Protokoll der Sitzung vom 22.11.2017

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Auseinandersetzung um das Landesblindengeldgesetz hat eine ganze Reihe an Facetten. Wir haben es für richtig gehalten, die dritte Lesung zu beantragen.

(Vizepräsident Frank Lortz übernimmt den Vorsitz.)

Ich begrüße übrigens auf der Tribüne den Geschäftsführer des Blinden- und Sehbehindertenbundes in Hessen, Herrn Meyer. Er hat wie wir noch nicht die Hoffnung aufgegeben, dass sich die Dinge noch zum Besseren wenden lassen.

Wir haben das doppelte Landesblindengeld für Menschen mit Taubblindheit beantragt. Das ist aus der Perspektive des Landes ein kleines, überschaubares Problem. Es ist aus der Perspektive der Menschen, um die es da geht, ein großes Problem.

In der Auseinandersetzung waren die Zahlen etwas divergent. Aber wir reden wahrscheinlich über nicht mehr als 100 Menschen, um die es in Hessen geht. Demzufolge reden wir landesweit über einen Betrag zwischen 210.000 und maximal 600.000 €, wenn, wie es aus unserer Sicht erforderlich ist, das Landesblindengeld in Höhe von 580 € für diese Personengruppe verdoppelt würde.

Ich will Ihnen das noch einmal dringend ans Herz legen. Meine Damen und Herren, eigentlich ist das nichts, worüber man hier streiten sollte. Das gilt sowohl vom Gegenstand als auch von der finanziellen Belastung her, die daraus für das Land und/oder für den Landeswohlfahrtsverband resultieren würde. Das dürfte eigentlich kein Gegenstand für eine Debatte sein. Unserer festen Überzeugung nach müsste das einvernehmlich regelbar sein.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Marjana Schott (DIE LINKE), René Rock (FDP) und Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Wir wissen das schon. Das wurde in der Debatte im Ausschuss auch gesagt. Das ist auch richtig. Frau Kollegin Erfurth hat es gesagt. Andere haben es gesagt. Das ist nicht alles. Es sind auch noch andere Dinge zu erledigen. Frau Kollegin Erfurth, da gilt aber der Satz: Das eine zu tun heißt nicht, das andere zu lassen.

Deswegen ist es gut, dass die Kollegen der FDP-Fraktion zu der Frage einen Antrag gestellt haben. Wir werden einen Änderungsantrag zum Haushaltsentwurf einbringen, der die Verbesserung der Ausbildung der Taubblindenassistenten zum Gegenstand haben wird, damit wir bei dieser Fragestellung tatsächlich vorankommen. Ich biete an, diesen Haushaltsänderungsantrag gemeinsam zu stellen, damit das aus der Debatte herausgenommen wird. Das können wir gerne tun. Auch da geht es nicht um viel Geld. Auch das wäre ein Beitrag.

Ich komme jetzt zum dritten Thema und zu unserem Änderungsantrag, mit dem wir den taubblinden Menschen signalisieren wollen, dass ihre Anliegen in diesem Landtag in guten Händen sind. Deswegen appelliere ich an Sie alle, unserem Vorschlag zu folgen, das Gesetz zu entfristen. Wie ich finde, haben wir eine etwas skurrile Debatte gehabt, wer auch immer sie zu verantworten hatte. Es wurde

gesagt, es sei nicht möglich, die Frist zu verlängern. Angeblich sei das der Fall, weil das Stammgesetz nicht geändert werde. Mit Verlaub, ich kann diese Argumentation nach wie vor in keiner Weise nachvollziehen.

Aber wie dem auch immer sei: Wenn man aus diesem eher skurrilen Anlass noch einmal anfängt, darüber nachzudenken, dann kommt man zu folgender Frage: Warum ist das Landesblindengeldgesetz überhaupt befristet? Warum gelingt es uns nicht, dieses Gesetz zu entfristen? – Das ist unser Vorschlag, um den blinden und sehbehinderten Menschen und hoffentlich auch den Taubblinden in diesem Land zu signalisieren: Ihr könnt euch auf den Hessischen Landtag verlassen, solange eure besondere und bedrückende Situation andauert.

Es gibt keine vernünftige Begründung für die Befristung des Gesetzes in Gänze. Deshalb haben wir und entschlossen, den ganzen Weg gehen zu wollen und vorzuschlagen, dieses Gesetz zu entfristen.

Es ist in diesen Tagen viel von Planungssicherheit die Rede. Im Gegensatz zu den Menschen, über die wir in der vorhergehenden Debatte gesprochen haben, sind dies welche, die natürlich über eine Lobby verfügen, aber über keine so starke und so zahlreich vertretene wie die, über die die Sportverbände und die Sportvereine verfügen. Ich glaube, es ist deshalb wirklich angezeigt, ihnen alle Unterstützung und Planungssicherheit zu geben, die sie aufgrund ihrer bedrängten Lage benötigen. Deswegen bitte ich um Zustimmung zu unserem Vorschlag. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und der Abg. Mürvet Öztürk (fraktionslos))

Vielen Dank, Kollege Gerhard Merz. – Bevor wir in der Debatte fortfahren, will ich darauf hinweisen: Zu der Beschlussempfehlung, die vom Kollegen Möller vorgetragen wurde, gab es Irritationen. Es heißt natürlich, „den Gesetzentwurf in dritter Lesung abzulehnen“. Das ist die Empfehlung, nur damit wir das auch für das Protokoll festhalten.

Dann hat als Nächste Frau Kollegin Schott, Fraktion DIE LINKE, das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir stimmen dem Antrag der SPD zu. Seit dem Haushalt 2012 fordert DIE LINKE ein Gehörlosengeld analog zum Blindengeld. Das bedeutet: Man verdoppelt die Summe. Wir werden diesen Antrag auch weiterhin stellen, auch wenn wir wissen, dass die Regierungsfraktionen den Gesetzentwurf ablehnen. Man kann das auch unterhalb des Gesetzentwurfs auf der Haushaltsebene regeln. Wir werden weiterhin beantragen, dass dieses Geld gewährt wird, und wir werden uns von diesen Anträgen auch nicht abbringen lassen.

Die bemerkenswerte Anhörung mit den Menschen, die selbst von dieser Beeinträchtigung betroffen sind, hat bei Ihnen ja ausgelöst, dass Sie da gesessen haben und sehr betroffen – ich sage jetzt einmal – getan haben. Wenn Sie betroffen gewesen wären, hätten Sie anders reagiert,

(Holger Bellino (CDU): Abwarten!)

und dann würden wir diese Debatte heute in der dritten Lesung nicht führen; denn dann hätten wir eine Situation,

dass Sie aus Betroffenheit erkannt hätten, dass Sie dringend handeln müssen. Dann hätten wir jetzt eine Situation, in der Sie sagen würden: Jawohl, wir bekommen eine besondere Leistung für Menschen hin, die taubblind sind; denn taubblind sind eben nicht einfach nur zwei Behinderungen, sondern es sind zwei Behinderungen, die das, was ein Mensch an Leid, Ausgrenzung und Nichtteilnahme erfährt, sozusagen potenziert und nicht nur verdoppelt.

Diese Personengruppe lebt häufig völlig isoliert. Die einzige Möglichkeit besteht darin, dass diese Personen über die Hilfe ihrer Familien – so es denn eine gibt – Unterstützung erfahren oder dass ihnen diese durch andere zugetragen wird. Das ist nicht ausreichend für das, was diese Mehrfachbehinderung verursacht.

Wenn wir auf die Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes warten wollen, dann warten wir bis 2020. Das ist in dieser Situation keine angemessene Antwort. Selbst wenn die Assistenz durch das Bundesteilhabegesetz abgedeckt würde, bleibt immer noch ein finanzieller Aufwand für Hilfsmittel, von denen wir wissen: Der Markt reguliert. Es gibt dort nur einen ganz winzigen Markt; also gibt es kaum Angebote, und wenn, dann sind sie sehr teuer. Die Dinge, die die Menschen dort kaufen müssen, um sich ihr Leben zu organisieren, sind schwer zu bekommen. Auch dafür braucht es diese Unterstützung.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir sind auch für den eingebrachten Änderungsantrag der SPD; denn diese Befristung ergibt tatsächlich keinen einzigen Sinn, außer dass sie die Betroffenen zutiefst verunsichert. Wenn das Ihre Zielsetzung ist, dann behalten Sie diese Befristung, so wie Sie sie gemacht haben, bei. Wenn das nicht Ihre Zielsetzung ist, dann ändern Sie diese Befristung ab, oder schaffen Sie sie an dieser Stelle grundlegend ab. Denn blind ist nun einmal ein Zustand, der sich in der Mehrheit der Fälle nicht so unmittelbar verändern wird. Das wird ja im Einzelfall geprüft. Die Problematik bleibt bestehen. Deshalb braucht man an dieser Stelle tatsächlich keine Befristung.

Wenn wir schon einmal dabei sind, wäre es doch klug von der Landesregierung gewesen, dass sie vielleicht schon einmal Überlegungen eingebracht hätte, wie sie an der Stelle mit dem Teilhabegesetz umgehen will. Es muss ja nicht so sein, dass man das erst wieder am vorletzten Tag aus dem Boden stampft, wie das in diesem Haus so oft passiert, sodass eine ordentliche Beratung dann nicht mehr stattfinden kann. Es kommt auf uns zu; wir müssen damit umgehen. Also wäre es doch klug, an dieser Stelle schon einmal etwas dazu zu sagen.

Wenn wir über die Landesgrenzen hinausschauen, was das Taubblindengeld angeht, dann wissen wir, dass in anderen Bundesländern Einrichtungen zur Ausbildung von Assistentinnen und Assistenten bestehen, z. B. in NordrheinWestfalen. Wir wissen, dass in Niedersachsen, bereits zum zweiten Mal durch das Land finanziert, Menschen ausgebildet worden sind und dass der Sehbehindertenverband ein Qualifikationsprofil erstellt hat, mit dem man so etwas machen kann. Da kann man einmal hineinschauen, da kann man sich etwas abgucken, da kann man fragen: Funktioniert es gut, oder funktioniert es nicht so gut? – Dann kann man gegebenenfalls etwas ändern. Aber es gibt in diesem Land schon Initiativen und umgesetzte Maßnahmen, von denen man profitieren könnte. Aber auch das funktioniert hier leider nicht. Das ist äußerst traurig. Von den Beteilig

ten wird die Anerkennung als Beruf angestrebt; in anderen Bundesländern arbeitet man daran. In Hessen ist das nicht einmal Zukunftsmusik, sondern überhaupt nicht auf dem Schirm. Ich finde das überaus traurig. Ich finde, Sie sollten nicht so weitermachen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Schott. – Das Wort hat Frau Abg. Erfurth, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst einmal zum Änderungsantrag zur Entfristung, den die Kollegen von der SPD heute eingebracht haben: Wir haben im Ausschuss eine zugegebenermaßen juristische Debatte darüber geführt, ob entfristet werden kann oder ob die Fristen verschoben werden können, oder nicht. Ich gebe gerne zu, dass das für Nichtjuristen eine etwas schwierige Debatte war. Aber es war juristisch hergeleitet, dass mit dieser Änderung des Gesetzes eine Fristverlängerung nicht passieren kann.

(Marjana Schott (DIE LINKE): Doch, kann!)

Frau Schott, das kann man so behaupten. Aber vielleicht sollte man auch einmal das zur Kenntnis nehmen, was aus der Debatte heraus sozusagen rechtssicher veranlasst werden kann.

(Marjana Schott (DIE LINKE): Das ist doch behauptet worden!)

Das ist Ihre Interpretation der Dinge. Vielleicht sollten Sie einmal versuchen, Debatten und ihre Folgen zur Kenntnis zu nehmen.

(Marjana Schott (DIE LINKE): Ja, das tue ich!)

Wenn Sie jetzt hier verkünden, die Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen hätten zur Verunsicherung beigetragen, dann muss ich Ihnen sagen: Schauen Sie doch in das Gesetz, das wir hier schon mit großer Mehrheit verabschiedet haben.

Es war die Landesregierung, die ein Gesetz eingebracht hat, das dafür gesorgt hat, dass das Blindengeld nicht durch die Erhöhung des Pflegegeldes gekürzt wird. Das hat die Landesregierung eingebracht. Das haben wir gemeinsam gestützt, um gemeinsam dafür zu sorgen, dass blinde Menschen in diesem Land auch weiterhin das Blindengeld in der gleichen Höhe erhalten wie bisher und dass es nicht durch die Erhöhung des Pflegegeldes wieder eingesammelt wird.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU – Zuruf der Abg. Marjana Schott (DIE LINKE))

Das haben wir so beschlossen, und das war gut und richtig so. Darüber haben Sie sich bisher keine Gedanken gemacht. Aber das haben wir gemacht, und dafür haben wir gesorgt. Wenn Sie hier sagen, wir würden Menschen verunsichern, dann muss ich dem knallhart widersprechen: Das tun wir nicht.

(Marjana Schott (DIE LINKE): Das sagen nicht wir, das sagen die Betroffenen!)

Ich habe das Mikrofon. Ich bin lauter, und ich kann auch sehr laut brüllen, wenn ich das muss. Das will ich aber nicht.

Daher finde ich die Debatte, wir würden Menschen verunsichern, ziemlich hanebüchen. Das muss ich Ihnen einfach einmal so sagen. Es ist doch völlig klar, dass blinde Menschen in Hessen ein hohes Blindengeld bekommen haben – das finde ich richtig und gut so. Das machen wir auch weiterhin so, ganz egal, wie lang die Frist ist, die im Gesetz steht. Die Menschen vom Blinden- und Sehbehindertenverband wissen auch, dass sie sich an dem Punkt tatsächlich auf uns verlassen können. Ich glaube, das hängt jetzt nicht an der Farbe der Landesregierung, sondern das ist – so hoffe ich – Konsens in diesem Landtag, dass wir diese sehr behinderten Menschen nicht alleine lassen wollen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)

Sie merken es wohl: Ich bin ziemlich empört über solche Unterstellungen.

Jetzt möchte ich mich mit dem politischen Signal beschäftigen, das die Kolleginnen und Kollegen von der SPD heute hier in dritter Lesung einbringen. Es geht ihnen darum, zu sagen: Wir wollen Menschen, die sowohl blind als auch taub sind, dadurch unterstützen, dass wir das Blindengeld verdoppeln. – Das kann man so machen. Wir haben uns in der Debatte aber sehr intensiv darüber ausgetauscht, was taubblinde Menschen an Hilfsmitteln brauchen. Wir streiten um die Instrumente. Reicht es, wenn wir das Blindengeld verdoppeln, um den Menschen wirklich zu helfen, oder reicht das nicht? – Da ist unsere Antwort: Das reicht nicht.

Herr Merz, die Antwort kann dann aber nicht sein: „sowohl als auch“, sondern wir müssen den Bedarf erkunden. Wir müssen sehr genau hinschauen: Was brauchen diese Menschen, und was ist überhaupt das Problem? Es wurde uns doch sehr nachdrücklich geschildert, das eigentliche Problem sei, dass taubblinde Menschen den Zugang zum Hilfesystem gar nicht finden. – Da reicht es doch nicht, wenn ich sage: Du findest zwar den Zugang zum Hilfesystem nicht, aber ich gebe dir jetzt ein bisschen mehr Geld, dann wirst du ihn schon finden. Das reicht doch einfach nicht. Daher ist es der richtige Ansatz zu sagen: Wir versuchen, den Bedarf zu eruieren, und wir sorgen dann dafür, dass ihr qualifizierte und vernünftige Assistenz bekommt. Dann lösen wir doch das Problem wirklich da, wo wir es auch aufgemacht haben.

Deshalb haben wir nicht zum Spaß den Begleitantrag zum Landesblindengeldgesetz eingebracht. Genau deswegen, Herr Merz, arbeiten wir auch daran, dass wir in den anstehenden Haushaltsberatungen das Ganze mit Geld unterlegen und Ihnen auch einen Haushaltsantrag vorlegen werden.

Deshalb glaube ich, dass wir da zu einer guten Lösung finden werden. Ich würde mich freuen, wenn Sie unseren Antrag zum Haushalt unterstützen, damit wir für taubblinde Menschen eine wirkliche Hilfestellung erreichen können. Das wäre mir nämlich ein wirkliches Anliegen. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der CDU)