Protokoll der Sitzung vom 29.06.2017

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn meiner Rede möchte ich noch einmal ein paar Dinge festhalten. Das Steuerrecht und auch das Gemeinnützigkeitsrecht, über das wir gerade reden, sind Bundesrecht.

Die hessische Steuerverwaltung wendet diese gesetzlichen Grundlagen, die in Berlin oder früher auch in Bonn geschaffen wurden, an – nicht mehr und auch nicht weniger. Wir haben in Hessen keinerlei Gesetzgebungskompetenzen. Wie Frau Kollegin Arnoldt sehr richtig ausgeführt hat, gibt es bei der Auslegung der Gesetze immer wieder einmal unterschiedliche Ansichten. Ganze Heerscharen von Juristen leben davon, dass sie unterschiedlich ausgelegt werden.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Das stimmt!)

Es gibt immer auch unterschiedliche Auffassungen darüber, wie man etwas konnotiert und wie man etwas sieht. Ich stimme durchaus zu: Das Gemeinnützigkeitsrecht ist eine durchaus ergiebige Quelle unterschiedlicher Rechtsauffassungen. Das ist ein Gebiet, auf dem sehr viele unterschiedliche Rechtsauffassungen in der Welt sind.

Deswegen wäre es wünschenswert, dass wir da stringentere Regeln hätten. Dabei geht es gerade auch um die Abgrenzung, was zulässige und gewünschte politische Betätigung, aber nicht parteipolitische Betätigung ist. Ich sage ausdrücklich, dass das ein Unterschied ist. Denn die Finanzierung der Parteien wird im Parteienfinanzierungsgesetz geregelt. Ich sage ausdrücklich: Das muss man auseinanderhalten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der CDU)

Es würde nicht nur den Organisationen dienen – das betrifft nicht nur Attac, andere wurden auch genannt –, wenn man da stringentere Regeln hätte, sondern auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Finanzverwaltung, die durchaus im Feuer stehen, wenn sie diese Regeln anwenden. Sie müssen die entsprechenden Entscheidungen dann tragen. Es ist also wünschenswert, dass wir da bessere und stringentere Regeln haben.

Herr Kummer, Sie haben hier so getan, als sei der Einführungserlass zur Abgabenordnung etwas, was man so eben einmal ändern könnte. Sie wissen ganz genau, dass das nicht geht. Alle Bundesländer und auch der Bundesfinanzminister müssen da mitspielen. Es ist also nicht trivial, den Einführungserlass zur Abgabenordnung zu ändern. Das geht nicht so einfach. Es wäre wünschenswert. Es wurde versucht, hat aber bisher nicht geklappt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der derzeitige Zustand, das will ich sehr gern einräumen, ist für die Betroffenen nicht zufriedenstellend. Wir reden heute über Attac. Ich räume auch gerne ein, dass es mir und meiner Partei sehr viel lieber gewesen wäre, wenn wir diese Rechtsauseinandersetzung nicht gehabt hätten und das Finanzamt in der rechtlichen Auseinandersetzung mit Attac anders entschieden hätte. Dazu haben sich die Bearbeiter im Finanzamt aber nicht in der Lage gesehen. Das kritisiere ich nicht. Sie mussten das Verfahren bearbeiten und beenden.

Aber es geht nicht – ich möchte an Sie alle appellieren –, dass wir als Abgeordnete Einfluss auf das Verhältnis von steuerpflichtigen Bürgerinnen und Bürgern und Verwaltung nehmen. Das geht uns nichts an.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Verwaltung ist aus gutem Grund unabhängig. Ich finde, das ist ein Wert in unserem Rechtsstaat, den wir nicht aushöhlen sollten. Das sieht meine Fraktion so. Das sehen die Kolleginnen und Kollegen von der CDU so. Das sehen auch die Landesregierung und der Finanzminister so, mit dem wir uns darüber schon öfter ausgetauscht haben, auch im Haushaltsausschuss, wie Kollege Hahn erläutert hat. Ich hoffe, dass das auch die übrigen Fraktionen in diesem Hause so sehen. Bei den LINKEN muss man einmal abwarten, wie sie sich weiter verhalten.

Meine Damen und Herren, es ist auch kein Geheimnis, dass meine Fraktion das Urteil des Finanzgerichts Kassel begrüßt hat, mit dem die Rechtsauffassung von Attac bestätigt wurde.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Allerdings hat das Bundesfinanzministerium von seinem Weisungsrecht Gebrauch gemacht. Auch das ist Teil unserer Rechtsordnung, dass der Bundesfinanzminister als fachliche Oberbehörde anweisen kann, dass gegen ein Urteil Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt wird. Das ist ein ganz normaler Vorgang, der immer wieder einmal passiert. – Herr Kollege Kummer und ich waren beide lange in der Finanzverwaltung. Wir kennen das. Ich habe mich zumindest als Sachbearbeiterin manchmal darüber geärgert. Aber das ist ein Vorgang, der ganz normal ist.

(Zuruf des Abg. Jan Schalauske (DIE LINKE))

Herr Schalauske, es ist ganz normal, dass eine Oberbehörde der Fachaufsicht sagt: Das ist ein Fall von grundsätzlicher Bedeutung, den wir gerne letztinstanzlich geklärt haben möchten. – Das ist ein ganz normaler Verwaltungsvorgang, der mich nicht erfreut. Aber es ist so, und es macht relativ wenig Sinn, das zu kritisieren.

Ich bin sehr gespannt. Es gibt sehr enge Vorgaben für die Erhebung einer Nichtzulassungsbeschwerde. Ich bin sehr gespannt, wie der BFH mit dieser Nichtzulassungsbeschwerde umgeht.

(Jan Schalauske (DIE LINKE): Ich auch!)

Das wird uns dann wahrscheinlich wieder beschäftigen. Ich sehe überhaupt keinen Anlass, besorgt zu sein, dass dieses Verfahren jetzt durchgeführt wird, so wie das in dem Antrag von den Kollegen der LINKEN dargestellt wird. Wir haben eine gute Rechtsordnung, auf die wir uns verlassen können. Wir dürfen sehr gespannt sein, wie der BFH mit diesem Vorgang umgeht. Danach unterhalten wir uns weiter. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Frau Kollegin Erfurth. – Das Wort hat Finanzminister Dr. Schäfer.

Sehr verehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich kann mich in der Frage der Einordnung und Beurteilung des gegenwärtigen Verfahrensstandes in dem gesprächsgegenständlichen Verfahren vollständig auf das beziehen, was Frau Erfurth, aber auch Kollege Dr. Hahn vorgetragen hat.

Wir befinden uns mitten in einem nicht abgeschlossenen steuerrechtlichen Verfahren, das vermutlich seinen Abschluss in einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs finden wird. Das ist die eine, rechtsstaatlich wohl von niemandem zu bezweifelnde Fragestellung.

Ich glaube, wir sollten uns gemeinsam davor hüten, Entscheidungen von Gerichten – oder darauf nachfolgende Entscheidungen von Verfahrensbeteiligten, Rechtsbehelfe, Rechtsmittel einzulegen oder nicht – danach zu bewerten, ob einem die betroffene Organisation sympathisch ist, mit deren Zielen man sich zu identifizieren beabsichtigt, oder nicht. Das führt möglicherweise zu fehlgeleiteten Einschätzungen. – Ich komme darauf zurück.

Wir sollten deshalb die Frage, ob das gegenwärtige Gemeinnützigkeitsrecht ausreichend ist, um möglicherweise erweiterte politische Betätigungsfelder abdecken zu können oder zu sollen, nicht auf dem Rücken der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Finanzverwaltung austragen.

(Beifall bei der CDU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der FDP)

Sie wenden das Recht an, das – aus deren Sicht – „die da oben“ geschaffen haben. Wir müssen am Ende im Deutschen Bundestag – gerne auch vorbereitend und mit Unterstützung der Gremien des Hessischen Landtags – die Frage diskutieren: Wollen wir mehr gemeinnützlichkeitsrechtliche Anerkennung von politischer Tätigkeit?

Meine Damen und Herren, ich bin da nach wie vor eher zurückhaltend. Wenn Sie abstrakt bestimmte Kriterien für gemeinnützigkeitsfähige politische Betätigung vorgeben, dann mag es auf den ersten Blick gelingen, Organisationen darunter zu subsumieren, die einem – ich wiederhole das – sympathisch sind und mit deren politischen Zielen man sich identifizieren kann. Man sollte aber nicht vergessen, dass dann möglicherweise auch andere Organisationen, deren Ziele einem nicht so sympathisch sind – und wo wir vielleicht sogar gemeinsam zu dem Ergebnis kommen, dass es schön wäre, wenn diese Organisationen weniger

Möglichkeiten der Betätigung hätten –, eine Chance bekämen, sich darunter zu subsumieren. Am Ende würden sich dann unter der Rubrik „Gemeinnützigkeitsrecht“ Unterstützungsmöglichkeiten durch steuerrechtliche Begünstigungen auf Organisationen erstrecken, von denen wir hinterher sagen: Mensch, möglicherweise war es nicht klug, das gemacht zu haben. – Meine sehr verehrten Damen und Herren, deshalb bin ich mit Blick auf die Zukunft für eine sehr vorsichtige und sehr detaillierte Diskussion in dieser Frage.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang einen zweiten Punkt hervorheben, den ich in der letzten Debatte hier schon einmal vorgetragen habe. Sind wir, die wir als Vertreter von Parteien in Parlamente und dann von Parlamenten in Regierungen berufen worden sind, klug beraten, die grundgesetzliche Entscheidung, dass die politischen Parteien an der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken – die politischen Parteien, alle anderen Organisationen stehen nicht im Grundgesetz –, infrage zu stellen? Wir haben nach den Diskussionen um die Parteienfinanzierung der Achtziger- und Neunzigerjahre eine Regel geschaffen, dass Zuwendungen an politische Parteien in bestimmten, engen Grenzen steuerlich abgesetzt werden können. Wenn wir jetzt Nichtparteiorganisationen, die sich gleichsam dem Ziel widmen, die politische Willensbildung in unserem Land zu beeinflussen, mehr steuerrechtliche Privilegierungen zubilligen als den Parteien selbst, ist das dann ein Beitrag – wie soll ich sagen – zu der Bereitschaft von uns selbst, zu akzeptieren, dass wir unseren grundgesetzlichen Auftrag annehmen? Oder ist das eher ein Beitrag dazu, Selbstzweifel an dem politischen System, wie es bisher funktioniert, zu säen?

(Manfred Pentz (CDU): Ja, genau!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich halte die Frage zumindest für offen.

(Zuruf des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE))

Deshalb lassen Sie uns in Ruhe, Gelassenheit und in der Anerkennung von rechtsstaatlichen Grundsätzen diese Frage diskutieren. Alles andere wird weder der betroffenen Organisation noch dem dahinter liegenden Sachverhalt gerecht. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Minister. – Es gibt keine weiteren Wortmeldungen.

Meine Damen und Herren, dann kommen wir zur Abstimmung über die beiden Anträge, zunächst über den Dringlichen Antrag der Fraktion DIE LINKE, Drucks. 19/5047. Wer stimmt zu? – Das sind die Fraktion DIE LINKE und die SPD. Wer ist dagegen? – CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP. Damit ist der Antrag abgelehnt.

Dann kommt Tagesordnungspunkt 72, Dringlicher Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Drucks. 19/5069. Wer stimmt zu? – CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP. Wer ist dagegen? – Die Fraktion DIE LINKE. Wer enthält sich? –

Die SPD-Fraktion. Damit ist dieser Dringliche Entschließungsantrag angenommen.

Ich rufe den nächsten Punkt, Tagesordnungspunkt 62, auf:

Antrag der Fraktion der CDU betreffend eine Aktuelle Stunde (Hessische Polizei unterstützt Hamburger Kol- leginnen und Kollegen auch beim G-20-Gipfel – De- monstranten müssen friedlich protestieren – extremisti- sche Gewalt verhindern) – Drucks. 19/5041 –

Es beginnt Herr Kollege Alexander Bauer, CDU-Fraktion.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Gipfel der 20 führenden Industrienationen in Hamburg steht bevor. Unverhohlene Gewaltaufrufe und gefährliche Straftaten, die schon jetzt zu verzeichnen sind, lassen für die Demonstrationen nichts Gutes erahnen. Worum geht es bei G 20? Wir leben in Zeiten zunehmender internationaler Verflechtungen. Die Staaten stehen globalen Herausforderungen gegenüber. Der Dialog zwischen Staaten und der Weg der internationalen Diplomatie sind deshalb von herausragender Bedeutung.

(Beifall bei der CDU)

Meine Damen und Herren, der G-20-Gipfel ist ein wichtiger Baustein im Gefüge der internationalen Friedensdiplomatie. Wir begrüßen daher ausdrücklich, dass der G-20Gipfel stattfindet und Bundeskanzlerin Merkel dazu nach Hamburg eingeladen hat.

Mir fehlt jedes Verständnis, dass ausgerechnet diejenigen, die von sich behaupten, für Pazifismus und internationale Werte einzutreten, aktiv daran arbeiten, dass es immer schwerer wird, überhaupt internationale Gipfeldiplomatie zu bestreiten.

(Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE) – Vizepräsidentin Heike Habermann übernimmt den Vorsitz.)

Meine Damen und Herren, die vergangenen Jahre zeigten, dass Proteste teilweise so massiv, so hasserfüllt, so gewaltbesessen sind, dass internationale Gesprächsforen nur noch unter immensem Polizeischutz stattfinden können.