Bei bundesweit etwa 500 Sicherungsverwahrten führte dies in etwa 100 Fällen zu Gerichtsverfahren darüber, ob dieser Personenkreis entlassen werden müsse. Da Gerichte unterschiedlich bewerteten, ob die Straßburger Entscheidung zur unmittelbaren Entlassung oder zu einer Einzelentscheidung nach Prüfung führen muss, wurden am Ende bundesweit etwa 20 Personen entlassen. Wenige Täter verübten zeitnah wieder einschlägige Delikte, meist aus dem Formenkreis Sexualstraftaten, Körperverletzung, Tötungsdelikte. Andere Täter wurden von der Polizei über 24 Stunden täglich überwacht. Dies hat die Bevölkerung nachvollziehbarerweise erheblich aufgebracht. Es folgte ein entsprechendes Medienecho. Die staatlichen Ebenen mussten handeln.
Das Therapieunterbringungsgesetz des Bundes wurde mit großer Mehrheit verabschiedet und trat am 01.01.2011 in Kraft. Es regelt, dass entlassene Täter nach Verbüßung der Strafe bzw. der zeitlich begrenzten Sicherungsverwahrung von maximal zehn Jahren dann in einer geschlossenen Einrichtung untergebracht werden können, wenn es sich um eine schwere Straftat gehandelt hat, eine erhebliche Störung der Persönlichkeitsstruktur im Zusammenhang mit der Straftat vorliegt und von zwei Fachgutachtern eine erhebliche Gefährlichkeit und eine Gefahr für die Bevölkerung prognostiziert wurden.
Das Gericht entscheidet über die Therapieunterbringung. Begutachtungen müssen in regelmäßigen Abständen oder bei Vorliegen neuer Sachverhalte wiederholt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat darüber hinaus in seiner Entscheidung vom 04.05.2011 eine Novellierung des Gesetzes zur Sicherungsverwahrung bis Ende 2013 gefordert. Es soll insbesondere ein räumlicher und inhaltlicher Abstand zwischen diesen Einrichtungen und dem allge
Die Landesebene muss geeignete Therapieeinrichtungen schaffen und diese insbesondere auch finanzieren. Dies wird im vorgelegten Gesetzentwurf im Einzelnen geregelt. Bei einer abschließenden Prüfung des Fraktionsgesetzes unter Inanspruchnahme von Formulierungshilfen durch die Ministerien ist uns ein redaktioneller Fehler aufgefallen, den wir im Verfahren durch einen Änderungsantrag korrigieren werden. Es sei aber schon jetzt angekündigt. Es muss in § 6 Nr. 4 heißen: „das Grundrecht auf Informationsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 des Grundgesetzes“ statt „das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung...“.
Die Informationsfreiheit besteht vom Grundsatz her auch für einen Untergebrachten in einer Einrichtung nach dem ThUG. Jedoch kann es aufgrund von Entscheidungen der Leitung der Einrichtung zu Einschränkungen in Abhängigkeit von der Straftat kommen.
Ein zeitnahes Inkrafttreten eines Ausführungsgesetzes ist auch deshalb nötig, weil die Entlassung entsprechender Täter in Hessen jederzeit anstehen könnte und die Beantragung einer Therapieunterbringung möglich ist. Darüber hinaus haben bereits einige andere Bundesländer entsprechende Ausführungsgesetze verabschiedet.
Das Antragsrecht – auch das ist im Ausführungsgesetz geregelt – auf Therapieunterbringung soll die untere Verwaltungsbehörde, also der Gemeindevorstand, haben. Befindet sich die betroffene Person noch in der Sicherungsverwahrung, ist auch der Anstaltsleiter antragsberechtigt. Das Gericht entscheidet dann. Das Ausführungsgesetz gilt also sowohl für die Altfälle, für diejenigen, die bereits entlassen worden sind, als auch für diejenigen, die sich in der Sicherungsverwahrung befinden und bei denen eine Entlassung anstehen könnte.
Im Gesetzentwurf wird der Landeswohlfahrtsverband mit der Einrichtung der Therapieplätze in einer geschlossenen Einrichtung betraut. Er kann diese an geeignete Partner, wie die Vitos GmbH, delegieren. Eignung und Erfahrung sind durch den Maßregelvollzug über Jahrzehnte von diesen Einrichtungen in Hessen belegt.
Die Gültigkeit des Gesetzes wird bis Ende 2013 befristet. Bis dahin wird das Bundesgesetz zur Sicherungsverwahrung überarbeitet sein, das dann auch die eben erwähnten sogenannten Altfälle regelt. Weiterhin wird zu diesem Zeitpunkt auch eine Einrichtung in Schwalmstadt bei klarer baulicher Trennung zur JVA fertiggestellt sein.
Der vorliegende Gesetzentwurf garantiert, dass in Hessen eine sofortige Therapieunterbringung rechtssicher möglich ist und – das ist für uns das Entscheidende – dass die Bevölkerung geschützt ist.
Wir wünschen eine sachgerechte Beratung im Ausschuss und streben eine konsensuale Regelung zwischen den Beteiligten der Justiz, den beteiligten betreuenden Fachkräften und den Vertretern der Standortkommunen an. – Besten Dank.
Vielen Dank, Herr Dr. Bartelt. – Nächster Redner ist für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herr Kollege Dr. Jürgens.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Das Therapieunterbringungsgesetz des Bundes, kurz ThUG genannt, ist ein durchaus merkwürdiges Konstrukt. Auf der einen Seite soll es Strafrecht sein, weil sonst keine Gesetzgebungskompetenz des Bundes existieren würde. Es darf aber andererseits auch kein richtiges Strafrecht sein, weil man dann in Konflikt mit dem Rückwirkungsverbot gerät. Das Verbot einer nachträglichen Strafe für eine Tat, die bereits abgeurteilt worden ist, war der wesentliche Aspekt, weshalb der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Regelung der nachträglichen Sicherungsverwahrung in Deutschland für unvereinbar mit der Europäischen Menschenrechtskonvention erklärt hat.
Es geht bei den Personen, die nach dem ThUG untergebracht werden sollen, nicht um psychisch kranke Menschen, die durch ihre psychische Krankheit an der Einsicht des Unrechts der Tat gehindert waren und deswegen schuldlos oder nur beschränkt schuldfähig gewesen sind, sondern es geht hier durchaus um Täter, die voll schuldfähig waren, die genau wussten, was sie taten, die genau wussten, was sie ihren Opfern antaten. Jedenfalls hat das zuständige Gericht das jeweils so erkannt. Deshalb sind sie auch nicht in den Maßregelvollzug gekommen, wo in Deutschland psychisch Kranke landen, sondern im Strafvollzug und später in der Sicherungsverwahrung.
Aber es muss sich bei der Regelung im ThUG auch um psychisch beeinträchtigte Menschen handeln, weil nämlich nur dann die Unterbringung EU-rechtskonform wäre. Deshalb wurde in das Gesetz der etwas konturlose Begriff der „psychischen Störung“ übernommen, von dem eigentlich keiner so genau weiß, was damit gemeint ist.
In der Begründung des Bundesgesetzes wird erwähnt, das seien spezifische Störungen der Persönlichkeit, des Verhaltens, der Sexualpräferenz, der Impuls- oder Triebkontrolle. Das kann alles und nichts sein. Soziale Abweichungen sollen allerdings nicht ausreichen. Diese psychische Störung muss zugleich den Schluss zulassen – Herr Bartelt hat es erwähnt –, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit der Täter das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung einer anderen Person erheblich beeinträchtigen wird, also eine neue Straftat begehen wird.
Wir hatten eine längere Diskussion mit dem Landeswohlfahrtsverband und den Vitos-Kliniken, die sich lange dagegen gewehrt haben, die Trägerschaft einer Einrichtung für den genannten Personenkreis zu übernehmen. Im Übrigen hat sich auch der Sozialminister, im Ergebnis erfolglos, einige Zeit dagegen gewehrt, dass eigentlich der Justizminister die Verantwortung für diesen Täterkreis übernehmen sollte.
Wichtigste Begründung vonseiten der Vitos-Einrichtungen und des Landeswohlfahrtsverbandes war immer, dass es sich dabei gerade nicht um Personen handelt, die mit therapeutischen Maßnahmen, die Vitos im Maßregelvollzug zur Verfügung stehen, erreicht werden können. Viele sind therapieresistent oder haben sich jedenfalls so gegeben. Eine Verwahrung ohne Therapie wäre aber wiederum zweifellos nicht in Übereinstimmung mit den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.
Im Ergebnis ist es also völlig offen, ob jemals ein Antrag auf Unterbringung nach dem ThUG gestellt werden wird. Es ist völlig offen, ob jemals ein Gericht die Voraussetzungen für gegeben erachten wird. Es ist völlig offen, ob
das Gesetz überhaupt durch die Gesetzgebungskompetenz des Bundes gedeckt ist. Ebenso völlig offen ist es, ob das Gesetz mit seinen unklaren Regelungen dem Bestimmtheitsgebot für strafrechtliche Regelungen überhaupt genügt.
Dennoch wollen wir heute dem ThUG ein HAGThUG beiseitestellen, nämlich ein Hessisches Ausführungsgesetz mit der Abkürzung HAGThUG.
Ich sage aber auch gleich: Wir haben gar keine andere Wahl, als genau dies zu tun. Denn all diese offenen Fragen zu klären, liegt nicht in unserer Hand. Das entscheiden andere. Vor allem entscheiden das unabhängige Gerichte.
Nicht auszudenken aber, was passieren würde, wenn es tatsächlich einen Antrag auf Therapieunterbringung gäbe, wenn es tatsächlich ein Gericht gäbe, das die Voraussetzungen für hinreichend bestimmt hält, wenn es tatsächlich eine Entscheidung geben sollte, dass jemand von diesen gefährlichen Tätern in eine Therapieunterbringung gebracht werden soll – und das Ganze nur daran scheitert, dass wir in Hessen eine solche Einrichtung nicht geschaffen haben.
Ich kann mir die Schlagzeilen der Boulevardpresse schon vorstellen: „Gefährlicher Täter in Freiheit, weil Hessen untätig blieb“. Vermutlich würde das von denjenigen, die Schlagzeilen produzieren, noch wesentlich drastischer formuliert – und dabei hätten sie in diesem Fall sogar recht. Wir müssen eine solche Therapieeinrichtung schaffen, um der Situation zu begegnen, dass möglicherweise tatsächlich einmal eine solche Unterbringung von einem Gericht beschlossen wird.
Wir müssen – da kommen wir gar nicht umhin – die Rechtsgrundlage für eine gesetzeskonforme Einrichtung schaffen. Wir müssen auch bestimmen, wer den Unterbringungsantrag stellen kann. Das gibt uns das Bundesgesetz vor.
Inzwischen haben der Landeswohlfahrtsverband und die Vitos GmbH – natürlich nicht freudig erregt, sondern eher der Not gehorchend – eingewilligt, die Trägerschaft für eine ThUG-Einrichtung zu übernehmen. Nach meinen Informationen wird die Vitos GmbH dazu eine eigene Tochtergesellschaft gründen; in deren Namen soll übrigens der Name „Vitos“ nicht vorkommen. Es ist verständlich, dass man mit einer solchen Einrichtung einen guten Namen nicht begründen, sondern eher beschädigen kann und man das deswegen anders nennen sollte. Wo diese Einrichtung im Übrigen erfolgen soll, das ist – nach meinen Informationen – eher in Gießen als in Haina.
Wir werden auch darüber diskutieren müssen, ob die gewählte Konstruktion mit der Letztverantwortung bei einem privaten Träger eigentlich der hoheitlichen Aufgabe gerecht wird. Beim Thema Maßregelvollzug haben wir schon mehrfach über diese Problematik gesprochen.
Wir werden im Ausschuss auch intensiv darüber diskutieren müssen, ob eigentlich der Gemeindevorstand die richtige Behörde ist, einen Antrag auf Unterbringung zu stellen. In der Begründung des Gesetzentwurfs wird natürlich zu Recht darauf hingewiesen, dass es sich hierbei um die nach hessischem Landesrecht zuständige untere Behörde der Gefahrenabwehr handelt. Aber genau da ist wieder Vorsicht geboten. Denn wenn wir das HAGThuG der Gefahrenabwehr zuordnen, dann ist das gleichzeitig ein Hinweis darauf, dass hier eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes nicht gegeben ist – dann müssten wir ein Thera
pieunterbringungsgesetz erlassen. Denn eine reine Gefahrenabwehr ist eindeutig Landesangelegenheit und gehört nicht in die Bundeszuständigkeit.
Das heißt, das Herumlavieren zwischen den einzelnen Zuständigkeiten – es muss sozusagen Strafrecht bleiben, um die Zuständigkeit zu begründen; es darf aber nicht richtiges Strafrecht sein, weil es Therapie und europarechtskonform sein muss – ist eine etwas merkwürdige Geschichte. Aber wir haben, wie gesagt, keine andere Möglichkeit, als das umzusetzen. Wir sollten es aber in einer Art und Weise tun, wie wir es hier in Hessen für uns und für die Menschen in Hessen verantworten können. – Danke schön.
Vielen Dank, Herr Dr. Jürgens. – Nächster Redner ist Herr Kollege Dr. Wilken für die Fraktion DIE LINKE.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Mein Vorredner, Herr Jürgens, hat die Frage gestellt: Wir müssen eine rechtskonforme Einrichtung schaffen – tun wir das damit? Ich beantworte diese Frage aus unserer Sicht: Nein, das tun wir eben nicht. Die Rechtskonformität ist mit einem großen Fragezeichen zu versehen.
Meine Damen und Herren, in dem vorliegenden Gesetzentwurf werden die Zuständigkeiten für die Antragstellung im Vollzug einer Therapieunterbringung geregelt. Wir müssen uns fragen: Wer soll da rein?
Das Therapieunterbringungsgesetz dient einzig dazu, Menschen einzusperren, die man nicht mehr einsperren dürfte. Was sind das für Menschen? Erstens müssen sie ihre Strafe schon vollständig abgesessen haben. Zweitens dürfen sie nicht mehr gefährlich sein – sonst müssten sie in der Sicherungsverwahrung bleiben. Drittens dürfen sie nicht psychisch krank sein – sonst wären sie in die forensische Psychiatrie gekommen. Aber ein bisschen gestört sollen sie schon sein – sonst könnte man sie nicht therapieren.
Meine Damen und Herren, die Fachwelt schüttelt nur den Kopf über den hier eingeführten Begriff der psychischen Störung und ihre Therapiemöglichkeiten.
Liebe Herren von der FDP, ich komme gleich auf Ihren Anteil an diesem Gesetzentwurf zurück – und dann fragen wir uns, was wir wechselseitig über die Fachwelt wissen.
Meine Damen und Herren, DIE LINKEN sehen keinen zusätzlichen Regelungsbedarf. In Einzelfällen ist es so, dass aus der Sicherungsverwahrung Entlassene aufgrund einer aktuell zu diagnostizierenden psychischen Störung eine Gefahr für die Allgemeinheit im Sinne einer Fremdgefährdung darstellen – ja, sicherlich. Aber es existieren bereits jetzt – auf der Basis der Gesetze zur Unterbringung psychisch kranker Menschen – Regelungen, die Therapie und Schutz der Allgemeinheit sicherstellen. Einer gesonderten Regelung bedarf es nicht.
Meine Damen und Herren, hier wird die Psychiatrie missbraucht, um ein Problem zu lösen, das die Justiz mit rechtsstaatlichen Mitteln offensichtlich nicht lösen kann. Aus unserer Sicht ist die Psychiatrisierung strafrechtlicher Probleme inakzeptabel.
Es handelt sich um eine neue – so sagt es der Gesetzentwurf ausdrücklich –, zusätzliche Form der Freiheitsentziehung. Das Gesetz findet Anwendung auf Personen, die nicht länger in der Sicherheitsverwahrung untergebracht werden können. Für sie wird nun die Tatsache früherer Delinquenz im Nachhinein in eine psychische Störung umdefiniert, um so die weitere Freiheitsentziehung zu rechtfertigen. Meine Damen und Herren, das ist eine Umgehung der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, und es widerspricht der UN-Konvention für Menschenrechte.
Meine Damen und Herren, wir dürfen dem öffentlichen Druck eines Sicherheitsbedürfnisses nicht erliegen, der durch das Vorliegen zweifelsfrei schwerer Straftaten entsteht. Wir leben in einem Rechtsstaat. Darin ist eben nicht jedes Mittel erlaubt, sondern jedes staatliche Handeln muss auf seine Verfassungsmäßigkeit geprüft werden.
Wir LINKE halten nach wie vor die nachträgliche Sicherungsverwahrung – wie auch immer sie ausgestaltet sein mag – für konventions- und verfassungswidrig. Menschen werden für Taten bestraft, die sie nicht begangen haben. Menschen werden im Nachhinein dafür bestraft, dass mit ihnen nicht ausreichend im Vollzug gearbeitet wurde, dass die Resozialisierung im Strafvollzug völlig unzureichend ist.