Protokoll der Sitzung vom 04.05.2017

Die Lebens- und Wohnsituation ist verbessert worden. Die Zusammenarbeit zwischen den Schulen und der Jugendhilfe ist ebenfalls worden. Das heißt, wir müssen auch das in den Blick nehmen.

Ich habe gesagt, dass wir den Landessozialbericht in unser Kalkül einbeziehen müssen – übrigens auch den Bericht der Enquetekommission, der im Herbst vorgelegt wird. Auch in der Enquetekommission beschäftigen wir uns mit Aspekten der Bildungsarmut, und ich glaube – einen Satz noch, Herr Präsident –,

Herr Abgeordneter, bitte einen kurzen Satz.

dass wir dann auch darüber nachdenken sollten – wenn wir es ernst meinen –, ob die übliche parlamentarische Behandlung im Plenum oder in den Ausschüssen eine adäquate Form der Befassung ist oder ob wir nicht eine andere Form der Beauftragung brauchen.

(Beifall bei der SPD)

Danke, Herr Merz. – Herr Bocklet, wollen Sie antworten? Sie haben zwei Minuten Redezeit.

Herr Präsident! Herr Merz, bei einer Kurzintervention nimmt man in der Regel Bezug auf die Ausführungen des Vorredners. Ich habe diesen Bezug jetzt herausgehört und möchte Ihnen darauf gerne antworten.

(Heiterkeit)

Ich habe das gar nicht kontrovers gemeint.

(Gerhard Merz (SPD): Ich weiß!)

Natürlich weiß ich, wie viel die Stadt Gießen getan hat. Ich kann Ihnen gerne aus meinem langjährigen Engagement als Sozialpolitiker in der Stadt Frankfurt davon berichten, was wir im Gallusviertel, in Griesheim und in vielen anderen Stadtteilen getan haben. Ich gebe aber auch ganz offen zu, dass wir in Frankfurt wie in Gießen, obwohl wir diese Programme seit Jahrzehnten durchführen, noch immer vor dem Phänomen stehen, soziale Brennpunkte zu haben, in denen es immer noch anders zugeht als in anderen Stadtteilen. Lassen wir diese Formulierung einmal so stehen.

Es bleibt doch ein Phänomen, dass es uns trotz unseres massiven Einsatzes nicht gelingt, gewisse Erfolge zu feiern. Sie haben das selbst gesagt. Ich war Gast bei einem Projekt in Hattersheim, das sich ein Monitoring zum Ziel gesetzt hat. Die Menschen in dem Hattersheimer Quartier sagen: Eines unserer Ziele ist, dass in fünf Jahren mehr unserer Kinder einen höheren Schulabschluss haben, als es zurzeit der Fall ist. – Das sind Ansätze, von denen ich mir

wünsche, dass sie in den nächsten fünf Jahren viel Erfolg haben werden, sodass dieser Stadtteil aufgrund einer größeren Zahl höherer Schulabschlüsse – und dadurch später besserer Einkommen – eines Tages kein sozialer Brennpunkt mehr sein wird, sondern dass dort Geschäfte hinziehen, weil die Bewohner gute Einkommen haben, und sich das Problem löst.

Um genau diesen Wettbewerb um gute Ideen geht es uns. Das ist kein Gegeneinander-Ausspielen. Es geht aber auch darum, zu schauen: Wohin geben wir Gelder, ohne dass überhaupt etwas herauskommt? Es gehört zur Wahrheit, dass viel Geld nicht immer viel bringt. Deshalb müssen wir viel präziser auch einmal über Verbindlichkeiten reden, nicht nur über Rechte und Anreize, sondern auch über Teilnahmepflichten.

Herr Bocklet, wir waren sehr großzügig, was den Inhalt Ihrer Antwort anbelangt. Aber denken Sie an die Zeit.

Ich habe mich wenigstens auf meinen Vorredner bezogen.

Ich möchte noch sagen: Die skandinavischen Modelle sprechen von sozialpolitischen Evaluationen, die unter Umständen zu massiven Veränderungen von Programmen führen. Auch dieser Diskussion sehe ich hoffnungsfroh entgegen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Danke, Herr Bocklet. – Jetzt spricht Herr Sozialminister Grüttner.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schon viel über die Fragestellungen im Landessozialbericht gesprochen worden. Der zweite Landessozialbericht kommt. Er wird im Herbst 2017 vorgelegt. Wie hinlänglich bekannt ist, wird er sich dem Schwerpunktthema Kinderarmut widmen.

Durch eine sehr differenzierte soziodemografische und regionalisierte Betrachtung gibt er, so hoffe ich, Auskunft über die Vielfalt, aber auch über die Verschiedenartigkeit sozialer Problemlagen. Neben der Fortführung bewährter sozialpolitischer Maßnahmen der Landesregierung – vor allem in der Bildungs-, Familien-, Arbeitsmarkt- und Wohnraumpolitik – wird es in Zukunft eines über den vorliegenden Antrag hinausgehenden Handlungsprogramms gegen Kinderarmut bedürfen, das soziodemografische, typusbezogene, regionale und lokale Aspekte berücksichtigt.

Ich denke, unabhängig davon, dass eine differenzierte Betrachtung des Landessozialberichts mit diesem Schwerpunktthema notwendig ist, ist eines vollkommen unstrittig und klar – Herr Merz hat von der vererbten oder abgeleiteten Armut gesprochen –: Die Armut hängt sehr stark mit den Familienstrukturen zusammen, in denen die Kinder aufwachsen.

Wir wissen, dass es zwei Personengruppen gibt, bei denen aufgrund der prekären Verhältnisse in der Familie das Risiko der Kinder- und Jugendarmut besteht. Das sind zum einen – unverschuldet, logischerweise – die Alleinerziehenden. Wir müssen uns überlegen, welche Ansätze wir, über den massiven Ausbau von Kinderbetreuungsplätzen und die Gestaltung der Konditionen in Kindertagesstätten hinausgehend, wählen können, um eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf – von Alleinerziehen und Beruf – herzustellen.

Zum anderen sind es schlicht und einfach die Langzeitarbeitslosen. Wenn wir über Kinder- und Jugendarmut sprechen, müssen wir nicht nur die betroffene Persönlichkeit, sondern letztendlich auch das soziale und familiäre Umfeld mit in den Blick nehmen, um hier Lösungsansätze zu finden, die Kinderarmut oder Jugendarmut vermeiden helfen.

Als wir ein Programm insbesondere zur Vermittlung von Langzeitarbeitslosen in Arbeit aufgesetzt haben, war einer der wesentlichen Gründe dafür, dass wir uns gefragt haben: Welche Zukunftsperspektiven haben Kinder und Jugendliche, wenn sie wissen, dass ihre Erziehungsberechtigten, ihre Familienangehörigen, langzeitarbeitslos sind, und sich das an dieser Stelle entstandene Stück Hoffnungslosigkeit dann leider auch vererbt?

Durch diese vererbte Hoffnungslosigkeit und durch das Nichtvorhandensein oder das eingeschränkte Vorhandensein von Vorbildfunktionen werden die Startchancen von Kindern und Jugendlichen natürlich unglaublich erschwert. Deswegen gibt es auch diesen Ansatz, sich insbesondere um eine Gruppe von Langzeitarbeitslosen zu kümmern und ihnen eine Perspektive zu geben – natürlich nicht nur ihnen persönlich. Der Ansatz und die Intention dahinter waren nämlich immer, die Familie mit im Blick zu haben und dieser die Chance zu geben, ihre Vorbildfunktion für die Kinder und Jugendlichen wahrzunehmen. Die Ansätze, die wir auf den Weg gebracht haben, sind durchaus vielversprechend.

Deswegen gilt es an der Stelle, neben der Betrachtung in einem größeren Rahmen auch darauf zu schauen, welche unmittelbaren Hilfestellungen man geben kann, und natürlich auch darauf, wer welche Verantwortlichkeiten hat. Wenn es nämlich um die Grundsicherung und die Regelsätze geht, werden wir sicherlich einen Einfluss auf bundespolitische Maßnahmen haben, aber sie liegen nicht in der Kompetenz der Landesregierung. Das muss man an der Stelle einfach konstatieren. Deswegen ist es möglicherweise auch gut dargestellt.

Ich weiß, viele Wissenschaftler und auch manche Ligavertreter fordern eine eigene Kindergrundsicherung. Dabei sind Beträge von 500 € im Gespräch, mit denen versucht werden soll, diese auf den Weg zu bringen und alle anderen familienbezogenen Leistungen – außer dem Elterngeld – darin zusammenzufassen. Aber machen wir uns kein X für ein U vor: Wir waren und sind alle sehr stark von sozialen Brennpunkten, von der Kommunalpolitik und von der unmittelbaren Begegnung mit solchen Personengruppen betroffen. Wenn wir Geldleistungen erbringen, müssen wir auch darauf achten, dass sie im Interesse der Kinder eingesetzt werden. An dieser Stelle haben wir eine ganz massive Aufgabe, aufmerksam zu sein.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Geldleistung kann nicht immer der Weisheit letzter Schluss sein, sondern wir müssen auch den Einsatz dieser Geldleistung mit im Blick haben, weil wir ansonsten irgendwann eine doppelte Schwierigkeit erzeugen.

Deswegen sage ich: Was wir in der Landeskompetenz auf den Weg gebracht haben, ist eine ganze Menge. Das ist der permanente Ausbau des Betreuungsangebots. Wir fördern insbesondere einkommensschwache Familien und Migrantenfamilien durch die Fachberatungsstellen für frühkindliche Bildung, Erziehung und Betreuung. Für Kinder zwischen drei und sechs Jahren, die schlecht Deutsch sprechen, wurde das Programm „Sprachförderung im Kindergartenalter“ aufgelegt. Die vom Land geförderte Kinderund Jugenderholung ermöglicht es benachteiligten Kindern und Jugendlichen, an Ferienfreizeiten, Zeltlagern usw. teilzunehmen. Wir haben die Leistungen des Bundes bei Bildung und Teilhabe, von denen rege Gebrauch gemacht wird. Immerhin 78 % der 6- bis 18-Jährigen in Hessen nehmen Leistungen in diesem Bereich wahr. Es ist eine sehr große Prozentzahl, wie man feststellt, wenn man weiß, mit welcher Prozentzahl wir gestartet sind.

Wir haben uns als Land Hessen im Bundesrat natürlich für ein neues und deutlich erweitertes Unterhaltsvorschussgesetz mit eingesetzt. Auch dieses Gesetz ist etwas, was zur Armutsvermeidung oder zur Linderung von Armut beitragen kann. Natürlich ist die Beitragsfreiheit eines Kindergartenjahres – die wir hier im dritten Kindergartenjahr haben – auch ein Punkt, der Familien zugutekommt.

Wir sind mit den Frühen Hilfen unterwegs. Dabei gehen wir frühzeitig in die Familien und leisten Hilfestellungen. Wir haben für die armutsgefährdeten Familien, von denen wir wissen, dass sie häufig überschuldet sind, das Netz der Schuldnerberatungsstellen ausgebaut. Auch das ist eine Hilfestellung zur Armutsvermeidung oder -bekämpfung. Insofern denke ich, dass wir neben dem Wohnbauprogramm und der Mietpreisbremse in Hessen ein ganzes Bündel von Maßnahmen auf den Weg gebracht haben, die auf den ersten Blick keine Instrumente sind, die unmittelbar dabei helfen, Kinder- und Jugendarmut zu vermeiden oder zu lindern.

Deswegen appelliere ich noch einmal, darüber eher in einem größeren Rahmen zu diskutieren. Ich denke, dass es, wenn der Sozial- und der Enquetebericht vorliegen, auch interessant sein kann, über folgenden Vorschlag nachzudenken: Ist es möglich, dieses Thema in einer zusammengeführten Diskussion – in einem anderen Rahmen als in einer Ausschusssitzung – noch einmal intensiver zu bearbeiten? Eines ist nämlich vollkommen klar – das, glaube ich, eint uns alle –: Jedes arme Kind, das in Hessen lebt, ist eines zu viel.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei Abgeordneten der SPD und der LIN- KEN sowie der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Danke schön, Herr Grüttner.

Der Antrag der Fraktion DIE LINKE wird an den Sozialund Integrationspolitischen Ausschuss überwiesen. Was machen wir mit dem Antrag der Regierungsfraktionen? – Dieser wird auch dem Ausschuss überwiesen. Beide Anträge werden also an den Sozial- und Integrationspolitischen Ausschuss überwiesen.

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 10 auf:

Dritter Bericht der Vorsitzenden des Petitionsausschusses betreffend bisherige Tätigkeit in der 19. Wahlperiode – Drucks. 19/4777 –

Zu dieser Drucksache ist eine in rot gedruckte Korrektur an Sie verteilt worden. Auf Seite 2, vorletzter Absatz des Berichts, wurde im ersten Satz die Zahl 16,8 % durch die Zahl 14,5 % ersetzt.

Die vereinbarte Redezeit in der Aussprache beträgt für die Fraktionen fünf Minuten. Als Erster erteile ich nun der Vorsitzenden des Petitionsausschusses, Frau Abg. Ypsilanti, SPD, das Wort. Frau Ypsilanti, Sie als Vorsitzende haben zehn Minuten Redezeit. Bitte sehr.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Nach § 105 der Geschäftsordnung des Hessischen Landtags habe ich Ihnen heute über die Arbeit des Petitionsausschusses in der Zeit vom 1. Januar 2016 bis zum 31. Dezember 2016 zu berichten.

Wir hatten in diesem Zeitraum im Petitionsausschuss 868 neue Petitionen. Das ist erstaunlich, denn es sind 30 % weniger als im Zeitraum des vorletzten Jahres, 2015. Das ist aber nicht nur ein Phänomen des hessischen Petitionsausschusses, sondern das gilt auch für den Bund und für andere Länder.

Wir konnten im Petitionsausschuss keinen offensichtlichen Grund dafür feststellen, denn der Rückgang war über alle Themenfelder verteilt. Wir müssen schauen, wie sich das entwickelt. Bei den aufenthaltsrechtlichen Petitionen erklären wir uns den Rückgang insbesondere durch die großen Rückstände im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.

Ich habe allerdings die Befürchtung, dass mit dem Auflösen des Staus die Petitionen auch bei uns wieder zunehmen werden. Wir haben 1.006 Petitionen im Jahr 2016 abschließend behandelt. Das waren etwas weniger als im Vorjahr. Davon haben wir 75 Petitionen positiv beschieden; 71 Petitionen haben wir teilweise positiv beschieden; da sind wir etwas besser als im Vorjahr, nämlich ca. 2 Prozentpunkte. Wir haben mit 31 % ungefähr gleich viele neutral entschiedene Petitionen. Das sind die, die wir an den Bund oder andere Landtage abgeben.

Wir haben aber noch immer ca. 60 % der Petitionen, wo wir nach Sach- und Rechtslage entscheiden, sozusagen eine Negativentscheidung vornehmen, weil wir nicht weiterhelfen können. Es gibt aber zwischen „Rechnung getragen“, wo wir eine Petition also positiv abschließen konnten, und „Sach- und Rechtslage“, wo wir also nicht weiterhelfen konnten, schon einen Zwischenraum, in dem die Berichterstatterinnen und Berichterstatter zwischen den Petentinnen und Petenten sowie den Behörden vermittelnde Gespräche führen können, gegen die sich die Petitionen meistens richten.

Zu den aufenthaltsrechtlichen Petitionen will ich Ihnen noch sagen, woher die meisten kommen. Ganz oben sind die Petitionen aus Albanien. Dann kommen der Kosovo, Serbien, Marokko und Afghanistan. Syrien steht erst an 14. Stelle. Das liegt auch daran, dass die meisten syrischen Geflüchteten einen subsidiären Schutz erhalten.

Noch ein paar Sätze zu den Petitionen aus dem Bereich der Justiz. Da haben wir auch sehr viele; und diejenigen, die sich eben nicht mit dem Strafvollzug beschäftigen, setzen sich häufig mit dem Problem der überlangen Dauer von Gerichtsverfahren auseinander.

(Heike Hofmann (SPD): Hört, hört!)

Kolleginnen und Kollegen, das ist ein riesiges Problem, besonders dann, wenn es sich um Unterhaltsklagen und Rentenangelegenheiten dreht; denn die Leute sind oft sehr verzweifelt, weil sie jahrelang auf eine Entscheidung warten müssen. Es gibt zwar nach § 198 Gerichtsverfassungsgesetz – da kann der Petitionsausschuss auch nicht weiterhelfen – die neu eingeführte Verzögerungsrüge. Wir müssen aber feststellen, dass das eher ein stumpfes Schwert ist, sonst hätten wir nicht so viele Eingaben in diesem Bereich.

Sie wissen, das Petitionsrecht ist ein Individualrecht. Aber es kann auch von einer Gemeinschaft ausgeübt werden. Das nennen wir dann Mehrfachpetitionen. Davon hatten wir in dem Zeitraum, über den ich berichte, 15. An oberster Stelle stand mit 30.000 Unterschriften: „Keine Stellenstreichung an hessischen Schulen“. Danach kamen „Kostenfreies Schülerticket für ganz Hessen“ mit 11.000 Unterschriften und „Zulassung der Gründung von Oberstufengymnasien“; auch die Unterstützung für eine afghanische Familie hat es als Mehrfachpetition geschafft.