Herr Kultusminister, ich kann mir auch nicht wirklich vorstellen, dass die Zahlen nicht vorliegen. Deswegen sage ich es noch einmal: Beantworten Sie die Frage. Tun Sie das nicht, gibt es eigentlich nur zwei Schlussfolgerungen. Die eine Schlussfolgerung lautet: Sie wollen es uns nicht sagen. Dann stellt sich wiederum die Frage: Was hat die Landesregierung zu verbergen? – Die andere Schlussfolgerung ist: Sie können nicht antworten, weil Sie es wirklich nicht wissen. Das wiederum passt aber in das Bild, wie Sie mit unseren 60.000 Lehrkräften umgehen.
Ich will jetzt gar nicht von den Nullrunden und fehlenden Tarifsteigerungen sprechen, die auch etwas mit fehlender Wertschätzung zu tun haben.
Ich will einfach einmal auf die nicht wenigen Überlastungsanzeigen eingehen, die in den letzten Jahren immer wieder eingegangen sind. Gerade erst kam mit Schreiben vom 14. November ein Brief, der auch Sie erreicht hat, von einer kooperativen Gesamtschule mit dem Wortlaut:
Auf die Überlastungsanzeigen der Schulen wurde mit lapidaren Antworten oder gar nicht reagiert. Unsere Prognosen haben sich nun auf drastische Weise bewahrheitet. Der ignorante Umgang mit den Anliegen steht im deutlichen Kontrast zu der unzulänglichen Situation an den Schulen, die durch hohe Krankenstände und Langzeiterkrankungen und damit durch ständigen Unterrichtsausfall geprägt sind. Diese Missstände aufzufangen ist unser Tagesgeschäft. Verschärft wird unsere Situation aktuell durch weitere Langzeiterkrankungen, die wiederum durch das Kollegium und Vertretungen aufgefangen werden müssen. Unser Schulalltag besteht im Wesentlichen daraus, den von politischer Seite erzeugten und zu verantwortenden Mangel zu verwalten.
Meine Damen und Herren, die Landesregierung gibt immerhin auch zu, dass die Anforderungen an die Lehrkräfte und die Schulleitungen in den letzten 20 Jahren gestiegen sind. Das ist immerhin ein Lichtblick. Sie nennen Inklusion, individuelle Förderung, jahrgangsübergreifenden Unterricht, ganztägiges Lernen und Unterrichten, Kooperationen mit außerschulischen Institutionen. Ich glaube, diese Liste kann man fortsetzen.
Es ist so, dass der Kultusminister in seiner Antwort all diese Aufgaben allerdings als Regelaufgaben benennt.
Dieser Regelaufgaben seien aus der Dienstordnung abzuleiten; d. h., die Lehrkräfte machen das alles einfach so nebenbei weiter. Das hat mit Wertschätzung nichts zu tun.
Jetzt ist es so, dass nicht nur die Aufgaben zunehmen. Es ist ja auch so, dass die Standards für guten Unterricht abgesenkt werden. Ich muss auch hier nicht anfangen, über die Wochenarbeitszeit zu reden, die unter dem künftigen Wilhelm-Leuschner-Medaillen-Träger Roland Koch in Hessen massiv erhöht wurde. Auch damit wurden mehr Stellen finanziert, die ich gar nicht in Abrede stellen will. Ich weiß, was nachher wieder kommt.
Was mir aber in der Antwort auf diese Große Anfrage neu ist, ist, wie sich auch der Schülerfaktor seit 1998/1999 verändert hat. Ich kann es hier nur in Bezug auf die gymnasiale Oberstufe ableiten.
1998/99 lag der Schülerfaktor bei 0,0714 Lehrern pro Schüler. Heute in der E-Phase sind es 0,0622 Lehrer pro Schüler. Das sind 13 % weniger als damals. Die Standards wurden abgesenkt.
Es geht darum, dass Sie die Standards abgesenkt haben und damit für die einzelne Lehrkraft den Arbeitsaufwand deutlich erhöht haben.
Wenn wir schon beim Abbau von Standards sind: Wir haben in dieser Großen Anfrage die Frage gestellt, wo denn Stellen für besondere Programme gestrichen wurden. Da sagt man: Nein, es wurde gar nichts gestrichen. – Ich habe eine ganz gute Ablage und habe in einer Kleinen Anfrage nachgeschaut, Drucks. 19/2359. Das betrifft auch die Vorgängerregierung von CDU und FDP. In der Antwort auf diese Kleine Anfrage steht:
Die Sonderzuweisungen für den Schwerpunkt Musik wurden zum Schuljahr 2013/14 um 32,6 Stellen reduziert.
Die Sonderzuweisungen für bilinguale Angebote wurden zum Schuljahr 2013/14 um 31,3 Stellen reduziert. … zum Schuljahr 2013/14 [wurden] die Sonderzuweisungen für den Schwerpunkt MINT … um 11,5 Stellen reduziert.
Das sind nur die Beispiele, die ich auf die Schnelle heraussuchen konnte. Dementsprechend gilt: Die Aufgaben nehmen zu, und die Zuweisungen dafür nehmen ab.
Auch auf die 140 Stellen an Grundschulen, die Sie in dieser Wahlperiode gestrichen haben, indem die Differenzierungszulage reduziert wurde, müssen wir nicht weiter eingehen. Und dann wundern Sie sich wirklich, wenn sich am Ende Lehrkräfte beschweren.
Gleiches gilt auch für Schulleitungen. Auch hier nehmen die Aufgaben zu – durch Flüchtlingsbeschulung, durch Inklusion und Ganztag. Alles, was der Landesregierung hierzu einfällt, ist, zu sagen: Na ja, klar, auch Schulleitungen müssen mehr leiten, weil die Schule im Ganztag länger dauert. – Aber sie können die Stellen ja aus den Ganztagsressourcen nehmen, die die Schulen ohnehin bekommen, die aber für gute Ganztagsarbeit viel zu wenig sind. Da soll sich jetzt auch noch die Schulleitung etwas herausnehmen, um die Schule den ganzen Tag länger zu leiten.
(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Deswegen haben Sie auch beantragt, dass mehr Stellen in Geld umgewandelt werden können!)
Besonders interessant finde ich dann noch die Frage nach dem Mehrbedarf für inklusive Beschulung. Auch da sind Förderausschüsse einzurichten, viele Beratungsgespräche zu führen – auch von Lehrkräften, die sich auch dort nicht ausreichend vorbereitet fühlen –, und dann sagt die Landesregierung, es sei nicht richtig, dass Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen per se tagtäglich mehr Arbeit in der Schulleitung verursachen.
Auch hier hilft ein Blick in die Große Anfrage. Weiter hinten führen Sie nämlich auf, wie die Leitungszeit für Förderschulen, Grundschulen und alle Schulformen überhaupt sind. Zum Vergleich: Eine sonstige Förderschule mit 200 Schülern hat 48 Stunden Leitungszeit, eine Grundschule mit 200 Schülerinnen und Schülern – also gleiche Schülerzahl – nur 26 Stunden. Warum gibt es hier also mehr Leitungszeit, wenn Sie sagen, das sei eigentlich gar nicht so? Das verstehe ich nicht, Herr Kultusminister. Sie widersprechen sich selbst.
Zum Schluss will ich noch einmal auf das Thema Befristung zu sprechen kommen. Wir haben ja schon in den mündlichen Fragen am Dienstag dankenswerterweise die aktuellen Zahlen gehört. Im Gegensatz zu allen Absprachen und Zusicherungen, die getroffen wurden, ist die Anzahl der befristet eingestellten Lehrkräfte in Hessen nicht gesunken. Sie ist von 4.923 im letzten Schuljahr auf 5.300 in diesem Schuljahr gestiegen. Zudem sind wir vermutlich weiterhin Spitzenreiter bei der Sommerferienarbeitslosigkeit. Sie holen sich immer wieder Vertretungslehrer, die Sie über die Ferien oder spätestens nach fünf Jahren wieder entlassen. Das hat mit einer Kontinuität in der LehrerSchüler-Beziehung wenig zu tun.
(Beifall bei der SPD – Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber mit dem Arbeitsrecht von Frau Nahles!)
Ich komme zum Schluss. – Ich kann mir vorstellen, was wir gleich wieder hören: Die 105 % sind die Allzweckwaffe für alles. Viele Aufgaben sollen damit erledigt werden. – Das wird so alles nicht funktionieren. Wir müssen Schulen wieder viel mehr mit ihren individuellen Voraussetzungen vor dem Hintergrund ihres individuellen Bedarfs ausstatten und hier künftig einfach Programme, die wir wollen und uns wünschen, auch angemessen ausstatten – für die Lehrkräfte, für die Schulleitungen und für sonst alle, die mit Schule zu tun haben. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Kollege Degen, ich bin schon etwas enttäuscht, dass Sie heute Morgen die Große Anfrage so holzschnittartig und so undifferenziert besprochen haben. Ich glaube, das ist doch unter Ihrem Niveau, und ich glaube, dass Sie das besser können. Ich werde Ihnen einmal an ein paar Punkten darstellen, dass Sie sich damit heute Morgen keinen Gefallen getan haben.
Dass man als Opposition mit Großen Anfragen die Regierung kontrolliert und damit auch eigene Informationen sammelt, ist wichtig, und es ist auch begrüßenswert, das zu tun. Dieses Parlament hat keinen wissenschaftlichen Dienst, daher ist es sehr wichtig für die Abgeordneten, sich auch über das Frageinstrument konzeptionell weiterzubringen und dabei die Regierung zu kontrollieren.
Ich finde aber, wenn man schon Große Anfragen stellt und ausführliche Antworten erhält, in denen viel Arbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter steckt, dann müsste man sich auch die Mühe machen, das in Gänze zu rezitieren, statt nur Ausschnitte zum Besten zu geben. Da habe ich meine Kritik an Ihren Einlassungen.
Ich glaube, dass Sie an einigen Stellen bewusst Dinge weggelassen haben. Ich habe es Ihnen eben schon dazwischengerufen: Wenn Sie hier tatsächlich den Schülerfaktor in der Oberstufe als Kritikpunkt aufmachen und dann auf die Zahlen von 1998 zurückgehen, dabei aber verschweigen, dass damals nur 80 % zugewiesen wurden – ich kann mich erinnern, ich war damals in der Schülervertretung und habe mich sehr darüber geärgert, gegen eine rot-grüne Landesregierung Opposition machen zu müssen, aber so war es doch –, kann man das doch nicht als Beispiel dafür anführen, dass früher alles besser gewesen sei. Da wird man so einer Antwort nicht gerecht, lieber Herr Kollege Degen.
Ich finde es gerechtfertigt, sich über die steigenden Anforderungen von Lehrerinnen und Lehrern auszutauschen. Sie haben fairerweise auch darauf hingewiesen, dass es unbestritten ist, dass auch die Landesregierung es so sieht und dass es vollkommen klar ist, dass sich die Anforderungen
an Lehrerinnen und Lehrer – wie aber auch in allen Berufszweigen – ändern. Es wäre bloß fair gewesen, wenn Sie nach dem Satz, den Sie zitiert haben – in dem die Änderungen im Berufsbild dargestellt wurden –, auch den nächsten Satz mitgelesen hätten, nämlich zu Frage 2:
Da jeweils mit adäquaten Fortbildungsangeboten und entsprechender Ressourcensteuerung reagiert wird, verlief diese Entwicklung, bezogen auf die Schule, in angepassten Schritten.
Was heißt das denn? Es ist eben gerade nicht so, dass das alles on top kommt. Es ist gerade nicht so, dass wir von den Lehrerinnen und Lehrern verlangen, dass das alles zusätzlich zu dem gemacht werden müsste, was sie sonst machen, sondern wir stellen zusätzliche Ressourcen zur Verfügung. Ich finde, das hätten Sie fairerweise auch mit erwähnen sollen.
Sie haben verschwiegen bzw. sind nicht darauf eingegangen, dass wir auch im Bereich der Inklusion zusätzliche Stellen geschaffen haben. Das waren in dieser Wahlperiode bis zum Schuljahreswechsel rund 700 zusätzliche Stellen für den Bereich der Inklusion. Ich finde, das müssen Sie fairerweise dazusagen. Man kann nämlich nicht sagen, wir wollten zusätzliche Aufgaben von den Schulen und würden dafür keine Ressourcen zur Verfügung stellen – das Gegenteil ist richtig. Wir nehmen es sehr ernst, was uns aus den Schulen zurückgespiegelt wird, und stellen dafür zusätzliche Ressourcen zur Verfügung, beispielsweise für die Inklusion plus 700 Stellen.