Auf der anderen Seite aber haben wir nach dem Motto „Nichts kommt von nichts“ auch auf die geschichtlichen Zusammenhänge hingewiesen, die vor nunmehr knapp sechs Jahren zur Osterweiterung der Europäischen Union mit den Beitrittsländern Polen und anderen geführt haben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir eine solche Debatte in Brüssel führen – der Kollege Boddenberg hat schon darauf hingewiesen, wie wir sie in Berlin führen –,
dann weisen wir natürlich auf die geschichtlichen Zusammenhänge von Anbeginn an hin. 60 Jahre Grundgesetz, das war das Bekenntnis unserer Väter und Mütter – das sagen wir immer, aber ich glaube, wir müssen bald von Großeltern sprechen –,sich in der Wertegemeinschaft von Rechtsstaat, von Freiheit, von sozialer Marktwirtschaft wieder zu etablieren.Nach den fürchterlichen Ereignissen der Hitler-Diktatur war das eine besondere Leistung, die es immer wieder zu würdigen gilt.
In diesem Zusammenhang ist etwas anderes entstanden. Einige haben es als die Westeinbindung der Bundesrepublik Deutschland beschrieben. Ich möchte es etwas wertfreier umschreiben als die Einbindung Deutschlands in das kommende gemeinsame Europa. Es waren Theodor Heuss und Konrad Adenauer, die auf entsprechende Aktivitäten von Robert Schuman, De Gasperi und anderen geantwortet haben, mitgemacht haben und damit einen Nukleus gelegt haben für eine Einrichtung – nichts kommt von nichts, meine sehr verehrten Damen und Herren –, die heute Europäische Union heißt und die der Garant dafür ist, dass nun über 60 Jahre lang Frieden in dieser Region in der Mitte Europas herrscht.
Dieser Erfolg der Friedenspolitik hat neben der Westbindung – ich sage das in Gänsefüßchen –, die insbesondere mit dem Namen Konrad Adenauer verbunden ist,dann zu der Ostpolitik geführt. Es ist doch eine Binsenweisheit – ich bin dankbar dafür, dass alle diejenigen, die damals argumentativ möglicherweise immer noch in einem Schützengraben gewesen sind, schon lange wieder draußen sind und es genau so sehen, wie ich es jetzt sage –, dass ein wesentlicher Bestandteil dafür,dass wir den 20.Jahrestag der Befreiung feiern können, die mutige Ostpolitik des Bundeskanzlers Willy Brandt und seines damaligen Außenministers Scheel gewesen ist.
Ich sage das hier sehr bewusst, weil es ein Konzert von Teilnehmern ist. Das war keine Einzel- und Sololeistung, sondern es war ein Konzert, über 30, 40 Jahre angelegt.
Manchmal wusste man noch gar nicht, wie die Partitur weitergeschrieben wird.Trotzdem ist es gemacht worden, ausdrücklich von Willy Brandt und zunächst von Walter Scheel und später von Hans-Dietrich Genscher.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, nachdem diese Osterweiterung erfolgreich durchgeführt worden ist – im Übrigen jeweils gegen die Argumentation der jeweiligen Opposition in unserem Heimatland –, kam dann die Entwicklung, die wir mit Helsinki umschreiben. Hans-Dietrich Genscher hat in dieser Veranstaltung ausdrücklich darauf hingewiesen: Hätte es Helsinki nicht gegeben – ich sage mit Blick auf die Sozialdemokraten: seid mir nicht böse –, hätte es auch den NATO-Doppelbeschluss nicht gegeben, wären wir nicht so weit gekommen, wie wir jetzt sind, könnten wir jetzt nicht voller Stolz 20 Jahre Wiedervereinigung feiern.
Deshalb ist meine herzliche Bitte: Verkaufen wir unser Land in Brüssel, in der europäischen Hauptstadt, verkaufen wir unser Land in Berlin,in unserer nationalen Hauptstadt,
und verkaufen wir unser Land in unserer Landeshauptstadt Wiesbaden als das Land, das immer wieder Unterstützung gesucht und gefunden hat, um diese geschichtlichen Prozesse, von denen ich eben gesprochen habe, zu unterstützen, und das dann, als am 8./9. November 1989 die Chance bestand, sie tatkräftig ergriffen hat und noch
an dem Abend beginnend eine kameradschaftliche, freundschaftliche, geschichtlich gebundene Zusammenarbeit mit unseren Freunden in Thüringen aufgebaut hat.
Wir haben noch Regierungskollegen, die damals mitgewirkt haben. Der Ministerpräsident war damals Staatssekretär im Justizministerium. Der Wirtschaftsminister war damals Staatssekretär im Verkehrs- und Wirtschaftsministerium.Wenn ich mich einigermaßen richtig erinnere, hatten wir an diesem Tag sogar Plenarsitzung. Sie waren noch in der Nacht an der Grenze, und sie haben begonnen, nicht nur zu begrüßen, sondern auch Initiativen zu ergreifen, die z. B. dazu geführt haben, was die Präsidentin des Thüringer Landtags gestern angesprochen hat: Verbindungen zu bauen,die Grenze zu durchlöchern,aus irgendwelchen Wegen, die von der NVA genutzt worden sind, Straßen zu bauen. Das war die Hauptaufgabe, die im Januar/Februar 1990 für die Hessische Landesregierung bestanden hat, und wir haben sie tatkräftig umgesetzt.
Deshalb meine ganz herzliche Bitte bei aller Auseinandersetzung, die wir in diesem Hause pflegen und an der der eine oder der andere von uns in den letzten Jahrzehnten mehr oder weniger beteiligt war: Vergessen wir bitte nicht, dass daran teilweise aktive Politiker von heute, teilweise aber auch die Generation vor uns beteiligt waren. Das waren nun einmal – Herr Schäfer-Gümbel hat es angesprochen – Ministerpräsident Dr.Walter Wallmann und sein Stellvertreter Wolfgang Gerhardt, die zum damaligen Zeitpunkt die Verantwortung für die Landesregierung getragen haben und mit denen deshalb z. B. auch das Programm „500 Millionen Hessen-Mark nach Thüringen“ verbunden ist. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Ehre, wem Ehre gebührt.
Ein letzter Gedankengang. Ich habe mich – das soll sehr kurz sein – auch als Justizminister dieses Landes gemeldet.
(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Noch beschließt den Haushalt das Parlament! Das war 1989 auch schon so!)
Herr Minister, ein Hinweis: Die den Fraktionen zu Verfügung stehende Redezeit ist bereits abgelaufen.
Danke, Frau Präsidentin. – Ich bin sehr überrascht über die kleine Münze, die gerade von Tarek Al-Wazir rübergeschmissen worden ist. Ich finde, sie gehört eigentlich nicht in die Debatte hinein. Seien Sie einfach so konziliant, und stellen Sie fest, dass die damalige Mehrheit – das war nicht nur die damals regierende Mehrheit, sondern das waren alle im Parlament, die diese Aussage getroffen haben – –
Seien Sie doch nicht so kleinlich.Die Arbeit hat nun einmal die Landesregierung gemacht, und die Landesregierung ist von Dr. Walter Wallmann und von Dr. Wolfgang Gerhardt verantwortet worden.
(Dr.Thomas Spies (SPD):Das war jetzt unkleinlich, Herr Minister! – Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Der Riesenstaatsmann redet wieder!)
Lassen Sie mich als Justizminister noch eines sagen, und ich glaube, es ist sehr beängstigend. Ich lasse es als Justizminister des Landes Hessen nicht zu, und ich würde mich freuen, wenn ich die breite Unterstützung dieses Hauses habe, dass aus einem Rechtssystem eines Unrechtstaates ein Rechtssystem eines bürgerfreundlichen Staates gemacht wird. Das kann man im Hessischen Landtag nicht zulassen.
Der Kollege Wilken hat von dieser Stelle aufgezählt, um Sie zu erinnern, was es für in seinen Augen gute Dinge in der ehemaligen DDR gegeben hat: Kinderbetreuung usw. Das habe ich mir gemerkt, und darüber müssen wir uns gar nicht streiten.
Er hat dann gesagt, unter anderem hat die DDR ein – ich habe es mitgeschrieben – bürgerfreundliches Prozessrecht gehabt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer so etwas sagt, der ignoriert die Vergangenheit, der schlägt in das Gesicht der Opfer dieses Rechtssystems,das ein Unrechtssystem gewesen ist. Das muss der hessische Justizminister vor dem Landtag auch sagen dürfen.
Ich lade Sie herzlich ein, die Debatte nicht nur in diesem Hause, sondern auch in unserer Veranstaltung in Berlin wie auch in Brüssel zu führen.Wir haben Erfolge als Hessen.Wir haben unseren thüringischen Freunden geholfen, aber wir lernen jetzt auch von ihnen. Das möchte ich Ihnen zum Abschluss noch sagen:Wir haben in der gemeinsamen Kabinettssitzung am vergangen Montag eine Reihe von Dingen erörtert,wo unsere Thüringer Kollegen weiter sind.
Auch hier sage ich wieder als Justizminister: Wir müssen in der Landeshauptstadt Wiesbaden dafür kämpfen, dass es endlich ein Haus des Jugendrechts gibt. In Gera und in Jena gibt es das erfolgreich schon seit fünf Jahren. Also schauen wir nicht nur nach dem Motto: „Was haben wir Hessen dort geleistet?“, über die Landesgrenze nach Thüringen,sondern schauen wir nach dem Motto:Was können wir Hessen aus den Erfahrungen der Thüringer lernen? Ich glaube, das ist würdig am 20. Jahrestag der Wiedervereinigung unseres Vaterlandes. – Vielen herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Minister Hahn. – Mir liegen nun keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit sind wir am Ende der Aussprache.
Entschuldigen Sie bitte, Herr Dr. Blechschmidt. Herr Bellino hatte mir signalisiert, sie hätten zurückgezogen. Das war ein Missverständnis, es tut mir leid. – Sie haben das Wort.
Frau Vorsitzende, sehr geehrte Damen und Herren Kollegen! In der Tat handelt es sich um ein Missverständnis, weil Herr Bellino und ich uns überlegt haben, ob wir uns noch einmal zu Wort melden.Ich habe es mir während der Debatte mehrfach überlegt und bin zu der Auffassung gelangt, dass ich mich bei so einer Debatte noch einmal zu Wort melden sollte. Bei so einer Debatte über Ereignisse, die man persönlich erlebt hat und über die man persönliche Eindrücke hat, halte ich es für wichtig, einiges klarzustellen, auch was mein Abstimmungsverhalten betrifft, warum ich dem SPD-Antrag nicht zustimmen kann.
Das hat auch etwas mit meiner Vita zu tun. Ich bin 1961 geboren, das war das Jahr der Mauererrichtung. Als 18Jähriger bin ich 1979 in die FDP eingetreten, die HansDietrich Genscher unter einer sozial-liberalen Koalition geprägt hatte.Damals hatte ich das Ziel,durchaus mit Gewicht etwas beeinflussen zu können. Durch mein Engagement bei den Jungdemokraten habe ich damals schon einen regen Austausch mit Jugendlichen aus der DDR geführt. Ich hatte damals Kontakt zu Bürgern der DDR, die ein gewisses Privileg hatten. Ich hatte Kontakt zu Wolfgang Mischnick und habe mit ihm zusammen nach dem Mauerfall die DDR bereist. Ich habe ihn kennengelernt als einen engagierten Menschen, der weiß, was es heißt, in diesen Zeiten Kontakte zu pflegen.
Ich will Ihnen auch noch einmal deutlich machen, was 1989/90 in meinem Kopf umgegangen ist. Ich bin damals nicht davon ausgegangen, dass eine Wiedervereinigung möglich ist. Der Moment, den ich damals erlebt habe, hat mich sehr positiv überrascht.Er hat mich mit anderen Akzenten überrascht, als heute dargelegt wurde. Die Wiedervereinigung, so, wie sie gekommen ist, war das größte Glück der Deutschen. Beginnend mit meinem politischen Engagement 1979 habe ich zehn Jahre lang nicht daran geglaubt. Es war richtig, dass das so passiert ist. Wir müssen diesen Tag heute würdigen. Ich weiß nicht, ob ich die richtigen Worte dafür finde.
Herr Hahn hat es auch dargestellt:Wir müssen versuchen, einen Konsens herzustellen, dass das Gedenken an die Zeit von 1989/90 hochgehalten wird, ungeachtet der Akzente, die zum Tragen kommen.
Ich sage es ganz selbstbewusst, sozial-liberal geprägt in den Achtzigerjahren: Es war ein großes Verdienst der handelnden Akteure SPD und FDP, die Ostpolitik zu öffnen. Es war gleichwohl 1989/90 ein Riesenverdienst von Helmut Kohl, in einer historischen Momentaufnahme die Chance zu ergreifen und die Wiedervereinigung zusammenzubringen.
Es war mir heute wichtig, das noch einmal am Schluss der Debatte auszusprechen, obwohl es fraglich ist, ob es vom Akzent dazugehört. Es war mir wichtig, deutlich zu machen, dass dieser Tag hochgehalten werden muss. Wir haben alle unsere politische Vita, wir haben alle unsere politischen Akzente. SPD, FDP und CDU müssen ihre Akzente wohlüberlegt auf den Punkt bringen.Trotzdem müssen wir feststellen, das Gemeinsame, das uns eint, ist die Freude, ein gemeinsames großes Deutschland zu haben, das wiedervereinigt ist, das viele Bundesländer hat und