Protokoll der Sitzung vom 05.10.2011

Wir LINKE halten nach wie vor die nachträgliche Sicherungsverwahrung – wie auch immer sie ausgestaltet sein mag – für konventions- und verfassungswidrig. Menschen werden für Taten bestraft, die sie nicht begangen haben. Menschen werden im Nachhinein dafür bestraft, dass mit ihnen nicht ausreichend im Vollzug gearbeitet wurde, dass die Resozialisierung im Strafvollzug völlig unzureichend ist.

Meine Damen und Herren, schon vor Jahren entschied das Bundesverfassungsgericht, dass die lebenslange Freiheitsstrafe eben nicht lebenslang vollzogen werden darf – weil jeder Mensch eine zweite Chance verdient hat.

Zudem hat der Strafvollzug den klaren gesetzlichen Auftrag, die Gefangenen auf ein straffreies Leben vorzubereiten. Doch mittels der nachträglichen Sicherungsverwahrung – und jetzt einer Therapieunterbringung – haben Sie eine Hintertür gefunden und sperrangelweit geöffnet, um sich um diesen Grundsatz herumzuschleichen. Das aber entspricht nicht dem Rechtsstaatsgedanken und schon gar nicht der Menschenwürde.

(Beifall bei der LINKEN – Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was ist denn der Vorschlag der LINKEN?)

Meine Damen und Herren, hören Sie doch einmal hin, wenn sich die leitenden Ärztinnen und Ärzte der Kliniken für Psychiatrie und Psychotherapie sowie die Bundespsychotherapeutenkammer zu diesem Ansinnen äußern. Sie sagen ganz klar: Bei der Personengruppe, auf die dieses Gesetz abzielt, handelt es sich um Täter, die deshalb sicherungsverwahrt wurden, weil von ihnen zwar eine Gefährlichkeit und eine Wiederholungsgefahr ausgeht, sie ihre Tat aber nicht im Zustand einer durch psychische Erkrankung aufgehobenen oder verminderten Schuldfähigkeit begangen haben. In diesem Fall wären sie nämlich in einer forensisch-psychiatrischen Klinik untergebracht worden.

Der Gesetzgeber unterstellt jetzt, dass diese Straftäter psychisch krank seien. Es sollen voll schuldfähig begutachtete Straftäter nunmehr in die Obhut einer psychiatrischen Einrichtung gebracht werden, und zwar nicht deshalb, weil man bemerkt hat, dass die vorhergehende Einschätzung falsch gewesen ist, sondern weil man keine andere Möglichkeit mehr sieht, als sie weiterhin in strafrechtlicher Obhut festzuhalten, sie also weiterhin einzusperren.

Meine Damen und Herren, das ganze Konstrukt wirft mehr Fragen auf, als es Antworten gibt. So ist es auch mit dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU und der FDP, den wir in erster Lesung beraten.

Es ist schon angekündigt worden, dass selbst die Regierungsfraktionen Änderungsanträge einbringen werden. Vielleicht können Sie eine andere Frage, die ich in dem Zusammenhang insbesondere an die Herren der FDPFraktion richte, beantworten, ob ich da irgendetwas nicht mitbekommen habe. Wenn ich mir diesen Gesetzentwurf angucke,

(Holger Bellino (CDU): Sie bekommen viel nicht mit!)

lese ich, dieser Gesetzentwurf ist unterschrieben mit: „Für die Fraktion der FDP – Der Parlamentarische Geschäftsführer: Florian Rentsch“. Da habe ich vielleicht irgendetwas nicht mitbekommen. Oder es handelt sich um eine Frage, die noch der Beantwortung harrt. – Danke sehr.

(Beifall bei der LINKEN – Leif Blum (FDP): Sein erster inhaltlicher Beitrag zum Gesetz!)

Vielen Dank, Herr Dr. Wilken. – Nächster Redner ist Herr Kollege Dr. Spies für die SPD-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Verehrter Herr Kollege Bartelt, ich muss Ihnen – bei manchen Übereinstimmungen in einer grundsätzlichen Frage – gleich zu Anfang widersprechen. Sie haben eine Hierarchie der Aufgaben aufgemacht, die mit dem Hessischen Ausführungsgesetz zum Therapieunterbringungsgesetz zu lösen seien, nämlich erstens der Schutz der Bevölkerung vor Straftätern, die gefährlich sein könnten, und zweitens auch noch die Therapie.

Ich glaube – das ist der wesentliche Unterschied –, die Aufgabenstellung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesverfassungsgerichts ist umgekehrt. In diesem Fall gilt, dass die Leute ihre Strafe verbüßt haben und die Therapie oder Therapieanstrengung an die erste Stelle tritt. Nur wenn ein Therapiebedarf besteht, also bei nachgewiesener Krankheit, ist die Unterbringung begründet. Die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesverfassungsgerichts machen deutlich, dass sich hier die Unzulänglichkeit des Umgangs mit der Kriminalpsychiatrie, wie wir sie seit Jahrzehnten gesehen haben, rächt.

1971 hat der Analytiker Tilmann Moser ein Buch zur repressiven Kriminalpsychiatrie veröffentlicht, in dem er uns in besonderer Deutlichkeit die Schwierigkeit der Frage vor Augen geführt hat: Was ist krank, und was ist böse; also, was ist zu behandeln und schließt Schuld aus,

und was ist wegen seiner besonderen Schädlichkeit besonders streng zu verurteilen?

Die Psychiatriereform und die Strafrechtsreform haben die Schwierigkeit der Frage: „Ist dieser dissoziale Psychopath nun besonders böse und besonders krank?“ nicht gelöst. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat unter der Annahme, wir könnten ihn als besonders böse und gefährlich behandeln, vorgeführt, dass das keinen Sanktionscharakter mehr haben darf.

Dieses Problem, das Jahrzehnte zurückliegt – weil die Entscheidungen, die dieses Problem ausmachen, schon Jahrzehnte zurückliegen –, rutscht uns jetzt vor die Füße. Das Problem ist schon mehrfach angesprochen worden: Der Zusammenhang zwischen der Gefährlichkeit aus Gründen der Krankheit und der Schuldfähigkeit zum Zeitpunkt der Tat ist unauflösbar. Die Schwierigkeit, vor die wir hier gestellt werden, bleibt unauflösbar.

Im Grunde ist die Sicherungsverwahrung ohnehin das finale Scheitern der Kriminalpolitik. Es ist nicht gelungen, in einer lange vorher andauernden Entwicklungsgeschichte auf Menschen so einzuwirken, dass ihre weitere Unterbringung vermieden werden kann. Das ist im Grunde eine beachtliche Niederlage der Kriminalpolitik.

Jetzt kommen wir in die Umdefinition der bösen Tat in die Krankheit. Die Psychiatrie war schon immer gefährdet, auch dafür genutzt und missbraucht zu werden, dass Personen, aus welchen richtigen oder falschen Gründen auch immer, aus dem unmittelbaren Bezug zur Gesellschaft herausgenommen werden sollten. Die Stigmatisierung von psychischen Krankheiten hat in dieser gewollten oder ungewollten und über Jahrzehnten verfolgten Funktion der Psychiatrie ihre wesentliche Ursache. Das macht, wie ich meine, ein wesentliches Risiko der Situation aus, in der die Gefährlichkeit, die zunächst unbestritten ist, durch Psychiatrisierung gelöst werden soll.

Es ist auch nicht ganz unproblematisch, was die Frage der grundlegenden Entscheidungen angeht. Wer verfügt denn über empirische Daten, wie gefährlich ein 65-jähriger, der vor 30 Jahren ein Sexualdelikt begangen hat und 30 Jahre inhaftiert war, überhaupt noch ist? Wir neigen dazu, aus nicht völlig unberechtigten Gründen – aber das enthebt uns nicht der Fragwürdigkeit –, die Aussage, ein Täter sei nicht mehr gefährlich, für höchstbedenklich zu halten und die Aussage, er sei weiter gefährlich und deshalb unterzubringen, für quasi notariell beglaubigt zu halten. Das steigert die Schwierigkeit im Umgang mit dem Versuch der Psychiatrisierung von Menschen, denen tatsächlich eine Straftat vorgehalten wird.

Das hat zahlreiche Konsequenzen für den Umgang, wie ein Landesausführungsgesetz auf der Grundlage – ich hoffe, das ist deutlich geworden – der keineswegs unbedenklichen Bundesregelung, auf die die Vorredner mehrfach hingewiesen haben, tatsächlich zu lösen ist.

Da irritiert schon der gesetzgeberische Minimalismus, wenn man beispielsweise nach Sachsen-Anhalt schaut und feststellt, dass man in einem solchen Ausführungsgesetz doch zumindest als ersten Schritt einmal eine Zielbestimmung dessen aufnimmt, was eigentlich in einer solchen Behandlungseinrichtung – über die reden wir hier – erreicht werden soll.

Richtiger wäre, gerade wegen der systematischen Schwierigkeiten, die Herr Dr. Jürgens angesprochen hat, eine Regelung in einem Psychisch-Kranken-Gesetz. Dabei handelt es sich am Ende nicht um Strafrecht. Denn es geht

ja – wie man aus vielen Zusammenhängen sieht – um die strafrechtliche Umgehung einer Situation, die eigentlich der Gefahrenabwehr zuzurechnen ist. Deswegen wäre ein Psychisch-Kranken-Gesetz der Ort, an dem die Frage der Unterbringung und der Therapie in Hessen zu regeln wäre.

All das wirft viele Fragen auf, die in einer Anhörung zu lösen sein werden. Erlauben Sie mir eine letzte Bemerkung angesichts der Tatsache, dass wir einen Fraktionsentwurf haben: Ist das nicht eigentlich eine Frage, in der man ein Erscheinen der Landesregierung mit einem Regierungsentwurf nun wirklich hätte erwarten können? – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Dr. Spies. – Nächster Redner ist Herr Kollege Mick für die FDP-Fraktion.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute das Hessische Ausführungsgesetz zum Therapieunterbringungsgesetz – das ist schon ein sehr sperriger Titel. Das Therapieunterbringungsgesetz ist eine Reaktion des Bundes – das ist schon angesprochen worden – auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009. Darin hatte der Gerichtshof mit der rückwirkenden Aufhebung der Zehnjahresgrenze für die erstmalige Sicherungsverwahrung einen Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention gesehen. Zwischenzeitlich ist auch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erfolgt. Die Bundesregierung ist aufgefordert, das gesamte Recht der Sicherungsverwahrung bis 2013 umfassend neu zu regeln.

Kern der Novelle ist, dass die Sicherungsverwahrten in Einrichtungen untergebracht werden müssen, die räumlich und organisatorisch vom allgemeinen Strafvollzug getrennt sind.

Da das Therapieunterbringungsgesetz von den Ländern als eigene Angelegenheit ausgeführt wird, bedarf es dieses Ausführungsgesetzes, das wir heute beraten.

Dieser Gesetzentwurf ist mit seinen sieben Paragrafen, die sich im Wesentlichen mit dem Verwaltungsvollzug, mit technischen Fragen befassen, so knapp und nüchtern gehalten, dass die gesellschaftspolitische Dimension und die Sprengkraft des Themas eigentlich vollkommen in Vergessenheit geraten. Ich bin meinen Vorrednern bis auf Herrn Dr. Wilken dankbar, dass sie die Schwierigkeiten der Situation, in der wir uns befinden, noch einmal dargestellt haben. Zu Herrn Dr. Wilken komme ich gleich noch.

Im Gesetzentwurf werden Details zur Antragstellung geregelt. Der Landeswohlfahrtsverband wird als Träger der Einrichtung benannt. Es wird alles geregelt, was man auf hessischer Ebene braucht, um das Gesetz zu vollziehen.

Ich komme zunächst zu Ihnen, Herr Dr. Spies. Sie haben sehr interessant, wie ich finde, und sehr kenntnisreich die medizinisch schwierige Sicht dargestellt, in der wir uns befunden haben. Sie haben darauf hingewiesen, dass die Landesregierung den Gesetzentwurf hätte einbringen müssen. Ja, in der Tat, aber bei all dieser intellektuellen Debatte, die wir führen und die geführt werden muss,

muss auch darauf hingewiesen werden, dass wir möglichst schnell eine Einrichtung vorhalten müssen

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

und dass es mit einem Regierungsgesetzentwurf viel länger gedauert hätte, bis die Einrichtung ans Arbeiten gekommen wäre. Deswegen haben wir den Weg gewählt, das Ganze als Fraktionsgesetzentwurf einzubringen. Ich denke, dass es in diesem Fall ausnahmsweise berechtigt ist, das so zu tun.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Denn was wäre die Alternative gewesen? Natürlich wissen wir nicht, wann ein Antrag auf einen solchen ThUGFall, wie das genannt wird, kommt. Das kann schon im Sommer sein, es kann auch erst im nächsten Jahr sein. Man weiß es nicht. Aber Tatsache ist, dass wir für den Fall, dass ein solcher Antrag kommt, gerüstet sein müssen und dass dort Eile geboten ist.

Herr Dr. Wilken, Sie haben darauf hingewiesen, dass das alles schwierig sei. In der Tat, es ist schwierig. Aber man hat von Ihnen gar keine Vorschläge gehört, wie Sie mit diesen Fällen umgehen wollen.

Wenn Herr Dr. Spies darauf hingewiesen hat, dass bei dem Gesetz die Therapie vor dem Strafvollzug geht, so ist das richtig. Aber das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Sicherheit der Bevölkerung bei diesen Schwerstkriminellen ein Aspekt ist, der nicht ganz außer Acht gelassen werden darf.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Bei aller Rechtstaatlichkeit, die geboten ist und die uns die Verfassungsgerichte und der Menschenrechtsgerichtshof ins Stammbuch geschrieben haben, ist es auch berechtigt, zu sagen, wie Herr Dr. Bartelt es zu Recht getan hat, dass die Sicherheit der Bevölkerung absoluten Schutz genießen muss.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Es wird versucht, Wertigkeiten zwischen diesen beiden Zielen zu definieren. Ich denke, beides muss getan werden. Man muss das eine tun, ohne das andere zu lassen.

Herr Kollege Mick, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Wilken?

Ich kann gerne nach einer Kurzintervention noch einmal in die Debatte hineingehen. Ich möchte jetzt gerne im Zusammenhang vortragen. Ich bin ohnehin fast fertig.

Die jetzigen Regelungen zur Sicherungsverwahrung und das Therapieunterbringungsgesetz versuchen diesen schwierigen Spagat auf verfassungsrechtlich schwierigem Wege. Das ist von uns anerkannt. Aber es war Eile geboten.

Ich bin zuversichtlich und hoffe, dass dieser schwierige Spagat von den jetzigen gesetzlichen Regelungen gemeistert wird. Ich hoffe auch, dass, wenn die Sicherungsverwahrung neu geregelt wird, dieses Thema endgültig aus der öffentlichen Debatte herauskommt. Denn eines wird

meiner Auffassung nach bei der ganzen Debatte immer vergessen: Es sind nicht die Täter, denen unsere Hauptaufmerksamkeit gelten sollte, sondern die Opfer. – Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU)