Protokoll der Sitzung vom 29.09.2010

Herr Wagner, unsere strukturelle politische Schwäche, die wir im Osten Deutschlands immer noch haben, resultiert aus einer sehr klaren politischen Entscheidung, zu der Sie als Union nicht den Mut hatten.

(Norbert Schmitt (SPD): So ist es!)

1990 haben wir als Partei ganz bewusst beschlossen, die ehemaligen SED-Mitglieder nicht aufzunehmen.

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Sie haben sie alle in der Kohorte übernommen.Herr Wagner, daraus einen Akt der demokratischen Verfasstheit zu machen ist wirklich lächerlich.

(Zurufe der Abg. Peter Beuth und Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Herr Wagner, im Gegenteil haben wir als einzige politische Kraft am 7. Oktober 1989 die Gründung einer sozialdemokratischen Partei in den Verhältnissen der damaligen DDR erlebt.Am 9. Oktober, zwei Tage später, wurde diese ausdrücklich vom Präsidium der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands begrüßt und offensiv unterstützt. Zur selben Zeit haben Sie sich damals alle in die Büsche gemacht und mit Ihren Blockflöten weiter zusammengearbeitet. Belehrungen von Ihnen lassen wir in dieser Frage nicht zu. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank. – Das Wort hat Herr Al-Wazir für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren!

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Neuer Stil!)

Wir haben zwei Tage – –

(Holger Bellino (CDU): Was ist mit den Stasispitzeln in den anderen Parteien? Die gibt es auch! – Peter Beuth (CDU): Sie paktieren mit denen, das ist die Wahrheit! Sie paktieren mit solchen Menschen! – Minister Stefan Grüttner: So ist es!)

Meine Damen und Herren, es ist verständlich, dass die eine oder andere Emotion hochgeht. Dennoch haben wir hier im Landtag Regeln. – Herr Al-Wazir hat das Wort, und ich bitte, ihm zuzuhören.

(Alexander Noll (FDP): Er sagt doch kein Wort!)

Herr Al-Wazir, sagen Sie einmal etwas.

(Heiterkeit)

Gerne. Frau Präsidentin, ich versuche es.

Wenn es um das Ende des einen deutschen Staates und die Wiedervereinigung geht, so sind dafür zwei Daten von Belang.Das eine ist der Tag des Mauerfalls,und das zweite ist der Tag der Wiedervereinigung.

Vor einem Jahr war die Thüringer Landtagspräsidentin schon einmal zu Gast in Wiesbaden, damals im Landesmuseum. Da ging es um 20 Jahre Mauerfall.

Daran schloss sich eine sehr denkwürdige Podiumsdiskussion an. Unter anderem war Katrin Göring-Eckardt auf dem Podium. Mit ihr habe ich anschließend gesprochen, und sie hat grinsend gesagt, ihr sei vor dieser Veranstaltung gar nicht bewusst gewesen,dass Franz Josef Jung und die Ost-CDU die Mauer zum Einsturz gebracht und das SED-Regime besiegt haben.

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, ich will Ihnen sagen: Heute Morgen haben Sie eine unglaubliche Chance vertan. Denn am letzten Dienstag bekamen wir einfach einen Antrag von CDU und FDP auf den Tisch geknallt – in dem übrigens Helmut Kohl fehlt, Herr Boddenberg, dafür aber Walter Wallmann und Wolfgang Gerhardt genannt sind. Herr Wagner, ich glaube, das ist kein Zufall. Ich weiß nicht, womit Sie nachts ins Bett gehen und was unter Ihrem Kopfkissen liegt; aber die Protokolle des Hessischen Landtags von 1989 und die Beschlüsse des SPD-Parteitags von Hessen von 1989 gehören sicher nicht zu dem, was Sie immer bei sich tragen.

(Günter Rudolph (SPD): Hoffentlich nicht!)

Von Anfang an haben Sie es darauf angelegt, diese Debatte dazu zu nutzen, zu spalten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Stimmt das, oder stimmt das nicht, was ich gesagt habe?)

Doch, Sie haben es von Anfang an darauf angelegt. Ich hätte gedacht, wenn der CDU eines heilig sei, jedenfalls der Hessen-CDU, dann die deutsche Einheit. Ich frage Sie:Wie schlecht muss es CDU und FDP eigentlich gehen, wenn sie den 20. Jahrestag der Wiedervereinigung Deutschlands zu parteipolitischen Auseinandersetzungen nutzen?

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Christean Wag- ner (Lahntal) (CDU))

Wie schlecht muss es Ihnen eigentlich gehen? Der Eintritt in die Ost-CDU war kein Akt des Widerstands.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Das habe ich auch nicht gesagt!)

Das BÜNDNIS 90 war nicht für die Wiedervereinigung. Ich kann mich ziemlich genau erinnern, wie bedröppelt Jens Reich und Konrad Weiß am 18. März 1990 geschaut haben. Jens Reich hat den schönen Satz gesagt: Die Mehrheit hat sich an die angelehnt, von denen sie glaubt, dass sie dem am nächsten stehen, der das Portemonnaie hat.

Ich weiß nicht so genau, wer wie wann welche Gefühle hatte oder nicht. Eines aber weiß ich ganz sicher: Herr Wagner, 20 Jahre später sollten wir uns einmal Gedanken über die Frage machen, was gut gelaufen ist, was man besser machen kann, wer sich mit Vergangenheit beschäftigen soll. Ich hatte aber eigentlich gedacht, wir seien hier weiter.

Herr Wagner, die Tatsache, dass Sie hier versuchen, den Tag der Deutschen Einheit wirklich dazu zu benutzen, sich selbst oder den Konservativen in Ihren Reihen, die verunsichert sind, durch Abgrenzung gegen andere in diesem Haus irgendeinen vermeintlichen Vorteil zu verschaffen, zeigt, dass Ihnen die deutsche Einheit sehr viel gleichgültiger ist, als ich das bisher dachte.

Deshalb kann ich nur sagen: Wenn das der neue Stil sein sollte,

(Peter Beuth (CDU): Unverschämtheit!)

dann sollten Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, einfach noch einmal in sich gehen und sich überlegen, was Sie hier heute Morgen angerichtet haben. – Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Sie stehlen sich aus der Geschichte! – Peter Beuth (CDU): Unerträgliche Heuchelei!)

Vielen Dank, Herr Al-Wazir. – Das Wort hat nun Herr Kollege Dr.Wilken für die Fraktion DIE LINKE.

(Zuruf: Oioioi!)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Wir wollten heute Morgen Respekt und Achtung vor den Menschen ausdrücken, die mit aufrechtem Gang die friedliche Revolution vor 20 Jahren gemacht haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Diese Debatte hier war dessen unwürdig.

(Beifall der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Ich hoffe, dass nicht allzu viele dieser Mutigen mitbekommen werden,wie wir uns im Hessischen Landtag dazu verhalten.

(Zuruf des Abg. Dr. Rolf Müller (Gelnhausen) (CDU))

Ob wir den Mut gehabt hätten, gemeinsam gegen eine Diktatur aufzustehen, muss nach dem heutigen Morgen offensichtlich bezweifelt werden.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Rolf Müller (Geln- hausen) (CDU): Sie sicher nicht!)

Vielen Dank, Herr Dr.Wilken. – Nun hat für die Landesregierung Herr Minister Hahn das Wort.

Frau Präsidentin, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist jetzt knapp ein halbes Jahr her, dass die Hessische Landesregierung in Brüssel eine zweitägige, sehr beachtete Veranstaltung zum Thema Wiedervereinigung, deutsche Geschichte, Verhältnis zwischen Hessen und Thüringen durchgeführt hat. Viele von Ihnen konnte ich damals auch als Gäste und als Mitwirkende begrüßen.

Ich möchte im Parlament in der Art und Weise Bericht erstatten, dass ich Ihnen sage: Unter dem Motto 60 Jahre Grundgesetz – 20 Jahre Wiedervereinigung – fünf Jahre Osterweiterung hatten wir das Thema so umfassend angelegt, dass jeder in diesem Hause das erfolgreiche Bemühen der Landesregierung erkennen kann, dass wir die geschichtlichen Zusammenhänge präzise aufbereiten, dass wir über die Leistungen zwischen Hessen und Thüringen – Kollege Quanz war da, deshalb schaue ich ihn an – nicht nur berichtet, sondern sie teilweise auch streitig erörtert haben, z. B. das Verhältnis von Point Alpha und Schifflersgrund.

Auf der anderen Seite aber haben wir nach dem Motto „Nichts kommt von nichts“ auch auf die geschichtlichen Zusammenhänge hingewiesen, die vor nunmehr knapp sechs Jahren zur Osterweiterung der Europäischen Union mit den Beitrittsländern Polen und anderen geführt haben.