Protokoll der Sitzung vom 29.06.2017

Die nächste Instanz ist der Bundesfinanzhof. Weil das ein Obergericht ist, ist dies gleichwertig mit Entscheidungen eines Oberlandesgerichts. Entscheidungen der Finanzgerichte unserer Bundesländer sind bundesweit zu berücksichtigen.

Außerdem hat dieses Gericht die Tätigkeiten von Attac sehr akribisch durchleuchtet und vor dem Hintergrund der Satzung und der tatsächlichen Handhabung geprüft. Das Gericht kommt zu einem umfassenden Ergebnis,

(Norbert Schmitt (SPD): So ist es!)

allumfassend, nämlich, dass die Tätigkeiten von Attac § 52 der Abgabenordnung vollumfänglich entsprechen und dass auch die Selbstlosigkeit gegeben ist. Das Finanzgericht

lässt nicht den geringsten Zweifel, liebe Kolleginnen und Kollegen. Weil dies so ist, weil das Gericht nicht den geringsten Zweifel an der Gemeinnützigkeit lässt, hat es auch die Revision beim Bundesfinanzhof nicht zugelassen.

(Norbert Schmitt (SPD): Ja!)

Erst einmal gilt es, dem Hessischen Finanzgericht für diese Entscheidung zu danken.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Bemerkenswert ist allerdings die Weisung des BMF an das Finanzamt Frankfurt II. Das Finanzamt Frankfurt II tut mir im Grunde genommen am meisten leid, weil auf dessen Rücken etwas ausgetragen wird, was dort nicht hingehört – nämlich, gegen die Nichtzulassung der Revision Beschwerde beim BFH einzulegen.

Das Hessische Finanzgericht hat sehr wohl auch Aussagen dazu gemacht, warum eine Revision nicht zulässig sein soll: weil Revisionsgründe eben nicht vorliegen. In diesem Fall wurde eine Einzelfallentscheidung getroffen, die nur auf den Einzelfall abzustellen war.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist schon sehr verwunderlich und auch bedenklich. Ich finde, für die Festsetzung von Steuern ist im Einzelfall niemand anderes örtlich und abschließend zuständig als das Finanzamt, und zwar eigenständig.

(Beifall bei der SPD)

Da hat auch ein BMF nicht mit hineinzureden.

Aber eigentlich geht es um etwas ganz anderes. Eigentlich geht es darum, dass der Anwendungserlass zur Abgabenordnung, also ein Erlass, der die Verwaltung bindet und eben nur die Verwaltung bindet, in diesen Passagen, wo es um Gemeinnützigkeit bei der politischen Betätigung geht, aus den Achtzigerjahren des letzten Jahrhunderts stammt. Dort ist eine BFH-Entscheidung aus dem Jahr 1984 zugrunde gelegt.

(Norbert Schmitt (SPD): Falsch interpretiert!)

Der Erlass lebt in diesem Zusammenhang in den Achtzigerjahren des letzten Jahrhunderts; das ist das eigentliche Problem. Die Betrachtung der politischen Betätigung ist anachronistisch. Sie ist heute nicht mehr durch die Abgabenordnung, durch das Gesetz gedeckt.

Kolleginnen und Kollegen, ein Leben ohne Politik ist undenkbar. Ein Leben ohne Parteipolitik ist sehr wohl denkbar – aber nicht ohne Politik.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der LIN- KEN)

Oder wie sehen Sie das etwa beim BUND? Betreibt der BUND keine Umweltpolitik? Wie sehen Sie das beim ADAC? Betreibt der ADAC keine Verkehrspolitik?

(Günter Rudolph (SPD): Doch! „Freie Fahrt für freie Bürger“!)

Was macht Attac? Friedenspolitik, Politik für soziale Marktwirtschaft, Politik für Gerechtigkeit, für Solidarität und Völkerverständigung – mit 30.000 Mitgliedern. Warum soll das nicht im Sinne der Gemeinnützigkeit möglich sein?

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Er fördert also die Allgemeinheit auf geistigem, sittlichem und materiellem Gebiet. Insoweit ist es letztendlich nicht mehr als recht und billig, ihm endlich die Gemeinnützigkeit zuzuerkennen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, unsere Gesellschaft hat sich seit den Achtzigerjahren des letzten Jahrhunderts erheblich gewandelt. Wir sind eine pluralistische Gesellschaft. Andere, auch unbequeme Meinungen sind in unserer Demokratie wichtig. Es ist immer auch politisch, wenn man andere, unbequeme Meinungen vertritt. Das fördert doch geradezu unser demokratisches Staatswesen.

Frau Arnoldt, wir brauchen also keine höchstrichterliche Entscheidung wegen des Erlasses. Das ist ein Erlass, den sich die Verwaltung selbst gegeben hat und der nur die Verwaltung bindet.

Was wir brauchen, ist eine Änderung des Einführungserlasses zur Abgabenordnung. Das kann schlechterdings der Bundesfinanzminister in Verbindung mit den Länderfinanzministern in eigener Zuständigkeit machen. Er kann damit den Erlass der Lebenswirklichkeit anpassen. Dann muss man nicht die Lebenswirklichkeit oder die Gesellschaft an den Erlass anpassen.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Marjana Schott (DIE LINKE))

Kolleginnen und Kollegen, ich komme damit zum Schluss meiner Rede. – Ich finde es nicht vertretbar, einen Verein mit 30.000 Mitgliedern über viele Jahre hinweg der Möglichkeit steuerlich begünstigter Spenden zu berauben. Ich halte das für unvertretbar. Das geht an die Existenz dieses Vereins. Es ist an der Zeit, die Rechtsprechung endlich anzuerkennen und dem Verein Attac e. V. die Gemeinnützigkeit zuzuerkennen. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Anhaltender Beifall bei der SPD)

Kollege Kummer, vielen Dank. – Das Wort erhält Herr Abg. Jörg-Uwe Hahn für die FDP-Fraktion.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich verstehe die Emotionen bei dieser Debatte nicht so richtig. Wir haben darüber schon emotional debattiert. Wir haben schon entsprechende Anträge und Berichtsanträge im Haushaltsausschuss erörtert.

Allen Beteiligten ist klar: Es gibt § 52 Abgabenordnung, in dem es eine positive Aufzählung von insgesamt 25 Punkten gibt. Ich glaube, das ist im Jahr 2007 verabschiedet worden. Daraus ergibt sich, was der Bundesgesetzgeber als gemeinnützig ansieht.

Allen Beteiligten ist klar – das wurde auch nicht von den Mitgliedern der LINKEN bezweifelt –, dass es auf alle Fälle eine Begrenzung der Gemeinnützigkeit gibt, wenn sich der Verein parteipolitisch betätigt. Dafür haben wir ein gesondertes System. Das nennen wir „Parteienfinanzierung“. Deswegen kann ein Verein, wenn er sich parteipolitisch engagiert, zusätzlich nicht auch noch gemeinnützig sein. So weit, so gut.

Jetzt gab es eine Diskussion über eine Entscheidung der Finanzbeamten des Landes Hessen. Darüber hat der Finanzminister im Haushaltsausschuss sehr ausführlich, wenn auch sehr abstrakt berichtet. Ich habe es gerade eben noch einmal nachgelesen. Er sagte: Ich sage zu dem konkreten Fall nichts, aber sehr abstrakt kann ich Folgendes sagen. – Dann hat er seine Rechtsauffassung dargelegt. Demzufolge gab es eine Entscheidung des Finanzamtes, dass die Gemeinnützigkeit nicht mehr vorhanden ist. So gut, so schlecht.

Verehrte Kollegen der LINKEN, wir haben einen Rechtsstaat. Der Rechtsstaat gilt umfassend. Es gibt keinen Rechtsstaat nur für Gute. Es gibt auch keinen Rechtsstaat nur für Schlechte. Vielmehr gibt es den Rechtsstaat für jedermann. Das unterscheidet unsere Gesellschaft z. B. von der DDR.

(Beifall bei der FDP)

Deshalb hat Attac vollkommen zu Recht Rechtsmittel eingelegt. Jetzt nehmen wir zur Kenntnis, dass die erste Instanz, auch wenn es ein Obergericht ist, die Rechtsauffassung vertritt, dass Attac einerseits die Voraussetzung des § 52 Abgabenordnung erfüllt und andererseits nicht gegen das Verbot der Parteienfinanzierung verstößt. So gut, so schön.

Der Rechtsstaat gibt die Möglichkeit, dass der unterlegene Teil gegen diese Entscheidung der ersten Instanz, die ein Obergericht ist, etwas machen kann. Wie kann man sich darüber aufregen? Es ist mir ein Rätsel, wie man sich darüber aufregen kann.

(Zuruf des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE) – Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

Herr Schaus, dass Sie kein Verhältnis zum Rechtsstaat haben, haben Sie hier schon mehrfach kundgetan.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Lesen Sie nur einmal die Debatte – –

(Lebhafte Zurufe von der LINKEN)

Meine Damen und Herren, ich bitte um Ruhe. – Die Äußerung, dass er kein Verhältnis zum Rechtsstaat hat, bitte ich auch etwas zu relativieren. Sie hat mir nicht sehr gut gefallen. – Herr Kollege Hahn, bitte sehr.

Herr Präsident, da wir hier nicht diskutieren, will ich darauf hinweisen, dass das jedenfalls rechtsstaatlich vollkommen korrekt ist. – Da verstehe ich Sie nicht. Das ist unabhängig davon, von wem auch immer da eine Weisung kam. Es gibt nun einmal das Rechtsmittel der Nichtzulassungsbeschwerde. Das Land bzw. der Bundesfinanzminister können von diesem Rechtsmittel Gebrauch machen. Ich verstehe nicht, dass Sie sich darüber aufregen. Oder aber Sie differenzieren zwischen denjenigen, denen Sie es gönnen, rechtsstaatliche Mittel zu nutzen, und denjenigen, denen Sie es nicht gönnen, rechtsstaatliche Mittel zu nutzen. Ich will es einmal so diplomatisch ausdrücken.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Irgendjemand hat sich Sorge um das Finanzgericht gemacht. Ich kann Ihnen sagen: Ich habe gestern Abend gemeinsam mit einigen Kolleginnen und Kollegen dieses Hauses mit dem Präsidenten des Finanzgerichts in einem Raum gesessen. Wir haben einen sehr aufgeschlossenen und dynamischen Präsidenten erlebt. Ich glaube nicht, dass er sich in irgendeiner Weise davon beeindrucken lässt, ob dagegen eine Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt werden wird oder nicht.

Das wird jetzt der Bundesfinanzhof entscheiden. So geht das im Rechtsstaat. Das ist auch gut so. – Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Kollege Jörg-Uwe Hahn, vielen Dank. – Das Wort erhält Frau Kollegin Erfurth für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn meiner Rede möchte ich noch einmal ein paar Dinge festhalten. Das Steuerrecht und auch das Gemeinnützigkeitsrecht, über das wir gerade reden, sind Bundesrecht.