Protokoll der Sitzung vom 30.08.2017

(Unruhe – Glockenzeichen der Präsidentin)

Mit der Hessenkasse zur Kassenkreditentschuldung der hessischen Kommunen werden Bundes- und vor allem Kommunalmittel eingesetzt,

(Beifall bei der SPD)

während sich das Land als Verursacher dieser kommunalen Finanzkrise einmal mehr einen schlanken Fuß macht. Das ist eine ganz nüchterne Feststellung.

(Beifall bei der SPD)

Herr Minister, zu den Feststellungen gehört auch, dass das Land durch eine mangelhafte Finanzausstattung die hessischen Kommunen über Jahre hinweg in eine in Deutschland einzigartige Verschuldungslage gebracht hat. Dass die Bertelsmann Stiftung Anfang des Monats festgestellt hat, dass die hessischen Kommunen zu den – ich zitiere – „bundesdeutschen Krisenregionen“ gehören, sollte Sie zum Nachdenken darüber anregen, wer diese Situation verursacht hat. Auch da kann man nüchtern feststellen – das werden Sie nicht bestreiten können –, dass in den Neunzigerjahren, also zu der Zeit, als Rot-Grün regiert hat, Hessen eines der drei Länder war, in denen die Kommunen die geringsten Defizite hatten. Das ist mit der Regierungsübernahme durch die CDU gekippt. Auch das ist eindeutig.

(Beifall bei der SPD)

Mittlerweile gehört Hessen zu den vier Ländern, in denen die Kommunen am höchsten verschuldet sind. Meine Damen und Herren, in diesem Zeitraum ist doch etwas passiert. Wissen Sie, was in diesem Zeitraum passiert ist? Den Kommunen sind die Kosten davongelaufen – die hessischen Kommunen haben bundesweit mit die größten Aufgaben –, aber die Finanzmittel des Landes sind nicht im gleichen Maße nachgeflossen. Genau deshalb ist es zu dieser Entwicklung gekommen: von einem Spitzenplatz – da war Hessen stark – zu den Schwächsten.

Deswegen sage ich Ihnen: Dass die hessischen Kommunen entschuldet werden müssen – wobei die Verschuldung in Ihrer Regierungszeit aufgebaut worden ist –, ist richtig. Eine echte Gemeinheit und unzulässig ist aber,

(Zurufe von der CDU: Oh!)

dass bei dem, was Sie jetzt vorhaben, 80 % wiederum die Kommunen bezahlen müssen und dass das Land Hessen lediglich ein Fünftel der Mittel für diese Entschuldung beisteuert. Das ist nicht korrekt. Da wäre das Land als Verursacher dieser Situation der hessischen Kommunen gefordert. Wer hat denn zu verantworten, dass die hessischen Kommunen Kassenkredite in Höhe von 6,2 Milliarden € aufnehmen mussten? – Meine Damen und Herren, das hat das Land zu verantworten.

(Beifall bei der SPD)

Deswegen wäre es die Pflicht des Landes, diese Entschuldung aus Landesmitteln vorzunehmen.

Herr Reul, was die Gemeinden betrifft: Ich nehme an, Sie meinen Breitenbach am Herzberg. Eine Gemeinde mit 1.700 Einwohnern als Gegenbeispiel zu nehmen: Auch da sollte man ein bisschen Vorsicht walten lassen.

(Günter Rudolph (SPD): Ja!)

Ich glaube nicht, dass das ein durchschlagendes Argument ist. Sie müssen die Gesamtheit der hessischen Kommunen nehmen. Die Gesamtheit der hessischen Kommunen hat eben Kassenkredite in Milliardenhöhe aufnehmen müssen. Deswegen bleibt es dabei, dass das Land die Kommunen mit Landesmitteln aus dieser Lage befreien müsste.

Aber das geschieht nicht, sondern Mittel, die den Kommunen eigentlich zustehen, werden von Ihnen zweckentfremdet. So werden allein 59 Millionen € Bundesmittel, die den Kommunen für Hilfen für behinderte Menschen zugewiesen werden sollen, zweckwidrig eingesetzt.

(Zuruf von der SPD: Was?)

Ja, so ist das. 59 Millionen € aus dem Bundesteilhabegesetz, die dazu gedacht sind, die Kommunen bei den Aufgaben zu entlasten, die sie im Zusammenhang mit behinderten Menschen erfüllen, werden jetzt eingesetzt, um die Entschuldung, die die Landesregierung vorhat, zu finanzieren.

60 Millionen € beträgt der Kommunalanteil aus dem Fonds Deutsche Einheit. Auch die sollen jetzt eingesetzt werden, ebenso wie 20 Millionen € aus dem Landesausgleichsstock, und 100 Millionen € – das sind die berühmten 25 € – sind aus eigenen Mitteln der Kommunen zu erbringen.

Herr Minister, ich möchte wissen – auch von den nachfolgenden Rednerinnen der GRÜNEN –: Sind meine Zahlen richtig? Ist es so, dass 80 % der Mittel in diesem Entschuldungsfonds von den Kommunen aufgebracht werden und nur 20 % vom Land? Ist meine Zahl richtig oder nicht?

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, jetzt wird es von der Summe her interessant. Damit werden den hessischen Kommunen jährlich weitere 239 Millionen € – Sie kennen die Diskussion über die 344 Millionen € – entzogen. Der Städtetag hat dazu festgestellt – da müssen Sie sagen, der Städtetag bzw. ich lägen falsch –: Rund 80 % der Mittel müssen die Kommunen bereitstellen; gut 20 % steuert das Land bei. – Das hat er auch kritisiert. Der von Ihnen eingeforderte Eigenanteil der Kommunen in Höhe von 25 € wird eine neue Runde der Steuer- und Gebührenerhöhungen auf kommunaler Ebene einleiten. Das ist doch schon heute abzusehen.

(Beifall bei der SPD)

Viele Kommunen sind angesichts der hohen Pflichtaufgaben und damit der hohen Pflichtausgaben gar nicht in der Lage, diese 25 € pro Einwohner durch Einsparungen zu erbringen. Wie soll die Stadt Offenbach weitere 2,5 Millionen € jährlich kürzen? Wie sollen der Main-Kinzig-Kreis 10 Millionen € oder die Stadt Rüsselsheim weitere 1,6 Millionen € jährlich kürzen? Darauf bin ich einmal gespannt.

(Vizepräsident Frank Lortz übernimmt den Vorsitz.)

Verbunden mit der Verschärfung der Kommunalaufsicht – das haben Sie ja auch vor – müsste z. B. mein Kreis, der Kreis Bergstraße, über 10 Millionen € einsparen. Dabei hat mein Kreis, der Kreis Bergstraße, allein 150 Millionen € bereitzustellen, um in den nächsten Jahren die Schulen zu sanieren. Der Investitionsbedarf der hessischen Kommunen beträgt allein im Schulbereich 3 Milliarden €. Daher bin ich einmal gespannt, wie dieser Eigenanteil von den Kommunen ohne Steuer- und Gebührenerhöhungen erbracht werden soll. Darauf bin ich wirklich gespannt.

(Beifall bei der SPD)

Deswegen sage ich: Die Landesregierung gibt den Kommunen einmal mehr Steine statt Brot. Auch der Städte- und Gemeindebund hat das, wie ich finde, sehr schön dargestellt. Ich zitiere aus der Pressemitteilung:

„Die für die Tilgung notwendigen Mittel müssen zu einem größeren Anteil als bisher geplant vom Land Hessen kommen. Das Land trägt eine erhebliche Mitverantwortung dafür, dass das Kassenkreditproblem in Hessen so groß geworden ist“, so Schelzke.

Dann führt er weiter aus:

„Man hat uns aber jetzt höchstens drei Finger gereicht, wir brauchen schon eine ganze Hand des Landes, damit die betreffenden Kommunen aus dem Schuldensumpf gerettet werden können“, machte Schelzke deutlich. … Bei der Finanzierung der Tilgung würden neben dem Eigenanteil der betroffenen Kommunen Mittel eingesetzt, die den Kommunen ohnehin zustünden, so z. B. Entlastungen des Bundes für die Kommunen.

Und dann wird er wieder zitiert:

„Das kann man nicht als Landesbeteiligung durchgehen lassen.“

Ich finde, der Städte- und Gemeindebund hat völlig recht.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Norbert Kart- mann (CDU))

Es ist wie beim KIP I und II sowie bei dem, was Sie in den nächsten Tagen vorhaben; denn über die Kinderbetreuung

haben wir eben diskutiert: Mit dem Geld von anderen lassen sich schöne Programme finanzieren,

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Das sagen die Richtigen!)

aber es ist gegenüber den Kommunen nicht fair. Es ist gerade an dieser Stelle nicht fair, Bundes- und kommunale Mittel einzusetzen, sondern das Land, das diese Situation, die hohen Kassenkredite, verursacht hat, wäre in der Verantwortung, die vollständige Übernahme der Kassenkredite vorzunehmen. Das Land hat die Kommunen in die Verschuldung getrieben. Das Land, niemand anderes, ist in der Pflicht, die Kommunen mit eigenen Mitteln zu entschulden. Das wäre das Gebot der Stunde. All das, was Sie jetzt vorhaben, wie der Entzug von weiteren 239 Millionen €, wird die Investitionskraft der hessischen Kommunen weiterhin schwächen. Diese sind schon auf dem niedrigsten Stand. Ich beziehe mich wieder auf die Studie der Bertelsmann Stiftung, die besagt, dass die Investitionen in Hessen auf kommunaler Ebene viel zu niedrig seien. Deswegen: Die Idee zur Entschuldung ist richtig, dies aber wiederum auf Kosten der Kommunen zu tun, ist der falsche Weg. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Kollege Schmitt. – Das Wort hat Abg. Schalauske, Fraktion DIE LINKE.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Regierungsfraktionen von CDU und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN legen heute bereits zum zweiten Mal in Folge einen Entschließungsantrag vor, in dem die Landesregierung gefeiert und die Finanzsituation der hessischen Kommunen beschönigt wird. Nun spricht überhaupt nichts dagegen, dass wir hier in regelmäßigen Abständen über das Thema der kommunalen Finanzen sprechen; aber die Vorlage gleichlautender oder immer ähnlich lautender Jubelanträge hilft den Verantwortlichen in den Kommunen wenig.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Mürvet Öz- türk (fraktionslos))

Im ersten Teil Ihres Antrags erklären Sie erneut die finanzielle Lage der hessischen Städte, Landkreise und Gemeinden. Folgt man Ihren Verlautbarungen, auch denen, die jetzt wieder zu hören waren, könnte man auf den Gedanken kommen, dass in den Kommunen Milch und Honig fließen müssten und dass in den Kämmereien andauernd die Sektkorken knallen dürften, weil die Verantwortlichen in den Kommunen gar nicht mehr wissen, wohin mit dem vielen Geld; doch leider ist die Wahrheit eine ganz andere. Diese Landesregierung hat mit dem Verweis auf die Schuldenbremse und mit dem Instrument des sogenannten Schutzschirms die Kommunen in den letzten Jahren zu einer rigiden, zu einer brutalen Kürzungspolitik gezwungen, in deren Folge öffentliche Aufgaben nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr erfüllt werden können.

(Beifall bei der LINKEN)

Wie sieht das konkret aus? – In den Bereichen Sport und Kultur wurde vielerorts drastisch gekürzt. Stadtteilbibliotheken, Jugendzentren oder Schwimmbäder wurden ge

schlossen. Diese Drangsalierung der kommunalen Selbstverwaltung nennen Sie in Ihrem Antrag sogar noch „partnerschaftliche Unterstützung“. Also ich stelle mir unter „partnerschaftlicher Unterstützung“ seitens des Landes etwas völlig anderes vor.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Leidtragenden waren wie immer die Bürgerinnen und Bürger; denn den hessischen Bürgerinnen und Bürgern wurde mit den Gebührenerhöhungen, die Sie zu verantworten haben, auf breiter Front tief in die Tasche gegriffen. Aber in dieser Plenarwoche setzen Sie dem Ganzen dann noch die Krone auf; denn heute feiern Sie Ihre sogenannte Hessenkasse. Klar, es ist notwendig, dass wir im Hessischen Landtag eine Debatte über diese angekündigte sogenannte Hessenkasse führen. Aber schön wäre es, wenn dafür auch ein Gesetzentwurf auf der Tagesordnung stünde, den wir dann auch konkret lesen könnten und mit dem wir uns auseinandersetzen könnten. Denn bisher wissen wir nicht mehr als das, was in Ihrem Antrag steht und wir in den Presseverlautbarungen des Finanzministers lesen konnten.

(Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE): Ja, daran musst du dich noch gewöhnen!)