Vielen Dank, Herr Kollege Mick. – Für die Landesregierung erhält nun Herr Sozialminister Grüttner das Wort.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin Herrn Dr. Jürgens ausgesprochen dankbar für seine Darstellung der Schwierigkeiten bei der Entstehung des Bundesgesetzes, des Therapieunterbringungsgesetzes, aber auch der damit verbundenen Schwierigkeiten, es in Landesgesetze zu überführen. Lassen Sie mich gleich zu Beginn sagen: Gehen Sie davon aus – das hat Herr Dr. Bartelt bei der Einbringung des Gesetzentwurfs auch gesagt –, dass es Formulierungshilfen seitens der Landesregierung dazu gegeben hat. Das ist kein unübliches Verfahren. Das haben wir insbesondere von der Regierungszeit von Bundeskanzler a. D. Schröder und Ex-Außenminister und -Vizekanzler Fischer abgeschaut, bei denen das in Berlin gang und gäbe gewesen ist.
Es hat solche Formulierungshilfen für die Fraktionen gegeben. Es ist auch tatsächlich so, wie Herr Kollege Mick gesagt hat: Wir müssen darauf aufpassen, dass wir, nachdem eine Reihe von Dingen geklärt werden musste, nachdem zum 1. Januar dieses Jahres das ThUG auf Bundesebene in Kraft getreten ist, ein wenig Zeit gewinnen. Das ist auch ein Appell meinerseits an alle, die sich in den Beratungen mit dem Gesetz auseinandersetzen: Wir können nicht abschätzen, wann es bei Gerichten Anträge zur Unterbringung nach ThUG geben wird.
Um ein hessisches Ausführungsgesetz auf den Weg zu bekommen, war es erst einmal notwendig, einen Träger für eine solche Einrichtung zu finden. Es ist weiß Gott nicht auf Gegenliebe beim Landeswohlfahrtsverband gestoßen, und zwar schon in einer frühen Diskussionsphase, diese Aufgabe zu übernehmen. Ich habe ein hohes Maß an Verständnis dafür. Allerdings ist auch klar, dass die Professionalität des Landeswohlfahrtsverbandes beim Maßregelvollzug und der ihm eigenen Gesellschaft Vitos genutzt werden muss für ein Eingehen auf die Menschen, die möglicherweise nach dem Therapieunterbringungsgesetz untergebracht werden müssen. Es hat langer und intensiver Gespräche bedurft, um mit dem Landeswohlfahrtsverband zu einer entsprechenden Regelung zu kommen.
Ich will Ihnen an dieser Stelle deutlich sagen: Es bedarf noch eines Beschlusses der Verbandsversammlung des Landeswohlfahrtsverbandes. Ich weiß, dass die Fraktionen im Landeswohlfahrtsverband über dieses Ansinnen informiert sind und es möglicherweise zu einer Beschlussfassung noch im Oktober, gegebenenfalls zu einem Vorratsbeschluss kommen kann.
Wir sind uns auch darüber einig, nachdem wir unterschiedliche Fragestellungen mit dem Landeswohlfahrtsverband geklärt haben, dass wir eine strikte Trennung zwi
schen dem Träger des Maßregelvollzugs, Vitos, auf der einen Seite und einem Träger nach Therapieunterbringungsgesetz auf der anderen Seite herstellen müssen, um dort eine entsprechende Differenzierung nach außen hin darstellen zu können. Insofern wird es eine andere Gesellschaft mit einem anderen Namen geben, wenn die entsprechenden Beschlüsse in den Gremien des Landeswohlfahrtsverbandes fallen.
Wir haben auch Zeit gebraucht, um zu überlegen, an welcher Stelle wir das errichten. Wir müssen uns über eines im Klaren sein: Wir wissen nicht, ob es einen Fall gibt. Wir wissen, dass einer in Hessen kurz vor der Tür stand. Das ist uns hinlänglich bekannt. Es kann gut sein, dass es demnächst auch einen entsprechenden Antrag gibt. Dann müssen wir dafür gewappnet sein, damit ein Gericht eine Einrichtung hat, die dem ThUG entspricht, um eine entsprechende Unterbringung anordnen zu können.
Wir wollen es nicht so haben wie beispielsweise in BadenWürttemberg, als es einen entsprechenden Antrag gab und das Landgericht in Freiburg einen Straftäter nach Verbüßung seiner Haftstrafe und nachträglicher Sicherungsverwahrung, weil es keine geeignete Einrichtung gab, letztlich auf freien Fuß gesetzt hat – mit der Konsequenz, dass es momentan eine 24-stündige Bewachung dieses Menschen gibt mit dem entsprechenden Einsatz, der damit verbunden ist.
Einer solchen Gefahr müssen wir in Hessen vorbeugen. Deswegen ist es notwendig, ein Gebäude und eine Professionalität zu haben und trotzdem dies in einem Rahmen darzustellen, der vor dem Hintergrund all der Belastungen auch finanzieller Art, die uns an den unterschiedlichs ten Stellen entgegentreten, noch einigermaßen ertragbar ist.
Eines ist auch klar: Der Landeswohlfahrtsverband hat die Zusicherung, dass alle notwendigen Kosten seitens des Landes übernommen werden. Da es aber kein Maßregelvollzug ist, sondern Therapieunterbringung, wird es ein eigenes Gebäude sein, das momentan nicht gebraucht wird, das wieder ertüchtigt wird. Es bedarf auch des Vorhaltens entsprechend qualifizierten Personals aus unterschiedlichen Bereichen, damit man für den Fall der Fälle gewappnet ist.
Insofern ist dies die Konsequenz aus einer schwierigen Gemengelage, die meines Erachtens an einer Stelle von Herrn Dr. Jürgens nicht vollkommen richtig dargestellt worden ist. Denn das Problem der psychischen Störung ist den Rechtsbegriffen in Deutschland fremd, steht aber in Art. 5 der Europäischen Menschenrechtskonvention, und man hat sich daran gehalten und es entsprechend abgeleitet.
Deswegen ging das, was Herr Dr. Spies an der Stelle gesagt hat, stets haarfein am Kern der Sache vorbei. Ich bitte darum, bei aller Emotionalität, die hier eine Rolle spielt, nicht zu vergessen, dass es immer noch Menschen gibt, die aufgrund einer Straftat verurteilt wurden, nachträglich in Sicherungsverwahrung genommen wurden, aber auf der Grundlage von Entscheidungen auf europäischer Ebene oder des Bundesverfassungsgerichts aus der nachträglichen Sicherungsverwahrung entlassen werden müssen, obwohl sie immer noch eine Gefährdung für unsere Gesellschaft darstellen.
Das können und müssen wir bedauern, aber die Realität ist leider so, dass es solche Menschen noch immer gibt.
Davor dürfen wir die Augen nicht verschließen. Mit dem Ausführungsgesetz zum Therapieunterbringungsgesetz werden die Menschen davor geschützt, Opfer von Gewalttaten zu werden. Sie werden insbesondere vor Mord, Kindesmissbrauch, Sexualverbrechen und Nötigung geschützt. Vor diesen Verbrechen muss unsere Gesellschaft geschützt werden. Eine Gesellschaft muss im Rahmen der Demokratie, des Rechtsstaats und der Verfassung das Recht haben, sich vor psychisch gestörten Gewalttätern zu schützen.
Eine Unterbringung nach dem Therapieunterbringungsgesetz hat eine fachliche Nähe zum Maßregelvollzug, da die Therapieunterbringung ebenso wie der Maßregelvollzug in einer geschlossenen Einrichtung zu erfolgen hat und die Untergebrachten therapeutisch behandelt werden. Deswegen wird auch in dem vorliegenden Gesetzentwurf weitgehend auf die Bestimmungen des Maßregelvollzugsgesetzes verwiesen. Wir wissen, dass es bei Inkrafttreten des ThUG bundesweit nur wenige Fälle gab, in denen eine entsprechende Unterbringung angeordnet wurde. Allerdings können wir nicht sicher sein, wie viele Fälle es in Hessen sein werden. Deswegen brauchen wir eine entsprechende Unterbringungseinrichtung für den Fall, dass ein Gericht eine entsprechende Entscheidung trifft.
Ich glaube, dass die Übertragung dieser verantwortungsvollen und schwierigen Aufgabe auf den Landeswohlfahrtsverband der richtige Weg ist. So kann das Abstandsgebot nicht nur durch eine räumliche Trennung, sondern auch durch inhaltliche und materielle Änderungen gegenüber der bisherigen Form der Unterbringung im Rahmen der Sicherungsverwahrung auf der einen Seite und des Maßregelvollzugs auf der anderen Seite realisiert werden. Das ist nicht einfach. Das ist ein Spagat. Ich bin allerdings der festen Überzeugung, dass der LWV dieser Aufgabe in vollem Umfang gerecht werden kann und dass der eingeschlagene Weg bei allem, worüber man noch diskutieren kann, in der Abwägung der derzeit einzig verhältnismäßige und gangbare Weg ist.
Deswegen ist nicht nur klar, dass ich diesen Gesetzentwurf unterstütze, sondern ich appelliere gleichzeitig an alle Fraktionen, eine sachgerechte und schnelle Beratung vorzunehmen; denn wir können nicht wissen, wann ein Gericht eine entsprechende Entscheidung auf Unterbringung trifft. Dann sollten wir gewappnet sein.
Der Gesetzentwurf wird zur Vorbereitung der zweiten Lesung sowohl dem Sozialpolitischen Ausschuss, federführend, als auch dem Rechts- und Integrationsausschuss, beteiligt, überwiesen.
Dringlicher Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN betreffend Wortbruch verhindern – Fluglärmschutz durchsetzen – Drucks. 18/4561 –
Dringlicher Antrag der Fraktion der SPD betreffend Arbeitsplätze und Nachtruhe für die Region – kein Wortbruch beim Frankfurter Flughafen – Drucks. 18/4565 –
Die Redezeit beträgt zehn Minuten pro Fraktion. Es beginnt die Fraktion DIE LINKE. Der Kollege Schaus hat das Wort.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! In großer Sorge über die weitere Entwicklung des Fluglärms in der Rhein-Main-Region und über die Gesundheit der Bevölkerung haben wir einen Antrag eingebracht, in dem wir in letzter Minute eine Umkehr von dem verhängnisvollen Weg fordern.
Seit im März dieses Jahres die neuen Flugrouten in Vorbereitung auf die neue Landebahn in Betrieb genommen wurden, hagelt es Proteste und Klagen ganz neuer Betroffener aus weit entfernten Städten und Landkreisen. Jetzt erst – sehr spät – scheint es vielen Menschen klar zu werden, dass auch sie vom Flughafenausbau betroffen sind und welche unmittelbaren Auswirkungen die neuen Flugrouten haben werden. Deshalb klagen Städte und Gemeinden wie Rodgau, Neu-Isenburg, Heusenstamm, Obertshausen, Seligenstadt – alle im Landkreis Offenbach gelegen –, Alzenau – im Landkreis Aschaffenburg gelegen –, Hainburg, Hanau, Rodenbach, Mainz und Wiesbaden gegen die neuen Flughöhen.
Eines wird klar: Die derzeitigen Lärmbelastungen stellen erst den Anfang dar; denn wenn die neue Landebahn voll in Betrieb genommen ist und sich die Zahl der stündlichen Flugbewegungen von 80 bis auf 120 erhöht hat, steigt die derzeitige Lärmbelastung um ein Vielfaches. Die Belastungen durch diesen Fluglärm gefährden die Gesundheit Hunderttausender Menschen weit über die Grenzen Hessens hinaus.
Obwohl das Bundesverwaltungsgericht über die Klagen gegen den Ausbau des Frankfurter Flughafens noch nicht endgültig entschieden hat, soll am 21. Oktober die neue Landebahn in Betrieb genommen werden. Es ist schon ein merkwürdiges Rechtsverständnis, mit dem der Flugbetrieb auf der neuen Landebahn zugelassen wird, während die Klagen vor dem Bundesverwaltungsgericht noch nicht abgeschlossen sind.
Wie die Stadtverordnetenversammlung in Offenbach fordern auch wir, die Inbetriebnahme der Landebahn bis zum Abschluss aller dagegen gerichteten Klagen auszusetzen. Hier werden Fakten geschaffen, die sehr schwer rückgängig zu machen sind.
Wir stimmen mit den Offenbacher Stadtverordneten auch überein, wenn sie feststellen, dass es derzeit keinen dringenden Bedarf für eine Inbetriebnahme gibt. Gerade noch rechtzeitig vor der Inbetriebnahme hat der Wirtschaftsminister die notwendige Lärmschutzbereichsverordnung erlassen und diese – als ein besonderes Zeichen der Unterwerfung der Politik unter die wirtschaftlichen Interessen von Fraport – gemeinsam mit dem Vorstandsvorsitzenden Schulte der Öffentlichkeit vorgestellt. Noch mehr öffentlich zur Schau gestellte Kumpanei geht gar nicht.
Für die übergroße Mehrheit der vom Fluglärm betroffenen Menschen wird die Lärmschutzbereichsverordnung nur eines bringen, nämlich die Gewissheit, dass sie keinen Schutz vor Lärm erhalten: dass sie ihre Terrassen und Gärten nicht mehr in gewohnter Weise nutzen und nicht mehr bei offenem Fenster schlafen können.
Die Lärmschutzverordnung schützt nicht vor Lärm. Sie setzt nicht an der Quelle an. Mit ihr wird eine gravierende Umweltverschmutzung verwaltet, und deshalb sollte sie besser „Lärmverwaltungsverordnung“ heißen. Sie unterteilt nämlich den Lärmteppich über Rhein-Main in weniger laute und laute Bereiche. Nach dieser Einteilung richten sich die Zuschüsse.
Durch die Verordnung geschützt werden dagegen die wachsenden Einnahmen von Fraport. 263 Millionen € Nettogewinn hat Fraport im letzten Jahr erwirtschaftet. Rund 150 Millionen € sollen im Rahmen der Schallschutzverordnung einmalig von Fraport zugeschossen werden. Das hört sich zwar nach sehr viel an; bei genauerer Betrachtung stellt man aber fest, dass das sehr wenig ist. Bei 120.000 Betroffenen bedeutet dies nämlich im Durchschnitt 1.250 € pro Person. Damit können sie aber bestenfalls ein Fenster bezahlen. So sieht der angeblich ausreichende Schallschutz also wirklich aus.
Die Landesregierung will den Menschen die neue Verteilung einer Umweltverschmutzung wie Fluglärm über eine möglichst große Fläche als Akt der Demokratisierung verkaufen. Es sollen eben alle etwas davon abbekommen.
Zu dem äußerst zweifelhaften Nutzen der Lärmschutzverordnung kommt hinzu, dass sie entschieden zu spät erlassen wurde. Diese Verordnung hätte zusammen mit der Planfeststellung vorgelegt werden müssen, damit die Umbauten der Häuser nicht, wie es jetzt vorgesehen ist, bis zu sechs Jahre später erfolgen, sondern vor Inbetriebnahme der Landebahn hätten vorgenommen werden können.
Die Landesregierung missachtet damit die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts in eklatanter Art und Weise; denn beide haben festgestellt, dass ein wirksamer Lärmschutz bereits vor Eintritt des Lärms vorhanden sein muss und nicht erst Jahre später kommen darf.