Protokoll der Sitzung vom 04.05.2017

Ich gebe gern ein paar Beispiele. Psychisch Kranke brauchen Krisendienste, wie es sie in Oberbayern, SchleswigHolstein, Berlin und auch im Raum Darmstadt gibt. Wenn Ihr Satz: „Ambulante Hilfen sollen nach Möglichkeit auch außerhalb der Regelarbeitszeiten zugänglich sein“ schon das Ende der Geschichte ist, dann bleiben wir, wie im Rest des Gesetzes, im Vagen, Ungefähren und Unverbindlichen. Wir verhindern damit keine stationären Aufenthalte. Wir verhindern keine Unterbringung. Wir verhindern am Ende keine Zwangsmaßnahme. Das ist aber doch der Sinn des Grundsatzes „ambulant vor stationär“.

(Beifall bei der LINKEN)

Dazu müsste die Landesregierung dafür sorgen, dass überall im Land Strukturen aufgebaut werden, die Anlaufstellen für Menschen mit psychischen Krisen bieten, und das nicht nur ab und zu außerhalb der Bürozeiten, sondern regelmäßig am Wochenende und nachts. Gerade dann passieren die psychischen Krisen. Hierfür müssen aber vor Ort die Bedingungen geschaffen werden, und dazu reicht es nicht, die Sozialpsychiatrischen Dienste um eine Stelle aufzustocken.

Die Kleine Anfrage der LINKEN zu diesen Diensten ergab ein äußerst inhomogenes Bild im Land. Das reicht von 0 bis zu 20,5 besetzten Stellen pro Kreis. Es gibt aber Bundesländer, die Mindestbesetzungen festlegen. Wenn die Maßstäbe aus Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern in Hessen angelegt werden würden, müsste sich das Personal in den Sozialpsychiatrischen Diensten teilweise verzehnfachen. Wo dies herkommen soll bei der bescheidenen Bezahlung, ist mir allerdings ein Rätsel.

(Beifall bei der LINKEN)

Die sehr engagierten Kolleginnen und Kollegen in den ambulanten und stationären psychiatrischen Einrichtungen werden von der Regierung im Regen stehen gelassen. Noch mehr: Sie müssen sich demnächst mit völlig untauglichen rechtlichen Vorschriften herumschlagen. Kinder sollen, wenn auch nur vorübergehend, in Erwachseneneinrichtungen untergebracht werden können. Es wimmelt im Gesetz von unklaren Krankheits- und Gefahrenbegriffen. Es gibt völlig unklare Formulierungen wie „andere bedeutende Rechtsgüter anderer“. Diese müssen ersatzlos gestrichen werden, damit wir zu Klarheit und Eindeutigkeit kommen.

Leider gibt es viel zu viele Regelungen, die ich erwähnten müsste, weil sie verfassungswidrig oder zumindest verfassungsrechtlich bedenklich sind. Dafür fehlt mir die Zeit. Deshalb nur ein paar Beispiele. Im Gesetz soll die Zwangsbehandlung einwilligungsfähiger Personen möglich sein. Dies widerspricht der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 26.07.2016, die aussagt, eine medizinische Zwangsbehandlung gegen den freien Willen eines Menschen ist ausgeschlossen. – Das Gesetz ermöglicht eine Zwangsbehandlung ohne gerichtliche Genehmigung, wenn durch sie die Behandlung verzögert würde.

Es ist zu befürchten, dass der Notfall hier zum Regelfall wird. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 23. März 2011 aber schon festgehalten, dass der Rechtsschutz gegen eine solche Maßnahme möglich sein muss.

Schließlich darf es keine Zwangsbehandlung von fremdgefährdeten Personen geben. Auch hier ist das Bundesverfassungsgericht eindeutig. Das führt dazu, dass Patienten, die

nach dem BGB untergebracht sind, anders behandelt werden als jene nach dem PsychKHG. Alles in allem wird das Gesetz zu viel Unklarheit bei den Behörden sowie bei Psychiaterinnen und Psychiatern und auch zu viel Klärungsbedarf bei den Gerichten führen. Da hätte die Landesregierung doch besser einmal von anderen Bundesländern abschreiben sollen.

Besonders ärgerlich sind die Einschränkungen bezüglich der UN-Behindertenrechtskonvention. Diese soll gemäß Präambel nur „so weit wie möglich“ berücksichtigt werden. Weit ist es mit den Möglichkeiten nicht her. Es fehlen Regelungen, wie Menschen mit Behinderungen in der Entscheidungsfindung unterstützt werden bzw. wie die bestmögliche Interpretation des Willens und der Einstellung der Person berücksichtigt werden kann.

Ich darf Sie auf die Redezeit hinweisen, Frau Kollegin.

Ich bin sofort fertig. – Weder die Erfahrungen aus der Psychiatrie-Enquete von 1975 noch jene aus anderen Bundesländern oder europäischen Ländern wurden bei diesem Gesetzentwurf berücksichtigt, auch nicht Konzepte wie Home-Treatment, Soteria, EX-IN usw. Der Entwurf ist bei seiner Verabschiedung nicht nur schon überaltert, sondern auch schädlich.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank. – Die nächste Wortmeldung kommt von Herrn Kollegen Bocklet, Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen! In fünf Minuten darzustellen, was wir in dieses Gesetz geschrieben haben, würde den Rahmen sicherlich sprengen. Richtig ist aber, was Kollege Dr. Bartelt gesagt hat: Nach 60 Jahren wird es heute in dritter Lesung zu einem Gesetz kommen, das modern ist: ein modernes Hilfegesetz für psychisch Kranke, das Prävention vor Zwang setzt. Ich glaube, aus der Sicht der Patientinnen und Patienten, der psychisch Kranken, ist das ein guter Tag.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Die Haltung des neuen Gesetzes ist klar. Es geht um Prävention, es geht um Hilfen, es geht um Heilung. All das steht im Fokus. Zugleich ist klar, dass das ausschließlich ordnungspolitisch orientierte, veraltete Freiheitsentziehungsgesetz auf neue Grundlagen gestellt wird. Das ist richtig und gut.

Um Kritik aufzugreifen, die gerade von meiner Vorrednerin kommt: Dies wurde in mehr als drei Jahren in einem Fachbeirat erarbeitet.

(Marjana Schott (DIE LINKE): Und was sagen die Mitglieder aus dem Beirat?)

Viele, viele Expertinnen und Experten haben sich daran beteiligt, in Regierungsanhörungen und vielem anderen mehr, in vielen Fachdiskussionen. Die meisten aller dieser Vorschläge haben dort dann Eingang gefunden.

(Marjana Schott (DIE LINKE): Dann müssen Sie von einem anderen Gesetz reden, Herr Bocklet!)

Vor allem ist die Definition klar, wann es überhaupt zu einer Freiheitsentziehung kommen darf. Sie ist nämlich nur als Ultima Ratio und unter bestimmten Voraussetzungen überhaupt erlaubt. Das wird engmaschig dokumentiert und überwacht, um gemäß der UN-Behindertenrechtskonvention höchsten Ansprüchen Genüge zu tun.

(Marjana Schott (DIE LINKE): Nein, das sagt niemand! Das sagt explizit niemand!)

Doch, Frau Schott. Das kann ich Ihnen gerne sagen. Ihnen ist aufgefallen, dass das Land Hessen eines der letzten Bundesländer ist, das ein solches Gesetz jetzt modernisiert. Was eine Schwäche sein könnte, ist für uns zugleich eine Stärke. Wir wissen nämlich, was rechtssicher ist.

(Marjana Schott (DIE LINKE): Oh!)

Wir konnten anhand der Gesetze anderer Bundesländern wissen, was beklagt und was nicht beklagt wird, was rechtskonform und verfassungskonform ist.

(Lachen der Abg. Marjana Schott (DIE LINKE))

Dieses Gesetz, das werden Sie sehen, wird vielleicht eine Klage provozieren; sie wird aber keinen Erfolg haben, weil wir aus anderen Bundesländern wissen, was rechtlich tragfähig ist. Ich glaube, das ist in diesem Fall auch so.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Die Patientinnen und Patienten haben größtmögliche Transparenz. Es wird dokumentiert. Wir haben klar festgelegt und auch noch einmal verbessert, wie dokumentiert werden muss. Es wird deutlich dokumentiert, was die Fachaufsicht zu leisten hat.

Die Rechte der untergebrachten Patientinnen und Patienten werden noch einmal klar und ausführlich geschildert: Besuchskommission, Patientenfürsprecher, unabhängige Beschwerdestelle. Der Schriftverkehr sowohl zu Ärzten als auch zu Anwälten ist uneingeschränkt zu gewährleisten. All das sind Aspekte der Bürgerrechte, die wir in diesem Gesetz auf modernsten Stand führen.

In dieser Hinsicht bedarf es auch überhaupt keiner hektischen und – wie ich finde – übertriebenen Vorwürfe oder Kritik, weil all das ausführlich bedacht wurde. Es ist tatsächlich ein die Bürgerrechte wahrender, patientengerechter Gesetzentwurf geworden.

Was Sie als einen der Punkte aus der Anhörung noch einmal hervorheben, ist die Frage, wie stark wir mobile Krisendienste berücksichtigen. Ich habe es schon einmal gesagt: Wir haben das im Gesetz noch einmal verbessert, weil wir der Meinung sind, dass dieser Handlungsauftrag auch per Gesetz ausgesprochen werden muss. Es kann einfach nicht sein, dass samstagnachts um 3 Uhr keinerlei Hilfen zur Verfügung stehen.

Nur: Was wir nicht wollen, ist, dass wir als Land Hessen ausschließlich dafür zuständig sind und das auch noch zu bezahlen haben, während es eine ganz komplexe Landschaft von bereits bestehenden Angeboten gibt, im Übrigen

auch bestehende mobile Angebote. Vor allem gibt es unterschiedlichste Kostenträger. Die Krankenkassen würden ein riesiges Geschäft machen, wenn sie mehr mobile Krisendienste einrichten würden, weil sie dadurch teure Krankenhausaufenthalte vermeiden könnten. Sie würden entlastet.

Die Gesundheitsdienste der Städte und Kommunen haben ebenfalls dafür Sorge zu tragen, dass ihre unterschiedlichsten Angebote wirklich gut strukturiert, organisiert und koordiniert zur Verfügung stehen. All das wollen wir mit dem Gesetz initiieren, aber ihnen nicht die Aufgabe entziehen oder sie daraus entlassen, all das tun zu müssen. Wir als Land wollen das nicht alles übernehmen.

Deswegen ist es ein bewusster Beschluss, zu sagen: Ja, es ist wichtig, außerhalb von Bürozeiten verfügbar zu sein. Aber wir werden nicht alles von uns aus alleine zahlen, wenn es in diesem Bereich mehrere Akteure gibt.

Insofern haben wir die Zielrichtung aufgenommen. Wir wollen den Menschen größtmögliche präventive Angebote machen, wir wollen, dass die Patientinnen und Patienten gut untergebracht sind, qualitativ hochwertig untergebracht sind. Wenn sie einen Aufenthalt dort hatten, sollen sie nicht wieder rückfällig werden. Auch dafür werden die neu ausgestatteten Sozialpsychiatrischen Dienste einen Handlungsauftrag erhalten.

Ich bin mir sicher, dass wir in einigen Jahren, wenn wir dieses Gesetz evaluieren, feststellen, wie fortschrittlich es war. Wir werden sicherlich weiterhin mit dem neu eingerichteten Fachbeirat diskutieren. Jede konstruktive Kritik und jede Idee, die es nach der Einführung in der Umsetzung gibt, werden wir gern aufgreifen und weiterentwickeln.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, alles in allem glaube ich, dass dies ein gutes Gesetz, eine gute Entscheidung für die Patientinnen und Patienten ist. Es ist ein gutes Gesetz für die Psychiatrien, für all die Ärztinnen und Ärzte, die dort arbeiten und die darauf gewartet haben, dass es einen solchen Meilenstein gibt, eine solche Verbesserung nach über 60 Jahren. Das ist ein guter Tag für dieses Thema. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Danke schön. – Die nächste Wortmeldung kommt von Herrn Kollegen Rock, FDP-Fraktion.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! In der dritten Lesung über ein Gesetz zu sprechen, an dem sich zwischen der zweiten und der dritten Lesung nichts mehr signifikant verändert hat, ist natürlich

(Gernot Grumbach (SPD): Eine Herausforderung!)

eine gewisse Herausforderung. Es gibt aber Spielraum und auch Möglichkeiten, noch einmal auf ein paar Punkte hinzuweisen.

Wenn man Herrn Bocklet und Frau Schott zugehört hat, hatte man ja den Eindruck, dass hier nicht über das gleiche Gesetz gesprochen wird.

(Heiterkeit der Abg. Marjana Schott (DIE LINKE))

Vielleicht sind zwei Gesetze in Umlauf.

(Marjana Schott (DIE LINKE): Und zwei Anhörungen!)

Ich kenne nur eines. Ich will trotzdem noch einmal meiner Grundhaltung Nachdruck verleihen, dass es gut ist, dass wir jetzt endlich ein solches Gesetz auf den Weg gebracht haben. Das muss man grundsätzlich anerkennen.