Protokoll der Sitzung vom 29.09.2010

Es war mir heute wichtig, das noch einmal am Schluss der Debatte auszusprechen, obwohl es fraglich ist, ob es vom Akzent dazugehört. Es war mir wichtig, deutlich zu machen, dass dieser Tag hochgehalten werden muss. Wir haben alle unsere politische Vita, wir haben alle unsere politischen Akzente. SPD, FDP und CDU müssen ihre Akzente wohlüberlegt auf den Punkt bringen.Trotzdem müssen wir feststellen, das Gemeinsame, das uns eint, ist die Freude, ein gemeinsames großes Deutschland zu haben, das wiedervereinigt ist, das viele Bundesländer hat und

wo Ost und West miteinander kommunizieren und Kommunikation über die politischen Grenzen hinweg möglich ist.

Der Punkt, an dem es mir schwerfällt, zuzustimmen – das meinte auch Herr Kollege Greilich –, ist nun einmal die Nr. 5 des Antrags der SPD:

Der Landtag erinnert wie schon vor einem Jahr daran, dass die SED gemeinsam mit den in der Nationalen Front... zusammengeschlossenen Blockparteien in der DDR einen Unrechtstaat errichtet hat, in dem systematisch bespitzelt wurde,...

Das geht nicht.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Ich sage das ganz persönlich. Ich habe die Leute, die dort engagiert waren und sich wohl überlegt haben, warum sie Engagement in der DDR entfaltet haben und nicht in der SED, kennengelernt. Das geht nicht. Das bringt uns nicht zusammen. Deswegen werde ich diesem Antrag der SPDFraktion, wenn diese Nummer aufrechterhalten bleibt, nicht zustimmen. – Danke schön.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Nächste Wortmeldung, Frau Kollegin Schulz-Asche.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kollege Wagner, Sie haben vorhin von der Gnade des richtigen Geburtsortes gesprochen. Ich glaube, da ist etwas dran; das entbindet uns aber nicht von der Verantwortung, Geschichte zu bewerten und daraus zu lernen. Zu dieser geschichtlichen Bewertung gehört auch Ehrlichkeit in den eigenen Reihen und in der Betrachtung des Gegners. Es sollte im Vordergrund stehen, an solchen Gedenktagen diese Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten.

Kollege Tarek Al-Wazir hat zu Recht darauf hingewiesen, dass gerade Sie, Herr Wagner, in Ihrem zweiten Beitrag mit Ihren Angriffen auf die Sozialdemokratie zumindest die Vermutung haben aufkommen lassen, dass es Ihnen von Anfang an mit Ihrem Antrag nicht darum ging, die Gemeinsamkeiten dieses Hauses herauszuarbeiten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Das war die Antwort auf die Diskussion!)

Lassen Sie mich,weil Herr Dr.Blechschmidt es gerade angesprochen hat, noch einmal auf die Rolle der Blockparteien eingehen. Ich habe vorhin eingangs gesagt, ich könne meine Hand nicht dafür ins Feuer legen,was ich gemacht hätte, wenn ich in der DDR gelebt hätte. Man kann aber im Rückblick sein eigenes Verhalten werten.

Ich möchte Ihnen aus einem sehr schönen Buch „Die Schuld der Mitläufer – Anpassen oder Widerstehen in der DDR“ ein kleines Zitat vorlesen.

(Dr.Christean Wagner (Lahntal) (CDU):Also auch vorbereitet für heute!)

Ja, wir haben auch einen Änderungsantrag, der sich mit den Blockparteien beschäftigt, eingebracht. – Ich zitiere aus dem Buch Fritz Raddatz:

Man kann in einem Boden verankert sein, dessen Schlamm man zugleich verachtet.

Den Mut zu haben, diesen Schlamm zu verachten, gleichzeitig aber in ihn verankert zu sein, das ist etwas, was wir in der Verantwortung der Blockparteien auch von Ihnen erwarten. Deswegen haben wir diesen Änderungsantrag gestellt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Was mich bei dieser heutigen Debatte so unglaublich betroffen macht, ist der Eindruck, dass es Ihnen von Anfang an nicht darum ging, eine gemeinsame Bewertung des Tags der Einheit zustande zu bringen. Das hat sich in der Debatte bewiesen.

Ich glaube, dass wir aufgrund der deutschen Geschichte in der Verarbeitung des NS-Regimes gezeigt haben, dass es eine weitgehende Übereinstimmung der Demokraten in der Bewertung gab und die Demokraten sich in allen Stürmen, die das Land in den letzten 60 Jahren erlebt hat, einig waren.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Aber nicht im Ziel der Wiedervereinigung!)

Es ist genauso notwendig, sich auf die Gemeinsamkeit der Demokraten zu stützen, wenn es in diesem Land darum geht, aus der deutschen Geschichte, aus den zwei Diktaturen im letzten Jahrhundert, zu lernen und für die Zukunft dafür zu werben, dass die Menschen bereit sind, Mut zu zeigen, für Demokratie, für Freiheit und für die Gemeinsamkeit der Demokraten zu kämpfen. Dass dies heute nicht gelang, das macht mich betroffen.

Ich bitte Sie noch einmal ganz herzlich, in sich zu gehen, um am Ende dieser Debatte dahin zu kommen, dass wir die Gemeinsamkeiten der Demokraten in den Vordergrund stellen und nicht das,was Sie heute meinen als Trennendes hervorheben zu müssen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Sie haben angefangen!)

Das Wort hat Herr Schäfer-Gümbel, SPD-Fraktion.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will den Abstimmungshinweis gleich zu Beginn geben:Wir beantragen zu allen Anträgen eine abschnittsweise Abstimmung, damit jeder Abgeordnete die Gelegenheit hat, jeden einzelnen Punkt präzise zu prüfen.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Satzweise!)

Ich habe mich noch einmal gemeldet,weil ich noch einmal den Versuch machen will, an den Stellen ein bisschen zusammenzuführen, an denen ich von Herrn Greilich eigentlich eine andere Erklärung erwartet hätte. Ich will damit beginnen, dass er versucht hat, den Begriff „Mist“ ein bisschen zu relativieren. Er hat das unter anderem mit dem Satz begründet: „Der Landtag verweist darauf, dass Freiheit und Demokratie auch gefährdet sind, wenn die soziale Spaltung der Gesellschaft zunimmt, wenn solidari

sche Grundwerte politisch nicht gestaltet werden, wenn Vertrauen in demokratische Institutionen abnimmt.“

(Wolfgang Greilich (FDP): Zuhören!)

Herr Greilich, die Extremismusforschung sagt sehr klar, dass das einer der wesentlichen Gründe ist,warum die Legitimation von demokratischen Institutionen und demokratischen Prozessen insgesamt infrage gestellt wird.

(Beifall bei der SPD)

Deswegen würde ich gerne wissen, wie Sie sich zu dem Satz verhalten und ob Sie sich zu dem Freiheitsstreben der Charta 77 bekennen können,die im ersten Absatz unseres Dringlichen Entschließungsantrags genannt ist.

(Günter Rudolph (SPD): Ja!)

Ich weiß nicht, was daran „Mist“ ist: die besonderen Verdienste, unter anderem von Michail Gorbatschow, der gesamte Prozess des Zwei-plus-Vier-Vertrags und vieles andere mehr. Ich verstehe die Debatte nicht, wie Sie sie hier angelegt haben, insbesondere Herr Wagner. Deswegen will ich insbesondere auf die eben von Herrn Blechschmidt sehr mühsam bearbeiteten Nr. 5 im Detail eingehen.

Wir haben in der Nationalen Front vier Parteien gehabt. Davon sind zwei, die LPDP und die CDU Ost, frei gegründete Parteien gewesen. Die DBD und die NDPD wurden von der sowjetischen Militäradministration initiiert, im Fall der DBD um den Bauernstand mit dem Ernährungsprogramm zu fördern, zu unterstützen, zu stabilisieren und politisch zu binden, im Fall der NDPD um ehemalige Nazifunktionäre nicht hinrichten zu müssen und sie zu integrieren. Das ist der historische Gründungsanlass für die DBD und die NDPD gewesen.

Ich richte gar nicht über die einzelnen Menschen, weil es da ganz unterschiedliche Biografien gibt, die auch unterschiedlich gebrochen sind. In diesem Absatz geht es vielmehr darum, dass die strukturelle Anlage und Funktion der Blockparteien keine Widerstandslösung war, sondern eine aktive Stabilisierungsfunktion für den Unrechtsstaat und das Unrechtsregime hatte.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dazu muss man sich doch bekennen. Herr Wagner, deswegen weise ich noch einmal darauf hin: Die Sozialdemokratische Partei hat nach auch heftigen Debatten im Jahr 1990 sehr dezidiert entschieden,dass wir,völlig egal,ob jemand vor der Zwangsvereinigung Sozialdemokrat war oder nicht, SED-Mitglieder nicht aufnehmen. Wir haben alle ausgeschlossen.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Aber dafür vorher mit ihnen verhandelt! – Peter Beuth (CDU): Und paktiert!)

Herr Wagner, zur Frage, wer wann mit wem Koalitionen geschlossen hat: Ich will jetzt nicht über Franz Josef Strauß reden und über die Frage, welche Kreditvolumina wer in den Osten geschoben hat.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sehen Sie, der Dialog war eine der wesentlichen Voraussetzungen dafür, dass wir an verschiedenen Stellen überhaupt Lösungen gefunden haben.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will noch einmal auf die Dokumentation von gestern Abend verweisen, wie der Staat um Dr. Helmut Kohl vor und nach 1989 in den entscheidenden Phasen auch mit den Machthabern verhandelt und gesprochen hat,weil die Notwendigkeit bestand, zu reden, um die Bedingungen zu verbessern. Herr Wagner, deswegen ist es so infam, sich hierhin zu stellen und den Versuch zu machen, Geschichtsklitterung zu betreiben und Geschichte für sich zu okkupieren. Die deutsche Vereinigung ist ein Geschenk. Wir stehen nicht nur zur deutschen Vereinigung, sondern wir – –

(Dr.Christean Wagner (Lahntal) (CDU):Sie waren doch gegen die Wiedervereinigung! – Peter Beuth (CDU): Was ist mit der DDR-Staatsbürgerschaft? Was ist mit Salzgitter gewesen? Herr Kollege, sozialdemokratischer Justizminister!)

Herr Beuth, wissen Sie, von Ihnen gar nicht. Halten Sie sich einfach zurück.

(Peter Beuth (CDU): Das müssen Sie schon verraten! – Weitere Zurufe von der CDU)

Herr Beuth, Sie haben heute hier eine große Chance vertan. Sie wollen hier ganz kleines Karo spielen und Geschichte okkupieren.

(Peter Beuth (CDU): Sie haben hier kleinste parteipolitische Münze gespielt! Das ist völlig unangemessen! – Zurufe der Abg. Petra Fuhrmann (SPD) und Clemens Reif (CDU))