt und auch die Hand gereicht hat, ist das ein sehr ernst gemeintes Angebot. Ich würde mir wünschen, dass wir das wenigstens ein Stück weit probieren würden.
Herr Kollege Al-Wazir, ich will das einmal übersetzen. Ich habe gehört, dass Sie letztens das Parlament von Rheinland-Pfalz als Mädchenpensionat bezeichnet haben. So weit will ich nicht gehen. Aber ein Stück weit sollten wir das Klima des Landtags Rheinland-Pfalz haben, nämlich bei den Fragen zu den großen Themen. Da bedarf es nicht unbedingt des parteipolitischen Streits.Das sollten wir gemeinsam regeln. Dann würde immer noch genug Platz für viele Streitigkeiten in diesem Haus bleiben. Wir sollten versuchen, diesen Weg zu gehen. Ich glaube, der Ministerpräsident hat da heute die Richtung vorgegeben.Ich finde sie völlig richtig.
Herr Kollege Schäfer-Gümbel, ich möchte jetzt auf die Punkte eingehen,die Sie genannt haben.Das bedeutet natürlich nicht, dass diese Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen von dem Kurs abgehen werden, den wir eingeschlagen haben.Wir haben vor dem Wahltag mit unseren Wahlprogrammen den Menschen gesagt, was wir umsetzen wollen.Wir haben das dann in einen Koalitionsvertrag gegossen. Daran wird sich nichts ändern.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie können nicht verlangen, dass Schwarz-Gelb rot-grüne Politik umsetzt. Die Menschen haben uns gewählt, damit wir für dieses Land bürgerliche Politik machen.Das werden wir konsequent weitermachen, mindestens dreieinhalb Jahre lang.
Wir werden in einem modernen Bundesland, wie es Hessen nun einmal ist, den Herausforderungen, die uns gestellt werden, mit bürgerlichen Werten begegnen. Es wird z. B. gerade eine Diskussion geführt. Herr Kollege Schäfer-Gümbel,Sie haben über die Vereine gesprochen.Auch der Ministerpräsident hat dazu etwas gesagt. Wir brauchen die Vereine. Wir brauchen in unserem Land das ehrenamtliche Engagement der Menschen. Das ist völlig richtig. Das ist alles auch unbestritten.
Ich sage aber auch: Es ist nicht unser Land, es ist nicht das Land der Personen, die hier sitzen. Es ist das Land der Menschen, die dort draußen wohnen, unabhängig davon, wo sie in Hessen zu Hause sind. In einer Bürgergesellschaft muss sich natürlich jeder engagieren. Denn ansonsten ist diese Art Gesellschaft nicht sinnvoll.
Es ist nicht unsere Aufgabe, die Leute zu zwingen. Wir müssen Anreize setzen. Ich glaube, da gibt es Gemeinsamkeiten. Jeder muss sich darüber im Klaren sein, dass diese Gesellschaft nur dann funktionieren kann, wenn er seinen Beitrag dazu leistet.
Eines der Probleme,die die Parteien heute haben,ist doch folgendes. In Parteien gibt es in vielen Fällen ehrenamtliches Engagement. Wenn Sie als Mitglieder der GRÜNEN, der FDP, der Christdemokraten oder der Sozialdemokraten in Ihre Orts- und Kreisverbände schauen, werden Sie sehen, dass dort Menschen tätig sind, die sich ehrenamtlich für das Gemeinwesen engagieren. Häufig haben sie einen Ruf, der mehr schlecht als recht ist.
Auch das muss man unterstreichen: Sie könnten teilweise auch etwas Schöneres in ihrer Freizeit machen. Es ist gut, dass die Menschen auf einer so wichtigen Ebene wie der
kommunalen Politik machen. Aber genauso wichtig sind die Vereine und die Institutionen, in denen sich ehrenamtlich engagiert wird.
Das Fazit ist klar:Wir brauchen sie auch. Denn ansonsten würde diese Bürgergesellschaft nicht funktionieren.
Wir haben Herausforderungen zu bewältigen. Hessen ist eines der wirtschaftsstärksten Länder unserer Bundesrepublik. Es gibt Probleme bei der Integration. Das haben wir während dieser Debatte schon präsentiert bekommen.
Unser Bundesland hat Strukturen.Viele davon sind ländlich. Wir müssen darum kämpfen, dort die soziale Infrastruktur auch im Rahmen des demografischen Wandels aufrechtzuerhalten.
All diese Herausforderungen werden wir meistern. Ich bin da überhaupt nicht pessimistisch.Wir werden als Koalition diesen Problemen und diesen Herausforderungen mit Konzepten begegnen.
Ich glaube, dass viele der Konzepte schon in den Köpfen vieler Kollegen sind.Teilweise sind sie schon aufgeschrieben.Aber gerade wenn ich mir das Thema demografischer Wandel ansehe, muss ich sagen, dass es wichtig ist, sich gemeinsam zu überlegen, wie man dieses Land weiterentwickeln kann.
Wir haben da Probleme, die sich in vielen Bundesländern stellen. Wir haben in Hessen das Problem, dass immer mehr Menschen in die Ballungsräume ziehen, weil dort die Infrastruktur besser ist. Wir haben das Problem, dass es Ortsteile gibt – wir waren gerade wieder in einem Teil Mittelhessens und mussten das erleben –, in denen nur noch Menschen über 60 Jahre wohnen. Die jungen Menschen sind abgewandert. Natürlich geht dann die Infrastruktur langsam in den Orten verloren. Die Ärzte, die Apotheker und auch die Schulen, all das geht weg.