Protokoll der Sitzung vom 30.09.2010

Jetzt will ich einmal ein Beispiel nennen. Ist denn ein Familienvater weniger solidarisch, der privat versichert ist, für seine drei Kinder selbst den Versicherungsbeitrag zahlt und damit natürlich auch die gesetzliche Krankenversicherung entlastet,als die Familie,die GKV-versichert ist und mit einem Beitrag versichert ist? Ist das solidarisch, oder ist es nicht eher so

(Zuruf der Abg.Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Frau Kollegin Schulz-Asche, das wissen Sie auch –, dass die private Krankenversicherung in vielen Fällen die gesetzliche Krankenversicherung subventioniert? – Genau so ist es.Deshalb hören Sie mit dieser Spaltungsgeschichte auf.

(Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg. Dr. Thomas Spies (SPD))

Sie versuchen zurzeit, auf Ihren guten Umfrageergebnissen zu segeln. Sie machen einen Vorschlag nach dem anderen. In Baden-Württemberg haben Sie letztens vorgeschlagen, man sollte Vesparoller verbieten und durch Elektroroller ersetzen. Es wird immer abstruser, was von den GRÜNEN kommt.

(Zuruf der Abg.Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Das ist eben diese Ökodiktatur, die Sie proklamieren. Sie wissen, wie Menschen zu leben haben, und Sie wollen durch Gesetze regeln, dass Menschen nur so zu leben haben, wie Sie das wollen, Frau Kollegin Schulz-Asche. Ich bin froh, dass ich in einer freiheitlichen Gesellschaft wohne,

(Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Oh!)

die ein solches Gesellschaftsbild, wie Sie es proklamieren, nicht vor sich herträgt.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Herr Kollege!

Deshalb sage ich Ihnen zum Schluss, ich hoffe, dass wir irgendwann davon wegkommen, der anderen Seite immer nur vorzuwerfen, was sie aus Ihrer Sicht aus welchen tiefen Beweggründen warum falsch macht. Versuchen Sie doch einmal, diesen Landtag dazu zu nutzen, den Wettbewerb um die beste Idee voranzubringen, anstatt hier immer nur mit Populismus und hohlen Phrasen zu punkten.

(Dr. Thomas Spies (SPD): Erzählen Sie uns doch einmal etwas!)

Das ist einfach zu wenig, Frau Kollegin Schulz-Asche.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Vielen Dank, Herr Rentsch. – Nun hat Sozialminister Grüttner das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muss einmal die Diskussion auf den Ausgangspunkt, den Antrag der Fraktion DIE LINKE über die Frage der Einführung einer Bürgerversicherung und das Ablehnen eines GKV-Finanzierungsgesetzes, zurückführen.

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Gute Idee!)

Gesundheitspolitische Debatten werden immer dahin gehend geführt, dass Schlachten geschlagen werden, die genauso komplex und alt sind wie das Gesundheitssystem. Das gehört zur parlamentarischen Auseinandersetzung. An der Stelle ist es natürlich so, dass man es immer unabhängig von der Frage, wie die Bundesregierung parteipolitisch besetzt gewesen ist, mit einem hochkomplexen System zu tun hatte, in dem es eine Reihe von Problemen gegeben hat. Dabei unterstelle ich gar nicht, dass es nicht auch den Versuch gegeben hat, an dieser Stelle Lösungsansätze zu finden.

Es ist ein System, in dem häufig Trial and Error zu verzeichnen gewesen ist. Es war Versuch und Irrtum. Insofern muss man das ein bisschen versachlichen und kann dann über die Grundlagen reden.

(Beifall der Abg. Kordula Schulz-Asche (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN))

Ich finde, bei diesen Grundlagen muss man aufpassen – Frau Schulz-Asche,klatschen Sie nicht zu früh –,dass man nicht Systeme gegeneinander ausspielt, dass man nicht versucht, irgendeine Neiddebatte zu führen, ohne den Versuch zu unternehmen, an irgendeiner Stelle etwas zu novellieren. Herr Dr. Spies, ich gebe Ihnen da recht. Na

türlich gibt es das Recht, in der politischen Diskussion zu sagen, wir haben eine ganze Reihe von Problemfeldern, die wir noch bearbeiten müssen, und dann auch die Versorgung im ländlichen Raum anzusprechen.

Wir können auch noch über asymmetrische Honorarverteilung sprechen. Wir können über die Frage von Effizienzabschlägen und Mehrbelastungsabschlägen sprechen. Wir können über Verteilungsraten reden. All diese Fragestellungen werden wir im Rahmen des GKV-Finanzierungsgesetzes schlicht und einfach auch behandeln müssen. Aber was übrig bleibt, ist, letztendlich haben wir eine massive Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung. Unabhängig davon, ob es 14 Milliarden c oder 11 Milliarden c sind, gibt es auf jeden Fall einen Finanzierungsbedarf.

Wir müssen uns der Frage stellen, wie wir uns in Zukunft die Finanzierbarkeit unserer gesetzlichen Krankenversicherung vorstellen können.Deswegen glaube ich,dass mit dem vorgelegten Gesetzentwurf, bei allen Punkten, die noch zu diskutieren sind, eine entsprechende Linie vorgegeben ist, auf deren Grundlage es zu einer Stabilisierung kommen kann.

Diese Linie ist dahin gehend zu sehen, dass es keine einseitige Belastung gibt. Kollege Rentsch hat das gesagt. Wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer, also Versicherte und andere, alle an einem Gesetzentwurf Kritik üben, dann scheint zumindest die Belastung der einzelnen Teilnehmer an diesem System durchaus gleich zu sein. Und das ist eben so. Es ist keine einseitige Belastung,

(Dr. Thomas Spies (SPD): Ein Missverständnis, Herr Minister!)

da jeder – Krankenkasse, Krankenhaus, Ärzte, Zahnärzte, die Pharmabranche – einen Beitrag leisten muss.Das ist in diesem Gesetzentwurf auch vorgesehen. Letztendlich ist der Beitrag in Höhe von 15,5 % ab 2011 eigentlich nur die Rücknahme der Absenkung, als der Beitrag konjunkturbedingt auf 14,9 % gefallen ist.

Deswegen glaube ich, dass im Hinblick auf das erwartete Defizit der GKV seitens der Versicherten und auch der Arbeitgeber nicht erwartet werden kann, keinen Beitrag zur Verbesserung der Finanzsituation leisten zu müssen und die krisenbedingten Vergünstigungen auf Dauer zu erhalten. Das geht nicht, und zwar genauso wenig, wie wir es bei dem Konjunkturpaket gemacht haben, das Bund und Länder aufgelegt haben.

Deswegen darf man nicht wieder,wie es die LINKEN tun, den Fokus zu sehr auf den Arbeitgeberbeitrag richten. Wenn man nicht will, dass steigende Gesundheitskosten unmittelbar die Arbeitskosten belasten,ist es eben richtig, den Arbeitgeberanteil zur gesetzlichen Krankenversicherung von den Gesundheitskosten zu entkoppeln. Insofern sind wir in einem Bereich, dass Zusatzkosten auch über zusätzliche Beiträge entsprechend aufgefangen werden müssen.

Vor dem Hintergrund bringt eine Bürgerversicherung, die Schaffung neuer Steuertatbestände oder vieles andere mehr an keiner Stelle irgendetwas. Um unsere Finanzierungsprobleme der gesetzlichen Krankenversicherung dauerhaft lösen zu können, müssen wir das schlicht und einfach unter dem Gesichtspunkt der demografischen Entwicklung als einen Beitrag sehen, den die Konjunktur nicht leisten kann, weil Arbeitgeberbeiträge an einer Stelle nicht gleichzeitig arbeitskostensteigend erhöht werden können. Wir werden insofern einen Weg gehen, der

mehr und mehr in den Bereich einer Fondslösung mit einem entsprechenden Ausgleich kommt. Ich glaube, dass der vorgelegte Entwurf in eine gute Richtung zeigt und eine gute Grundlage zur Diskussion an dieser Stelle bietet. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Minister. – Nun hat sich Herr Kollege Dr. Spies noch einmal zu Wort gemeldet.

(Clemens Reif (CDU):Nicht ins Mikrofon beißen!)

Herr Staatsminister, es ist sehr erfrischend, dass Sie zumindest den Versuch unternehmen, die Debatte wieder auf die Sachlichkeit zurückzuführen.

(Lachen bei der CDU und der FDP)

Der Beitrag davor hat dazu nicht geholfen, auch wenn ich – bei allem Respekt – mir die Bemerkung erlaube, dass der Beitragssatz de facto nicht 15,5 %,sondern 17,5 % betragen wird – jedenfalls für Menschen mit kleinem Einkommen,weil für sie am Ende noch 2 % als Zusatzbeitrag dazukommen werden. Von diesen 17,5 % bleiben 7,3 % bei den Arbeitgebern und 10,2 % bei den Arbeitnehmern. Aber diesen Streit können wir noch lange führen. Das müssen wir jetzt nicht tun.

Herr Staatsminister, was ich mir aber gewünscht hätte, um die Debatte wieder in die gebotene Sachlichkeit zurückzubringen, ist, dass Sie auf das Thema der Arzneimittelpreise eingehen.

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Ja!)

Ich hätte mir gewünscht,dass Sie uns sagen,wie Sie für die hessische Bevölkerung das Thema der wegfallenden Zweitmeinung und der damit notwendig verbundenen, völlig unvermeidlichen und vermutlich äußerst dynamischen Kostensteigerung sehen. Das ist doch der Punkt, an dem die Arbeitgeber diese Reform kritisieren. Ich hätte mir gewünscht,dass Sie ein paar Worte dazu sagen,wie Sie im Interesse der Menschen in Hessen die Freiverkäuflichkeit von Arzneimitteln und die Risiken sehen, die darin liegen. Wie sehen Sie angesichts der völlig unterentwickelten Patientenberatung die Möglichkeit, dass den Leuten dabei geholfen wird, jenseits der Beratung durch jemanden, der ihnen etwas verkaufen will, das Verständnis so ausweiten zu können, dass sie diesen Herausforderungen gewachsen sind? An dieser Stelle ist Landespolitik doch sehr ernsthaft gefordert. Herr Minister, das bedauere ich. Aber es sind ja noch die ersten 100 Tage – wir schauen einmal, was nächstes Jahr geschieht. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Das Wort hat Frau Kollegin Schott für die Fraktion DIE LINKE.

Ich möchte an dieser Stelle Frau Silke Lautenschläger zu ihrem neuen Job gratulieren. Ich finde es spannend, dass

gerade über den Ticker gekommen ist, dass sie in den Vorstand einer der größten deutschen privaten Krankenversicherungen wechselt.

(Beifall bei der LINKEN – Hermann Schaus (DIE LINKE): Der größten! – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Das ist eine Unverschämtheit, unglaublich! – Weitere Zurufe von der CDU)

Vielen Dank,Frau Kollegin Schott.– Mir liegen nun keine weiteren Wortmeldungen vor.

(Zurufe von der CDU – Gegenrufe von der LIN- KEN – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Kommunistenpack!)

Meine Damen und vor allem meine Herren, ich wollte gerade in die Abstimmung eintreten. Deswegen darf ich Sie um Aufmerksamkeit und Ruhe bitten – und auch darum, Ihren Platz einzunehmen. – Herzlichen Dank.

Wir stimmen ab über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE LINKE betreffend Ablehnung des GKV-Finanzierungsgesetzes durch die Hessische Landesregierung im Bundesrat, Drucks. 18/2871. Wer diesem Entschließungsantrag die Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und DIE LINKE. Gegenstimmen? – Das sind CDU und FDP. Damit ist dieser Entschließungsantrag abgelehnt.

Geht der Dringliche Antrag an den Sozialpolitischen Ausschuss? Oder wollen wir den auch gleich abstimmen?