Dritte Lesung des Gesetzentwurfs der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für ein Gesetz zur Änderung des Art. 124 der Verfassung des Landes Hessen (Absenken des Quorums für den Volksentscheid) – Drucks. 18/3481 zu Drucks. 18/3460 zu Drucks. 18/2764 –
Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktion DIE LINKE betreffend Volksbegehren und Volksentscheid in Hessen – Drucks. 18/3489 –
Der Hauptausschuss empfiehlt dem Plenum mit den Stimmen der CDU und der FDP gegen die Stimmen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN bei Stimmenthaltung der SPD und der LINKEN, den Gesetzentwurf in dritter Lesung abzulehnen.
Die vereinbarte Redezeit beträgt zu diesem Tagesordnungspunkt siebeneinhalb Minuten je Fraktion. – Die erste Wortmeldung kommt von Herrn Kollegen Dr. Jürgens für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Herr Dr. Jürgens, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! In der Hessischen Verfassung gibt es seit mehr als 64 Jahren ein uneingelöstes Versprechen, nämlich das Versprechen, die hessischen Bürgerinnen und Bürger könnten durch Volksgesetzgebung das hessische Landesrecht aktiv mitgestalten. Das Versprechen, die hessische Demokratie stütze sich ganz besonders auf die aktive Mitwirkung des Volkes, wurde bisher nicht eingehalten. Noch nie in der Geschichte des Landes Hessen war ein Volksbegehren erfolgreich.
Wir hatten am 1. Dezember – das ist in Hessen immerhin der Verfassungstag – eine ausführliche Anhörung zu diesem Thema. Dabei ging es vor allem um die Frage, mit welchen Maßnahmen erreicht werden kann, dass auch in Hessen Volksbegehren und Volksentscheid eine Chance bekommen können.
Kein einziger Sachverständiger hat erklärt, dass das ohne eine Änderung der Verfassung erreicht werden könnte. Alle – ich betone: alle – Sachverständigen, die anwesend waren und sich geäußert haben, haben unsere Auffassung bestätigt, dass nämlich vor allem das in der Verfassung verankerte Quorum von 20 % der Stimmberechtigten, die ein Volksbegehren unterstützen müssen, eine unüberwindliche Hürde darstellt. Alle Sachverständigen haben unmissverständlich klargemacht, dass ohne eine Änderung der Verfassung keine wirkliche Erleichterung der Volksbegehren erreicht werden kann.
Die Regelung in Hessen sei anachronistisch, sagte ein Sachverständiger. Lediglich eine Veränderung des Gesetzes über Volksbegehren und Volksentscheid vorzunehmen, wie es die CDU und die FDP vorhaben, sei Augenwischerei, sagte eine andere Sachverständige.
Alle anderen haben mit der gebotenen Höflichkeit, aber ebenso bestimmt, eine Änderung der Verfassung als längst überfällig und dringend eingefordert. Dennoch wollen CDU und FDP weiterhin unseren Gesetzentwurf ablehnen. Ich finde, das ist völlig unverständlich.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie der Abg. Nancy Faeser (SPD) und Willi van Ooyen (DIE LINKE))
Alle Staatsgewalt ist im Rechtsstaat nicht durch einen einzelnen Herrscher, eine Kaste, wie z. B. den Adel, oder gar durch einen Gott wie im Gottesstaat legitimiert. Vielmehr ist sie nur durch das Volks als Gesamtheit der volljährigen Staatsbürger legitimiert.
Dem liegt das freiheitliche Staatsverständnis der Aufklärung zugrunde. Alle Bürgerinnen und Bürger sind frei und gleich geboren, müssen aber im staatlichen Zusammenleben natürlich Einschränkungen der Freiheit und begründete Ungleichheiten hinnehmen. Das ist aber nur auf der Grundlage von Gesetzen legitimiert, die zustande kommen und Gehorsam fordern. Das können sie, weil sie sich auf die dem Gesetz Unterworfenen als gemeinsame Urheber dieser Regeln zurückführen lassen.
Natürlich findet das in der repräsentativen Demokratie in der Regel durch das Parlament statt. Wir sind die Vertreter des gesamten Volkes.
Aber es gibt fast keine entwickelte Demokratie in der Welt, die die Mitwirkung des Volkes auf eine Beteiligung an einer Wahl alle fünf Jahre reduziert und sie ansonsten außen vor lässt. Fast alle Demokratien bieten die Möglichkeit, dass sich die Bürgerinnen und Bürger auch zwischendurch einmal zu Sachfragen zu Wort melden können. Das können sie durch Volksinitiativen, Volksbefragungen, Volksbegehren und Volksentscheide. Zum Teil gibt es das in unterschiedlichen Kombinationen. Das hat auch unterschiedliche Bindungswirkung für die staatlichen Organe. Das gibt es aber.
Eine Volksabstimmung führt zu der höchstmöglichen Legitimität, die eine Demokratie überhaupt zu bieten hat. So viel steht jedenfalls fest. Wenn der Souverän selbst, das Volk, gesprochen hat, ist eine Streitfrage endgültig entschieden. Die Minderheit wird sich diesem Votum beugen, weil das authentisch die Mehrheit des gesamten Volkes widerspiegelt. Das ist bei parlamentarischen Entscheidungen unter Umständen anders.
Ich kann den Widerwillen bei der CDU und der FDP gegen direkte demokratische Elemente deshalb nicht verstehen. Die direkte Demokratie kann natürlich die repräsentative Demokratie nicht ersetzen. Selbstverständlich soll sie es auch gar nicht. Aber sie ist eine sinnvolle Ergänzung zur parlamentarischen Willensbildung.
Der Zustand dauerhafter Entmündigung der Bürgerinnen und Bürger in Hessen ist schlicht unerträglich. Er sollte beseitigt werden,
denn inzwischen ist durch die Untätigkeit des Verfassungsgebers und des Gesetzgebers Hessen zum Schlusslicht bei den Möglichkeiten direkter Demokratie in Deutschland geworden. Nur noch das Saarland, ein einzig verbliebenes weiteres Bundesland, hat ein ebenso hohes Quorum wie wir in Hessen. Das soll allerdings nach dem Willen der dortigen Koalition von CDU und GRÜNEN in naher Zukunft deutlich abgesenkt werden.
Übrigens sind alle anderen Bundesländer diesen Weg schon gegangen. Am niedrigsten liegt das Quorum in Brandenburg mit 80.000 Unterstützerinnen und Unterstützern. Das sind derzeit rund 3,8 % der Stimmberechtigten. Es wird nicht mehr lange dauern, und Hessen liegt auf dem letzten Platz aller Bundesländer, wenn die Änderung im Saarland vollzogen ist, weil die Mehrheit in diesem Haus unfähig ist, sich in diesem Punkt zu bewegen.
Mit unserem heute zur Abstimmung stehenden Vorschlag, das Quorum auf 10 % abzusenken, wären wir ziemlich genau im Durchschnitt der Bundesländer. Wir wären noch nicht einmal weiter vorn. Es gibt vier Bundesländer, die ein Quorum unter 10 % haben. Vier andere haben ein solches über 10 %. Sieben Bundesländer liegen genau bei 10 %, die wir auch für Hessen vorschlagen.
Vor diesem Hintergrund kann ich es nur begrüßen, dass die Sozialdemokraten inzwischen angekündigt haben, unserem Gesetzentwurf, anders als noch im Hauptausschuss, zuzustimmen. Frau Faeser hatte noch in der ersten Lesung darauf verwiesen, dass sie befürworten würde, dass die Regelung ähnlich wie in Bayern sein würde. Das hat auch eine gewisse Logik, weil Bayern zu den Bundesländern gehört, die die entwickeltste Kultur in Sachen Volksbegehren haben. Seit 1967 hat es dort 18 Volksbegehren gegeben, von denen ungefähr die Hälfte das Quorum von 10 % auch überspringen konnte, zuletzt bekanntermaßen die Nichtraucherinitiative.
Ein Volksentscheid ist herbeizuführen, wenn ein Zehntel der stimmberechtigten Staatsbürger das Begehren nach Schaffung eines Gesetzes stellten.
Genau dieses Quorum von 10 % schlagen wir für Hessen vor. Wir erfüllen also die Bitte von Frau Faeser und freuen uns deswegen auch, dass die Sozialdemokraten zustimmen.
Natürlich könnten wir uns ein noch niedrigeres Quorum vorstellen. Das haben viele Sachverständige in der Anhörung auch vorgeschlagen. Deswegen sind wir dem Änderungsantrag der SPD gefolgt. Sie hatte vorgeschlagen, ein Quorum von 5 %, verbunden mit einem Abstimmungsquorum, einzuführen.
Nun bin ich nicht überzeugt, dass das Abstimmungsquorum der Weisheit letzter Schluss ist. Einige Sachverständige hatten daher auch Bedenken geäußert. Aber im Gesamtkontext hätten wir dies mitmachen können, weil das ein Weg gewesen wäre, um die grundsätzlich plebiszitfeindliche Haltung der Mehrheit in diesem Haus aufzubrechen. Darauf kommt es uns hauptsächlich an.
Deswegen ein Wort an die Kolleginnen und Kollegen von der LINKEN. Wenn Sie, anders als die Sozialdemokraten, bei Ihrem Votum aus dem Hauptausschuss bleiben und unseren Vorschlag ablehnen, dann bedeutet das nur, dass die einen dagegen sind, weil es ihnen zu weit geht, die anderen dagegen sind, weil es ihnen nicht weit genug geht. In der Summe bleibt es aber dabei, wie es bisher gewesen ist, dass Volksbegehren in Hessen keine Chance haben. Sie sollten sich überlegen, ob Ihnen irgendwelche Wunschvorstellungen wichtiger sind, als reale Politik zu machen, die umsetzbar ist. Darum geht es uns.
Ich würde Ihnen übrigens vorschlagen, dass Sie Ihren Entschließungsantrag zur Diskussion an den Innenausschuss im Kontext der Änderung überweisen, die zum Gesetzentwurf dort noch beraten werden muss. Die meisten der von Ihnen erwähnten Punkte betreffen diesen und gar nicht die Verfassungsänderung.
Meine Damen und Herren, die Volksabstimmung zur Schuldenbremse wird am Tag der Kommunalwahl stattfinden. Das wäre aus unserer Sicht eine sehr gute Gelegenheit gewesen, auch das Quorum für ein Volksbegehren in der Hessischen Verfassung realitätstauglich abzusenken. Wir müssen wohl zur Kenntnis nehmen, dass die Mehrheit das anders sieht. Meine Damen und Herren von der CDU und der FDP, damit vertun Sie eine Chance, Hessen ein bisschen demokratischer zu gestalten. Sie verhindern den Fortschritt zu mehr Demokratie. Das bedauern wir ausdrücklich.
Persönlich kann ich verstehen, was in unserer Anhörung ein Sachverständiger geäußert hat, der sagte, er sei verzweifelt und resigniert über die fehlende Mehrheit für mehr Demokratie in Hessen. Dem kann ich mich nur anschließen. – Danke schön.
Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Jürgens. – Nächster Redner ist Herr Dr. Wilken für die Fraktion DIE LINKE.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! In der Frage der direkten Demokratie muss es uns darum gehen, dass wir eine Machbarkeit von direkter Demokratie herstellen und nicht ihre Machbarkeit vorgaukeln. Auch so kann man das Anhörungsergebnis zusammenfassen. Da bin ich mit meinem Vorredner Dr. Jürgens durchaus einer Meinung. Aber, Herr Dr. Jürgens, alle, die in der Anhörung über das Quorum geredet haben, haben auch gesagt, dass Ihr Vorschlag des Quorums hoffnungslos zu kurz greift. Das müssen wir auch zur Kenntnis nehmen.
Es greift aus unserer Sicht auch zu kurz, sich ausschließlich über die Quoren Gedanken zu machen. Wir beabsichtigen mit unserem Entschließungsantrag, den wir heute abstimmen wollen, deutlich zu machen, dass in dem Gesamtkonzert viel mehr Bedingungen zu berücksichtigen sind. Sie haben vollkommen recht, wenn Sie sagen, das betreffe nicht in erster Linie die Verfassungsänderung. Das ist vollkommen richtig.
Aber wir müssen zu Gesetzesinitiativen ineinandergegriffen kommen, die das gesamte Konzept der Verzahnung von direkter Demokratie mit parlamentarischer Demokratie effektiv und effizient ermöglichen.
Dazu gehören Fragen, welche Themen für die direkte Demokratie überhaupt zulässig sind. Ich denke, wir müssen uns ohne Eile darüber unterhalten, dass wir eine Reform der Themenausschlüsse brauchen, weil so ziemlich jede Entscheidung, die wir hier im Hause treffen, und jede Ent